Von der gesellschaftlichen Kernschmelze oder vom Phasenübergang Demokratie-Autokratie

Abbildung 0: Abbildung erzeugt mit ChatGPT 4o und dem Titel des Blog-Beitrages als Grundidee.

Dieser Blog ist der dritte Teil der Blog-Serie ‚Von der gesellschaftlichen Kernschmelze…‘. Wie auch in den vorherigen Beiträgen nutze ich ChatGPT, dieses Mal vorwiegend in der Version o4-mini-high, um den Blog-Beitrag in einem hybriden Collective Intelligence Setting zu erstellen. Für die Qualitätssicherung habe ich das KI-System Claude 3.7 Sonnet eingesetzt.

In der wissenschaftlichen Literatur wird der Begriff ‚Übergang Demokratie-Autokratie‘ nicht oft verwendet. Vielmehr finden sich dort des Öfteren die Bezeichnungen ‚Demokratischer Rückschritt‘ und Autokratisierung [1]. Die Bezeichnung ‚Demokratischer Rückschritt‘ wird auch für Vorkommnisse verwendet, die ich im Drift-to-Danger Modell als ‚das Schleifen der Sicherheitsschichten‘ bezeichnet habe.

Der Demokratiegrad (oder Autokratiegrad) eines Staates wird über Demokratieindizes vermessen [2]. Nicht alle Indizes kommen zum gleichen Ergebnis. Ich habe in der nachfolgenden Tabelle drei der bekanntesten Indizes herausgegriffen und für das Jahr 2023 die Länder Schweiz, Deutschland, USA, Ungarn, Polen und Ukraine gemäß ihrer Reihenfolge in den jeweiligen Indizes zusammengestellt.

LänderThe Economist IndexV-Dem Index (repräsentative Demokratie)Demokratiematrix Index
Schweiz854
Deutschland12152
USA292031
Polen417154
Ungarn509997
Ukraine91104100
Tabelle 1: Demokratieindex der Länder Schweiz, Deutschland, USA, Polen, Ungarn, Ukraine gemäß ihrer Reihenfolge im jeweiligen Demokratieindex: The Economist Index [3], V-Dem Index (hier der Teil, der die repräsentative Demokratie misst) [4] und der Demokratiematrix Index der Universität Würzburg [5].

Wie man sehen kann, sind die Schätzungen zum Demokratiegrad teilweise sehr unterschiedlich und damit sehr weit von einer vertrauenswürdigen Schätzung entfernt: Die unterschiedlichen Schätzungen werden von unterschiedlichen Experten vorgenommen, die eine unterschiedliche Wahrnehmung der Realität haben und/oder Modelle verwenden, die die Demokratie recht unterschiedlich beschreiben.

Das spiegelt sich meines Erachtens auch in den (mathematischen) Modellen wieder: So gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen [5] – [19], die sich u.a. mit der Segregation von Gruppen beschäftigen und unterschiedliche Faktoren für den Übergang Demokratie-Autokratie angeben. – Keine der Veröffentlichungen hat als Schwerpunkt den Übergang Demokratie-Autokratie. – Diese Veröffentlichungen zeigen, wie die Demokratieindizes, dass es keine integrierte Sicht auf den Übergang Demokratie-Autokratie gibt.

Dies offenbart meines Erachtens ein großes Defizit in der Erkenntnisgewinnung und dem daraus resultierenden Potential für die politische Umsetzbarkeit. – Autokraten wird damit eine weitere Tür geöffnet, um ihre Ziele zu erreichen.

Gemäß den Veröffentlichungen [5] – [19] fasst Tabelle 2 die wichtigsten der Einflussfaktoren für den Übergang Demokratie-Autokratie zusammen und listet mathematische Modelltypen, die für einen solchen oder ähnliche Übergänge verwendet werden (können).

Einflussfaktor/ModelltypSchlüssel­publikation(en)
Wirtschaftlicher StressAcemoglu & Robinson (2006); Boix (2003)
Ökonomische UngleichheitBoix (2003); Acemoglu & Robinson (2006)
Politische PolarisierungIyengar & Westwood (2015)
Mediale Fragmentierung / RadikalisierungGentzkow & Shapiro (2011)
Vertrauensverlust (Institutionen)Putnam (2000); Rothstein & Uslaner (2005)
Soziale Kohäsion / GemeinschaftsbindungPutnam (2000)
Agenten-basierte Meinungsdynamik (Phasenübergänge)Castellano, Fortunato & Loreto (2009). Man überträgt das Ising-Modell auf soziale Netzwerke, wobei „Spins“ für zwei Meinungen (z. B. demokratisch vs. autokratisch) stehen und lokale Mehrheitsregeln oder Abstimmungsprozesse die Dynamik treiben. Diese Modelle zeigen  Schwellenwerte und Hysterese-Effekte. Deffuant et al. (2000) Hegselmann & Krause (2002) Hier interagieren Agenten nur, wenn ihre Meinungen (bzw. Einstellungen) nahe genug beieinander liegen. Die Modelle zeigen mehrere Konvergenzphasen und kritische Abstände, jenseits derer sich Gesellschaften in Blasen aufspalten – analog zu Ordnungs- und Kontrollparametern.  
Frühwarnsignale
/ kritisches Slowing-Down
Scheffer et al. (2009); Dakos et al. (2012) betrachten allgemeine Systeme, die abrupt umschlagen (Ökosysteme, Finanzmärkte, Gesellschaft). Sie leiten aus Zeitreihen Kennzahlen wie „Critical Slowing Down“ ab, die wir ansatzweise simulieren.
Mikro-Makro-Verknüpfung (soziale Mechanismen)Hedström & Swedberg (1998)
Regime-Typen und AutoritarismusLevitsky & Way (2010), Galam (2011). Galam hat in einer Reihe von Arbeiten (z. B. “Minority Opinion Spreading” und “Sociophysics: A Physicist’s Modeling of Psycho-political Phenomena”) gezeigt, wie kleine überzeugte Minderheiten Stabilitätsgrenzen („tipping points“) überschreiten können.
Tabelle 2: Übersicht zu Veröffentlichungen mit unterschiedlichen Einflussfaktoren für den Übergang Demokratie-Autokratie sowie zu relevanten mathematischen Modellen.

Das Modell, das ich in meinem ersten Blog-Beitrag dieser Reihe verwendet habe, besitzt einen sehr einfachen Zeitreihen-Algorithmus mit Rückkopplung. Trotzdem konnte ich mit diesem Modell die empirischen Muster gemäß V-Dem des Übergangs Demokratie-Autokratie nachbilden. Ich gehe deshalb davon aus, dass die zentrale Modell-Annahme – der Übergang wird durch die Differenz von demokratischen Kohäsionskräften und autokratischen Stresskräften bestimmt – korrekt ist. Ich behalte also diese Idee bei und wandele das Modell in ein ODE-Modell um. ODE steht für Odinary Differential Equation Modell (Gewöhnliches Differential Gleichungssystem) um.

Zusätzlich nehme ich die in der wissenschaftlichen Literatur genannten weiteren Einflussfaktoren ‚Stärke der demokratischen Institutionen‘ und ‚Ungleichheit‘ auf.

Das ODE-Modell – man siehe die nachfolgenden Gleichungen – verwendet Großbuchstaben für das Ergebnis und die Einflussfaktoren: D = Demokratie, A = Autokratie, Z = Zukunftsvertrauen, W = WerteKohäsion, B = BedürfnisKohäsion, P = Polarisierung, V = Vertrauensverlust, E = Wirtschaftsprobleme, M = mediale Radikalisierung, Q = Stärke demokratischer Institutionen, I = Ungleichheit. Mmem ist ein Faktor, der der demokratischen Gesellschaft ein Gedächtnis gibt. In unserem Fall sorgt er dafür, dass das Zukunftsvertrauen langsamer abgebaut wird. Die zu den Einflussfaktoren gehörenden Parameter sind in kleinen griechischen Buchstaben angegeben: Das ODE-Modell hat damit 10 Einflussfaktoren und 30 Parameter.

 \frac{dD}{dt} = \alpha_{Z}Z + \alpha_{W}W + \alpha_{B}B + \alpha_{Q}Q - \alpha_{I}I - \lambda_{\text{stress}}\Bigl(\beta_{P}P^{2} + \beta_{V}V^{1.2} + \beta_{E}E^{1.0} + \beta_{M}M^{1.5}\Bigr)
A=1 - D

\frac{dZ}{dt} = \gamma_{1}D-\gamma_{2}E+\alpha_{M}\bigl(\mathrm{Mem}-Z\bigr)^{2}
\frac{dW}{dt} = \delta_{1}D-\delta_{2}P-\delta_{3}M
\frac{dB}{dt} = \epsilon_{1}W-\epsilon_{2}E
\frac{dP}{dt} = \zeta_{1}M-\zeta_{2}W
\frac{dV}{dt} = \eta_{1}E-\eta_{2}Z
\frac{dE}{dt} =\theta_{1}A-\theta_{2}B
\frac{dM}{dt} = \iota_{1}P+\iota_{2}A
\frac{dQ}{dt} = q_{1}D-q_{2}A
\frac{dI}{dt} = i_{1}A-i_{2}B
\frac{d\mathrm{Mem}}{dt} = \mu\bigl(D - \mathrm{Mem}\bigr)

Beispielhaft erläutere ich die erste Gleichung für die zeitliche Entwicklung des Demokratieindex, der zwischen 0 und 1 liegt. Zukunftsvertrauen, WerteKohäsion, Bedürfniskohäsion und die Stärke der demokratischen Institutionen beeinflussen die zeitliche Entwicklung der Demokratie positiv, deshalb stehen sie auf der rechten Seite der Gleichung mit positiven Parametern. Ungleichheit, Polarisierung, Vertrauensverlust, Wirtschaftsprobleme und mediale Radikalisierung beeinflussen die Demokratie negativ, deshalb stehen sie auf der rechten Seite mit negativen Parametern. Polarisierung, Vertrauensverlust, Wirtschaftsprobleme und mediale Radikalisierung zusammen bilden einen Kontrollparameter der Selbstorganisation. Deshalb sind sie in einer Klammer mit dem Parameter Lambda (λStress) zusammengefasst. – Damit ist es möglich diese Einflussfaktoren zusammen von 0 bis zu einem Endwert (ich lege 2.5 fest) hochzufahren und ggf. wieder zurückzufahren. Tests haben gezeigt, dass einer dieser Einflussfaktoren alleine nicht als Kontrollparameter verwendet werden kann. Der Kontrollparameter ist der zentrale Parameter, um den Übergang Demokratie-Autokratie einzuleiten. Kontrollparameter sind u.a. die Parameter, mit denen man ein System in verschiedene Phasen oder Regime überführen kann: Ein typischer Kontrollparameter in der Physik ist die Temperatur. Mit den Kontrollparametern Temperatur und Druck kann man einen Eiswürfel verflüssigen und das Wasser verdunsten bzw. verdampfen lassen. Einen ferromagnetischen Werkstoff kann man mittels der Kontrollparameter Temperatur und ‚äußeres magnetisches Feld‘ magnetisieren. Reduziert man diese Kontrollparameter wieder, stellt man fest, dass die Entmagnetisierung nicht auf dem gleichen Pfad verläuft wie die Magnetisierung. Man spricht von dem Ausbilden einer Hysterese. Ich komme weiter unten hierauf wieder zurück.   

Die übrigen Gleichungen des ODE-Modells lassen sich recht einfach ermitteln, indem man jeweils die Einflussfaktoren benennt, die ihrerseits einen Einflussfaktor beeinflussen. Anschließend übersetzt man diese Aussagen in eine mathematische Form. – Tut man dieses für alle Einflussfaktoren erhält man das obige ODE-Modell.

Diverse Tests haben gezeigt, dass die Ergebnisse des ODE-Modells nicht besonders sensitiv auf die Wahl der Parameter reagieren, die die zeitliche Entwicklung der Einflussfaktoren selbst beschreiben. Entscheidend für das zeitliche Verhalten der Demokratie sind die Parameter in der ersten Gleichung und die Wahl der Startwerte für Demokratieindex und Einflussfaktoren.

Tabelle 3 zeigt die Startwerte und Parameter der Einflussfaktoren in der ersten Gleichung für zwei Szenarien ‚Gefährdete Demokratie‘ und ‚Demokratische Transition‘.

 Gefährdete DemokratieDemokratische Transition
 StartwerteParameterStartwerteParameter
Demokratie0.7 0.4 
     
Zukunftsvertrauen0.50.050.60.05
WerteKohäsion0.50.050.60.04
BedürfnisKohäsion0.50.040.60.04
     
Polarisierung0.50.060.50.06
Vertrauensverlust0.50.050.50.05
Wirtschaftsprobleme0.50.050.40.05
Mediale Radikalisierung0.40.040.40.04
     
Institutionelle Qualität0.40.020.30.02
Ungleichheit0.40.030.30.03
Tabelle 3: Startwerte und Parameter der Einflussfaktoren für zwei Szenarien ‚Gefährdete Demokratie‘ und ‚Demokratische Transition‘.

Die nachfolgenden Abbildungen 1 und 3 zeigen die Lösung des ODE für diese Szenarien in einem Zeitfenster von 1-50 (Jahren). Der zeitliche Verlauf der Einflussfaktoren und der Demokratie wurde teilweise einem sogenannten Sigmoid-Clamp unterzogen. Dies stellt sicher, dass alle Funktionen im Wertebereich 0 bis 1 verlaufen.

Die Abbildungen 2 und 4 zeigen Phasenübergangs-Diagramme mit dem Kontrollparameter Lambda (λStress) und dem Ordnungsparameter Autokratie. Der Ordnungsparameter wird hier mit Phi (φ) angegeben. Phi ist der Anstieg des Autokratiewertes in einem Zeitfenster, d.h. für jeden Lambda-Wert wird der Autokratiewert über die Zeit vermessen. Der Autokratiewert nach Erreichen des Endes des Zeitfensters wird in das Phasenübergangs-Diagramm eingetragen: Für A(t_end) beträgt das Zeitfenster 0 bis 50 (Jahre) und für local ΔA beträgt das Zeitfenster 5 (Jahre). Mit dem kleineren Zeitfenster werden zeitlich-lokale Sprünge in dem Autokratiewert sichtbar.

Abbildung 1: Diese Abbildung zeigt das Verhalten der Autokratie (= 1-D), positiver Einflussfaktoren (Pro-D Drivers) und negativer Einflussfaktoren (Pro-A Drivers) für das Szenario ‚Gefährdete Demokratie‘ mit dem Kontrollparameter Lambda =1.

Abbildung 2: Diese Abbildung zeigt den Ordnungsparameter Autokratie für das Szenario ‚Gefährdete Demokratie‘ für verschiedene Zeitfenster: Für A(t_end) beträgt das Zeitfenster 0 bis 50 (Jahre) und für local ΔA beträgt das Zeitfenster 5 (Jahre). Für das lokale Zeitfenster von 5 wurde zusätzlich Lambda rückwärts (down) laufen gelassen. Damit kann man überprüfen, ob sich ein Hysterese-Effekt zeigt. Die Abbildung zeigt keinen Hysterese-Effekt.

Abbildung 3: Sie zeigt das Verhalten der Autokratie (= 1-D), positiver Einflussfaktoren (Pro-D Drivers) und negativer Einflussfaktoren (Pro-A Drivers) für das Szenario ‚Demokratische Transition‘ mit dem Kontrollparameter Lambda =1.

Abbildung 4: Diese Abbildung zeigt den Ordnungsparameter Autokratie für das Szenario ‚Demokratische Transition‘ für verschiedene Zeitfenster: Für A(t_end) beträgt das Zeitfenster 0 bis 50 (Jahre) und für local ΔA beträgt das Zeitfenster 5 (Jahre). Für das lokale Zeitfenster von 5 wurde zusätzlich Lambda rückwärts (down) laufen gelassen. Damit kann man überprüfen, ob sich eine Hysterese-Effekt zeigt. Die Abbildung zeigt keinen Hysterese-Effekt.

Beide Szenarien zeigen einen Phasenübergang 1. Ordnung für den Übergang Demokratie-Autokratie. Phasenübergang 1. Ordnung bedeutet, dass bei einem bestimmten Kontrollparameter sich die Phase bzw. Regime abrupt ändert: Innerhalb eines sehr kurzen Zeitfensters wird aus der Demokratie eine Autokratie. Erstaunlicher Weise setzt für das Szenario ‚Gefährte Demokratie‘ der Übergang sogar bei kleinerem Lambda ein als beim Übergang ‚Demokratische Transition‘. Dafür ist der Übergang bei der ‚Demokratischen Transition‘ deutlich abrupter. In beiden Fällen sehen wir keine Hysterese, was an den gewählten Parametern liegen kann oder daran, dass die Memory-Modellierung des Modells (noch) nicht ausreichend ist.

Was könnte man mit diesem Modell bzw. diesen Erkenntnissen noch anfangen?

Die am Anfang des Blog-Artikels erwähnten Demokratieindizes könnten dazu benutzt werden das vorliegende Modell bzgl. der Einflussfaktoren anzupassen und bzgl. der Parameter zu adjustieren. Damit wäre es möglich, länderspezifische Vorhersagen zum Übergang Demokratie-Autokratie zu erstellen. Als Nebeneffekt wäre es möglich, die Demokratieindizes zu vereinheitlichen und damit ein integriertes Verständnis von Demokratie und dem Übergang Demokratie-Autokratie zu erzeugen. – Sicherlich eine Aufgabe die im Umfang einer Bachelor- oder Masterarbeit entspricht.

[1] Wikipedia (2025a) Demokratischer Rückschritt (Democratic backsliding), https://en.m.wikipedia.org/wiki/Democratic_backsliding#

[2] Wikipedia (2025b) Demokratiemessung, https://de.m.wikipedia.org/wiki/Demokratiemessung

[3] Wikipedia (2025a) Demokratieindex The Economist, https://de.m.wikipedia.org/wiki/Demokratieindex_(The_Economist)

[4] Wikipedia (2025c) Demokratieindizes (V-Dem), https://de.m.wikipedia.org/wiki/Demokratieindizes_(V-Dem)

[4] Wikipedia (2025d) Demokratiematrix, https://www.demokratiematrix.de/ranking, Universität Würzburg

[5] Castellano, C., Fortunato, S., Loreto, V. (2009). Statistical physics of social dynamics. Reviews of Modern Physics 81(2): 591–646.

[6] Galam, S. (2011). Sociophysics: A Physicist’s Modeling of Psycho-political Phenomena. Springer.

[7] Scheffer, M. et al. (2009). Early-warning signals for critical transitions. Nature 461: 53–59, https://doi.org/10.1038/nature08227

[8] Hegselmann, R., Krause, U. (2002). Opinion dynamics and bounded confidence models, analysis, and simulation. Journal of Artificial Societies and Social Simulation, 5(3).

[9] Epstein, J. M. (2002). Modeling civil violence: An agent-based computational approach. Proceedings of the National Academy of Sciences 99(suppl 3): 7243–7250.

[10] Acemoglu, D., & Robinson, J. A. (2006). Economic Origins of Dictatorship and Democracy. Cambridge University Press.

[11] Boix, C. (2003). Democracy and Redistribution. Cambridge University Press.

[12] Iyengar, S., & Westwood, S. J. (2015). Fear and loathing across party lines: New evidence on group polarization. American Journal of Political Science, 59(3), 690–707. https://doi.org/10.1111/ajps.12152

[13] Gentzkow, M., & Shapiro, J. M. (2011). Ideological segregation online and offline. The Quarterly Journal of Economics, 126(4), 1799–1839. https://doi.org/10.1093/qje/qjr044

[14] Putnam, R. D. (2000). Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community. Simon & Schuster.

[15]  Rothstein, B., & Uslaner, E. M. (2005). All for all: Equality, corruption, and social trust. World Politics, 58(1), 41–72. https://doi.org/10.1353/wp.2006.0028

[16]  Deffuant, G., Neau, D., Amblard, F., & Weisbuch, G. (2000). Mixing beliefs among interacting agents. Advances in Complex Systems, 3(1-4), 87–98. https://doi.org/10.1142/S0219525900000078

[17] Dakos, V., Scheffer, M., van Nes, E. H., Brovkin, V., Petoukhov, V., & Held, H. (2012). Methods for detecting early warnings of critical transitions in time series illustrated using simulated ecological data. PLOS ONE, 7(7), e41010. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0041010

[18]  Hedström, P., & Swedberg, R. (Eds.). (1998). Social Mechanisms: An Analytical Approach to Social Theory. Cambridge University Press.

[19]  Levitsky, S., & Way, L. A. (2010). Competitive Authoritarianism: Hybrid Regimes after the Cold War. Cambridge University Press.

Von der gesellschaftlichen Kernschmelze oder dem Übergang Demokratie-Autokratie und (vielleicht auch) umgekehrt

Im März 2025 erschien in Spektrum der Wissenschaft der Beitrag ‚Die Kernschmelze der Demokratie – Erosion politischer Systeme‘ [1].

Der Spektrum der Wissenschaft Beitrag beruht auf einem wissenschaftlichen Artikel [2], in dem die Risikoerkenntnisse der Atomwirtschaft auf gesellschaftliche Risiken, insbesondere den Übergang von Demokratie zu Autokratie übertragen werden.

Abbildung 1 aus [2] visualisiert die wesentlichen Aussagen zur sogenannten Drift-to-Danger Theorie. Hiernach ist der Übergang Demokratie-Autokratie von folgenden Faktoren gekennzeichnet:

  • Der Verletzung von Normen durch Eliten (u.a. Lügen, Verschwörungstheorien, Negieren von wissenschaftlichen Erkenntnissen, u.ä.)
  • Die Schwelle zur Autokratie (durchgezogene rote horizontale Linie) ist durch eine Reihe von Sicherheitsschichten (dünne rote Linien) geschützt. Verhaltensbezogene Normen und Maßnahmen unterstützen diese Sicherheitsschichten. Falls jedoch diese erodieren, also z.B. ein Teil der Presse die Verletzung der Normen unterstützt oder in der Gerichtsbarkeit ‚wohlwollende Richter‘ eingesetzt werden, driftet die Demokratie in Richtung Autokratie.
  • Jeder Fall einer Sicherheitsschicht ist mit einem ‚Beinahe-Unfall‘ verbunden. Halten alle Sicherheitsschichten nicht mehr, kommt es zum Übergang zur Autokratie.

Abbildung 1: Drift-to-Danger Theorie angewendet auf den Übergang von einer Demokratie zur Autokratie [2].

Meines Erachtens ist das Thema des Übergangs Demokratie-Autokratie das wichtigste gesellschaftspolitische Thema unserer Zeit. Ausgelöst sicherlich durch die eindeutig autokratischen Maßnahmen der Trump Administration, und verstärkt durch die rechtsradikalen gesellschaftlichen Bewegungen in Europa.

Es ist mir völlig unverständlich, wie Menschen durch ihre Wahlstimme helfen können, dass sich Demokratien in Autokratien transformieren, da die Geschichte und das aktuelle Leid überall auf der Welt, hervorgerufen durch autokratische Systeme, Menschen eines Besseren belehren sollten.

Die amerikanischen Tech-Milliardäre haben im Rahmen der Trump Präsidentschaft gezeigt, dass moderne Technologien und eine offene am Menschen orientierte innere Haltung nicht unbedingt zusammengehören. – Deshalb halte ich inzwischen die Gefahr eines Übergangs Demokratie-Autokratie, die von solchen Personen ausgeht, mindestens für so groß wie diejenige, die von Trump selbst ausgeht.  – In meinen Blog-Beiträgen ‚Rückwärtsgewandt in den Abgrund…oder… Entwickeln wir uns weiter!?  vom November 2023‘,  ‚Gesellschaftlicher Wandel – Sein oder Nichtsein? – Das ist hier die Frage! vom Mai 2020‘ und in ‚Cultural Entropy: Corona deckt unsere Werte auf, vom März 2020‘ bin ich auf die sogenannten limitierenden Bewusstseinsniveaus und die daraus resultierenden limitierenden Werte eingegangen. Hiernach tragen solche Limitierungen und die damit verbundene Polarisierung mittels Lügen, Negierung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Verschwörungstheorien das Potential für Autokratie in sich. Gemäß dieser Blog-Beiträge haben die USA (schon seit längerem) ein deutliches Potential für Autokratie. – Jetzt ist dieses leider Realität geworden!  

Autokratie „wird in der Politikwissenschaft [als] eine Herrschaftsform bezeichnet, in der eine Einzelperson oder Personengruppe unkontrolliert politische Macht ausübt und keinen verfassungsmäßigen Beschränkungen unterworfen ist“ [3].  – Eine sehr gelungene Darstellung zum Thema Demokratie-Autokratie findet sich in [4].

Bei einigen, die die Maßregelung von Vance und Trump gegenüber Selenskyj im Fernsehen verfolgten, stellt sich vielleicht die Erinnerung an das ein oder andere ‚Mitarbeitergespräch‘ ein. – Leicht abgewandelt lässt sich die Autokratie-Definition auch als Definition für autokratische Organisationen verwenden. – Eine Organisation oder ein Teil einer Organisation kann, hervorgerufen durch ihre Führungskräfte, einer Autokratie ähneln. In diesem Sinne sind mögliche Erkenntnisse dieses Beitrages auch auf organisationale oder institutionelle Systeme übertragbar.  

In diesem Beitrag, und zukünftigen Beiträgen, will ich versuchen, dieses Phänomen mit Hilfe mathematischer Modelle etwas auszuleuchten. Ich benutze zur Gewinnung dieser Modelle und der daraus resultierenden Python Programme wieder ChatGPT4o1 als KI-Assistenzsystem.

Ich starte in diesem Blog-Beitrag mit einem einfachen phänomenologischen Modell. Die wichtigsten Formeln dieses Modells sind:

 \text{Autokratie} \;=\; \text{Stress} \;-\; \text{Ordnungswert (Demokratie)}.

 \text{Stress} = \frac{\text{Polarisierung}^{2} + \text{mediale Radikalisierung}^{1.5} + \text{Vertrauensverlust}^{1.2} + \text{Wirtschaftsprobleme}}{4}.  \text{Ordnungswert (Demokratie)} = \frac{\,\text{Zukunftsvertrauen} + \text{WerteKohaesion} + \text{BeduerfnisKohaesion}\,}{3}.

 \text{Zukunftsvertrauen} = \max\bigl(0,\; \text{Zukunftsvertrauen}_{\mathrm{init}} - 0.5 \times \text{Stress}\bigr).  \text{WerteKohaesion} = \max\bigl(0,\; \text{WerteKohaesion}_{\mathrm{init}} - 0.4 \times \text{Stress}\bigr).  \text{BeduerfnisKohaesion} = \max\bigl(0,\; \text{BeduerfnisKohaesion}_{\mathrm{init}} - 0.3 \times \text{Stress}\bigr).

Die obigen Formeln stammen aus einer heuristischen Modellierung – das heißt, sie basieren nicht auf einer einzelnen wissenschaftlichen Quelle oder einem etablieren Standardwerk. Stattdessen habe ich – mittels ChatGPT 4o1 – verschiedene Ideen aus System- und Sozialdynamik aufgegriffen und auf einfache Weise in ein numerisches Modell übertragen.

Im Einzelnen:

  1. Autokratie = Stress – Ordnungswert (Demokratie)
    • Diese Gleichung erfasst den politischen Zustand als Differenz zwischen „Stress“ (kritische Faktoren wie Polarisierung, mediale Radikalisierung etc.) und einem „demokratischen Ordnungsparameter“ (d.i. Ordnungswert (Demokratie) resultierend aus Zukunftsvertrauen, WerteKohaesion, Bedürfniskohaesion).
    • Die Gleichung signalisiert: Wenn „Stress“ größer ist als der vorhandene Ordnungswert, wird das System eher autokratisch. Umgekehrt, wenn der Ordnungswert den Stress kompensiert, bleibt es demokratisch.
  2. Stress = (Polarisierung^2 + mediale Radikalisierung^1.5 + Vertrauensverlust^1.2 + Wirtschaftsprobleme) / 4
    • Hier sind Exponenten wie 2, 1.5 oder 1.2 keine wissenschaftlich ermittelten Werte, sondern heuristische Größen, um den Effekt gewisser Variablen (z. B. Polarisierung) zu betonen.
    • Beispielsweise wird Polarisierung^2 benutzt, um zu sagen: „Wenn Polarisierung ansteigt, wirkt sie überproportional auf den Stress.“
    • „Wirtschaftsprobleme^1.0“ ist lediglich ein fester Wert in diesem Beispiel, um das Modell zu vereinfachen. Genauso könnte man andere Exponenten verwenden, wenn man davon überzeugt ist, dass Wirtschaft eine dominate Rolle beim Stress hat.
    • Diese Parametrisierung ist nicht aus einer einzigen Quelle übernommen, sondern angelehnt an die Idee, dass manche Faktoren (Polarisierung, mediale Radikalisierung) über lineare Effekte hinaus die Gesellschaft polarisieren oder radikalisieren.
  3. Lineare Abzüge für Zukunftsvertrauen, WerteKohäsion und BedürfnisKohäsion
    • Formeln wie WerteKohaesion = max(0, WerteKohaesion_init − c1 × Stress) stammen aus System Dynamics-Denkmustern, in denen man sagt: „Bei höherem Stress wird ein Teil der gesellschaftlichen Kohäsion aufgezehrt.“ – Die spezielle Formel implementiert eine Rückkopplung im System und erlaubt damit die explizite Modellierung von Nicht-Linearitäten.
    • Die Faktoren (z. B. 0.5, 0.4, 0.3) sind ebenfalls heuristisch gewählt: Sie wurden so eingestellt, dass das Modell in manchen Situationen in die Autokratie kippt, in anderen stabil demokratisch bleibt. Eine wissenschaftliche Herleitung bräuchte empirische Studien, in denen man z. B. statistisch ermittelt, wie stark Stress tatsächlich das Zukunftsvertrauen, die WerteKohäsion und die BedürfnisKohäsion senkt.
  4. Ordnungswert (Demokratie) = (Zukunftsvertrauen + WerteKohaesion + BeduerfnisKohaesion) / 3
    • Diese Formel ist eine Vereinfachung nach dem Motto: „Wir nehmen den Durchschnitt der drei reduzierten Variablen als Gesamtmaß für die ‘demokratischen Werte’ im System.“
    • Man könnte alternativ gewichten (etwa 0.3 × Zukunftsvertrauen + 0.4 × WerteKohäsion + 0.3 × BedürfnisKohäsion), oder man könnte ganz andere Mechanismen nutzen.

Abbildung 2 zeigt einen möglichen Drift-Verlauf berechnet mit dem Modell und den oben genannten Parametern: Obwohl die Ordnungswerte hoch sind (WerteKohaesion=0.7, BedürfnisKohaesion=0.6, Zukunftsvertrauen=0.5 (alle Werte sind im Bereich 0 bis 1)), reicht dies nicht aus, um einen deutlichen Anstieg der Autokratie zu verhindern, da die Stressfaktoren ebenfalls oberhalb 0.5 liegen.  

Abbildung 2: Die Modell-Simulation wurde mit folgenden Initialisierungswerten durchgeführt: WerteKohaesion=0.7, BedürfnisKohaesion=0.6, Zukunftsvertrauen=0.5, Polarisierung=0.6, Wirtschaftsprobleme=0.5, Mediale Radikalisierung=0.6, Vertrauensverlust=0.5.

Das V-Dem (The Varieties of Democracy Institute) der University of Gothenburg, Department of political science erhebt Daten zur globalen Demokratie-Autokratie Entwicklung und erkennt auch Drift-Muster in diesen [5].
Hiernach wird das obige Drift-Muster der Abbildung 2, als ‚diminished democracy‘ Muster bezeichnet. Mit Hilfe unseres Modells lassen sich auch die anderen Drift-Muster nachbilden.
Abbildung 2 zeigt das ‚reverted liberalization‘ Drift-Muster: Der Autokratie-Wert geht in einem Zeitfenster etwas zurück, um dann wieder anzusteigen.

Abbildung 3: Die Modell-Simulation wurde mit folgenden Initialisierungswerten durchgeführt: WerteKohaesion=0.45, BedürfnisKohaesion=0.45, Zukunftsvertrauen=0.45, Polarisierung=0.9, Wirtschaftsprobleme=0.9, Mediale Radikalisierung=0.8, Vertrauensverlust=0.9.

Zusammenfassend stelle ich fest: Die Drift-to-Danger Theorie ist eine sehr plausible Theorie, die aktuelle Demokratie-Autokratie Entwicklungen gut wiedergibt. Mit unserem einfachen phänomenologischen mathematischen Modell lassen sich reale Drift-Muster gut und plausible nachbilden. Wir haben damit eine gute Ausgangsbasis gewonnen, um das vorliegende Modell zu erweitern. Erweiterungen könnten sein:

  • Einführung von autokratischen und demokratischen Agenten, die die Drift-Muster beeinflussen. Diese Agenten könnten programmierte Agenten oder KI-Agenten sein.
  • Untersuchung der Drift-Muster hinsichtlich ihres Phasenübergangsverhaltens.
  • Vergleich von Theorie und länderspezifischen Demokratie-Autokratie-Scoring-Daten im Zeitverlauf.
  • Erkenntnisse, wie die Drift Demokratie-Autokratie verhindert werden kann oder der Übergang Autokratie-Demokratie gelingen kann.

Sehen wir, was möglich ist!

[1] Könneker C (2025) Die Kernschmelze der Demokratie – Erosion politischer Systeme, in Spektrum der Wissenschaft, https://main-diewocheconnect-spektrum.content.pugpig.com/news/gefaehrliche-erosion-das-drift-to-danger-modell-der-demokratie/2257940/d_app_controller/subcontent/page

[2] Abels C M et al. (2024) Dodging the autocratic bullet: enlisting behavioural science to arrest democratic backsliding, Behavioural Public Policy (2024), 1–28, doi:10.1017/bpp.2024.43, Cambridge University Press

[3] Wikipedia (2025) Autokratie, https://de.wikipedia.org/wiki/Autokratie 

[4] Schmidt M G (2020) Demokratien und Autokratien: Ein vergleichender Überblick, in Deutschland & Europa, Heft 79, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg

[5] Maerz S F et al. (2021) A Framework for Understanding Regime Transformation: Introducing the ERT Dataset, V-Dem, University of Gothenburg, Department of political science