Von der gesellschaftlichen Kernschmelze oder vom Phasenübergang Demokratie-Autokratie

Abbildung 0: Abbildung erzeugt mit ChatGPT 4o und dem Titel des Blog-Beitrages als Grundidee.

Dieser Blog ist der dritte Teil der Blog-Serie ‚Von der gesellschaftlichen Kernschmelze…‘. Wie auch in den vorherigen Beiträgen nutze ich ChatGPT, dieses Mal vorwiegend in der Version o4-mini-high, um den Blog-Beitrag in einem hybriden Collective Intelligence Setting zu erstellen. Für die Qualitätssicherung habe ich das KI-System Claude 3.7 Sonnet eingesetzt.

In der wissenschaftlichen Literatur wird der Begriff ‚Übergang Demokratie-Autokratie‘ nicht oft verwendet. Vielmehr finden sich dort des Öfteren die Bezeichnungen ‚Demokratischer Rückschritt‘ und Autokratisierung [1]. Die Bezeichnung ‚Demokratischer Rückschritt‘ wird auch für Vorkommnisse verwendet, die ich im Drift-to-Danger Modell als ‚das Schleifen der Sicherheitsschichten‘ bezeichnet habe.

Der Demokratiegrad (oder Autokratiegrad) eines Staates wird über Demokratieindizes vermessen [2]. Nicht alle Indizes kommen zum gleichen Ergebnis. Ich habe in der nachfolgenden Tabelle drei der bekanntesten Indizes herausgegriffen und für das Jahr 2023 die Länder Schweiz, Deutschland, USA, Ungarn, Polen und Ukraine gemäß ihrer Reihenfolge in den jeweiligen Indizes zusammengestellt.

LänderThe Economist IndexV-Dem Index (repräsentative Demokratie)Demokratiematrix Index
Schweiz854
Deutschland12152
USA292031
Polen417154
Ungarn509997
Ukraine91104100
Tabelle 1: Demokratieindex der Länder Schweiz, Deutschland, USA, Polen, Ungarn, Ukraine gemäß ihrer Reihenfolge im jeweiligen Demokratieindex: The Economist Index [3], V-Dem Index (hier der Teil, der die repräsentative Demokratie misst) [4] und der Demokratiematrix Index der Universität Würzburg [5].

Wie man sehen kann, sind die Schätzungen zum Demokratiegrad teilweise sehr unterschiedlich und damit sehr weit von einer vertrauenswürdigen Schätzung entfernt: Die unterschiedlichen Schätzungen werden von unterschiedlichen Experten vorgenommen, die eine unterschiedliche Wahrnehmung der Realität haben und/oder Modelle verwenden, die die Demokratie recht unterschiedlich beschreiben.

Das spiegelt sich meines Erachtens auch in den (mathematischen) Modellen wieder: So gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen [5] – [19], die sich u.a. mit der Segregation von Gruppen beschäftigen und unterschiedliche Faktoren für den Übergang Demokratie-Autokratie angeben. – Keine der Veröffentlichungen hat als Schwerpunkt den Übergang Demokratie-Autokratie. – Diese Veröffentlichungen zeigen, wie die Demokratieindizes, dass es keine integrierte Sicht auf den Übergang Demokratie-Autokratie gibt.

Dies offenbart meines Erachtens ein großes Defizit in der Erkenntnisgewinnung und dem daraus resultierenden Potential für die politische Umsetzbarkeit. – Autokraten wird damit eine weitere Tür geöffnet, um ihre Ziele zu erreichen.

Gemäß den Veröffentlichungen [5] – [19] fasst Tabelle 2 die wichtigsten der Einflussfaktoren für den Übergang Demokratie-Autokratie zusammen und listet mathematische Modelltypen, die für einen solchen oder ähnliche Übergänge verwendet werden (können).

Einflussfaktor/ModelltypSchlüssel­publikation(en)
Wirtschaftlicher StressAcemoglu & Robinson (2006); Boix (2003)
Ökonomische UngleichheitBoix (2003); Acemoglu & Robinson (2006)
Politische PolarisierungIyengar & Westwood (2015)
Mediale Fragmentierung / RadikalisierungGentzkow & Shapiro (2011)
Vertrauensverlust (Institutionen)Putnam (2000); Rothstein & Uslaner (2005)
Soziale Kohäsion / GemeinschaftsbindungPutnam (2000)
Agenten-basierte Meinungsdynamik (Phasenübergänge)Castellano, Fortunato & Loreto (2009). Man überträgt das Ising-Modell auf soziale Netzwerke, wobei „Spins“ für zwei Meinungen (z. B. demokratisch vs. autokratisch) stehen und lokale Mehrheitsregeln oder Abstimmungsprozesse die Dynamik treiben. Diese Modelle zeigen  Schwellenwerte und Hysterese-Effekte. Deffuant et al. (2000) Hegselmann & Krause (2002) Hier interagieren Agenten nur, wenn ihre Meinungen (bzw. Einstellungen) nahe genug beieinander liegen. Die Modelle zeigen mehrere Konvergenzphasen und kritische Abstände, jenseits derer sich Gesellschaften in Blasen aufspalten – analog zu Ordnungs- und Kontrollparametern.  
Frühwarnsignale
/ kritisches Slowing-Down
Scheffer et al. (2009); Dakos et al. (2012) betrachten allgemeine Systeme, die abrupt umschlagen (Ökosysteme, Finanzmärkte, Gesellschaft). Sie leiten aus Zeitreihen Kennzahlen wie „Critical Slowing Down“ ab, die wir ansatzweise simulieren.
Mikro-Makro-Verknüpfung (soziale Mechanismen)Hedström & Swedberg (1998)
Regime-Typen und AutoritarismusLevitsky & Way (2010), Galam (2011). Galam hat in einer Reihe von Arbeiten (z. B. “Minority Opinion Spreading” und “Sociophysics: A Physicist’s Modeling of Psycho-political Phenomena”) gezeigt, wie kleine überzeugte Minderheiten Stabilitätsgrenzen („tipping points“) überschreiten können.
Tabelle 2: Übersicht zu Veröffentlichungen mit unterschiedlichen Einflussfaktoren für den Übergang Demokratie-Autokratie sowie zu relevanten mathematischen Modellen.

Das Modell, das ich in meinem ersten Blog-Beitrag dieser Reihe verwendet habe, besitzt einen sehr einfachen Zeitreihen-Algorithmus mit Rückkopplung. Trotzdem konnte ich mit diesem Modell die empirischen Muster gemäß V-Dem des Übergangs Demokratie-Autokratie nachbilden. Ich gehe deshalb davon aus, dass die zentrale Modell-Annahme – der Übergang wird durch die Differenz von demokratischen Kohäsionskräften und autokratischen Stresskräften bestimmt – korrekt ist. Ich behalte also diese Idee bei und wandele das Modell in ein ODE-Modell um. ODE steht für Odinary Differential Equation Modell (Gewöhnliches Differential Gleichungssystem) um.

Zusätzlich nehme ich die in der wissenschaftlichen Literatur genannten weiteren Einflussfaktoren ‚Stärke der demokratischen Institutionen‘ und ‚Ungleichheit‘ auf.

Das ODE-Modell – man siehe die nachfolgenden Gleichungen – verwendet Großbuchstaben für das Ergebnis und die Einflussfaktoren: D = Demokratie, A = Autokratie, Z = Zukunftsvertrauen, W = WerteKohäsion, B = BedürfnisKohäsion, P = Polarisierung, V = Vertrauensverlust, E = Wirtschaftsprobleme, M = mediale Radikalisierung, Q = Stärke demokratischer Institutionen, I = Ungleichheit. Mmem ist ein Faktor, der der demokratischen Gesellschaft ein Gedächtnis gibt. In unserem Fall sorgt er dafür, dass das Zukunftsvertrauen langsamer abgebaut wird. Die zu den Einflussfaktoren gehörenden Parameter sind in kleinen griechischen Buchstaben angegeben: Das ODE-Modell hat damit 10 Einflussfaktoren und 30 Parameter.

 \frac{dD}{dt} = \alpha_{Z}Z + \alpha_{W}W + \alpha_{B}B + \alpha_{Q}Q - \alpha_{I}I - \lambda_{\text{stress}}\Bigl(\beta_{P}P^{2} + \beta_{V}V^{1.2} + \beta_{E}E^{1.0} + \beta_{M}M^{1.5}\Bigr)
A=1 - D

\frac{dZ}{dt} = \gamma_{1}D-\gamma_{2}E+\alpha_{M}\bigl(\mathrm{Mem}-Z\bigr)^{2}
\frac{dW}{dt} = \delta_{1}D-\delta_{2}P-\delta_{3}M
\frac{dB}{dt} = \epsilon_{1}W-\epsilon_{2}E
\frac{dP}{dt} = \zeta_{1}M-\zeta_{2}W
\frac{dV}{dt} = \eta_{1}E-\eta_{2}Z
\frac{dE}{dt} =\theta_{1}A-\theta_{2}B
\frac{dM}{dt} = \iota_{1}P+\iota_{2}A
\frac{dQ}{dt} = q_{1}D-q_{2}A
\frac{dI}{dt} = i_{1}A-i_{2}B
\frac{d\mathrm{Mem}}{dt} = \mu\bigl(D - \mathrm{Mem}\bigr)

Beispielhaft erläutere ich die erste Gleichung für die zeitliche Entwicklung des Demokratieindex, der zwischen 0 und 1 liegt. Zukunftsvertrauen, WerteKohäsion, Bedürfniskohäsion und die Stärke der demokratischen Institutionen beeinflussen die zeitliche Entwicklung der Demokratie positiv, deshalb stehen sie auf der rechten Seite der Gleichung mit positiven Parametern. Ungleichheit, Polarisierung, Vertrauensverlust, Wirtschaftsprobleme und mediale Radikalisierung beeinflussen die Demokratie negativ, deshalb stehen sie auf der rechten Seite mit negativen Parametern. Polarisierung, Vertrauensverlust, Wirtschaftsprobleme und mediale Radikalisierung zusammen bilden einen Kontrollparameter der Selbstorganisation. Deshalb sind sie in einer Klammer mit dem Parameter Lambda (λStress) zusammengefasst. – Damit ist es möglich diese Einflussfaktoren zusammen von 0 bis zu einem Endwert (ich lege 2.5 fest) hochzufahren und ggf. wieder zurückzufahren. Tests haben gezeigt, dass einer dieser Einflussfaktoren alleine nicht als Kontrollparameter verwendet werden kann. Der Kontrollparameter ist der zentrale Parameter, um den Übergang Demokratie-Autokratie einzuleiten. Kontrollparameter sind u.a. die Parameter, mit denen man ein System in verschiedene Phasen oder Regime überführen kann: Ein typischer Kontrollparameter in der Physik ist die Temperatur. Mit den Kontrollparametern Temperatur und Druck kann man einen Eiswürfel verflüssigen und das Wasser verdunsten bzw. verdampfen lassen. Einen ferromagnetischen Werkstoff kann man mittels der Kontrollparameter Temperatur und ‚äußeres magnetisches Feld‘ magnetisieren. Reduziert man diese Kontrollparameter wieder, stellt man fest, dass die Entmagnetisierung nicht auf dem gleichen Pfad verläuft wie die Magnetisierung. Man spricht von dem Ausbilden einer Hysterese. Ich komme weiter unten hierauf wieder zurück.   

Die übrigen Gleichungen des ODE-Modells lassen sich recht einfach ermitteln, indem man jeweils die Einflussfaktoren benennt, die ihrerseits einen Einflussfaktor beeinflussen. Anschließend übersetzt man diese Aussagen in eine mathematische Form. – Tut man dieses für alle Einflussfaktoren erhält man das obige ODE-Modell.

Diverse Tests haben gezeigt, dass die Ergebnisse des ODE-Modells nicht besonders sensitiv auf die Wahl der Parameter reagieren, die die zeitliche Entwicklung der Einflussfaktoren selbst beschreiben. Entscheidend für das zeitliche Verhalten der Demokratie sind die Parameter in der ersten Gleichung und die Wahl der Startwerte für Demokratieindex und Einflussfaktoren.

Tabelle 3 zeigt die Startwerte und Parameter der Einflussfaktoren in der ersten Gleichung für zwei Szenarien ‚Gefährdete Demokratie‘ und ‚Demokratische Transition‘.

 Gefährdete DemokratieDemokratische Transition
 StartwerteParameterStartwerteParameter
Demokratie0.7 0.4 
     
Zukunftsvertrauen0.50.050.60.05
WerteKohäsion0.50.050.60.04
BedürfnisKohäsion0.50.040.60.04
     
Polarisierung0.50.060.50.06
Vertrauensverlust0.50.050.50.05
Wirtschaftsprobleme0.50.050.40.05
Mediale Radikalisierung0.40.040.40.04
     
Institutionelle Qualität0.40.020.30.02
Ungleichheit0.40.030.30.03
Tabelle 3: Startwerte und Parameter der Einflussfaktoren für zwei Szenarien ‚Gefährdete Demokratie‘ und ‚Demokratische Transition‘.

Die nachfolgenden Abbildungen 1 und 3 zeigen die Lösung des ODE für diese Szenarien in einem Zeitfenster von 1-50 (Jahren). Der zeitliche Verlauf der Einflussfaktoren und der Demokratie wurde teilweise einem sogenannten Sigmoid-Clamp unterzogen. Dies stellt sicher, dass alle Funktionen im Wertebereich 0 bis 1 verlaufen.

Die Abbildungen 2 und 4 zeigen Phasenübergangs-Diagramme mit dem Kontrollparameter Lambda (λStress) und dem Ordnungsparameter Autokratie. Der Ordnungsparameter wird hier mit Phi (φ) angegeben. Phi ist der Anstieg des Autokratiewertes in einem Zeitfenster, d.h. für jeden Lambda-Wert wird der Autokratiewert über die Zeit vermessen. Der Autokratiewert nach Erreichen des Endes des Zeitfensters wird in das Phasenübergangs-Diagramm eingetragen: Für A(t_end) beträgt das Zeitfenster 0 bis 50 (Jahre) und für local ΔA beträgt das Zeitfenster 5 (Jahre). Mit dem kleineren Zeitfenster werden zeitlich-lokale Sprünge in dem Autokratiewert sichtbar.

Abbildung 1: Diese Abbildung zeigt das Verhalten der Autokratie (= 1-D), positiver Einflussfaktoren (Pro-D Drivers) und negativer Einflussfaktoren (Pro-A Drivers) für das Szenario ‚Gefährdete Demokratie‘ mit dem Kontrollparameter Lambda =1.

Abbildung 2: Diese Abbildung zeigt den Ordnungsparameter Autokratie für das Szenario ‚Gefährdete Demokratie‘ für verschiedene Zeitfenster: Für A(t_end) beträgt das Zeitfenster 0 bis 50 (Jahre) und für local ΔA beträgt das Zeitfenster 5 (Jahre). Für das lokale Zeitfenster von 5 wurde zusätzlich Lambda rückwärts (down) laufen gelassen. Damit kann man überprüfen, ob sich ein Hysterese-Effekt zeigt. Die Abbildung zeigt keinen Hysterese-Effekt.

Abbildung 3: Sie zeigt das Verhalten der Autokratie (= 1-D), positiver Einflussfaktoren (Pro-D Drivers) und negativer Einflussfaktoren (Pro-A Drivers) für das Szenario ‚Demokratische Transition‘ mit dem Kontrollparameter Lambda =1.

Abbildung 4: Diese Abbildung zeigt den Ordnungsparameter Autokratie für das Szenario ‚Demokratische Transition‘ für verschiedene Zeitfenster: Für A(t_end) beträgt das Zeitfenster 0 bis 50 (Jahre) und für local ΔA beträgt das Zeitfenster 5 (Jahre). Für das lokale Zeitfenster von 5 wurde zusätzlich Lambda rückwärts (down) laufen gelassen. Damit kann man überprüfen, ob sich eine Hysterese-Effekt zeigt. Die Abbildung zeigt keinen Hysterese-Effekt.

Beide Szenarien zeigen einen Phasenübergang 1. Ordnung für den Übergang Demokratie-Autokratie. Phasenübergang 1. Ordnung bedeutet, dass bei einem bestimmten Kontrollparameter sich die Phase bzw. Regime abrupt ändert: Innerhalb eines sehr kurzen Zeitfensters wird aus der Demokratie eine Autokratie. Erstaunlicher Weise setzt für das Szenario ‚Gefährte Demokratie‘ der Übergang sogar bei kleinerem Lambda ein als beim Übergang ‚Demokratische Transition‘. Dafür ist der Übergang bei der ‚Demokratischen Transition‘ deutlich abrupter. In beiden Fällen sehen wir keine Hysterese, was an den gewählten Parametern liegen kann oder daran, dass die Memory-Modellierung des Modells (noch) nicht ausreichend ist.

Was könnte man mit diesem Modell bzw. diesen Erkenntnissen noch anfangen?

Die am Anfang des Blog-Artikels erwähnten Demokratieindizes könnten dazu benutzt werden das vorliegende Modell bzgl. der Einflussfaktoren anzupassen und bzgl. der Parameter zu adjustieren. Damit wäre es möglich, länderspezifische Vorhersagen zum Übergang Demokratie-Autokratie zu erstellen. Als Nebeneffekt wäre es möglich, die Demokratieindizes zu vereinheitlichen und damit ein integriertes Verständnis von Demokratie und dem Übergang Demokratie-Autokratie zu erzeugen. – Sicherlich eine Aufgabe die im Umfang einer Bachelor- oder Masterarbeit entspricht.

[1] Wikipedia (2025a) Demokratischer Rückschritt (Democratic backsliding), https://en.m.wikipedia.org/wiki/Democratic_backsliding#

[2] Wikipedia (2025b) Demokratiemessung, https://de.m.wikipedia.org/wiki/Demokratiemessung

[3] Wikipedia (2025a) Demokratieindex The Economist, https://de.m.wikipedia.org/wiki/Demokratieindex_(The_Economist)

[4] Wikipedia (2025c) Demokratieindizes (V-Dem), https://de.m.wikipedia.org/wiki/Demokratieindizes_(V-Dem)

[4] Wikipedia (2025d) Demokratiematrix, https://www.demokratiematrix.de/ranking, Universität Würzburg

[5] Castellano, C., Fortunato, S., Loreto, V. (2009). Statistical physics of social dynamics. Reviews of Modern Physics 81(2): 591–646.

[6] Galam, S. (2011). Sociophysics: A Physicist’s Modeling of Psycho-political Phenomena. Springer.

[7] Scheffer, M. et al. (2009). Early-warning signals for critical transitions. Nature 461: 53–59, https://doi.org/10.1038/nature08227

[8] Hegselmann, R., Krause, U. (2002). Opinion dynamics and bounded confidence models, analysis, and simulation. Journal of Artificial Societies and Social Simulation, 5(3).

[9] Epstein, J. M. (2002). Modeling civil violence: An agent-based computational approach. Proceedings of the National Academy of Sciences 99(suppl 3): 7243–7250.

[10] Acemoglu, D., & Robinson, J. A. (2006). Economic Origins of Dictatorship and Democracy. Cambridge University Press.

[11] Boix, C. (2003). Democracy and Redistribution. Cambridge University Press.

[12] Iyengar, S., & Westwood, S. J. (2015). Fear and loathing across party lines: New evidence on group polarization. American Journal of Political Science, 59(3), 690–707. https://doi.org/10.1111/ajps.12152

[13] Gentzkow, M., & Shapiro, J. M. (2011). Ideological segregation online and offline. The Quarterly Journal of Economics, 126(4), 1799–1839. https://doi.org/10.1093/qje/qjr044

[14] Putnam, R. D. (2000). Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community. Simon & Schuster.

[15]  Rothstein, B., & Uslaner, E. M. (2005). All for all: Equality, corruption, and social trust. World Politics, 58(1), 41–72. https://doi.org/10.1353/wp.2006.0028

[16]  Deffuant, G., Neau, D., Amblard, F., & Weisbuch, G. (2000). Mixing beliefs among interacting agents. Advances in Complex Systems, 3(1-4), 87–98. https://doi.org/10.1142/S0219525900000078

[17] Dakos, V., Scheffer, M., van Nes, E. H., Brovkin, V., Petoukhov, V., & Held, H. (2012). Methods for detecting early warnings of critical transitions in time series illustrated using simulated ecological data. PLOS ONE, 7(7), e41010. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0041010

[18]  Hedström, P., & Swedberg, R. (Eds.). (1998). Social Mechanisms: An Analytical Approach to Social Theory. Cambridge University Press.

[19]  Levitsky, S., & Way, L. A. (2010). Competitive Authoritarianism: Hybrid Regimes after the Cold War. Cambridge University Press.

Von der gesellschaftlichen Kernschmelze oder vom Übergang Demokratie-Autokratie und der Liebe zum Faschismus

Abbildung 0: Bild generiert von ChatGPT 40 mini mit dem Blog-Beitrags-Titel als Prompt.

(Dieser Blog ist der zweite Teil der Blog-Serie ‚Von der gesellschaftlichen Kernschmelze…‘.)

Die gesellschaftliche Kernschmelze hat in den USA eingesetzt. – Faschismus-Forscher belegen inzwischen das amerikanische Trump-System mit dem Begriff Faschismus [1].

Mit dem ersten Blog-Beitrag habe ich die Betonung auf den Übergang Demokratie-Autokratie gelegt, also nicht auf die gesellschaftlichen System-Zustände, Autokratie oder faschistisches Regime.

Der Übergang ist aus meiner Sicht genau der Bereich, der wesentliche Phasen, in denen Autokratie, faschistische Regime oder Diktaturen entstehen, sichtbar werden lässt.

Ich sehe drei Phasen:

Erste Phase:

Wenn aus Demokratien autokratische Systeme hervorgehen, offenbart dies die Liebe zum Faschismus derjenigen Wähler, die rechtsextreme Ansichten unterstützen. In einem Linkedin-Beitrag hat Paul Stolle [2] auf einprägsam Weise Grunderkenntnisse von Umberto Eco „Zum ewigen  Faschismus“ [3] zusammengefasst:

„Hier die 14 Merkmale von Umberto Eco aus seinem
Buch »Der ewige Faschismus« von 1995:

1. Kult der Tradition (nix Fortschritt)
2. Ablehnung der Moderne (nix Aufgeklärtes)
3. Kult der Tat um der Tat Willen (nix Denken)
4. Ablehnung der kritischen Analyse (nix Wissenschaft)
5. Angst vor Differenz (nix Fremdes)
6. Appell an Frustration (nix Gesellschaft)
7. Obsession mit Verschwörungen (nix Fakten)
8. Feindbild als einigendes Element (nix Vielfalt)
9. Lebenswille als Waffe (nix Pazifismus)
10. Verachtung der Schwachen (nix Soziales)
11. Kult des Heldentums (nix Friedliches)
12. Männlichkeitskult & Frauenverachtung (nix Feminismus)
13. Selektiver Populismus (nix Inklusives)
14. Missbrauch von Sprache (nix Komplexes)“

Diese 14 Merkmale stilisieren 14 ‚limitierende‘ Verhaltensweisen, die ich mit der ersten Phase des Übergangs Demokratie-Autokratie verbinde. In unserem mathematischen Modell sind diese Verhaltensweisen in den Selbstorganisations-Kontrollparametern des Übergangs enthalten: Polarisierung, WerteKohäsion und BedürdnisKohäsion. Die BedürfnisKohäsion oder besser die fehlende BedürdnisKohäsion ist hierbei das ‚Fundament‘: Die Grundbedürfnisse ‚Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz‘ und ‚Orientierung und Kontrolle‘ und die damit verbundenen Werte/Motive wie Sicherheit, Stärke, Ordnung, Ehre, Macht, Status, Anerkennung, Rache, Wettbewerb können die obigen ‚limitierenden‘ Verhaltensweisen ausbilden [4]. Zeigen sich die ‚limitierenden‘ Verhaltensweisen in einem Teil der Bevölkerung, geht die Kohäsion in den Grundbedürfnissen und Werten/Motiven mit der übrigen Bevölkerung verloren. Sind ‚Führer‘ vorhanden, die dies positiv aufgreifen, indem sie einerseits die Menschen in diesen Verhaltensweisen bestärken, in dem sie die selben Verhaltensweisen zeigen und anderseits zum Ausdruck bringen, dass dies nicht die ‚limitierenden‘ Verhaltensweise sind, sondern vielmehr die Verhaltensweisen der Anderen limitieren und dass deren Verhaltensweisen sie davon abhalten, ein besseres Leben zu führen, dann haben wir die Polarisierung. Die Polarisierung ist der umfassende Kontrollparameter für den Übergang Demokratie-Autokratie.

Ich empfehle die ZDF-Serie ‚USA extrem‘: Diese umfangreiche Serie zeigt in vielen Beispielen was ‚limitierende‘ Grundbedürfnisse und Werte/Motive für die BedürfnisKohäsion und WerteKohäsion und schließlich die Polarisierung in den USA bedeuten. – Man kann erkennen, dass die USA de facto aus zwei sich gegenüberstehenden Parteien besteht.  – Eine dieser Parteien ist sehr weit von meiner eigenen inneren Haltung entfernt.

Zweite Phase:

Liegt eine hinreichende Mehrheit für den Einzug von autokratischen (rechtsextremen) Parteien in ein Parlament vor, ist die erste Sicherungsschicht des Drift-to-Danger Modells gefallen. Dies ist eine wesentliche Erkenntnis: Der Übergang von einer Demokratie zur Autokratie ist von den Wählern eingeleitet worden und niemand anderem!! – Trump hat nur genutzt, was in der Bevölkerung an Potential vorhanden war. Hitler hat das damalige Bevölkerungspotential auch genutzt,  die AFD versucht es beiden gleich zu tun.

Doch es müssen weitere Sicherheitsschichten fallen: Dies geschieht, in dem Steigbügelhalter naiv, dumm, in eigener Selbstüberschätzung oder bewusst den potentiellen autokratischen Führer und seine Partei unterstützen. Dies verstärkt das weitere Aufbrechen der Bedürfnis- und WerteKohäsion: Die Wähler mit ‚limitierenden‘ Verhaltensweisen kommen fast zwangsläufig zu dem Schluss, dass sie mit ihrer Wahl Recht getan haben, denn die Steigbügelhalter bestätigen dies. – Die Polarisierung nimmt weiter zu. Die USA Tech-Oligarchen sind solche Steigbügelhalter. In Deutschland sind nicht wenige aus der CDU auch Steigbügelhalter. Leider…Wie kann man davon ausgehen, dass eine Partei, die (in Teilen) gesichert rechtsextrem ist, so dumm ist, bei entsprechender zukünftiger Wahlmehrheit, das Ruder nicht zu ihren Gunsten umzulegen. Hitler hat es geschafft, Trump hat es geschafft, Orban hat es geschafft, …wie kann man sicher sein, dass die AFD es nicht schafft.

Die naiven, dummen oder sich selbst überschätzenden Steigbügelhalter der Autokratie erkennen nicht die Dimension der Polarisierung und der damit verbundenen fehlenden Bedürfnis- und WerteKohäsion. ‚Limitierende‘ Verhaltensweisen kann man nicht eliminieren, allenfalls abmildern; selbst Bildung ist kein wirklicher Schutz. Es ist vielmehr notwendig, die ‚limitierenden‘ Bedürfnisse und die damit verbundenen Werte zu befriedigen: Diese Menschen brauchen (wirtschaftliche) Sicherheit, das Gefühl der Ungleichheit darf nicht aufkommen, das Gefühl des Stillstands darf sich nicht breit machen, … Politische Maßnahmen, wie das Streichen des 58 € Tickets, die geringe Besteuerung der Superreichen, die nicht-konsequente Abschiebung von straffälligen Asylanten usw. verletzten die ‚limitierenden‘ Bedürfnisse und Werte/Motive.     

Dritte Phase:

Ist die dritte Phase erreicht, ist der Phasenübergang von der Demokratie zur Autokratie vollzogen. Unmittelbar gib es kein Entrinnen mehr.

Hitler hat in atemberaubender Geschwindigkeit die letzten Sicherheitsschichten ‚geschliffen‘, Trump tut es ähnlich atemberaubend, Orban ist auch gut unterwegs…

In der dritten Phase werden alle Machtinstrumente der Demokratie ausgeschöpft und missbraucht, um die Autokratie zu festigen. Eigentlich spielt die Bevölkerung keine große Rolle mehr in diesem bitteren Spiel, ein großer Teil erkennt dies noch nicht einmal, erst dann, wenn es ein böses Erwachen gibt.    

Zusammenfassend stelle ich fest:

Der Übergang Autokratie-Demokratie kommt aus der gesellschaftlichen Spaltung (Polarisierung), die leider durch demokratische Kräfte nicht kompetent und rechtzeitig geschlossen wird. Das Verständnis der Bedeutung der Bedürfnis- und WerteKohäsion ist bei vielen demokratischen Politikern nicht vorhanden: Obama und Biden hatten es nicht, aber leider auch nicht Merkel und Scholz. Bei Merz habe ich große Zweifel.

Die ‚Führer‘ der Spaltung nutzen die Polarisierung, die längs in der Gesellschaft vorhanden ist, nur aus. – So gesehen, haben sie es recht einfach.

Der Faschismus ist leider wirklich ‚ewig‘, denn er beruht auf einem Teil unserer Grundbedürfnisse und den damit verbundenen Werten/Motiven. Wir könnten ihn nur ausmerzen, wenn es uns gelänge die Bedürfnis- und WerteKohäsion ‚zu verewigen‘.

Im nächsten Blog dieser Serie wende ich mich wieder dem mathematischen Modell zu.

 

[1] Brockschmidt A (2025) Trumps Regime nicht „Faschismus“ nennen ist Realitätsverweigerung, https://www.volksverpetzer.de/analyse/trumps-faschismus-nennen/

[2] Stolle P (2025) https://www.linkedin.com/posts/paulstolle_dieser-moment-wenn-dir-bewusst-wird-dass-activity-7318143630978797570-2VBU/?utm_source=share&utm_medium=member_ios&rcm=ACoAAADwjS8Blpat6RQsfTtvnIu1lnZS6K7fuLk

[3] Eco U (2020) Der ewige Faschismus, Carl Hanser Verlag. Kindle Version

[4] Oswald A, Köhler J, Schmitt A (2017) Projektmanagement am Rande des Chaos, Springer Verlag, 2. Auflage, auch in Englisch: Project Management at the Edge of Chaos (2018)

[5] ZDF (2024) USA extrem, https://www.zdf.de/reportagen/usa-extrem-leben-im-land-der-gegensaetze-100

AI & QC & M 4.0: Die Welt der Unbestimmtheit nutzen oder vom Nutzen des Quantum Computing für das Team-Management

Der Blog-Beitrag wurde unter Mithilfe von OpenAI ChatGPT 4o1-preview erstellt: ChatGPT erzeugte den Code fehlerfrei und klärte alle meine wissenschaftlichen Fragen. Mittels ChatGPT 4o habe ich den Beitrag überprüft.

Die nachfolgende Audiodatei fasst den Inhalt als englischen Podcast, erstellt von Google’s notebookLM, zusammen und schlägt – ohne mein Zutun – diverse Brücken zu meinen anderen Blog-Beiträgen:

Abbildung 0: Dies ist eine Bild-Umsetzung des Blog-Beitrages von ChatGPT 4o/Dall-E

Grundlegende Ansätze des Quantum Computing (QC) wurden schon in der 80er Jahren formuliert. Erst in den letzten 10 Jahren hat diese Disziplin einen enormen Sprung in die Anwendbarkeit für Jedermann vollzogen. – Wobei, … diese Technologie sicherlich immer noch am Anfang steht.

Anwendbarkeit für Jedermann bedeutet, dass, ähnlich wie beim Thema Künstliche Intelligenz mittels klassischer Neuronaler Netzwerke (u.a. Copilot, ChatGPT, Gemini, Mistral usw.),  inzwischen in Nordamerika ein QC-Ecosystem existiert, das für mich zugänglich ist.

IBM, Microsoft und Google bieten entsprechende Umgebungen an. Das wohl bekannteste Startup im Bereich QC ist die kanadische Firma d-wave, die seit ca. 15 Jahren am  Markt ist [1].

Im QC gibt es zwei große Richtungen: Das Gate QC und das Quantum Annealing QC. Das Gate QC wird von IBM, Microsoft und Google favorisiert. D-wave hat sich auf das Quantum Annealing (QA) spezialisiert. Das Gate QC beruht auf der Idee von Schaltkreisen, wie von klassischen Rechnern bekannt. Jedoch ist die Funktionalität der QC Schaltkreise völlig anders als diejenige der klassischen Schaltkreise. Der Begriff ‚klassisch‘ bedeutet hier, dass nicht explizit die Eigenschaften der Quantenwelt ausgenutzt werden. – Wohl wissend, dass auch ein klassischer Schaltkreis auf den Erkenntnissen der Quantenmechanik beruht und ein sogenannter klassischer Computer ohne Quantenmechanik nicht existieren würde.

Das explizite Ausnutzen der Quantenwelt-Eigenschaften bedeutet, die Eigenschaften von Quantenobjekten, wie Elementarteilchen, Atomen oder anderen einzelnen Objekten, die sich entsprechend der Quantenmechanik verhalten, zu nutzen. Die QC-Objekte werden als Qubits bezeichnet, die nicht nur, wie Bits, die Zustände 1 und 0 annehmen können, sondern sogenannte kohärente Zustände, die eine Mischung von 1 und 0 sind. Diese Mischung sorgt für die Unbestimmtheit der Qubits und ermöglicht damit, dass in einem Qubit eine unendliche Welt an Möglichkeiten enthalten ist. – Kohärenz beschreibt also die Fähigkeit eines Quantensystems, in mehreren Zuständen gleichzeitig zu existieren. Diese Fähigkeit ermöglicht komplexe Quantenberechnungen, bis äußere Einflüsse die Zustände stören und die Kohärenz zerstören.

D-Wave verwendet Qubits auf der Basis von supraleitenden Ringströmen, die zudem über supraleitende Koppler verbunden sind. – Die Qubits kann man nach jetzigem Stand der Technik nur bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt erhalten.  Sind die Ringströme in einem kohärenten Zustand, haben wir eine Mischung von Uhrzeiger-drehenden und Gegenuhrzeiger-drehenden Ringströmen. – Es liegt dann maximale Unbestimmtheit vor.

Allein diese wenigen Ausführungen zeigen, dass QC eine völlig andere Welt ist, als der sogenannte klassische Computer. Ich vermute, dass die Hürde für jemand, der keine Physikausbildung hat, recht hoch sein dürfte: Die Grundlagen der Quantenmechanik sind sehr umfangreich und erfahrungsgemäß erst nach einer gewissen Gewöhnungszeit ‚zu verstehen‘.- Ich verweise deshalb auf entsprechende Fachliteratur [2, 3, 4, 5, 6, 7]. Eine Behandlung der Grundlagen würde den Rahmen dieses Blog-Artikels bei weitem sprengen.

Setzt man die Kenntnis der quantenmechanischen Grundlagen voraus, so ist die Handhabung der Programme, um auf einem Quantencomputer zu ‚rechnen‘, erstaunlich einfach. Das ‚Rechnen‘ auf Quantencomputern ist nach wie vor noch sehr exklusiv und ist meistens eingeschränkt. Jedoch stellen alle Anbieter Quantensimulatoren zur Verfügung, die die quantenmechanischen Rechnungen (wie sie ein Physiker von Hand tun würde) auf einem klassischen Computer durchführen. Ab etwa 8-10 Qubits ist es jedoch meistens nicht mehr möglich die ‚Rechnungen‘ auf einem klassischen Computer durchzuführen, da die Komplexität der ‚Rechnungen‘ exponentiell steigt. – Für das Austesten der QC-Algorithmen reicht dies jedoch oft. – Nach der Testphase kann man dann ggf. auf einem exklusiven Quantencomputer ‚rechnen‘.

Ich habe für diesen Blog-Beitrag mit der d-wave Umgebung gearbeitet: Für die Erstellung der Algorithmen habe ich deren QC-Simulatoren verwendet und danach die d-wave QC-Hardware. Die Übergang ist sehr einfach, da lediglich 1-2 Programmzeilen ausgetauscht werden, in denen der QC-Simulator oder die QC-Hardware angesprochen wird.

Auf den d-wave Internetseiten sind sehr viele Beispiele zum QC mittels Quantum Annealing enthalten: u.a. logistische Lösungen, Suche nach geeigneten Materialien oder Medikamenten, Suche nach optimalen Finanzportfolios, usw..

QC kann immer dann ihre Vorteile ausspielen, wenn aus einer sehr großen Anzahl an Möglichkeiten die beste Lösung oder die besten Lösungen herausgefunden werden sollen. Nehmen wir an, wir wollten aus einem Pool von 100 Mitarbeitern ein Team zusammenstellen. Falls das Team drei Teammitglieder hat, ergeben sich schon 161.700 mögliche Teams. Erhöhen wir das Team auf 7 Teammitglieder ergeben sich ca. 16 Milliarden Team-Möglichkeiten. Die möglichen Teams im Falle von drei Teammitgliedern zu überprüfen ist auf klassischer Hardware noch möglich, im Fall des Teams mit 7 Teammitgliedern nicht mehr.

Quantum Annealing wird eingesetzt, wenn die Lösung aus einem sehr großen potentiellen Lösungsraum herausgefunden werden soll und sich das Problem als ein Netzwerk-Problem formulieren lässt. Im Falle unseres Team-Management-Problems besteht das Netzwerk aus 100 Teammitgliedern, die mehr oder weniger gut miteinander zusammenarbeiten können. Dieses mehr oder weniger gut wird vom Management über eine Zahl zwischen -1 und 1 bewertet und in eine Matrix eingetragen. Zusätzlich können auch Kompetenzen der Teammitglieder (zum Beispiel Programmierkenntnisse, Designkenntnisse oder Persönlichkeitseigenschaften) in einer Skala von 0 bis 1 erfasst werden. Für das Team lässt sich auf dieser Basis angeben, wieviel Teamkompetenz in den einzelnen Kompetenzbereichen vorhanden sein soll.

Das Management-Problem wird mittels einer Zielfunktion, die die Wechselwirkung der Qubits beschreibt, auf ein Qubit-Netzwerk transformiert: Die 100 Teammitglieder werden zu 100 Qubits, die Matrix der Zusammenarbeit wird auf eine Koppler-Matrix zwischen den Qubits abgebildet und die Kompetenzanforderungen werden als Constraints des Optimierungsproblems verwendet.

Zu Beginn der ‚Rechnung‘ wird das 100 Qubit-Netzwerk in einen Anfangszustand gebracht, der in sich! sogar 2hoch100 also ca. 10 hoch 30 Zustände enthält: Man spricht von einer Superposition des Qubit-Netzwerkes. Dann wird das Netzwerk extrem langsam ‚ausgeglüht’ und die Wechselwirkung zwischen den Qubits sehr langsam hochgefahren. Sehr langsam bedeutet hier sehr langsam in Relation zu den charakteristischen Qubit-Systemzeiten: Die sind, verglichen mit unseren Tageszeiten, sehr kleine Zeiten.

Man spricht von dem Ausglüh-Prozess: dem Annealing-Prozess. Der Begriff stammt von klassischen Optimierungsalgorithmen, in denen man zuerst mit einer hohen Temperatur startet, die viele Zustände enthält. Es wird extrem langsam (adiabatisch) ausgeglüht, um in einem ‚kühlen‘ Lösungszustand zu enden. Im Falle des Quantum Annealing, das ja bei sehr tiefen Temperaturen durchgeführt wird, um die Qubits zu bekommen, wird mit einem sogenannten transversalen Magnetfeld gearbeitet, das die 100 Qubits in eine vollständige Superposition bringt. – Der Quantum Annealing-Prozess minimiert langsam das Magnetfeld, wodurch das System in den Zustand der niedrigsten Energie gebracht wird – vergleichbar mit einem Stein, der in das tiefste Tal eines Hügels rollt. Der Prozess verläuft extrem langsam, um sicherzustellen, dass der optimale Zustand erreicht wird. Liegt die sehr langsam hochgefahrene Wechselwirkung zwischen den Qubits vollständig vor, ist der ausgeglühte 100 Qubit-Zustand erreicht. – Die optimale Lösung ist gefunden: Alle Qubits werden jetzt (erst) gemessen und zeigen jetzt eine 0 oder 1. Es ist jetzt möglich, für alle möglichen Kombinationen, die 7 Qubits enthalten und die weiteren festgelegten Rahmenbedingungen erfüllen, die Energie zu berechnen. Aus diesen Energien werden die niedrigsten Energiewerte oder der niedrigste Energiewert ausgewählt. 

Im Idealfall ist dies nur ein Zustand. Dies beruht auf der grundlegenden Annahme, dass die (natürliche) Lösung durch den Zustand oder die Zustände repräsentiert wird, die die niedrigsten Energiewerte besitzen.

Der QC Annealing Prozess ist ein Selbstorganisationsprozess, d.h. es kann auch vorkommen, dass der Prozess kein Energieminimum in der Energielandschaft findet. Aus diesem Grunde ist es notwendig, mit im Algorithmus enthaltenen Kontrollparametern etwas zu spielen, um ein Energieminimum zu finden. Hierzu werden die Kontrollparameter variiert, um in der durch die vorgegebenen Rahmenparametern (z.B. Teamgröße, Kompetenzprofile, Zusammenarbeits-Matrix) eingeschränkten Energielandschaft die Energieminima zu suchen. Das gefundene Energieminium ist hierbei der Ordnungsparameter zur Zielfunktion, die die Wechselwirkung der Qubits unter den gegebenen Rahmenbedingungen beschreibt.         

Das Team-Management Problem habe ich in einer Colab-Python-Umgebung laufen lassen. Ich habe Tests mit kleinen Pool- und Team-Größen durchgeführt. In diesem Fall kann man die Ergebnisse auch noch klassisch überprüfen. Ich gehe nicht weiter auf diese Ergebnisse ein: Liegen die oben beschriebenen Ausgangsdaten für das Team-Management-Problem vor, ist das ‚beste‘ Team innerhalb von Sekunden gefunden. Es funktioniert einfach!

Statt dessen möchte ich die Ergebnisse zu einer anderen Fragestellung skizzieren. Ich nehme Bezug auf den Blog-Beitrag ‚AI & M 4.0: Markus Lanz vom 30. Mai 2024: Eine Collective Mind Analyse‘ vom Juni 2024.

Es geht in diesem Beitrag um die Berechnung des Collective Mind einer Diskussionsrunde mit fünf Teilnehmern. Auch hier macht die Größe von fünf Teilnehmern kein QC erforderlich. Jedoch kann man bei dieser Größe Theorien austesten und die Skalierung auf größere Teilnehmerzahlen ist bei Bedarf völlig mühelos.

In dem vorherigen Blog-Beitrag habe ich eine sogenannte Ähnlichkeitsmatrix S benutzt. Diese Matrix S ist komplex: S = Matrix A der Textähnlichkeiten + i*Matrix der Emotionsähnlichkeiten. Die Fragestellung, die ich hier diskutieren möchte lautet: Könnte ich die Anzahl der Diskussionsteilnehmer reduzieren und würde dies den Collective Mind erhöhen und welche Teilnehmer sollte ich hierfür auswählen. Dies ist wieder ein Optimierungsproblem: Da das Collective Mind über die positive Energie, die im Team ist, gemessen wird, müssen wir -S (minus S) für die Optimierung verwenden. Außerdem können wir für das Quantum Annealing (derzeit) nur den Realteil der Matrix benutzen: Die Verwendung komplexer Matrizen wird von dem d-wave System nicht unterstützt, u.a. deswegen, weil damit die Energieerhaltung verletzt wird. – Moderne Forschungen in der nicht-hermiteschen Quantenmechanik untersuchen, wie komplexe Energieeigenwerte physikalische Systeme beeinflussen könnten. Diese Entwicklungen sind besonders spannend in Bereichen wie optischen Systemen und dissipativen Quantenphasen. Es ist also noch Raum für Ergänzungen vorhanden 😉.

Die Ergebnisse im vorherigen Blog legen nahe, dass ein Team aus drei Diskussionsteilnehmern ein Energieminimum (also ein Collective Mind Maximum) zeigen sollte: Die Sprecher 2  (B), Sprecher 4 (D) und Sprecher (5) (E) sollten gute Kandidaten sein.

Abbildung 1 zeigt eine Simulation mit 3 Teilnehmern: Die Ergebnisse sind identisch oder zumindest sehr ähnlich den Ergebnissen des vorherigen Block-Beitrages: Alle tragen zum Collective Mind bei. Falls man jedoch eine Diskussionsgruppe aus drei Teilnehmern zusammenstellen wollte, so wären dies die Sprecher 2 (B), Sprecher 4 (D) und Sprecher 5 (E).  

Abbildung 1: Sie zeigt eine ‚Rechnung‘ mit 3 Teilnehmern: Wie man sehen kann liefert das Quantum Annealing mehrere Lösungen (BDE, ADE und ABE), die sehr dicht beieinander liegen. Es gibt auch Kombinationen (ACD, und BCD), die nicht favorisiert werden.

Für die Teambildung ist die Energie pro Teilnehmer entscheidend. Abbildung 2 zeigt die Energie pro Teilnehmer falls nur zwei Teilnehmer für die Diskussionsrunde ausgewählt werden.

Abbildung 2: Diese Abbildung zeigt eine ‚Rechnung‘ mit 2 Teilnehmern. Hier ist die Energie pro Teilnehmer aufgetragen. Diese Energie zeigt an, wieviel Energie in diesen Kombinationen jeder Teilnehmer hat. Vergleicht man diese Energie von 45 mit einer Energie von ca. 33 im Falle einer Diskussionsrunde von drei Teilnehmern, so ergibt sich, dass im Übergang von 2 Teilnehmern zu 3 Teilnehmern die Energie pro Teilnehmer um ca. 25% abnimmt. Kommen weitere Teilnehmer hinzu nimmt die Energie pro Teilnehmer weiter ab. – Ein Collective Mind aufzubauen wird mit jedem hinzukommenden Teilnehmer schwieriger, kleine Teams sind günstiger für den Collective Mind Aufbau.

Zusammenfassend stelle ich fest:

  1. Das Arbeiten mit ChatGPT 4o1-preview ist eine enorme Bereicherung für mich. ChatGPT 4o1-preview hat Qualitäten eines PhD-Physikers und -Entwicklers. Das Arbeiten mit dem KI-System trägt im Falle eines schwierigen wissenschaftlichen Themas zu einer enormen Leistungssteigerung bei. – Die Zusammenarbeit mit ChatGPT hat nicht nur den Recherche- und Codeentwicklungs-Prozess beschleunigt, sondern auch neue Perspektiven auf die Themen ermöglicht.
  2. Das Quantum Computing, hier das Quantum Annealing, ist über Colab und d-wave wirklich sehr einfach zu handhaben. – Es macht einfach Spaß, Management-Fragestellungen auf diese Weise zu beleuchten und in die Quantenwelt einzutauchen, die noch bis vor kurzem der modernsten Forschung vorbehalten war. – Man beginnt sowohl die Quantenwelt besser zu verstehen als auch die Managementwelt. – Theorien, wie die Collective Mind Theorie, machen einen angreifbar, sind aber auch der einzige Weg, um Erfahrungen in Erkenntnisse zu transformieren.
  3. Die QA ‚Rechnungen‘ bestätigen meine bisherigen Ergebnisse und liefern weitere Management-Erkenntnisse: Eine Skalierung auf Fragestellungen mit mehr Daten (hier mehr Personen) ist sehr einfach und die Ergebnisse liegen bei Bedarf nahezu unmittelbar vor.    

[1] d-wave (2024) dwavesys.com, cloud.dwavesys.com/leap/, docs.dwavessys.com docs.ocean.dwavesys.com     

[2] Nielsen M L und Chuang I L (2021) Quantum Computation and Quantum Information, 10te Auflage von 2002, Cambridge University Press, UK

[3] Georgescu I M, Ashhaby S, Noriz F(2014) Quantum Simulation, arXiv:1308.6253v3

[4] Broughton M et al. (2021) TensorFlow Quantum: A Software Framework for Quantum Machine Learning, arXiv:2003.02989v2

[5] Rajak A et al. (2023) Quantum Annealing: An Overview, Philosophical Transactions A, arXiv:2207.01827v4

[6] Xu  et al. (2023) A Herculean task: Classical simulation of quantum computers, arXiv:2302.08880v1

[7] Young K, Scese M, Ebnenasir A (2023) Simulating Quantum Computations on Classical Machines: A Survey, arXiv:2311.16505v1

PodCast mittels notebookLM: Collective Mind wunderbar intelligent vermittelt!

Um diesen Blog Beitrag zu erstellen, habe ich notebookLM von google verwendet: Die Inhalte meiner letzten beiden Blog-Beiträge ‚Von Egoshootismus und Liberalismus und anderen pathologischen Transformationen‚ und ‚AI & M 4.0: Markus Lanz vom 30. Mai 2024: Eine Collective Mind Analyse‚ wurden von der google KI Gemini zusammengefaßt. Schon dieses Ergebnis ist erstaunlich gut gelungen, zumal man dem System weitere Verständnis Fragen stellen kann. Die Frage werden sehr gut aufbereitet und verständlich beantwortet. Die nachfolgende Abbildung zeigt die dazugehörige notebookLM-Oberfläche:

Abbildung 1: notebookLM Benutzeroberfäche

Mit notebookLM kann man auch einen Podcast erzeugen: Die Güte des in ca. 2 Minuten erzeugten Podcast mit zwei englischsprachigen Sprechern ist meines Erachtens brilliant: Es werden auf unterhaltsame Weise alle wesentlichen Aussagen intelligent ‚reflektiert‘. Außerdem schlägt die google KI einen Bogen von einem Blog-Beitrag zum anderen Blog-Beitrag, was wirklich unglaublich gut gelungen ist. – Überzeugen Sie sich selbst:

Von Egoshootismus und Liberalismus und anderen pathologischen Transformationen

Schon im Blog-Beitrag vom August 2019 ‚Selbstorganisation Straßenverkehr – Der Straßenverkehr ein Spiegelbild unserer Gesellschaft?‘ habe ich die These vertreten, dass im Straßenverkehr immer mehr das eigene Ich zählt: Verkehrsregeln werden missachtet, selbst wenn es gefährlich ist; die Aggressivität nimmt zu und im Zweifel hat das Ich immer recht und dies wird oft dreist und aggressiv zum Ausdruck gebracht. Die Zunahme der panzerartigen SUV’s und Pickups als Rüstungen in Blech sind Zeichen dieser Entwicklung [1]: Sie sind mehr oder weniger verdeckte Egoshooter. – Inzwischen ist Gewalt auch in Arztpraxen angekommen, also bei Menschen, die uns helfen [2].

Abbildung 1: Bilder generiert von Stable Diffusion mittels des Titels als Prompt: Das linke Bild passt sehr gut zum Thema der Spontanen Ordnung mittels Selbstorganisation und der Ausrichtung auf einen Attraktor (‚Engel‘ im Anzug mit Pistole). Das rechte Bild zeigt besser die unschöne Seite des Egoshootings.

Die Motivation für diesen Blog-Beitrag geht zurück auf zwei mit dem Egoshooting  unmittelbar verbundene Themen:

  • Ein Interview mit Christian Lindner [3, 4] auf der OMR 2024 [5],
  • und einen Blog-Beitrag der Nachhaltigkeitsökonomin Julia Steinberger [6] zum Thema Neoliberalismus.

Christian Lindner reagiert auf folgende Interview-Frage “Ein Thema beim Fachkräftemangel ist: Es gibt Studien, die einen direkten Zusammenhang herstellen zwischen Sparpolitik und Erstarken von rechten Parteien. Macht Ihnen das keine Sorgen?” mit dem Satz  “An diese Studien glaube ich nicht. (…)”.

Julia Steinberger sieht den Ursprung der Klimakrise in der westlichen Ökonomieausrichtung des Neoliberalismus bzw. des Klassischen Liberalismus wie er von dem Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek [7, 8] in der Mont Pélerin Society [9] grundgelegt wurde.

Ich stelle die These auf, dass es zwischen diesen zwei o.g. Themen und dem Egoshooting einen verdeckten, aber sehr wichtigen Zusammenhang gibt und dass diese Themen auch eine wichtige Komponente in aktuellen Entwicklungen spielen: Dem Populismus, faschistischen oder autokratischen Tendenzen und sogar unserer überbordenden Bürokratie. Der vorliegende Blog-Beitrag versucht diese These auszuleuchten.

Schaut man sich das Interview von Christian Lindner an, so stellt man fest, dass er die besagte Studie mit einem Glaubenssatz bei Seite schiebt und statt dessen andere Studien heranzieht, die seiner Meinung nach für das Erstarken der rechten Parteien viel wichtiger sind. Dies ist ein bekanntes Muster, das man sehr oft in der Politik findet: Wissenschaftliche Aussagen werden relativiert, in dem andere wissenschaftliche Aussagen herangezogen werden. Dies erfolgt leider so, dass eine wirkliche Auseinandersetzung mit der ersten Aussage nicht stattfindet. Der Zweck des Musters ist es nicht, Aussagen zu verstehen und in den jeweils gültigen Kontext zu setzen, sondern lediglich zu diskreditieren. Würden die entsprechenden Personen dies nicht tun, müssten sie sich mit unangenehmen Aussagen auseinandersetzen: Im Fall von Christian Lindner ist dies eine ihm nicht genehme wissenschaftliche Studie.

Die Auseinandersetzung kann bedeuten, sich mit eigenen Werten und Glaubenssätzen ernsthaft zu beschäftigen und diese ggf. abzulegen. – Damit könnte die eigene Identität in Frage gestellt werden und man wird angreifbar. Im Fall von Christian Lindner müsste er ggf. folgende tieferliegende Glaubenssätze in Frage stellen (dies sind Beispiele, die ich aufgrund seiner FDP Zugehörigkeit gewählt habe): Jeder ist seines Glückes Schmied. Erfolg lässt sich erarbeiten. Soziale Ausgaben des Staates sind rausgeschmissenes Geld. Die negativen gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen von Überschuldung sind bekannt usw..

Ich fasse diese Muster unter dem Begriff ‚Muster der Wahrheitsrelativierung‘ zusammen, wohl wissend, dass viele unserer Aussagen lediglich Perspektiven sind und keine Wahrheiten. Ich möchte mit dem Begriff der Wahrheitsrelativierung zum Ausdruck bringen, dass es Wahrheiten gibt und dass diese viel öfter auftreten als wir uns dies eingestehen mögen.

Donald Trump dürfte der bekannteste und dreisteste Anwender des Musters der Wahrheitsrelativierung sein: Er lügt dreist und diffamiert Menschen, um seine Interessen durchzusetzen. – Die bekannten Nazigrößen der AfD stehen ihm hierbei sicherlich in nichts nach.

Dass auch heute noch viele Menschen nicht wirklich die drastischen Auswirkungen des Klimawandels als Wahrheit annehmen und ihr Handeln entsprechend anpassen (Elektroauto fahren, weniger Fliegen, weniger Autos kaufen usw.) hat sehr viel mit dieser Wahrheitsrelativierung zu tun.

Da dies im öffentlichen Raum sehr oft, insbesondere auch durch viele unserer Politiker, geschieht, vertrauen sehr viele Menschen den Aussagen der Politiker nicht mehr. – Die indirekte Aussage ist: Es gibt keine Wahrheiten, nur Interessen und dazugehörige Perspektiven. – Schließlich beginnen wir selbst Aussagen zu behaupten, die jeglicher Grundlage entbehren, denn ‚alle‘ machen es so! Die Erzeugung von beliebig unwahren Aussagen mittels KI und deren Verbreitung mittels Social Media sollten wir jedoch nicht diesen beiden Technologien anlasten. – Denn diese gehen auf uns selbst zurück.

Christian Lindner hat zumindest eingestanden, dass er einem Glaubenssatz folgt.- Das ist sicherlich positiv. In vielen Fällen geschieht dies jedoch intransparent.
Indem er einer Suche nach Wahrheit ausgewichen ist, hat er wahrscheinlich viele ermutigt, es ihm gleich zu tun und die Wahrheitsrelativierung für die eigenen Interessen zu nutzen!

Ich füge zum Muster der Wahrheitsrelativierung noch eine persönliche Erfahrung an, die ich im Rahmen einer Social Media Kommunikation gemacht habe.
Der Ablauf ist in diesem Fall deutlich subtiler, gehört aber meines Erachtens zu diesem Muster: Ein Kollege ist der Überzeugung, dass die aktuellen KI-Entwicklungen keinen wirklichen Fortschritt gebracht haben, denn die Mathematik, die der KI heute zugrunde liegt, sei auch diejenige, die er vor 30 Jahren in seiner Diplomarbeit zu neuralen Netzwerken verwendet hat. – Welches Ego macht eine  Aussage möglich, die eine 30 Jahre alte Diplomarbeit mit einer 30-jährigen globalen Entwicklung vergleicht?
Es ist vielleicht sogar richtig, dass sich zum Beispiel die Mathematik der Tensoren seither nicht geändert hat. Deren Anwendung in generativen KI-Systemen auf Basis der Transformer-Technologie hat sich jedoch sehr drastisch verändert.

Ich versuche diese Form der Wahrheitsrelativierung, auf ein berühmtes Beispiel aus der Physik zu übertragen. Dadurch wird deren Absurdität noch deutlicher: 1926 stellte Schrödinger seine berühmte Schrödingergleichung vor, die bis heute eine der fundamentalen Grundlagen der modernen Physik ist. Die Schrödingergleichung ist eine partielle Differentialgleichung, deren mathematische Grundlagen im 18. Jahrhundert von Euler und Lagrange entwickelt wurden. Man stelle sich vor, die Schrödinger Gleichung wäre damals abgelehnt worden, weil sie nichts Neues beinhaltet.

Auch hier kann man die Frage stellen, welche Glaubenssätze machen diese Form der Wahrheitsrelativierung möglich. Hier mein Vorschlag: Wir Menschen sind doch was ganz anderes als KI-Systeme, das sind doch nur Maschinen. Unsere Intelligenz steht weit oberhalb der Intelligenz der KI, diese ist letztendlich dumm. Unbewusste Glaubenssätze können auch auf Gefühlen wie Angst basieren: Ich habe Angst vor KI-Systemen, denn sie bedrohen mich in meiner Einzigartigkeit. usw..

In diesem Fall, wie auch im obigen Beispiel zur Reaktion von Christian Lindner, verhindert die Wahrheitsrelativierung eine aktive Auseinandersetzung mit Perspektiven. Es wird verhindert, diejenige Perspektive zu finden, die der Wahrheit zum relevanten Kontext (wahrscheinlich) am nächsten kommt. Lernen, Entwicklung und Fortschritt, aber auch ein demokratischer Diskurs, werden damit blockiert: Christian Lindner hat mit seinem Ausweichmanöver einen kleinen, aber nicht unwesentlichen Beitrag zur Blockade des demokratischen Diskurses beigetragen.      

Ich halte fest: Das Muster der Wahrheitsrelativierung ist inzwischen nahezu überall anzutreffen. Die Sozialen Medien machen die Verbreitung in Form der Diskreditierung von (wissenschaftlichen) Erkenntnissen sowie der Verbreitung von  Lügen und (Deep) Fake News möglich. Wir alle tragen mehr oder weniger hierzu bei, insbesondere seit wir über Social Media auch zu öffentlichen Personen geworden sind. Wir sind jetzt öffentliche Personen, da unsere mediale Reichweite mit Social Media um ein Vielfaches größer geworden ist. – Unser Meinung wird mittels Social Media skaliert!      

Soziale Medien sind heute wahrscheinlich mit Abstand die wichtigsten Technologien, um soziale Selbstorganisation zu skalieren: Äußert eine Person in einem großen sozialen Medium eine Wahrheitsrelativierung, so ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese von einem Personenkreis mit ähnlichen Werten und Glaubenssätzen aufgegriffen wird und weiter verbreitet wird. Es bildet sich in diesem so geschaffenen (temporären) Netzwerk eine gemeinsame Richtung der Wahrheitsauffassung aus. – In der Theorie der Selbstorganisation spricht man von der Ausbildung eines Ordnungsparameters oder von einem Attraktor.

Attraktoren spielen u.a. in der Ökonomie und im Liberalismus als (dynamische) Systemgleichgewichte eine sehr große Rolle. Preise, die sich aufgrund von Angebot und Nachfrage herausgebildet haben, charakterisieren ein ökonomisches Gleichgewicht. – Preise sind, wie auch von vielen geteilte  Meinungen, Beispiele für Attraktoren, die eine spontane Ordnung in einem System charakterisieren.

Ich komme damit zum zweiten o.g. Thema: Der Klassische Liberalismus geht davon aus, dass das Marktgeschehen, ohne staatliche Intervention, das bestmögliche ökonomische Gleichgewicht durch spontane Ordnung (also Selbstorganisation) erreicht. Der Neuliberalismus deutscher bzw. europäischer Prägung vertritt jedoch die Ansicht, dass gewisse Interventionen in den Markt notwendig sind, um Verwerfungen des Marktes (wie zum Beispiel Oligopole, Monopole, usw.) zu korrigieren. Der von Julia Steinberger in ihrem Blog angesprochene Neoliberalismus ist nicht mit dem europäischen Neuliberalismus zu verwechseln, sondern steht für den Klassischen Liberalismus amerikanischer Prägung. Die Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek und Milton Friedman [10] sind die (wissenschaftlichen) Wegbereiter des modernen Klassischen Liberalismus (= Neoliberalismus). Gemäß Julia Steinberger sind die damit verbundene kapitalistische Ökonomie und Politik für das Desaster der Klimakrise und moderne Formen der kapitalistischen Ausbeutung verantwortlich.

Liest man das Buch von Naomi Klein, The Shock Doctrine [11], so kann man nur zum gleichen Schluss kommen: Ihre These ist, dass auf der Basis des Neoliberalismus Vertreter des amerikanischen Kapitalismus bewusst Notlagen von Menschen in Katastrophen ausnutzen, um diese auszubeuten und an deren Eigentum zu gelangen. Teilweise ginge dies soweit, dass Notlagen bewusst herbeigeführt würden, um eine bessere Welt zu erschaffen. Geleitet würden diese Kapitalisten von dem Sendungsbewusstsein eine Marktwirtschaft zu erschaffen, in der persönliche Freiheit sich vollkommen entfalten kann. Diese Marktwirtschaft sei die Basis für die ‚beste aller Welten‘.

Hört man Donald Trump zu, so kann man auf die Idee kommen, dass er ein (zentraler) Vertreter dieses Sendungsbewusstseins ist.

Ich will verstehen, ob man Hayek für diese Form des Egoshootismus und Liberalismus mitverantwortlich machen kann. Ich kann nicht beurteilen, was er wie bei welcher Gelegenheit, u.a. in der Mont Pélerin Society, gesagt hat. Statt dessen habe ich mir daraufhin sein letztes großes Buch ‚Recht, Gesetz und Freiheit‘ [12] über spontane Ordnung in Gesellschaft und Ökonomie angesehen. Dieses Buch besteht in der englischen Version aus drei Teilen, die im Zeitraum 1973 bis 1979 erschienen sind [13], also in einem Zeitraum als Hermann Haken [14] mit der Theorie der Selbstorganisation die Wirkweise des Lasers als selbstorganisiertes System schon modelliert hatte. Es gibt in ‚Recht, Gesetz und Freiheit‘ keinen Hinweis darauf, dass Hayek die Theorie der Selbstorganisation kannte, wenngleich er den ein oder anderen Bezug zu den Naturwissenschaften vorgenommen hat.

Ich zitiere im Folgenden einige Aussagen von Hayek aus ‚Recht, Gesetz und Freiheit‘ und betrachte sie aus dem Blickwinkel der Theorie der Selbstorganisation:     

„<Das> Gefüge menschlicher Tätigkeiten paßt sich unablässig an Millionen von Tatsachen an, die in ihrer Gesamtheit keinem einzelnen bekannt sind, und es funktioniert aufgrund dieser Anpassung.“
Dies ist eine korrekte Aussage zur systemischen Wirkung von Selbstorganisation.

„Aus diesem Grunde beschränkt der Liberalismus eine vorsätzliche Einflussnahme auf die Gesellschaftsordnung insgesamt auf die Durchsetzung solcher allgemeinen (Anm. abstrakten) Regeln, wie sie zur Bildung spontaner Ordnung nötig sind, deren Einzelheiten wir nicht vorhersehen können.“…Im Falle spontaner Ordnung können wir durch einige ihrer  Bestimmungsfaktoren ihre abstrakten Züge festlegen; hingegen müssen wir die Einzelheiten Umständen überlassen, die wir nicht kennen.“

Hayek spricht von abstrakten Regeln, um zu unterstreichen, dass diese Regeln nicht kleinteilig sein dürfen. Er betont auch, dass Komplexität unmittelbar mit Unwissenheit verbundenen ist und dass deshalb die von Menschen geplante Gestaltung von abstrakten Regeln immer die zweite Wahl ist. In der Theorie der Selbstorganisation werden diese allgemeinen Regeln als Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparameter bezeichnet. Selbstorganisation entfaltet sich nur dann mit sichtbaren emergenten Strukturen, wenn dem System für die Entfaltung genug Freiheitsgrade gelassen werden: Also die Kontrollparameter entsprechend (klug) gewählt worden sind. Hayek‘s Buch behandelt zum großen Teil die sinnvolle Gestaltung der abstrakten Regeln also der Kontrollparameter (u.a. Verhaltensregeln, Recht, Moral). Er weist auch richtiger Weise daraufhin, dass die Kontrollparameter Zweck- und Ziel-frei sind bzw. sein müssen. Er erkennt jedoch noch nicht, dass eine moderne Gesellschaft aus einer Hierarchie von ineinander geschachtelten selbstorganisierten Systemen besteht. Übergeordnete selbstorganisierte Systeme geben ihre Ziele über Rahmenparameter den untergeordneten selbstorganisierten Systemen mit. – Damit ist es durchaus möglich, dass sich eine Ziel-Hierarchie ausbildet.

„Der zentrale Begriff, …, ist der der Ordnung, insbesondere die Unterscheidung zwischen zwei Arten von Ordnung, die wir vorläufig als >>erzeugte<< und als >>gewachsene<< Ordnung bezeichnen wollen.“
„…es kann nie vorteilhaft sein, die (Anm. abstrakten) Regeln einer spontanen Ordnung zu ergänzen durch vereinzelte und subsidiäre Befehle… das ist der Kern des Argumentes gegen >>Eingriffe<< oder >>Interventionen<< in die marktliche Ordnung…Das allgemeine Argument gegen >>Interventionen<< läuft somit darauf hinaus, dass wir zwar trachten können, eine spontane Ordnung durch Revision der allgemeinen (Anm. abstrakten) Regeln, auf denen sie beruht, zu verbessern…., daß wir aber nicht die Ergebnisse durch spezifische Befehle verbessern können…“
„Obwohl es vorstellbar ist, daß die spontane Ordnung, die wir Gesellschaft nennen, ohne Staat existiert, …, so erweist sich doch in den meisten Fällen die Organisation, die wir Staat nennen, als unentbehrlich, …“
„Obwohl spontane Ordnung und Organisation immer nebeneinander bestehen werden, ist es nicht möglich, diese zwei Ordnungsprinzipien beliebig zu mischen.“ „Die Behauptung, wir müßten die moderne Gesellschaft vorsätzlich planen, weil sie so komplex geworden sei, ist also widersinnig…“

„…daß die einzige Möglichkeit, über die Kapazität des individuellen Verstandes hinauszugehen, darin besteht, sich auf jene überpersönlichen >>selbstordnenden<< Kräfte zu stützen…“ „Die These dieses Buches lautet: Ein Zustand der Freiheit, in dem alle ihr Wissen für ihre Zwecke gebrauchen dürfen und dabei nur durch allgemein gültige Regeln gerechten Verhaltens eingeschränkt sind, bietet Ihnen wahrscheinlich die besten Voraussetzungen zur Erreichung ihrer Ziele; …“ „Was ich in der Weg zur Knechtschaft nachweisen wollte, war… wenn wir sagen: >>Wenn du nicht deine Grundsätze änderst, wirst du zum Teufel gehen<<…“ „ Eine erfolgreiche Verteidigung der Freiheit muß daher dogmatisch sein…Es liegt ein Mißverständnis vor, wenn man dem klassischen Liberalismus vorwirft, er sei zu doktrinär gewesen. Sein Fehler bestand nicht darin, daß er sich allzu starr an Grundsätze gehalten hätte, sondern darin, daß ihm genügend eindeutige Grundsätze fehlten, …“

Diese Sätze bringen die zentralen Prämissen des Hayek’schen Verständnis von spontaner Ordnung zum Ausdruck: Spontane Ordnung, die keiner Intervention unterliegt, führt immer zu guten ‚heiligen‘ Ergebnissen. – Sie ist der Garant für unsere persönliche Freiheit. Der Klassische Liberalismus muss mit eindeutigen Grundsätzen diese Wahrheit vertreten.- Alle anderen Grundsätze führen ‚zum Teufel‘. Wie wir aus der Theorie der Selbstorganisation wissen, erfordert spontane (soziale) Ordnung ein Management am System. Kleinteiliges Management ist schädlich für die Emergenz. Leider ist es aber so, dass die emergenten Phänomene auch in der Natur nicht immer wünschenswert sind. Im Sozialen können wir durchaus von ‚guten‘ und ‚bösen‘ emergenten Phänomenen sprechen. Wenn sich ein Mob (über Social Media) selbstorganisiert, dann ist dies sicherlich eine ‚böse‘ spontane Ordnung. Wenn Trump in seiner Person mit seinen ‚bösen‘ Äußerungen einen sozialen Attraktor bildet, dann ist dies sicherlich eine ‚böse‘ spontane Ordnung. Gleiches gilt für mich auch für die AfD und andere Populisten. Das Eingreifen in ein soziales System verhindert nicht automatisch emergente Phänomene. Es ist jedoch richtig, dass der gelungene Eingriff wesentlich mehr Theorie und Praxis erfordert, als gemeinhin wahrscheinlich in Politik und Gesellschaft verfügbar ist. Es ist durchaus möglich, eine spontane Ordnung durch menschliche Interventionen zu erzeugen, denn sonst wäre Führung nicht möglich und technische Systeme auf der Basis von Selbstorganisation, wie KI Systeme, wären ebenfalls nicht möglich. Wie eine sehr aktuelle Studie zur Wirksamkeit von Interventionen im Zusammenhang mit der Klimakrise zeigt, ist die Mischung verschiedener Interventionsarten durchaus sinnvoll und notwendig [15]. Hayek ist also zwei großen Irrtümern erlegen: Spontane Ordnung führt per se nicht immer zu ‚guten‘ Ergebnissen.- Interventionen sind deshalb recht oft sogar notwendig und sie können auch zu einem besseren Ergebnis führen. Es gibt keine Trennung zwischen geplanter Ordnung und spontaner Ordnung: Der Unterscheid liegt lediglich in der Zahl der Freiheitsgrad und damit in der Möglichkeit (d.h. Wahrscheinlichkeit) emergente Phänomene auszubilden.

Aus diesen Prämissen ergeben sich einige Konsequenzen, hier beispielhaft durch Zitate verdeutlicht:

„Daß Eltern in der Wahl ihres Wohnortes oder ihrer Beschäftigung für gewöhnlich die Auswirkungen bedenken, die ihre Entscheidungen auf die Zukunftsaussichten ihrer Kinder haben werden, ist ein wichtiger Faktor in der Anpassung der Nutzung von Humankapital… Würde man Ihnen versichern, dass wo immer sie hinziehen …, der Staat zu garantieren hätte, dass die Chancen für Ihre Kinder die gleichen wären, …so würde in jenen Entscheidungen ein wichtiger Faktor außeracht bleiben, der diese im Allgemeininteresse leiten sollte.“

Basierend auf den Hayek’schen Prämissen der spontanen Ordnung ist dies eine schlüssige Konsequenz. Heutige politische Bestrebungen in Deutschland streben das Ideal der Elternhaus-unabhängigen Chancengleichheit für Kinder über eine entsprechende Bildungsinfrastruktur an. Die US-amerikanische Bildungspolitik verfolgt das Ideal der Elternhaus-unabhängigen Bildungspolitik nicht. – Der Liberalismus amerikanischer Prägung ermöglicht hingegen Bildungs-Attraktoren, wie Harvard/MIT, Princeton oder Stanford, wie wir sie in Europa in dieser ‚Attraktivität‘ nicht kennen. Er ermöglicht auch Kapital-Attraktoren wie Google, Apple oder Amazon und damit verbundene Innovations-Attraktoren wie Tesla, Openai und Nvidia, die ihrerseits inzwischen zu Kapital-Attraktoren geworden sind.

„In einer freien Gesellschaft besteht das Allgemeinwohl hauptsächlich in der Erleichterung der Verfolgung unbekannter individueller Ziele.“ …“Der klassische Liberalismus beruht auf einem Glauben an objektive Gerechtigkeit.“…“Der Sinn des ökonomischen Spiels, in dem nur das Verhalten der Spieler, nicht aber das Ergebnis gerecht sein kann.“ „Die Entlohnung, die Einzelpersonen und Gruppen auf dem Markt beziehen, bestimmen sich also danach, was ihre Leistungen denjenigen wert sind, … und nicht nach irgendeinem fiktiven >>Wert für die Gesellschaft<<.“…“Eine freie Gesellschaft ist eine pluralistische Gesellschaft ohne gemeinsame Hierarchie konkreter Ziele.“

Die eine Seite der Medaille des Klassischen Liberalismus sind die durch ‚freie‘ Selbstorganisation entstehenden diversen Arten von enorm skalierenden Attraktoren (u.a. Bildung, Kapital, Innovationen,…), die andere Seite der Medaille ist die Ablehnung aller übergeordneten Ziele gesellschaftlicher Verantwortung, wie Gerechtigkeit und sozialer Markt oder die Milderung und Abschaffung der Ungleichheit auf globaler Ebene. Auch übergeordnete Ziele zu Nachhaltigkeit, Artenschutz und Naturschutz haben im Klassischen Liberalismus keinen Platz. Neben den schon oben geschilderten falschen Prämissen des Klassischen Liberalismus zu spontaner Ordnung, liegt meines Erachtens eine weitere nicht explizit genannte Prämisse vor: Menschen haben unterschiedlich gute Startpositionen, sei es in DNA, Elternhaus oder Kulturkreis. Damit bilden sich über eine ‚freie‘ spontane Ordnung automatisch Wettbewerbsverzerrungen und damit soziale Ungerechtigkeiten aus. Hinzu kommt, dass neben der Startposition und dem Glück die Skalierungseffekte der Selbstorganisation einen enormen Beitrag zu der Ausbildung von gigantischen Attraktoren liefern. ‚The winner takes it all‘, wie man sagt: Amazon, Google oder Apple verdanken ihren enormen Erfolg zu einem sehr großen Teil diesen Skalierungseffekten. Wenn die gigantischen Attraktoren einmal vorliegen, bündeln sie ungeheure Macht und Kapital mit all den uns aktuell bekannten Vor- und Nachteilen.

Die europäische Politik weiß wahrscheinlich, um diese Vor- und Nachteile. Ich vermute aber, dass sie sehr viel weniger um deren Ursachen weiß. Hayek spricht richtiger Weise von abstrakten allgemeinen Regeln. Im Management 4.0 sprechen wir von der Governance der Selbstorganisation. Leider stimmt die Analyse von Hayek dahingehend sehr gut, dass eine Unkenntnis der Governance (d.h. der abstrakten allgemeinen Regeln der Selbstorganisation) einen „Weg in die Knechtschaft“ eröffnet: Statt abstrakte allgemeine Regeln der Selbstorganisation zu suchen und anzuwenden, werden kleinteilige Regeln erstellt. Es entsteht Bürokratie. – In Europa und Deutschland kennen wir dies zur Genüge.

Ich halte fest: Friedrich August von Hayek beschreibt in seinem Buch ‚Recht, Gesetz und Freiheit‘ viele gute Erkenntnisse zur sozialen Selbstorganisation.- Für die Zeit, in der diese Erkenntnisse entstanden sind, sind dies sehr beachtliche Erkenntnisse. Soweit ich die amerikanische Kultur kenne, beschreibt er damit einen Liberalismus amerikanischer Prägung, der (wahrscheinlich) schon lange vor seinen Erkenntnissen existierte: Es ist die US-amerikanische Kultur. Dieser Liberalismus ermöglich über soziale Selbstorganisation Attraktoren von einer Größe, die wir in Europa nicht (mehr) kennen. Gleichzeitig verhindert der Liberalismus über falsche Prämissen eine aktive menschenwürdige Gestaltung der sozialen Selbstorganisation. Übergeordnete Ziele der Gesellschaft wie ein menschenwürdiges Leben für alle Menschen und ein nachhaltiger Umgang mit Natur und Tier sind nicht erlaubt, da sich damit die spontane Ordnung, die die größtmögliche Freiheit für alle (Anm. alle?) garantiert, nicht ausbilden kann.

Ich fasse zusammen: Ich gehe nicht davon aus, dass wir heute größere und bösere Egoisten als vor 100 Jahren sind. Was sich jedoch geändert hat, sind die Möglichkeiten der Skalierung von Selbstorganisation mittels Social Media: Viele große und kleine Attraktoren der spontanen Ordnung bilden sich heute sehr schnell aus. Manche wachsen zu enormer Größe. Diese Attraktoren sind nicht zwangsläufig ‚gut‘, sie können durchaus sehr ‚böse‘ sein. Sie geben denjenigen, die sie anziehen ein Zugehörigkeitsgefühl, das sich in einem neuem Selbstbewusstsein äußert. – Das kann sich auch im Straßenverkehr bemerkbar machen.

Die dringende Notwendigkeit Mensch und Natur global zu schützen, erfordert meines Erachtens u.a. eine Neuausrichtung der Ökonomie, in die Wissen um Vor- und Nachteile der sozialen Selbstorganisation einfließen müssen: Falls die Hauptprämissen der Hayek’schen Ökonomie einer Revision unterzogen werden, sollte sie auch in Zukunft noch eine Rolle spielen.

[1] Spiegel (2024) Pickups in Europa, https://www.spiegel.de/auto/pick-ups-in-europa-wie-der-ram-1500-deutsche-strassen-erobert-a-40680cef-803d-452e-9114-815ab36b0998https://www.montpelerin.org/Home.html

[2] ZDF (2024) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/aerzte-gewalt-eskalation-praxen-100.html?at_medium=Social%20Media&at_campaign=ZDFheuteApp&at_specific=ZDFheute&at_content=iOS

[3] Schulz E und Lindner C (2024) https://www.youtube.com/watch?v=dvfLkE1EQLQ

[4] Bautz C (2024) https://www.linkedin.com/posts/christoph-bautz_frage-an-finanzminister-christian-lindner-activity-7194745312287117312-FBa2/?utm_source=share&utm_medium=member_ios

[5] OMR (2024) https://omr.com/de/events/festival/

[6] Steigenberger J (2024) What we are up against,

https://medium.com/@jksteinberger/what-we-are-up-against-2290ba8c4b5c, erschienen 17.06.2024

[7] Wikipedia (2024) Friedrich August von Hayek, https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_August_von_Hayek

[8] Hayek Gesellschaft (2024) https://hayek.de/

[9] Mont Pélerin Gesellschaft (2024) https://www.montpelerin.org/

[10] Wikipedia (2024) Milton Friedman, https://de.wikipedia.org/wiki/Milton_Friedman

[11] Klein N (2014 ) The Shock Doctrine, The rise of disaster capitalism, Penguin, kindle edition

[12] Hayek F.A. (2013) Recht, Gesetz und Freiheit, Hayek Gesammelte Schriften in deutscher Sprache, B 4, Nachdruck, Mohr Siebeck, Tübingen

[13] Walter Eucken Institut (2024) https://www.eucken.de/publikation/recht-gesetz-und-freiheit/

[14] Wikipedia (2024) Hermann Haken, https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Haken_(Physiker)

[15] Spiegel (2024) https://www.spiegel.de/wissenschaft/klimaneutralitaet-bis-2050-studie-zeigt-welche-massnahmen-besonders-wirksam-sind-a-6d162367-f1ff-427a-b4a0-34d7827dea4c?sara_ref=re-so-app-sh

AI & M 4.0: myGini – mein Coach für Team- und Projekt-Management oder wer ist dümmer, KI oder Mensch?

In diesem Blog-Beitrag stelle ich myGini – meinen Coach für Team- und Projekt-Management vor. Bevor ich dies tue, vorweg ein paar grundsätzliche Bemerkungen zur Arbeit mittels KI.

Die Angst vor KI hat sich in den letzten Wochen eher in eine Abwertung der KI verwandelt. So werden in ARD und ZDF Titel für Beiträge zur KI verwendet, die dies nahe legen: Künstliche Intelligenz- Besser als wir? [1] oder Better than human – Leben mit KI [2]

Die Inhalte der Beiträge [1] und [2] sind hingegen sehr professionell und sehr zu empfehlen: Sie zeigen beide das Potential einer hybriden Collective Intelligence, also der Erweiterung unserer Intelligenz durch KI.  In [2] wird die Kommunikation mit einer KI getestet, die in drei Rollen mit Menschen kommuniziert: der Rolle eines Pfarrer, einer Psychotherapeutin und einer besten Freundin. Die Resonanz ist erstaunlich gut: Es kommt sogar zu Aussagen wie ‚KI hilft mir bei meiner Einsamkeit‘ und ‚KI verbindet Menschen‘.

In das Abwertungs-Horn stoßen einige meiner Kollegen mit ihren Beiträgen auf LinkedIn: KI ist monokontexturale Mustererkennung… [3] KI ist dumm und zu konventionell für unsere Transformation [4].

In [2] sagt einer der KI-Experten, dass KI nichts anderes ist als Statistik. – Auch hier schwingt die Abwertung mit. – Wenngleich die Aussage korrekt ist: KI ist Mustererkennung auf der Basis von sehr vielen Daten bzw. ‚Daten-Wahrnehmungen‘.

In einem anderen LinkedIn Beitrag – die Referenz habe ich vergesse – sagt der Autor, dass KI nichts anderes ist als Statistik und wir Menschen doch in der Läge wären Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu erkennen. Damit würden wir über eine viel höherwertige Form von Intelligenz verfügen. Ich frage mich, was ist das Erkennen von Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge denn Anderes als Mustererkennung auf der Basis von sehr vielen ähnlichen Wahrnehmungen. 

Ich werfe im Folgenden ein paar Fragen auf und verbinde mit diesen eine These: Wissen wir was unsere Intelligenz ist? Könnte es sein, dass unsere kognitive Intelligenz im Wesentlichen nichts anderes ist als Statistik? Falls eine KI den gleichen Intelligenztest besteht wie wir ihn auch für die IQ Bestimmung bei Menschen benutzen, ist dies dann ein starker Hinweis für die Aussage, dass unsere kognitive Intelligenz auch nicht viel mehr oder weniger ist als die künstliche Intelligenz? Kann es sein, dass wir aufgrund der überwältigenden KI-Fähigkeiten unseren Selbstwertschutz aktivieren und die KI abwerten, um unseren Selbstwert zu erhöhen?

Ich formuliere meinen Glaubenssatz als These: Ich glaube, dass die prinzipiellen Unterschiede zwischen unserer kognitiven Intelligenz, wie sie in einem IQ-Test gemessen wird, und der künstlichen Intelligenz nicht groß sind. – Und wir sollten deswegen kein Selbstwertproblem haben, im Gegenteil: Die bisherigen Mechanismen der KI – und wir sind noch lange nicht am Ende – wurden von uns gefunden! – Gefunden heißt, ich glaube, dass die grundlegenden Prinzipien, die Intelligenz hervorbringen, unabhängig sind vom Substrat, das sie erzeugt: Die Implementierung einer KI unterscheidet sich sicherlich in nahezu allem von der biologischen Intelligenz Implementierung. Ich glaube jedoch, dass die dahinterliegenden Prinzipien in beiden Fällen ähnlich oder sogar gleich sind. Und genau dies ist das Wunder, das wir vielfach noch nicht begriffen haben: Die komplizierten mathematischen Mechanismen einer GPT erzeugen Komplexität, die Selbstorganisation möglich macht, die dann zu den emergenten Phänomenen der künstlichen Intelligenz führen.

In diesem positiven Sinne habe ich myGini – meinen Coach für Team- und Projekt-Management mittels chatGPTplus erzeugt. myGini soll helfen, den Weg zu den umfangreichen Modellen und Theorien von Management 4.0 zu erleichtern. myGini erweitert damit die Intelligenz des Nutzers in Fragen von Team- und Projekt-Management zu einer hybriden Collective Intelligence.

myGini ist eine von mehreren hundert öffentlich verfügbaren GPTapps oder ChatBots. Öffentlich verfügbar bedeutet, dass man auf die GPTapps zugreifen kann, wenn man ein chatGPTplus Konto hat. Die Aussage, dass es schon Millionen von GPTapps gibt, kann ich nicht bestätigen. Öffentlich sichtbar sind lediglich nach meiner Einschätzung einige hundert. Und das sind schon viele, da es schwer ist zu wissen, was die GPTapps können. Es gibt schon einige GPTapps, die sich dem Thema Projektmanagement widmen, jedoch kann man nicht wirklich leicht feststellen, was sie können. – Die Benutzeroberfläche der GPTapps, wie sie von openai standardmäßig bereitgestellt wird (siehe rechte Seite in Abbildung 1), ist sicherlich verbesserungswürdig: Eine intelligente Oberfläche, die einem sagt, was die GPTapp weiss oder kann, wäre sehr hilfreich!

Ich hatte schon vor Jahren die Idee eine App zu erstellen, die Management 4.0 leichter verfügbar machen sollte. Damals habe ich eine Excel-Datei mit Bayes Wahrscheinlichkeitsberechnungen erstellt, um aufgrund von Beobachtungen die Wahrscheinlichkeiten für MBTI-Persönlichkeitspräferenzen ermitteln zu lassen.- Ein Mechanismus ähnlichem dem, wie wir selbst mit jeder Beobachtung zu neuen Hypothesen bezüglich der Persönlichkeit unserer Mitmenschen gelangen. Das Verfahren funktioniert sehr gut, jedoch ist es unhandlich. Außerdem fehlte auch noch eine Umsetzung in eine App.

Ein großer Schritt geschah, als ich vor ca. 3 Jahren meine erste GPT Anwendung mittels BERT und Python erstellte. Auch in diesem Fall konnte ich zeigen, dass die GPT Anwendung funktioniert. Aber ich stand vor dem Problem Daten zu beschaffen, um damit die GPT Anwendung zu trainieren. Also habe ich auch dies verworfen.

Mit dem jetzigen  Angebot von openai,  eine eigene GPT Anwendung zu erstellen, ist meine Idee Realität geworden.

Abbildung 1 zeigt die Entwicklungsumgebung für myGini (links) und die Anwendungsumgebung als Preview (rechts), so wie ein Anwender myGini in chatGPTplus sieht.

Abbildung 1: Die Entwicklungsumgebung für myGini (links) und die Nutzerumgebung als Preview (rechts)

Ich benutze den Begriff GPTapp, um zu unterstreichen, dass ich chatGPTplus/GPT4.0 nicht mit meinen Daten trainieren kann. chatGPTplus leitet mich hingegen mit einfachen Anweisungen an, zu definieren, welche Funktionen meine GPTapp haben soll: Ich kann ein Profilbild mittels DALL.E generieren lassen, sagen welche Modelle ich verwende (MBTI, Big Five, Spiral Dynamics, Dilts Pyramide, Theorie der Selbstorganisation….) sowie in welchen Büchern die Theorie zu Management 4.0 zu finden ist und welche Internetseiten weitere Informationen enthalten. Auf dieser Basis wird die GPTapp zusammengestellt.

Ich wollte überprüfen, ob myGini tatsächlich meine/unsere Bücher kennt, indem ich nach speziellen Textpassagen frage. Dies wurde von chatGPTplus abgelehnt, da myGini aufgrund von Urheberrechten nur Prinzipien, aber keine Textpassagen, wiedergibt.

Einige Tests zur Fähigkeit das MBTI- oder Big Five-Profil einer Person aufgrund meiner Beschreibungen zu deren Verhaltensweisen zu ermitteln, hat myGini mit Bravour bestanden. Die erste Konfiguration von myGini mit dem MBTI- und Big Five-Modell hat ca. 0,5 Stunden benötigt. – Hier ist natürlich nicht die openai GPT Trainingszeit mitgerecht. Die Erfahrung zeigt, dass  ein Mensch ca. 3 Monate intensives Training benötigt, um innerhalb weniger Sekunden/Minuten in einem Gespräch souverän erste Hypothesen zu den Persönlichkeitspräferenzen des Gesprächspartners abzugeben.

Die nachfolgenden Beispiele zeigen sehr deutlich, dass chatGPTplus bzw. myGini erstaunliche Ergebnisse und abgeleitete Zusammenhänge liefert: myGini ist eine Form von AI-M4.0 Experte, dessen Expertentum ich mit meinen Create-Informationen gebildet habe. 

Als erstes Beispiel benutze ich die rechts in Abbildung 1 vorkonfektionierte Frage ‚How do I use MBTI in team management?  

Du

How do I use MBTI in team management?

myGini

Using MBTI (Myers-Briggs Type Indicator) in team management can be quite beneficial for understanding the diverse personalities within your team and enhancing overall team dynamics. Here’s a structured approach on how to use MBTI in your team management practices:

  1. Conduct MBTI Assessments: Start by having each team member complete the MBTI assessment. This will categorize them into one of the 16 personality types based on four dichotomies: Introversion/Extraversion, Sensing/Intuition, Thinking/Feeling, and Judging/Perceiving.
  2. Share and Discuss Results: Organize a team session to share and discuss the results. This fosters openness and helps team members understand each other’s personalities, communication styles, and work preferences.
  3. Identify Team Composition: Analyze the spread of personality types within your team. This will give you insights into the team’s strengths, potential blind spots, and how different members might interact.
  4. Adapt Communication and Work Styles: Tailor your communication and management approach based on the team’s MBTI composition. For example, if you have many introverts, ensure they have quiet time for deep work, or if there are several Thinking types, focus on logical and objective decision-making processes.
  5. Enhance Team Collaboration: Use MBTI insights to facilitate better teamwork. For instance, pair Thinking types with Feeling types to balance decision-making, or Sensing types with Intuitive types to cover both practical and innovative aspects of a project.
  6. Conflict Resolution: Understanding different MBTI types can help in resolving conflicts. Recognize that different types handle conflicts differently – some may prefer direct confrontation, while others might need time to process.
  7. Tailor Development Opportunities: Offer personal development opportunities that align with each member’s MBTI type. This can include training, workshops, or mentoring that caters to their personality strengths and development areas.
  8. Monitor and Adjust: Regularly revisit the MBTI dynamics in your team, especially when new members join or when teams are restructured. Be open to adjusting your management strategies as the team evolves.

Remember, while MBTI is a useful tool, it should be used as a guide rather than a strict rulebook. Personalities can be fluid, and people may exhibit different traits in different situations. The key is to use MBTI to gain a deeper understanding of your team members and to create a more harmonious and effective work environment.

Das Ergebnis ist perfekt: Besser hätte ich es auch nicht machen können. Was mir auch auffällt ist, dass ich keine Textpassagen identifizieren kann, die aus einem unserer Bücher kopiert wurden. Vielfach sind die Formulierungen sogar besser als ich sie vorgenommen hätte.

Das nachfolgende Beispiel beruht auf der Eingabe eines Satzes in der Entwicklungsumgebung zur Aufnahme der Theorie der Selbstorganistion nach Herrmann Haken (Synergetik), man siehe Abbildung 1, linke Seite. – myGini antwortet zuerst immer in Englisch. Bleibe ich bei Deutsch, erfolgt der Übergang zu Deutsch:

Du

Ich möchte den agilen Handlungsrahmen Scrum mittels der Synergetik analysieren. Kannst Du mir sagen, auf welche Weise Rahmenparameter, Kontrollparameter und Ordnungsparameter in Scrum erfüllt werden?

myGini

Die Analyse des agilen Handlungsrahmens Scrum unter Anwendung der Prinzipien der Synergetik bietet eine interessante Perspektive auf die Teamdynamik und -organisation. In der Synergetik, die sich mit der Selbstorganisation komplexer Systeme beschäftigt, sind Rahmenparameter, Kontrollparameter und Ordnungsparameter zentrale Konzepte. Lassen Sie uns betrachten, wie diese Konzepte in einem Scrum-Umfeld angewendet werden können:

  1. Rahmenparameter (Boundary Conditions): Diese definieren die grundlegenden Bedingungen und Einschränkungen eines Systems. In Scrum beziehen sich die Rahmenparameter auf die grundlegenden Prinzipien und Praktiken des Scrum-Frameworks, wie die Rollen (Product Owner, Scrum Master, Entwicklungsteam), Artefakte (Product Backlog, Sprint Backlog, Inkrement) und Ereignisse (Sprint, Daily Scrum, Sprint Review, Sprint Retrospektive). Diese Rahmenbedingungen schaffen ein Umfeld, in dem Selbstorganisation und agile Entwicklung gedeihen können.
  2. Kontrollparameter (Control Parameters): Kontrollparameter sind die Variablen, die den Zustand des Systems beeinflussen und zu einer neuen Ordnung führen können. In Scrum können dies Elemente wie die Sprintlänge, die Priorisierung im Product Backlog, die Teamzusammensetzung oder die Definition of Done (DoD) sein. Die Anpassung dieser Parameter während des Projekts kann die Teamdynamik und die Produktivität erheblich beeinflussen und zu einer effektiveren Selbstorganisation führen.
  3. Ordnungsparameter (Order Parameters): Ordnungsparameter entstehen spontan als Ergebnis der Interaktionen innerhalb des Systems und führen zu einer kohärenten Struktur oder einem Muster. In einem Scrum-Team können Ordnungsparameter Aspekte wie Teamnormen, Kommunikationsmuster, gemeinsame Werte oder die sich entwickelnde Teamkultur sein. Diese emergenten Eigenschaften reflektieren die innere Ordnung des Teams und sind oft ein direktes Ergebnis der Wechselwirkung zwischen Rahmen- und Kontrollparametern.

Um Scrum erfolgreich durch die Linse der Synergetik zu analysieren, ist es wichtig, ein tiefes Verständnis dafür zu entwickeln, wie diese Parameter interagieren und wie Anpassungen an einem Punkt des Systems die Gesamtdynamik beeinflussen können. Dies erfordert eine flexible und adaptive Haltung vom Scrum Master und dem Team, um die Selbstorganisation zu fördern und gleichzeitig die Produktivität und Effektivität des Teams zu maximieren.

Du

Was hältst Du davon neben den Dir genannten Parameterausprägungen folgende zu nennen: Rahmenparameter: Abschottung von externer Komplexität, Rituale Kontrollparameter: Work in Progress (WIP), persönlichkeitsorientierte Kommunikation Ordnungsparameter: Produktvision, Product Goal und auch das Taskboard

myGini

Ihre Ergänzungen zu den Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparametern in der Anwendung von Scrum durch die Synergetik-Perspektive sind durchaus sinnvoll und bereichern das Verständnis der Selbstorganisationsdynamik in agilen Teams. Lassen Sie uns diese Parameter genauer betrachten:

  1. Rahmenparameter:
    • Abschottung von externer Komplexität: Dies ist ein wichtiger Aspekt, der sicherstellt, dass das Team sich auf seine Aufgaben konzentrieren kann, ohne von externen Störungen oder sich ständig ändernden Anforderungen abgelenkt zu werden. In Scrum hilft diese Abschottung dabei, ein stabiles Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem das Team effizient arbeiten und sich selbst organisieren kann.
    • Rituale: Scrum-Praktiken wie Daily Stand-ups, Sprint Planning, Reviews und Retrospektiven sind entscheidende Rituale. Diese strukturierten Ereignisse fördern die Klarheit, Fokussierung und regelmäßige Reflexion, die für die Aufrechterhaltung und Verbesserung der Teamdynamik und -effektivität unerlässlich sind.
  2. Kontrollparameter:
    • Work in Progress (WIP): Die Begrenzung des Work in Progress ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der Effizienz und Effektivität des Teams. Durch die Kontrolle und Anpassung des WIP können Teams Überlastung vermeiden und eine kontinuierliche und gleichmäßige Arbeitsflussgeschwindigkeit sicherstellen.
    • Persönlichkeitsorientierte Kommunikation: Die Anpassung der Kommunikationsstile und -methoden an die individuellen Persönlichkeiten im Team kann die Zusammenarbeit und das Verständnis innerhalb des Teams erheblich verbessern. Dieser Ansatz trägt dazu bei, Missverständnisse zu reduzieren und eine positive Teamdynamik zu fördern.
  3. Ordnungsparameter:
    • Produktvision und Product Goal: Diese geben die Richtung und den Zweck des Teams vor und sind entscheidend für die Ausrichtung und Motivation des Teams. Sie dienen als Leitfaden für Entscheidungen und Priorisierungen und helfen, die Bemühungen des Teams auf ein gemeinsames Ziel zu konzentrieren.
    • Taskboard: Das Taskboard ist ein visuelles Werkzeug, das nicht nur den Fortschritt und die aktuelle Arbeitslast darstellt, sondern auch zur Strukturierung der Teamaktivitäten und zur Förderung der Transparenz beiträgt. Es ist ein zentraler Bestandteil der Selbstorganisation, da es die Koordination und die Zusammenarbeit innerhalb des Teams erleichtert.
    Insgesamt bieten Ihre vorgeschlagenen Parameterausprägungen eine umfassendere Sicht auf die Anwendung von Scrum in einem selbstorganisierenden Team. Sie betonen die Bedeutung der Abschirmung vor externen Störungen, der Anpassung der Kommunikation an individuelle Bedürfnisse und der zentralen Rolle von Vision, Zielen und visuellen Tools bei der Förderung von Teamkohärenz und -ausrichtung. Diese Aspekte sind entscheidend für die Schaffung eines Umfelds, in dem agile Teams effektiv arbeiten und sich selbst organisieren können, im Einklang mit den Prinzipien der Synergetik.

Du

Perfekt, super hilfreich!

myGini

Das freut mich zu hören! Wenn Sie weitere Fragen haben oder Unterstützung bei einem anderen Thema benötigen, zögern Sie nicht, mich zu fragen. Viel Erfolg bei Ihren Projekten und in der Anwendung von Scrum!

Wie man aus diesen Beispielen sehen kann, erzeugt diese ‚statistische‘ 😉 Künstliche Intelligenz Antworten, die den Antworten eines Senior-Experten in nichts nachstehen.

Es ist deshalb sehr müßig, AI-Systeme als dumm zu bezeichnen, denn dann müsste man uns Menschen auch als dumm bezeichnen. – Was alles in allem wenig hilfreich ist und allenfalls unser ‚gekränktes‘ Selbstwertgefühl aufwertet.

Neben den Gefahren, die mit der Erstellung von GPTapps einhergehen können –  man siehe als Beispiel [5] – sehe ich ein viel größeres strukturelles Problem: Kann es sein, dass wir mit der flächendeckenden Verfügbarkeit von GPTapps immer träger und dümmer werden? Denn warum sollte ich mich noch den Mühen eines M4.0-Verständnisse oder den Mühen der Mathematik oder den Mühen des Programmierens oder…oder… aussetzen, wenn mir die gebratenen Tauben in Form von GPTapps in den Mund fliegen. Kann es sein, dass wir eine Bildungsungleichheit befeuern, in der nur noch wenige wissen, wie man AI-Systeme erstellt und der traurige Rest an Milliarden von Menschen nur noch konsumiert? Kann es sein, dass die GPTapps jede Form von erdenkbarem Missbrauch möglich machen? – Denn wer sagt uns, dass die GPTapp-Ersteller zum Wohl der Milliarden anderen Menschen handeln?

Eine neue Zeit ist angebrochen! Den Zug der KI-Innovationen zu stoppen, ist für mich keine Option. -Statt dessen ist ein Aufbruch erforderlich, der den Milliarden KI-Nutzern den souveränen Umgang mit der Technologie vermittelt.  

[1] ZDF (2023) Künstliche Intelligenz – Besser als wir? – Weltspiegel Doku – ZDFmediathek, https://www.zdf.de/daserste/weltspiegel/page-video-ard-kuenstliche-intelligenz–besser-als-wir—weltspiegel-doku-100.html

[2] MDR (2023) Better than human – Leben mit KI, https://www.ardmediathek.de/video/ard-wissen/better-than-human-leben-mit-ki/das-erste/Y3JpZDovL21kci5kZS9zZW5kdW5nLzI4MjA0MS8yMDIzMTIyOTA2MDAvbWRycGx1cy1zZW5kdW5nLTc4NzI

[3] Detholff C (2024) #KI ist monokontexturale Mustererkennung, denn … , https://www.linkedin.com/posts/conny-dethloff-6b9b0942_ki-innovation-lernen-activity-7150711017889509376-nplL/?utm_source=share&utm_medium=member_ios

[4] Hofert S (2024) KI ist dumm und zu konventionell für unsere Transformation!, https://www.linkedin.com/posts/svenjahofert_bigfive-vertikalenentwicklung-wust-activity-7151513159051161600-fRwu?utm_source=share&utm_medium=member_desktop

[5] Petereit D (2024) OpenAIs GPT-Store: Girlfriend-Bots zeigen die Probleme des offenen KI-Shops auf, https://t3n.de/news/openais-gt-store-girlfriend-bots-zeigen-die-probleme-des-offenen-ki-shops-auf-1601980/

Metabetrachtungen: Zur Schnittmenge von Intuitivem Bogenschießen, Künstlicher Intelligenz und Management 4.0

Ende letzten Jahres habe ich einen WDR-Fernseh-Beitrag zur Bogenwerkstatt gesehen [1]. Dieser Beitrag hat meine verschüttete Kindheitsleidenschaft zum Bogenschießen wieder offengelegt. Seither übe ich mich mit großer Freude im sogenannten Intuitiven Bogenschießen [2]. Beim Intuitiven Bogenschießen bringt allein das „Körpergefühl und die Erfahrung des Schützen den Pfeil ins Ziel – rein intuitiv ohne Zieltechnik“. Intuitives Bogenschießen hat eine recht große Nähe zum japanischen Zen-Bogenschießen. – Das Buch des Philosophen Eugen Herrigel, der nach sechs! Jahren harten Übens (genüsslich zu lesen) seine Zen Bogenschieß-Prüfung ablegte gibt u.a. einen wunderbaren Eindruck von der Aussage „rein intuitiv ohne Zieltechnik“. – Die Fähigkeit sich an unterschiedliche Kontexte anzupassen, wird insbesondere beim 3D-Parcours Schießen im Gelände besonders herausgefordert.

Intuitives Bogenschießen wird auch als therapeutisches Bogenschießen in Kliniken eingesetzt. – Fokus, Adaption und Intuition sind zentrale Elemente des Intuitiven Bogenschießens. – Die begriffliche Nähe zum Management 4.0 ist offensichtlich. Ich werde später aufzeigen, dass auch eine Schnittmenge zur Künstlichen Intelligenz mittels Deep Learning gegeben ist.

Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit und das Glück an einem dreitägigen Kurs zum Thema Deep Learning mittels Tensorflow teilzunehmen [4]. Tensorflow ist die von google u.a. über colab.research.google.com zur Verfügung gestellte Plattform für das Erstellen von Deep Learning Systemen der Künstlichen Intelligenz. – Das Eintauchen in diese und weitere Plattformen des Machine Learnings (ML) ist überwältigend: Es ist kein Programmieren mehr im mir bisher bekannten Sinne, sondern entspricht eher dem Design und Konfigurieren von Systemen auf sehr hohem Abstraktionsniveau. – Den erreichten (globalen) Fortschritt im ML konnte ich mir bisher in dieser nahezu „unendlichen Fülle“ nicht vorstellen. Deep Learning ist eine Form von technischer Selbstorganisation – das Design und die Konfiguration dienen der Ausgestaltung der Selbstorganisationsparameter des neuronalen Netzwerkes; und damit ist der Bezug zu Management 4.0 schon erkennbar.          

Vor einem Jahr haben wir in der Fachgruppe Agile Management eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich mit der Anwendung von Künstlicher Intelligenz im Projekt Management beschäftigt: Helge Nuhn hat kürzlich einen Übersichtsartikel zu Stand und Potential der Nutzung von Artificial Intelligence Systemen (AI Systemen) in temporären Organisationen und im Projekt Management erstellt [5].

In allen drei Bereichen – Intuitivem Bogenschießen, Künstlicher Intelligenz und Management 4.0 – ist Lernen das Schlüsselelement, um das System Mensch, das technische System Neuronales Netzwerk und das soziale System Team oder Organisation auf das Umfeld, also auf den jeweiligen Kontext, auszurichten.

In dem Standardwerk zu Machine Learning (ML) von Aurélien Géron charakterisiert er maschinelle Lernverfahren u.a. durch die Gegenüberstellung von Instanzbasiertem Lernen und Modellbasiertem Lernen: Instanzbasiertes Lernen ist dem Auswendiglernen sehr nahe. – Die Maschine lernt vordefinierte Objekt-Beispiele (Instanzen) einfach auswendig und wendet ein sogenanntes Ähnlichkeitsmaß zum Identifizieren von neuen Objekten (Instanzen) an. Ist die Ähnlichkeit hoch genug werden die neuen Objekte maschinell den vordefinierten Klassen zugeordnet. Instanzen können spezifische Kunden, Äpfel, eMails usw. sein. Das Ähnlichkeitsmaß wird über Regeln definiert und wird im „klassischen“ Sinne programmiert. – Die Regeln stellen eine äußerst einfache Form eines von außen (durch den Programmierer) vorgegebenen Modells dar. Das eigentliche Modellbasierte Lernen funktioniert jedoch völlig anders: Einem System werden Beispieldaten übergeben und das System entwickelt hieraus ein Modell und dieses Modell wird zur Vorhersage verwendet. Das Modellbasierte Lernen ist also dem wissenschaftlichen Vorgehen bei der Entwicklung von Erkenntnissen nicht unähnlich. Deep Learning lässt sich nach dem mehr oder weniger an Selbständigkeit beim AI-Lernen unterscheiden: Supervised Learning, Unsupervised Learning und Reinforcement Learning.

Zwischen Instanzbasiertem Lernen und Modellbasiertem Lernen liegt ein fundamentaler Unterschied. – Dies wird in dem Moment offensichtlich, wenn ich die Verbindung zum Management 4.0 und dem Lernen im einfachen oder komplizierten Kontext und dem Lernen im komplexen Kontext ziehe. Das Instanzbasierte Lernen ist das Lernen an Best Practice, also an Beispiel-Objekten wie einem Beispiel-Projekt oder an einem Beispiel-Verfahren. Das Ähnlichkeitsmaß ist in diesem Fall die Nähe zur eigenen Praxis: Der Lernende sucht nach einem Projekt, das möglichst zu seiner bisherigen Praxis passt. Dies kann heißen, dass Beispiele aus anderen Branchen nicht akzeptiert werden, dass nur dann das Beispiel passt, wenn der Lernende davon ausgeht, dass im Best Practice ein ähnliches Mindset vorliegt oder dass der WIP (Work-in-Progress) wie in der eigenen Organisation ähnlich groß ist, usw…. In jedem Fall wird der Projektkontext des Best Practices nur ungenügend abgebildet, es findet keine oder eine nur sehr geringe Abstraktionsleistung statt und die Übertragbarkeit ist deshalb mehr als fraglich.

Lernen im Management 4.0 ist Modellbasiertes Lernen. Instanzen sind nicht die Basis des Lernens, allenfalls um zu zeigen, dass man mit dem Modell sehr gut Probleme (Instanzen) lösen kann, die man vorher noch nie gesehen hat. – Falls das Modell jedoch nicht erfasst wird, erzeugt dies bei einem an Instanzbasiertes Lernen gewöhnten Menschen keine Erkenntnis: Da das Modell sich nicht erschließt, erschließt sich auch nicht die Lösung; Modell und Lösung sind unpraktisch.         

Mit dieser Erkenntnis sehr eng verbunden ist das sogenannte „Overfitting“ im ML: Man kann ein Neuronales Netz extrem gut mit einem gewaltig großen Datensatz (zum Beispiel Tier-Bildern) trainieren. – Die ermittelte Trefferrate ist fantastisch, so lange Bilder aus dem Trainingsdatensatz verwendet werden. – Trotzdem versagt das Netz bei einem bisher unbekannten Bild die Hundeart Spitz zu erkennen, und verortet den Spitz als Tyrannosaurus Rex. Der Kontext in dem der Spitz gezeigt wurde, war anders als bei den Trainingsdaten: Das AI-System konnte aufgrund der geringen Datenvariabiltät kein hinreichend abstraktes Modell ausbilden, um den Spitz in einem andersartigen Kontext zu erkennen. – Das Modell war sozusagen im Instanzbasierten Lernen hängen geblieben.

Beim Bogenschießen machte ich eine ähnliche Erfahrung im Selbsttraining: Ich stellte mich mit sehr vielen Schüssen (und ich meine hunderte, wenn nicht tausende Schüsse) auf einen bestimmten Kontext ein und die Trefferrate war sehr gut! – Eugen Herrigel beschreibt in seinem Buch wie er 4 Jahre aus einem Meter Distanz zum Ziel die Rituale des Zen-Bogenschießens einübt, um dann ad hoc mit einer 60 Meter Distanz konfrontiert zu werden, an der er über Monate kläglich scheiterte.

Bogenschießen unterliegt vielen, wahrscheinlich einigen hundert Parametern: Einer der offensichtlichen Kontext-Parameter ist die Entfernung zum Ziel. Änderte ich in der Anfangszeit die Entfernung ging meine Trefferrate deutlich runter. Ich hatte meine Intuition, mein Gehirn (d.h. mein neuronales Netzwerk), mittels Instanzbasiertem Lernen trainiert. Mit der Hinzunahme weiterer Entfernungen im 3D-Parcours wurde meine Trefferrate immer schlechter, um nicht zu sagen chaotischer. Mein Gehirn hat es aufgrund der vielen Parameter nicht geschafft, von allein eine Intuition, also ein mentales Modell, auszubilden, das mir zu einer besseren Trefferrate verhilft. Bei künstlichen Neuronalen Netzwerken hat man eine ähnliche Beobachtung gemacht: AI-Systeme können ebenfalls „Frustration“ ausbilden, sei es, dass sie in einem System-Zustand verharren oder „chaotische“ Reaktionen zeigen.  

Die Trefferrate wurde erst wieder deutlich besser als ich meiner Intuition auf die Sprünge half. Ich dachte mir ein einfaches Modell aus: Dieses Modell beruht auf der Erkenntnis, dass der Pfeilflug eine Wurfparabel beschreibt. Man spricht auch von ballistischem Schießen. Ist die Distanz gering (ca. 20 m) merkt man vielfach nichts von dieser Wurfparabel. – Vielfach bedeutet, dass die anderen Parameter, wie zum Beispiel Pfeilgewicht, Bogenstärke, usw. dies ermöglichen. Im Falle meines Bogens und meiner Pfeile wird die Wurfparabel ab 20 m immer stärker sichtbar. Das Modell lautet aktuell: Richte den Pfeil in einer geraden Linie auf das Ziel aus, auch wenn es 30 oder 40 Meter entfernt ist, schätze die Entfernung und hebe den Bogen in Abhängigkeit von der Entfernung leicht an. Leicht anheben bedeutet maximal 1-2 Winkelgrad. – Ein Winkelgrad kann durchaus im Ziel eine Abweichung von 50 cm oder mehr hervorrufen. – Also eine ziemliche Anforderung an Intuition und Motorik. Seit ich mit diesem Modell (das noch etwas umfangreicher ist, und weitere Parameter wie zum Beispiel das Pfeilgewicht berücksichtigt) schieße, hat sich die Trefferrate wieder deutlich verbessert und meine Adaptionsfähigkeit ist wesentlich gestiegen.      

Der Neurobiologe Henning Beck beschreibt in [7] wie unser Hang zur Ordnung im Lernen, also zum Instanzbasierten Block-Lernen uns „behindert“:

„Stellen Sie sich vor, Sie sind Lehrer an einer Kunstschule und wollen Ihren Kursteilnehmern den typischen Malstil von van Gogh, Monet und Cezanne vermitteln, wie gehen Sie vor? Oder umgedreht gefragt: Sie sollen für eine Prüfung lernen, was das Typische an den Bildern der drei Künstler ist, was würden Sie tun? Würden Sie sich Bilder der Maler anschauen? Ins Museum gehen, die Bilder vielleicht sogar nachmalen? …

…Eine Gruppe lernte genau nach obiger Blockabfertigung: Zunächst sah man sich eine Reihe von Bildern des ersten Künstlers an, machte dann eine kurze Pause, bevor die Bilder des Künstlers Nummer zwei folgten. Bei der anderen Gruppe machte man etwas anderes: Man zeigte die Bilder aller Künstler durcheinandergemischt, machte dann eine Pause und zeigte anschließend eine neue Runde durchmischter Bilder. Was für ein heilloses Durcheinander! So verliert man doch total den Überblick! …

…Das Ergebnis der Studie war jedoch erstaunlich: Ging es in dem anschließenden Test darum, ein zuvor gezeigtes Bild zu erkennen, dann schnitt die erste Gruppe, die blockweise gelernt hatte, besser ab. Ging es jedoch darum, ein neues, zuvor nicht gezeigtes Bild korrekt zuzuordnen, dann war Gruppe zwei mit den durchmischten Bildern besser. Denn diese Gruppe hatte die Bilder nicht nur auswendig gelernt, sondern auch das Typische der Malstile verstanden…

…Im obigen Malstilexperiment gaben drei Viertel der Teilnehmer an, das blockweise Lernen führe zu einem besseren Verständnis der Malstile – selbst nachdem man den finalen Test gemacht hatte, war die Mehrheit überzeugt, weiterhin blockweise lernen zu wollen.“

Ich habe Henning Beck hier so ausführlich zitiert, weil ich das „…Durchmischen von Lerninhalten, …das „Interleaving“…“ seit vielen Jahren in meinen Management 4.0 Trainings anwende und auch dort die Erfahrung mache, dass 50-75% der Teilnehmer das Block-Lernen bevorzugen. – Wie oben geschildert, geht blockweises Lernen mit dem Unvermögen einher, mentale Modelle zu erstellen, die sich auf neue Kontexte adaptiv einstellen. – Dies ist eine zentrale Fähigkeit um Komplexität zu meistern, also dem Handeln unter Unsicherheit und Unüberschaubarkeit.   

Meine Erfahrungen, sei es im Selbst-Training beim Bogenschießen, beim Erstellen von AI-Systemen oder in meinen Management 4.0 Trainings, zeigen, dass die Schnittmenge in diesen drei vordergründig disjunkten Bereichen keineswegs Null ist. – Die hier skizzierten Metabetrachtungen helfen, Einzel-Disziplinen besser zu verstehen, vernetzte Erkenntnisse zu gewinnen und Meta-Lernen anzuregen.

 

[1] Hörnchen D (2021) Die Bogenwerkstatt, https://www.die-bogenwerkstatt.de/, zugegriffen am 15.09.2021

[2] Wikipedia (2021) Traditionelles Bogenschießen, https://de.wikipedia.org/wiki/Traditionelles_Bogenschie%C3%9Fen, zugegriffen am 15.09.2021

[3] Herrigel E. (2010) Zen in der Kunst des Bogenschießens

[4] Zeigermann O (2021) Introduction Deep Learning to Deep Learning with Tensorflow 2, zeigermann.eu, embarc.de/oliver-zeigermann, ein Training der oose.de

[5] Nuhn H (2021) Organizing for temporality and supporting AI systems – a framework for applied AI and organization research, Lecture Notes in Informatics, GI e.V

[6] Géron A (2020) Praxiseinstieg Machine Learning mit Scikit-Learn, Keras und Tesnorflow, O’Reilly, 2. Auflage

[7] Beck H (2021) Die Crux mit der Ordnung, in managerSeminare 276, März 2021, https://www.managerseminare.de/ms_Artikel/Schlauer-lernen-Die-Crux-mit-der-Ordnung,281117, zugegriffen am 15.09.2021

Von der kulturellen Aufrechterhaltung von Unwissen oder von der banalen* Selbstorganisation

Den Begriff Agnotology oder Agnotologie kannte ich bis vor kurzem nicht. Erst als ein Freund mich auf die sehr sehenswerte arte Dokumentation „Forschung, Fake und faule Tricks“ aufmerksam machte [1], wusste ich, dass ich dem damit verbundenen Inhalt schon oft und seit langem in den verschiedensten Facetten begegnet bin. Agnotologie ist nämlich eine „Wortschöpfung, die eine neue Forschungsrichtung bezeichnet, welche die kulturelle Erschaffung und Aufrechterhaltung von Unwissen untersucht“ [2].

Die arte Dokumentation zeigt auf, wie die Industrie, beginnend mit der Tabakindustrie in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, sich meistens über Jahrzehnte erfolgreich gegen neue Erkenntnisse gewehrt hat, um die eigene lukrative Marktposition zu erhalten. Die Idee hierzu ist einfach und gleichzeitig genial und zeugt leider von einer perfiden Metakompetenz: Es wurden mehr oder weniger „käufliche“ eigene oder fremde Wissenschaftler engagiert, die mit wissenschaftlichen Methoden Zweifel an den neuen Erkenntnissen zur Schädlichkeit des Rauchens säten. Es wurde also das zentrale Prinzip der Wissenschaft, die Skepsis bzw. der Zweifel, ganz gezielt eingesetzt, um Zweifel zu sähen und damit Entscheidungen zu blockieren. So konnten in vielen Industrien Entscheidungen teilweise über Jahrzehnte hinausgeschoben werden: z.B. das Verbot zur Zigaretten-Werbung, die Eindämmung der extensiven Nutzung von fossilen Brennstoffen für die Energiegewinnung, Verbote zu verschiedenen gefährlichen Stoffen in den verschiedensten Produkten, u.a. Kunststoffen, usw.. Der Dieselskandal führt diese Art der Denke „konsequent“ weiter [3]: Betrug ist erlaubt, solange das vermeintlich höhere Ziel der Markposition und des damit verbundenen Machtzuwachses unterstützt wird. Das Traditionsunternehmen Bosch spielt im genannten Beitrag bei der Aufarbeitung des Skandals eine besonders unrühmliche Rolle, obwohl das Unternehmen an anderer Stelle angibt, den agilen Geist zu praktizieren. – Es resultiert eine kulturelle Aufrechterhaltung von Banalität oder Dummheit, denn die Kultur wird dominiert von roten (Macht), blauen (Ordnung) und orangen (Erfolg) Memen. – Der langfristige Schaden, der für Mensch, Tier und Natur entsteht, existiert einfach nicht bzw. ist nicht relevant.

Letztendlich ist es dieselbe Denke, die der wilden Wegwerf-Mentalität von Abfall oder der extensiven Nutzung von Rohstoffen in Form von großen schweren PKWs zugrunde liegt.

Aber auch die Basis der Verschwörungsideologien ist hier zu suchen! Verschwörungsideologen erfahren (unbewussten) Stress, den sie versuchen abzubauen, in dem sie durchaus komplexe Ideologien ersinnen, die den internen Stress nach außen verlagern. – Der damit erzeugte mentale „Abfall“ ruft dann sogar auch bei anderen Stress hervor.

Es ist hier, wie da die wertvernichtende Form der banalen Selbstorganisation: Wenn die Tabakindustrie die Wissenschaften benutzt, um gezielt Zweifel zu säen und damit Entscheidungen über Jahrzehnte hinausschiebt, führt sie geschickt einen neuen Kontrollparameter in die Selbstorganisation des gesellschaftlichen Diskurses ein, der den eigenen Ordnungsparameter, nämlich Marktmacht, am Leben erhält.

Wertvernichtende Formen von banaler Selbstorganisation liegen sehr oft vor, wenn die systemische Einbettung nicht berücksichtigt wird: Abfall, den man wild entsorgen kann, macht keinen weiteren Stress. – Große schwere PKWs stärken das Selbstwertgefühl und entschädigen für den Stress, den man an anderer Stelle erfahren hat oder selbst erzeugt hat.

Es wird also die Komplexität (hier der Stress) durch „enggeistige“ Selbstorganisation reguliert, was dann an anderer Stelle wieder Stress, also wertvernichtende Komplexität, erzeugt: Der Abfall schädigt die Natur, im besten Fall wird er auf Kosten der Gesellschaft „verarbeitet“. Die großen schweren PKWs entziehen der Natur wertvolle Rohstoffe durch ihre Produktion und brauchen auch noch ständig in großem Maße fossile Rohstoffe, um benutzt zu werden; erzeugen in großem Maße Abgase, die den Klimawandel antreiben, der dann wiederum aufwendig zu korrigieren ist – wenn es denn noch möglich ist – und sind am Ende ihres Autolebens aufwendig zu entsorgen.

Man reguliert also die wertvernichtende Komplexität, den Stress, über (unbewusste) banale Selbstorganisation, entweder individuell (gutes Gefühl) oder kollektiv (Marktmacht), und erzeugt an anderer Stelle wieder wertvernichtende Komplexität (kulturelle Aufrechterhaltung von Unwissen, Schädigung von Natur und Mensch).

Die Form der individuellen banalen Selbstorganisation ist umso leichter praktikabel, desto näher die individuellen Werte den organisationalen oder gesellschaftlichen Werten kommen. – Denn es wird der geringste individuelle Stress erzeugt.

Ich sah vor kurzem den beeindruckenden Film über Hannah Arendt und ihren Bericht zum Prozess gegen den NS-Kriegsverbrecher Adolf Eichmann [4]. Ihr Bericht gipfelte in folgender Aussage: „Dass eine solche Realitätsferne und Gedankenlosigkeit in einem mehr Unheil anrichten können als alle die dem Menschen innewohnenden bösen Triebe zusammengenommen, das war in der Tat die Lektion, die man in Jerusalem lernen konnte. Aber es war eine Lektion und weder eine Erklärung des Phänomens noch eine Theorie darüber.“ [5].  – Die Nähe zu meinen hier gemachten Aussagen kam mir unmittelbar in den Sinn. – Das Nazi-System hat den Menschen geschickt, individuellen Stress abbauend, angeboten, ihre Selbstorganisation zu übernehmen; diese haben dumm angenommen und die individuelle Selbstorganisation wurde durch die banale System-Selbstorganisation des verbrecherischen Nazi-Regimes ersetzt.

Die banale Selbstorganisation hat meistens nicht solche Ausmaße des Schreckens und Verbrechens, jedoch, so glaube ich, sind die prinzipiellen Muster in verschiedenen Kontexten gleich.

Der Glaubenssatz, dem die Tabakindustrie, die Ölindustrie, die Pharmaindustrie, die Nahrungsmittelindustrie und die Autoindustrie (aktuell) unterliegen, das ist der Glaube, dass ihre Marktmacht, um jeden Preis zu erhalten ist, dass ihre Marktmacht Wachstum erzeugt und Wachstum erzeugt Wohlstand. – Dass diese Form des Wachstums als dumm angesehen wird, ist eher selten. – Parteien gründen darauf ihr Wahlprogramm, Unternehmensführer rechtfertigen damit ihr Handeln und sogar die Gewerkschaften fordern auf dieser Basis den Erhalt von Arbeitsplätzen in Industrien, deren Schädlichkeit längst bekannt ist.

Dem so verstanden Wachstum liegt sogar eines der wichtigsten physikalischen Prinzipien zugrunde, nämlich das der Entropie bzw. hier der negativen Entropie (Negentropie). Der Physiker Erwin Schrödinger hat erstmals Leben, als eine Form organisierter Komplexität fern vom sogenannten Gleichgewicht verstanden. Leben bildet organisierte Komplexität aus, indem es Entropie nach außen transferiert, also negative Entropie in sich erzeugt [6]. – In der ARD-Mediathek gibt es hierzu einen wunderschönen Erklär-Comic [7]!

Jegliche Form von Wachstum, also auch Leben, produziert Entropie, eine Form von „Abfall“, in Form von Materie oder Energie. Die Umgebung muss jedoch in der Lage sein, diesen „Abfall“ aufzunehmen und zu verarbeiten. – Die Natur macht genau dies Tag ein – Tag aus! – Die Natur gerät aber aus den Fugen, wenn durch Entzug von Materie oder Energie und anschließende Rückgabe von Abfall-Materie und -Energie, zu viel Stress im System Natur entsteht.

Wenn wir also organisierte Komplexität aufbauen, und damit eine Form von „Leben“, indem immer mehr Organisationen immer mehr Produkte erzeugen, konsumieren und „entsorgen“, erzeugen wir irgendwann nicht mehr bewältigbaren Stress im umgebenden System Natur.

Inzwischen wurde sogar ein sogenannter Economic Complexity Index (ECI) als relatives Maß für wirtschaftliche Potenz erfunden [8]. – Der ECI stellt eine beachtliche Modellierungsleistung dar [9] und ist inzwischen seit einigen Jahren auch als Atlas ECI mit beindruckenden graphischen Darstellungen und daraus abgeleiteten neuen ökonomischen Erkenntnissen verfügbar[10]. Jedoch…

…der ECI misst die relative ökonomische Komplexität der Produktlandschaft eines Landes und leitet daraus u.a. die Zukunftsfähigkeit eines Landes ab. Vereinfacht ausgedrückt, desto komplexer die Produktlandschaft ist, desto zukunftsfähiger ist das Land. Aussagen zur Kreislaufwirtschaft bzw. Nachhaltigkeit sind in diesem Index bisher nicht enthalten. Das hängt damit zusammen, dass der ECI pro Land nur die wirtschaftlich relevante Produktkomplexität misst. Deutschland hat u.a. seinen ECI im Laufe der letzten Jahrzehnte gesteigert, unsere Produktlandschaft wurde immer vernetzter und vielfältiger, also komplexer. Der CO2-Ausstoß wurde gleichzeitig reduziert. Wer noch in den 70er/80er Jahren durch das südliche Saarland/Lothringen gefahren ist, konnte hautnah erfahren welchen Schmutz die dortige Duo-Produktlandschaft Kohle und Stahl erzeugte. Die Produktkomplexität hat sich inzwischen deutlich verbessert, auch die Luftverhältnisse. – Leider kann man daraus nicht schließen, dass hohe Produktkomplexität zu besserer Luft führt. – Also diese Form von Wachstum gut ist.

Es ist zu bedenken, dass wir von einem sehr hohen Niveau der Luftverschmutzung langsam auf ein erträgliches Maß kommen und was meines Erachtens noch bedeutender ist, dass wir über die letzten 30-50 Jahre massiv Entropieproduktion verlagert haben, in dem wir konsumorientiert die „unsauberen“ Industrien exportierten. – China gehört heute zu den Ländern, die mit Abstand das meiste CO2 ausstoßen. China durchlebt gerade an vielen Orten unsere Industrialisierung vor 50-70 Jahren. – Also auch hier finden wir wieder die kulturelle Aufrechterhaltung des Unwissens, da wir nicht den Zusammenhang unseres reduzierten CO2 Ausstoßes mit dem „Abfall“ außerhalb unserer nationalen Wirtschaft sehen.

Den Autoren des ECI kann man wohl nicht unterstellen, dass sie bewusst Unwissen aufrechterhalten wollen. – Sie stützen jedoch durch „Weglassen“ wichtiger Aspekte einen ganzheitlichen Zugang zum Wissen. – Letztendlich unterstützen sie damit die Aussage „Ökonomisches Wachstum mit mehr Produktkomplexität ist (immer) gut“. Ökonomisches Wachstum wird als bedingungsloser Kontrollparameter verstanden, der den Ordnungsparameter Wohlstand stützt.- Und das ist systemisch betrachtet schlicht falsch!

Ich habe in diesem Blog – zugegeben – einen weiten Bogen gespannt, von den Verbrechen der Tabakindustrie, über das schon fast „übliche“ Verhalten des sogenannten Normalbürgers in seinen verschiedenen Facetten zu den unvorstellbaren Schrecken und Verbrechen des Nazi-Regimes. Und auch die Wissenschaft ist nicht frei von der geschilderten Art der Komplexitätsregulation oder Stressbewältigung. Überall begegnet uns die Gedankenlosigkeit des Menschen, indem der Mensch die Selbstorganisation seines Denkens einem (mentalen) System oder einer Organisation übergibt und sich dort „einordnet“. – Diese banale Selbstorganisation ist für die kulturelle Aufrechterhaltung von Unwissen verantwortlich und diese birgt das Unheil in sich!

Leben basiert auf Entropie Abgabe, jedoch darf dies nie auf Kosten anderen Lebens geschehen, selbst wenn dieses Leben noch in der Zukunft liegt!

 

Ich verwende den Begriff „banal“ in Anlehnung an Hannah Arendt’s Wortwahl anlässlich der Berichterstattung zum Prozess des Nazi-Verbrechers Adolf Eichmann    

 

[1] arte (2021) Forschung, Fake und faule Tricks, https://www.arte.tv/de/videos/091148-000-A/forschung-fake-und-faule-tricks/, zugegriffen am 02.03.2021

[2] Wikipedia (2021) Agnotologie, https://de.wikipedia.org/wiki/Agnotology, zugegriffen am 02.03.2021

[3] ARD/WDR (2021) #DIESELGATE – Die Machenschaften der deutschen Autoindustrie, https://www.ardmediathek.de/ard/video/wdr-dok/dieselgate-oder-doku/wdr-fernsehen/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTc5ZGFlMTI2LTM1ZDMtNDg1Yi05MTJiLWY4YTdhZDc5MDZjNA/, zugegriffen am 02.03.2021

[4] MDR (2021) Hannah Arendt, https://www.ardmediathek.de/ard/video/filme/hannah-arendt-oder-drama/mdr-fernsehen/Y3JpZDovL21kci5kZS9iZWl0cmFnL2Ntcy85ZGM4NjViNy02ODgwLTQ0MWYtYWNiYy02MWMxNzI4NThkOGE/, zugegriffen am 02.03.2021

[5] Wikipedia (2021) Hannah Arendt, https://de.wikipedia.org/wiki/Hannah_Arendt

[6] Wikipedia (2021) Erwin Schrödinger, https://de.wikipedia.org/wiki/Erwin_Schr%C3%B6dinger, zugegriffen am 02.03.2021

[7] ARD (2021) Warum lebst du? – Energie & Entropie, https://www.ardmediathek.de/ard/video/kurzgesagt/warum-lebst-du-energie-und-entropie/funk/Y3JpZDovL2Z1bmsubmV0LzExMDkwL3ZpZGVvLzE3MzI0MjM/, zugegriffen am 02.03.2021

[8] Wikipedia (2021) Economic Complexity Index,  https://de.wikipedia.org/wiki/Economic_Complexity_Index, zugegriffen am 02.03.2021

[9] Hidalgo C A (2021) Economic complexity theory and applications, Nature Reviews | Physics

[10] Atlas ECI (2021) https://atlas.cid.harvard.edu/, zugegriffen am 02.03.2021

„Querdenker quergedacht“ oder von der Macht der Selbstorganisation

Das Phänomen der Querdenker, Verschwörungsideologen und Corona-Leugner wird vieler Orts diskutiert. Lesch [1], Scobel [2], Rezo [3] und Sahra Bosetti [4] sind einige der prominentesten Stimmen. – Die Stimmen dieser vier Menschen mögen für Werte, Glaubenssätze und Grundannahmen stehen, die man hier vielleicht mit den Begriffen Naturwissenschaft, Philosophie, intellektueller Pop-Journalismus und Satire assoziieren kann. – Also für Mem-Bereiche, die man nicht mit Querdenkern, Verschwörungsideologen oder Corona-Leugnern verbindet (zur Bedeutung von Memen verweise ich auf meine anderen Blog-Beitrag, u.a. [5, 6]). Ich habe diese Stimmen ausgewählt, weil der Überlapp mit deren Werten, Glaubenssätze und Grundannahmen, also mein Mem-Mapping mit ihnen, wahrscheinlich recht hoch sein dürfte.

Ich schließe mich diesen vier Stimmen an und bringe mit diesem Blog-Beitrag eine zusätzliche Perspektive ein, die ich „Querdenker quergedacht“ genannt habe.

Querdenken war bis vor Corona ein überaus positiver Begriff: Querdenker waren jene, die mit Hilfe einer queren Sicht auf ein Problem oder eine Situation völlig neue Erkenntnisse brachten, wohlgemerkt nachprüfbare Erkenntnisse. Sie haben Innovationen angestoßen oder Transformationen eingeleitet.  – Die neuen Querdenker, Verschwörungsideologen und Corona-Leugner werden jetzt eventuell sagen: „Genau, das tun wir auch“.

Der wahrscheinlich prominenteste Vertreter dieser neuen Querdenker-Richtung ist der noch amtierende amerikanische Präsident Donald Trump. Es ist ihm gelungen mit seiner Denkrichtung ca. 70 Millionen Menschen anzusprechen. – Eine wirklich beachtliche Leistung!

Barak Obama hat seinerseits ähnlich viele Menschen angesprochen; jedoch lediglich, ähnlich viele, (leider) nicht viel mehr! Obama spricht man Charisma zu. Warum eigentlich nicht auch Trump? Falls man die Wählerstimmen zugrunde legt, müsste man es! Offensichtlich kommt hier eine Wertung rein, es gibt offensichtlich eine gute Resonanz und eine schlechte Resonanz. Obama erzeugt eine gute Resonanz, Trump erzeugt eine schlechte Resonanz. Und der guten Resonanz spricht man Charisma zu. Dies klingt sehr nach guter Selbstorganisation und schlechter Selbstorganisation. Resonanz entsteht, meines Erachtens in diesem Kontext, wenn eine Person für eine Sache brennt, über ein sehr gutes Kommunikationstalent verfügt und vor allem ihre Meme zu den Memen einer sich bildenden Anhängerschaft passen, also: Diese Resonanz = persönliche Motivation*Kommunikationstalent*Mem-Mapping.

Kommunikationstalent hat sehr viel mit einer gezielten sprachlichen Vereinfachung und einer suggestiven bis hypnotischen Wirkung zu tun. Trump spricht man diese Vereinfachung gerne zu, diese gipfelt vor allem in dem Statement „Make America Great Again“. Auch Obama hat eine Vereinfachung von ähnlicher Sogkraft kreiert „Yes we can!“ In [7] haben wir dargelegt, dass diese sprachlichen Statements bewusst als ausrichtende, die potenzielle Anhängerschaft einende Kraft wirken. Falls zusätzliche suggestive Aussagen ein Mem-Mapping erzeugen, wachsen die sprachlichen Statements zu Ordnungsparametern heran. Trump geht hierbei, bewusst oder unbewusst – was letztendlich nicht relevant ist – sehr wirkungsvoll vor. Viele, auch ich, sehen Trump’s Wirkung negativ, Obama’s Wirkung sehen viele andere positiv, manche sprechen von Charisma.

Obama spricht gerade in seinen großen Reden stark das Unterbewusste an. Das dürften insbesondere diejenigen am wenigsten merken, die ein höheres Mem-Mapping mit ihm haben. Analysiert man seine Reden, wird man eine Sprachausrichtung feststellen, die der Sprache des genialen Meister der Hypnotherapie, Milton Erickson, sehr nahekommt. Trump wie Obama wirken auf ihre jeweilige Anhängerschaft charismatisch, in dem Sinne, dass beide in der Lage sind, nahezu gleich stark Resonanz zu erzeugen.

In der deutschen Geschichte haben wir leider mindestens ein sehr schreckliches Beispiel für Resonanz erfahren. Hitler war ein Meister der Resonanz seiner Zeit. Resonanz liegt nie generell vor, sondern ist immer in einen zeitlichen und räumlichen Kontext eingebunden. Hitler wäre ohne die damaligen vielen Deutschen, die mit ihm und seinen Gefolgsleuten in Resonanz getreten sind, nie so dämonisch stark geworden. Resonanz führt meistens zu einer speziellen Ausprägung von Selbstorganisation, der Synchronisation. – Die Nazis haben dafür sogar einen speziellen Begriff geprägt: die Gleichschaltung! Auch heute versuchen die Nazis und die vermeintlich legitime Variante, die AfD, mit ähnlichen Mitteln zu arbeiten.  

Resonanz ist eine Vorbedingung für Selbstorganisation, sie sorgt nämlich dafür, dass sich die Elemente eines Systems ausrichten. Dadurch gewinnt das System seine enorme Leistungsfähigkeit. Auch hier wieder: Selbstorganisation ist per se nicht gut oder böse, sondern Bedarf im sozialen und technischen Umfeld einer entsprechenden Ethik!

Beispiele für Ordnungsparameter habe ich in meinen Blog-Beiträgen sehr viele gegeben. Ich möchte hier ein weiteres Beispiel skizzieren, das die Nähe zum Thema Glaubenssysteme verdeutlicht. Als ich vor ein paar Jahren den Berg der Kreuze in Litauen besuchte [8], war ich völlig überwältigt. Die Bilder, die man macht und diejenigen, die man im Internet findet, können die enorme Dimension der Kreuze von Hunderttausenden oder gar Millionen nur ungenügend einfangen. Um die ersten Kreuzaufstellungen vor mehreren Hundert Jahren ranken sich wundersame Geschichten; heute ist es ein vom Papst persönlich gesegneter Wallfahrtsort. Die ordnende anziehende Dimension des Berges der Kreuze wird nochmals unterstrichen, wenn man die öffentlich zugängliche Kapelle des ca. 2 km entfernten, später erbauten Franziskanerklosters besucht. Das Hauptfenster der Kapelle ist wie ein Beobachtungsokular auf den Hügel der Kreuze ausgerichtet. Damit wird die ausgerichtete Kontemplation der Betenden auch durch die Raumgestaltung unterstrichen. Die Kraft dieser mentalen Ordnung wird heute sicherlich weitgehend durch eine entsprechende Ethik abgesichert, dies dürfte in der langen Geschichte der römischen Kirche jedoch nicht immer der Fall gewesen sein. – Jedoch lässt sich zweifelsohne die Langlebigkeit dieser Ordnung auch mit der prinzipiell zugrundeliegenden Ethik erklären.

Abbildung 1: Berg der Kreuze in Litauen [8]

Das nahezu täglich vom Fernsehen oder von der Presse beobachte Handeln der Querdenker, Verschwörungsideologen und Corona-Leugner lässt sich meines Erachtens gut verstehen, wenn man die bisher geschilderten Mechanismen der Selbstorganisation anwendet. Ich mache hierzu die Annahme, dass die entsprechenden Personen sehr stark ausgeprägte Mem-Strukturen haben, die durch purpur, rot und blau gekennzeichnet sind, eine eher wissenschaftliche Orientierung (orange) oder ein vernetztes Denken (gelb) fehlen nahezu völlig. Das Selbstwert- und Selbstschutz- Bedürfnis (rot) gepaart mit dem ausgeprägten Kontroll- und Orientierungs-Bedürfnis (blau) spielen eine sehr große Rolle. Treten Rahmenbedingungen ein, die die Befriedigung dieser beiden Bedürfnisse stark gefährden, so tritt das purpurne Mem, das Magische, zusätzlich in den Vordergrund. Es bildet sich eine Intuition aus, die leider durch keine rationale Basis in ihre Schranken verwiesen wird. Solche Rahmenbedingungen können Klimakatastrophe, Corona, Flüchtlinge oder ähnliche Bedrohungen sein. Kommen zusätzlich finanzielle existentielle Sorgen hinzu, so verstärkt dies den Rückgriff auf magische Mechanismen. Die Abneigung vor den „Oberen“, oder „Mächtigen“ gepaart mit Ängsten hervorgerufenen durch alte und scheinbar bewährte Erklärungen (u.a. Fremde, Juden) führen zu einfachen oder auch komplizierten Erklärungsmustern. – Die komplexen Erklärungen können sich auf Grund der Mem-Struktur nicht erschließen.

Sehr oft scheinen Mechanismen der Vereinfachung bei einigen wenigen zu beginnen: Mythische Erklärungsmuster vermitteln Halt und Sicherheit. Ist der Druck groß genug, also sind die passenden Rahmenparameter gegeben und wird das Feuer durch einige wenige weiter geschürt, also wirkt ein entsprechender Kontrollparameter, dann verbreiten sich einfache oder komplizierte Erklärungsmuster viral. Kommen dann auch noch emotional mitreißende Aussagen hinzu, die dem Allen einen (scheinbaren) Sinn geben, bildet sich ein Ordnungsparameter aus. Beispiele für (scheinbar) sinnstiftende Aussagen, sind das „Make America Great Again“ Statement oder der Verweis auf den notwendigen Freiheits-Kampf in Corona-Zeiten. All dies erzeugt Resonanz, die in sozialer Selbstorganisation mündet. Hierbei verstärken sich soziale Selbstorganisation und die individuelle mentale Selbstorganisation der einzelnen Querdenker, Verschwörungsideologen und Corona-Leugner gegenseitig. – Es kommt zu einer Stabilisierung im sozialen System und im individuellen psychischen System. Irgendwann sind die Menschen und das damit verbundene soziale System nicht mehr in der Lage „Fremd-Information“ aufzunehmen oder gar zu verarbeiten. – Die Fähigkeit neue emergente mentale Strukturen auszubilden kommt zum Erliegen. Oder anders ausgedrückt: Die Selbstorganisation hat sich in stabilen Strukturen festgesetzt; Offenheit für andersartige Informationen als die das System stabilisierenden Informationen sind zum Erliegen gekommen.

Dies hat gravierende Auswirkungen: Dieser Blog-Beitrag, aber auch die Beiträge von Lesch, Scobel, Rezo und Sahra Bosetti, werden wahrscheinlich nie einen Querdenker, Verschwörungsideologen und Corona-Leugner erreichen, geschweige denn zum Querdenken ihres Querdenkens bewegen. Die einzige Chance, die ich sehe, ist die Basis auszutrocknen: D.h. den Menschen, die „nur“ Mitlaufen, Sicherheit zurückzugeben, also ihr Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle und ihr Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz zu befriedigen und denjenigen, die diese Menschen für ihre Zwecke ausnutzen, möglichst effektiv und effizient die Resonanzmöglichkeiten zu entziehen. Dies heißt, es ist notwendig, diese Form von Selbstorganisation durch eine entsprechend konsequente Governance zu unterbinden.             

[1] Lesch H (2020) Fake oder Fakt: Wie die Wahrheit unter die Räder kommt, ZDF, https://www.zdf.de/wissen/leschs-kosmos/fake-oder-fakt-wie-die-wahrheit-unter-die-raeder-kommt-100.html, zugegriffen am 10.12.2020

[2] Scobel G (2020) Corona-Demo: mit 6 Thesen philosophisch zerstört, https://www.youtube.com/watch?v=vYQV_NdWOro, zugegriffen am 10.12.2020

[3] Rezo (2020) https://www.youtube.com/watch?v=eoxxh2qNZj4, zugegriffen am 10.12.2020

[4] Sahra Bosetti  (2020) https://www1.wdr.de/unterhaltung/kabarett-und-comedy/weiterlachen/video-sarah-bosetti—die-wahre-verschwoerung–weiterlachen-100.html, WDR, zugegriffen am 10.12.2020

[5] Oswald A (2020) Cultural Entropy: Corona deckt unsere Werte auf!, https://agilemanagement40.com/cultural-entropy-corona-deckt-unsere-werte-auf, zugegriffen am 10.12.2020

[6] Oswald A (2020) Gesellschaftlicher Wandel – Sein oder Nichtsein? – Das ist hier die Frage!, https://agilemanagement40.com/gesellschaftlicher-wandel-sein-oder-nichtsein-das-ist-hier-die-frage, zugegriffen am 10.12.2020

[7] Oswald A, Müller W (2019) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices, Release 3.0, BoD, Norderstedt

[8] Wikipedia (2020) Berg der Kreuze, https://de.wikipedia.org/wiki/Berg_der_Kreuze, zugegriffen am 10.12.2020

„Einheit in der Vielfalt“ oder von der Selbstorganisation des Marktes

Anlässlich des 30zigsten Jahrestages der Deutschen Einheit wurde der Zukunftsforscher Daniel Dettling vom Zukunftsinstitut zum Stand der deutschen Einheit interviewt [1]. Er kommt zu dem auf den ersten Blick erstaunlichen Schluss „Der Westen wird sich dem Osten angleichen“. Dies basiert auf der weitreichenden Erkenntnis „Wir leben 2050 in einem Deutschland und Europa der Regionen. Landkreise und ihre Kommunen haben ähnliche Kompetenzen wie die Bundesländer und können vor Ort autonomer agieren, angefangen von den Schulen bis hin zu Steuern.“ – Die „Einheit in der Vielfalt“ sei das zukünftige Einende. – Dettling identifiziert nicht Geld, als den entscheidenden Ordnungsparameter, sondern er spricht vom „Glücksfaktor“, bei dem der Osten schon weiter sei als der Westen.

Man braucht nicht sehr „quer“ zu denken, um zu erkennen, dass dies nichts anderes ist als einer der Grundgedanken der Selbstorganisation, der sich auch im gesellschaftlichen Raum seinen Weg bahnt.

Die Grundgedanken der Selbstorganisation „Einheit in der Vielfalt“, die Suche nach Sinn, die Einführung von Nachhaltigkeit, die Ersetzung des Wettbewerbsgedankens durch den Kollaborationsgedanken, alle dies sind Ausdruck eines weiter entwickelten  gesellschaftlichen Bewusstseins, das sich anschickt zu emergieren.

In einem Artikel auf nature communication warnen Nachhaltigkeitsökonomen erst kürzlich vor den Konsequenzen des Überflusses. Sie skizzieren Konzepte, die auf dem Grundgedanken der Selbstorganisation beruhen und hier Abhilfe schaffen sollen [2]. Dies wird flankiert von den datenbasierten Forschungsergebnissen meines Sohnes Yannick, dass der Energie-Fußabdruck ganz wesentlich mit dem Einkommen und damit mit dem Überfluss korrespondiert [3]. Man siehe hierzu und zur korrespondierenden Oxfam-Studie auch den Kommentar in Forbes [4].

Der ein oder andere mag auf die Idee komme, dass dies dem Kapitalismus bzw. dem ungezügelten Kapitalismus zuzuschreiben ist. – Dies ist nicht ganz von der Hand zu weisen, jedoch liegt das Problem meines Erachtens tiefer. Es hat viel mehr mit den aktuell (noch) vorherrschenden Werte-Memen zu tun, die besagen, dass „Wer (mehr) Erfolg hat, hat auch ein Anrecht auf (mehr) Entlohnung, also mehr Überfluss“, dass „Innovationen schon immer unser aller Lebensstandard gehoben haben und deshalb (immer) gut sind“, und dass „wir klare Fakten brauchen, die keinen Zweifel aufkommen lassen, bevor wir die Pferde scheu machen, denn es ist noch immer gut gegangen ist“. Diese Aussagen sind zentrale Werte-Meme des sogenannten orangenen Werte-Mems. Das orangene Werte-Mem ist weitgehend blind für eine Relativierung unserer anthropozentrischen Bedeutung und unserer systemischen Einbettung. – Deshalb sind auch datenbasierte Forschungsergebnisse so wichtig; neben Rahmenbedingungen wie Corona oder ersten großen Klimaschäden, die einen mächtigen Druck zum Umdenken ausüben, ist es sehr wichtig, das orange Mem mit einer seiner eigenen Waffen, der „datenorientierten Innovation“, zu schlagen, um so mitzuhelfen, eine Transformation anzustoßen. – Denn, …der Überfluss entspringt einem Denken und Handeln, das nicht mehr zum 21. Jahrhundert passt.

In [2] wird ein „neuer Lebensstil für das 21. Jahrhundert“ vorgeschlagen. – Die nachfolgende Tabelle zeigt wie stark diese Vorschläge mit den im Management 4.0 vorgeschlagenen Werte-Memen korrespondieren [5]. Dieser Werte-Mem Shift hat schon vor mehr als 25 Jahren eingesetzt, denn man kann ihn an den Entwicklungen festmachen, die zum Agilen Manifest führten:

Nachhaltige Ökonomie/
Gesellschaft [2]

Management 4.0 [5]

Das Bruttoinlandsprodukt ist kein geeignetes Maß für Wohlstand oder gar den „Glücksfaktor“. – Dies entspricht der Aussage: Preise bzw. Geld sind keine Sinngeber!

Der überbordende Work-in-Progress von einzelnen Personen, Teams oder Organisationen ist letztendlich die organisationale Repräsentation des Glaubens „Geld ist der entscheidende Träger von Sinn“.

Der WIP ist vielmehr zu limitieren und als „falscher“ Ordnungsparameter zu entlarven, um den Weg für einen sinngebenden Ordnungsparameter frei zu machen.

Ermächtige Menschen auf allen Ebenen zur Partizipation und Demokratie mit stärkerer Selbst-Governance auf lokaler Ebene.

Führe Selbstorganisation ein, die auf den synergetischen Prinzipien der natürlichen Selbstorganisation beruht. Baue eine entsprechende dynamische Governance-Architektur auf.

Betone Gleichheit und reduziere Ungleichheit durch Umverteilung

Betone individuelle Wertschätzung und reduziere wertvernichtende Komplexität durch einen integralen Ansatz.

Unterstütze die Transformation des ökonomischen Systems durch die Betonung von Forschung und Innovation in einem kollaborativen lokalen Umfeld (bei gleichzeitiger Reduktion von Massenproduktion in einem Wettbewerbsumfeld) 

Richte die Organisation an einer innovativen Ziel-Hierarchie (z.B. Collective Mind, Story Map, OKRs,…) aus, die den Menschen in der Organisation Sinn vermittelt und ermögliche dies durch Kollaboration statt Silo-Denken und Wettbewerb.

Sorge für Kapazitäten in der (digitalen) Bildung sowie im Austausch von Know-How zwischen lokalen gesellschaftlichen Einheiten 

Sorge dafür, dass durch geeigneten Austausch Selbstorganisation und Skalierung von Organisationen Hand in Hand gehen.

 

In [2] werden zusätzlich unterschiedliche Organisationsformen skizziert, die sich insbesondere in der Ausgestaltung der Governance-Architektur unterscheiden: Nämlich, ist die Governance-Architektur eher dynamisch oder statisch?; gibt es eine übergeordnete Governance, die die Einheit in der Vielfalt sicherstellt?; und gibt es eine Governance, die die Wechselwirkung zwischen lokalen Einheiten im gesellschaftlichen System reguliert?

Auch im Management 4.0 kennen wir genau diese Fragestellungen.- Die meisten Agilen Handlungsrahmen (wie Scrum und Kanban oder SAFe und LeSS) verfügen lediglich über eine statische Governance. Nur der Handlungsrahmen Soziokratie bzw. der hiervon abgeleitete Handlungsrahmen Holacracy verfügt über eine dynamische Governance. Der Handlungsrahmen Scaled Agile Management 4.0 beruht auf einer dynamischen Governance, die zusätzlich auf den Prinzipien der natürlichen Selbstorganisation (Synergetik) beruht.

In dem Deutschlandfunk-Beitrag „Die Wertedebatte, Wie fünf Ökonominnen Wirtschaft und Politik neu verbinden“ [6] werden die volkswirtschaftlichen Konzepte der fünf bedeutenden Ökonominnen Mariana Mazzucato, Kate Raworth, Esther Duflo, Stephanie Kelton und Carlota Pérez skizziert. Ich zitiere beispielhaft hieraus zu einem „neuen Lebensstil für das 21. Jahrhundert“:    

„Voraussetzung wäre jedoch auch in ihren Augen der Abschied von traditionellen Theorien der Volkswirtschaft. Statt sich weiter an den Modellen der industriellen Massenproduktion zu orientieren, bei denen Wachstum, Erwerbsarbeit, Besitz und dergleichen wichtig sind, gelte es, einen neuen Lebensstil für das 21. Jahrhundert zu entwickeln.

Die Zukunft ist nicht immer die Fortführung der jüngsten Vergangenheit. Der Staat muss die Wettbewerbsbedingungen in eine synergistische Richtung lenken. Eine Richtung, in der das, was einer tut, allen anderen zugutekommt, sodass wir diese fantastische gemeinsame Energie für Wachstum und Wohlbefinden bekommen.

Erste Trends in diese Richtung gibt es ja bereits. Wir könnten noch mehr Gebrauchsgüter gemeinsam nutzen, statt einzeln zu besitzen. Eine individuelle maßgeschneiderte Produktion von qualitativ hochwertigen und langlebigen Einzelstücken könnte die heutige Massenproduktion von Billigteilen ersetzen. Wir könnten mehr Zeit für Familie, gegenseitige Fürsorge, Bildung und Kultur aufwenden statt um jeden Preis an überflüssig gewordenen Erwerbsarbeitsplätzen festzuhalten. Klingt utopisch?“

Die Erkenntnisse des Zukunftsinstituts, der modernen (Nachhaltigkeits-) Ökonomie und des Management 4.0 zeigen in die gleiche Richtung. Analog dem Agilen Manifest schlage ich auf dieser Basis ein ökologisch-ökonomisches Manifest vor:

  • Die Selbstorganisation der Gesellschaft ist wichtiger als die Selbstorganisation des Marktes.
  • Der Markt dient der Gesellschaft, und nicht die Gesellschaft dem Markt.
  • Eine geführte Selbstorganisation des Marktes ist wichtiger als eine ungeführte Selbstorganisation des Marktes.
  • Einheit in der Vielfalt ist wichtiger als Einheit.
  • Kollaboration ist wichtiger als Wettbewerb.
  • Lokalität ist wichtiger als Globalisierung.

Die nachfolgende Abbildung 1 fasst einige Aussagen der Blog-Reihe „Selbstorganisation des Marktes“ zusammen:

Abbildung 1: Die Selbstorganisation der Gesellschaft ist wichtiger als die Selbstorganisation des Marktes.

Viele Individuen tragen mit ihrem individuellen Verhalten in verschiedenen Kontexten auf der Mikro-Ebene zur Ausbildung von Mustern bei, die sich auf der Makro-Ebene des Marktes und der Gesellschaft zeigen. Damit tragen die individuellen Makro-Ebenen mit ihren individuellen Werten und Glaubenssätzen, ihren Identitäten und dem Sinn, den jeder seinem Leben gibt, zu den gesellschaftlichen Makro-Strukturen bei. – Es bilden sich mehr oder weniger viele Gesellschaften bzw. Teilgesellschaften sowie ein Markt bzw. Teilmärkte.

Die sozialen Makro-Ebenen (Markt/Märkte bzw. Gesellschaft/Teilgesellschaften) lassen sich wiederum durch unterschiedliche Ordnungsparameter beschreiben. So habe ich im letzten Blog z.B. erwähnt, dass man die unterschiedlichen ökonomischen Theorien u.a. auch durch die Reihenfolge der Markt-Ordnungsparameter charakterisieren kann. Der in allen ökonomischen Theorien oberste Ordnungsparameter ist die Technologie, sie ändert sich am langsamsten. – Die Schnelligkeit oder Langsamkeit, mit der sich die Größen im Verhältnis zueinander ändern, habe ich durch stärkere oder weniger starke Schwingungen angedeutet. So zeigt das Verhalten der Menschen auf Mikro-Ebene die (wahrscheinlich) stärkste Dynamik.

Der Markt ist Teil des gesellschaftlichen Systems. Berücksichtigt man, dass Modelle immer ihre Limitierungen haben, so hat die Ökonomie gezeigt hat, dass man mit mathematischen Modellen den Markt vielfach sehr gut beschreiben kann. – Man kann sogar mit Hilfe der mathematischen Theorien der Komplexitätsforschung und der Selbstorganisation für den Markt wichtige Erkenntnisse gewinnen. – Es ist jedoch wichtig, festzuhalten, dass der Markt bzw. die Märkte zwar emergierende Makro-Strukturen zeigen, jedoch in sich keine soziale Rechtfertigung tragen. – Sie sollten, trotz aller „selbstorganisierter Komplexität“ nur als „formale“ Repräsentationen gesellschaftlicher Makro-Strukturen betrachtet werden und diesen untergeordnet werden, damit sich die integralen Werte-Meme entwickeln können. Genau dies ist für mich die Quintessenz eines „neuen Lebensstils für das 21. Jahrhundert“. – Wenn man sieht, dass Management 4.0 gerade die organisationale Welt verändert, dann kann man die berechtigte Hoffnung haben, dass der Kapitalismus für das Leben im 21. Jahrhundert seine Dominanz verliert, Innovationen mehr integrale gesellschaftliche Relevanz zeigen und der „Glücksfaktor“ wächst.  

[1] Bayer Anna und Künßberg Jann-Luca (2020) Interview mit dem Zukunftsforscher Daniel Dettling über Deutschland 2050, „Der Westen wird sich dem Osten angleichen“, Spiegel,  https://www.spiegel.de/geschichte/deutschland-2050-der-westen-wird-sich-dem-osten-angleichen-a-5d614ef4-1d3a-4022-afde-49d6f1ddd7d4, zugegriffen am 24.10.2020

[2] Wiedmann Thomas, Lenzen Manfred, Keyßer Lorenz T., Steinberger Julia K. (2020) Scientits‘ warning on affluence, nature communications, (2020)11:3107

[3] Oswald, Y., Owen, A. & Steinberger, J.K. (2020) Large inequality in international and intranational energy footprints between income groups and across consumption categories, Nature Energy volume 5, page 349(2020)

[4] Ollie Williams (2020) Rich People Are Bad For The Planet Studies Show, https://www.forbes.com/sites/oliverwilliams1/2020/09/21/rich-people-are-bad-for-the-planet-studies-show/#2e6f07db2b46, zugegriffen am 24.10.2020

[5] Oswald Alfred, Müller Wolfram (editors) (2020) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices, BoD, Norderstedt

[6]  Schrupp Antje (2020) Die Wertedebatte, Wie fünf Ökonominnen Wirtschaft und Politik neu verbinden, Deutschlandfunk, https://www.deutschlandfunk.de/die-wertedebatte-wie-fuenf-oekonominnen-wirtschaft-und.1184.de.html?dram:article_id=485902&utm_source=pocket-newtab-global-de-DE, zugegriffen am 24.10.2020