Quantum Spiral Dynamics: ‚Es gibt nur eine Welt!‘ – Computer-experimentelle Metaphysik oder von Kohärenz und Kohäsion

Kurzfassung: Ich analysiere das Deutschland-Modell 2000–2025 des letzten Blog-Beitrages. Die Analyse mit Quantum Spiral Dynamics (QSD) zeigt eine deutliche Diskrepanz zwischen thematischer Kohäsion und narrativer Kohärenz. Während die klassischen Kohäsionsmaße relativ hoch bleiben und auf gemeinsame Themen verweisen, liegt die Quanten-Kohäsion fast konstant nahe null. Dies deutet auf fehlende phasenmäßige Resonanz und damit mangelnde gemeinsame Narrative der Themen hin. Die Kohärenz-Auswertung über alle Agenten zeigt, dass Ereignisse wie Agenda 2010, Eurokrise, Fluchtmigration oder Energiekrise kurzfristige negative Ausschläge in der Kohärenz verursachen. Insgesamt entsteht das Bild einer Gesellschaft, die zwar thematisch verbunden ist, jedoch keine gemeinsamen Narrative und keine dauerhafte kollektive Synchronisation erreicht: Ohne narrative Kohärenz ist die Gesellschaft instabil und anfällig für Brüche.

Diesen Blog-Beitrag habe ich nur mit ChatGPT 5.0 erstellt. Wie schon im vorhergehenden Blog hatte ich auch dieses Mal keine Probleme in der Bearbeitung mit ChatGPT. – Lediglich bei der Erstellung von Latex für WordPress und bei der Bildgenerierung gibt es Unzulänglichkeiten.
Da ich immer noch Anleitungen zum guten Prompting und der damit verbundenen KI-Unkenntnis in den sozialen Medien finde, will ich an dieser Stelle etwas zu meiner Arbeit mittels KI-Systemen sagen. Meine Blog-Beiträge entstehen typischer Weise in Zeiträumen von 4-6 Wochen. In diesen 4-6 Wochen setze ich iterativ mehrere hundert Prompts an die KI ab: Grundlegende Ideen kommen hierbei meistens von mir. Eine grundlegende Idee für diesen Blog-Beitrag ist, herauszuarbeiten welche Bedeutung Quanten-Kohärenz und -Kohäsion für kollektive Phänomene haben. Ich starte hierbei mit den Grundlagen in den Naturwissenschaften und transferiere zusammen mit ChatGPT diese Erkenntnisse auf soziale und psychische Fragestellungen. ChatGPT liefert hierbei die mathematischen Modelle und die dazugehörigen Programme; sehr oft auch mögliche fachliche Interpretationen. Alle KI-Aussagen werden vielmals iterativ quergeprüft: Ich tue dies, indem ich die KI-Aussagen selbst überprüfe und mit anderen KI-Aussagen vergleiche. Außerdem gebe ich der KI oft etwas andere Fragestellungen, lasse sie einen neuen Kontext bearbeiten oder stelle weiterführende Frage.
ChatGPT 5.0 nimmt meine Aussagen oder Fragestellungen auf und wiederholt diese mit wissenschaftlicher Präzision. In keiner der hunderten Kommunikationen ergaben sich falsche KI-Interpretationen oder -Halluzinationen. – Wenngleich bei der mathematischen Umsetzung auch Fehler geschehen.

Die Art, wie ich die KI verwende, setzt voraus, dass bei mir eine gute fachliche Basis vorhanden ist und ich gewillt bin, diese durch aktives iteratives Arbeiten und Lernen zu erweitern. – Ich  kommuniziere hierbei mit der KI wie ich auch mit einem menschlichen Fachkollegen kommunizieren würde.
In der Vergangenheit habe ich DeepSeek, Mistral und Claude währende des Blog-Erstellungsprozesses zur Qualitätssicherung verwendet. – Inzwischen tue ich dies nur noch am Ende, wenn der Blog-Beitrag fast fertig ist.

Dieser Beitrag ist der dritte Beitrag der Blog-Reihe ‚Quantum Spiral Dynamics: ‚Es gibt nur eine Welt!‘ …‘.

In der Online-Zeitschrift Quanta Magazine erschien vor kurzem der Artikel „ ‚Metaphysical Experiments‘ Probe our Hidden Assumptions about Reality“ [1]. – Als philosophische Disziplin versucht die Metaphysik die Basis unseres Seins zu ergründen [2]: Sie stellt sich zum Beispiel Fragen wie ‚Was ist Realität?‘ ‚Ist diese Realität von uns als Beobachtern abhängig?‘  ‚Was sind Raum und Zeit?‘, ‚Sind Quanten real?‘ usw.. Die Experimentelle Metaphysik verbindet Physik und Philosophie, und versucht der Beantwortung dieser oder ähnlicher Fragen mittels Experimenten näher zu kommen. Meine Blog-Beiträge lassen sich sehr oft in diesem Bereich zwischen Wissenschaft und Philosophie verorten: Ich führe zwar keine Experimente durch, sondern benutze den Computer, um spekulative Gedanken mittels (Quanten-) Computer-Berechnungen oder -Simulationen auf ‚Sinnhaftigkeit‘ zu überprüfen. – Damit sind meine Ergebnis bei weitem nicht so stringent wie diejenigen, die mit Experimenten gewonnen werden. – Ich verwende Modelle und Theorien, die sich in der Physik bewährt haben, verändere diese für einen sozialen oder psychischen Kontext und überprüfe, ob daraus resultierende Aussagen ‚Sinn ergeben‘. ‚Sinn ergeben‘ heißt, dass die Ergebnisse durchaus mit der Brille ‚Sozial‘ oder ‚Psyche‘ interpretiert werden können und sogar einen Blick in die Zukunft gesellschaftlicher Entwicklungen erlauben. – Bisher hat sich diese Form von ‚Sinn ergeben‘ gezeigt, indem sich die metaphysische Tür zu ‚Es gibt nur eine Welt!‘ mit meinen Blog-Beiträgen ein wenig geöffnet hat.

Für diesen Blog-Beitrag formuliere ich zwei ‚metaphysische‘ Fragestellungen:

  • Lassen sich gesellschaftliche Phänomene wie Kultur oder Team Collective Mind mittels Potentialen oder Feldern beschreiben, wie man sie aus der Physik kennt?
  • Kann man soziale Resonanz zwischen Menschen mittels der Wellenmechanik der Quantenmechanik beschreiben?

Zur ersten Frage: Drei der vier Fundamentalkräfte (Elektrodynamik, starke Wechselwirkung und schwache Wechselwirkung) werden heute mit sogenannten Eichpotentialen beschrieben. Diese Eichpotentiale erzeugen sogenannte unitäre Dynamiken bzw. Transformationen. Ich verzichte hier auf die genaue mathematische Definition der unitären Dynamik. Wichtig ist hier, dass diese Eichpotentiale Information in einem modellierten System erhalten. Lediglich zwischen Teilsystemen eines System kann Information verschoben werden. Derzeit ist die vierte Kraft, die Gravitation, die einzige Wechselwirkung, die Information zerstört, denn sie wird derzeit über die Allgemeine Relativitätstheorie beschrieben, die keine Eichtheorie ist.- In dem Glauben, dass alle Fundamentalkräfte auf Eichpotentialen beruhen, wird seit Jahrzehnten versucht, die Allgemeine Relativitätstheorie in eine Eichtheorie einzubetten. – Bisher ohne Erfolg.
Es gibt auch einige Wissenschaftler – darunter der Nobelpreisträger Roger Penrose – die überzeugt sind, dass sich Gravitation nicht durch eine Eichtheorie beschreiben lässt und dass gerade dies notwendig ist, damit unsere makroskopische Realität aus der Quantenwelt hervorgehen kann.– Die Gravitation sorge hiernach dafür, dass der typische Wellencharakter der Quantenwelt ‚kollabiert‘ und die makroskopische Welt entsteht. – Zum ‚Kollabieren der Wellenfunktion‘ verweise ich auf den nachfolgenden Text.

Ich habe das SU(3) Eichpotential der starken Wechselwirkung für die Beschreibung gesellschaftlicher Phänomene gewählt, weil die Nicht-Kommutativität unserer Entscheidungen damit abgebildet werden kann (man siehe hierzu die vorherigen Blog-Beiträge). Außerdem lassen sich die Bewusstseinsebenen des Spiral Dynamics Modells problemlos auf die Freiheitsgrade des SU(3) Potentials abbilden. Die kulturelle Information bleibt erhalten und wird lediglich von einem Teilsystem in ein anderes Teilsystem transformiert.
Das SU(3) Eichpotential hat ursprünglich vier Komponenten, eine Zeitkomponente und drei Ortskomponenten. – Mit Einführung der Relativitätstheorie vor mehr als 100 Jahren haben fast alle physikalischen Größen diese Vierer-Struktur bekommen. Jede der vier Komponenten wird durch die 8 Generatoren und jeweils 8 Parameterfunktionen modelliert. Jede Parameterfunktion kann zusätzlich von Ort und Zeit abhängen. – Also eine ziemlich komplexe Struktur… Man siehe hierzu den Anhang des ersten Blog-Beitrages dieser Reihe.

Das in den letzten Blog-Beiträgen verwendete kulturelle Eichpotential ist (derzeit) ein Modell, das nur eine Ortskomponente enthält. Diese Ortskomponente enthält die Zeit als Parameter, aber nicht den Ort, ist also ohne Ortsauflösung: D.h. ohne Länder, Regionen, Organisationen oder Teams; aber mit Zeitauflösung. – Das heißt, das QSD-Kulturpotential hängt bisher nur von der Zeit aber nicht vom Ort ab. Im letzten Blog-Beitrag habe ich also Deutschland als homogenes Land für den Zeitraum 2000-2025 beschrieben. Die Teilsysteme des Systems Deutschland sind ‚nur‘ die drei Agenten mit ihren Werte-Ebenen im Spiral Dynamics Modell: Blau, Orange und Grün.

Mit der Zeit-Komponente hat man die Möglichkeit unterschiedliche Zeitskalen bzw. Frequenzen für die drei verwendeten Spiral Dynamics Ebenen zu modellieren: Die Grüne Ebene ‚tickt‘ dann zum Beispiel anders als die blaue Ebene und die Kopplung der Uhren dieser Ebenen kann auch abgebildet werden. Dies könnte ein Thema für einen der nächsten Blog-Beiträge sein.

Mit meiner Wahl der Potential-Komponenten habe ich die einfachste Eichung für das Kulturpotential vorgenommen. – Die vorherigen beiden Blog-Beiträge haben meines Erachtens gezeigt, dass diese Eichung für die Modellierung gesellschaftlicher Phänomene schon aussagekräftige Ergebnisse liefert.    

Zur zweiten Frage: Die Frage nach der Abbildbarkeit von zwischenmenschlicher Resonanz mittels Wellenmechanik führt mich unmittelbar zu den Begriffen Kohärenz und Kohäsion. Ich definiere nämlich Resonanz als das Auftreten von Kohärenz und ggf. Kohäsion in der Wellenmechanik:

  • Kohärenz misst Synchronisation: Quanten oder Agenten schwingen im Takt, gleichzeitig oder versetzt. Über Phasenbeziehungen werden Quanten oder Agenten (bzw. deren Werte) in Superposition gebracht. – Es entstehen hieraus neue Zustände, die als Ganzes wirken und Interferenzen ausbilden.
  • Kohäsion misst Bindung: Quanten oder Agenten werden durch Kräfte oder Rahmenbedingungen (u.a. Strukturen und Institutionen) zusammengehalten. Dies erzeugt Stabilität und Ordnung.

Kohärenz und Kohäsion sind zwei unabhängige Größen, so kann zum Beispiel Synchronisation zunehmen, während Bindung abnimmt.

Ich verdeutliche Kohärenz und Kohäsion an einem Beispiel aus der Filmwelt: Es gibt sehr viele Filme, in denen zwei sehr ungleiche Personen durch einen meist unglücklichen Umstand (Rahmenbedingung) auf einander angewiesen sind, um eine Aufgabe zu meistern. Durch diese ungewollte Kohäsion beginnen sie nach einiger Zeit immer mehr ihre Handlungen aufeinander abzustimmen. Diese Form der Kohärenz führt dazu, dass sie besonders erfolgreich sind. Sie agieren als Team, also als Ganzes.

Oder ein anderes Beispiel: Bei einem Liebespaar wirkt die gegenseitige Attraktivität als Kohäsion und die Kohärenz stellt sich als gemeinsames Denken und Handeln (manchmal) danach ein.

Deshalb haben wir ehemals definiert, dass ein Team oder eine Organisation ein Collective Mind zeigt, wenn sowohl Kohäsion als auch Kohärenz vorliegen. – Für eine mathematische Definition der beiden Begriffe im Kontext der QSD verweise ich auf den Anhang.

Abbildung 1 gibt Beispiele aus der Physik und der Gesellschaft und verdeutlicht diese mittels der Einordnung in eine 2*2 Matrix für Kohäsion und Kohärenz.

Abbildung 1: Erstellt unter Mitwirkung von ChatGPT. Eine 2*2 Matrix für Kohäsion und Kohärenz zeigt Beispiele aus Physik und Gesellschaft. Die Physik Beispiele zu Laser und Supraleitung verwende ich oft in Management 4.0 Trainings, um die ‚unglaubliche‘ Leistung von kohäsiven und kohärenten Systemen zu verdeutlichen: Mit einem Laser können wir sehr große Energie auf kleinstem Raum bündeln, also zum Beispiel Stahlplatten durchschneiden. Die Supraleitung dient dazu, elektrische Ströme widerstandlos zu erzeugen. – In beiden Fällen muss man eine gewisse Energie in das System eingeben, um die gewünschten Effekte zu erzielen. Ich erläutere kurz was bei der Supraleitung geschieht: Spezielle Materialien werden auf sehr tiefe Temperaturen abgekühlt.- Um dies zu erreichen, benötigt man eine gewisse Energie. Die Gitteratome der Materialien zeigen bei sehr tiefen Temperaturen nur noch sogenannte Ruheschwingungen, man spricht von virtuellen Quanten, den Phononen. Zwei Elektronen treten über die Phononen in Wechselwirkung, sie bilden also eine Kohäsion aus. Liegt diese Kohäsion vor, ist die Voraussetzung geschaffen, dass sich ein (bosonisches) Elektronenpaar, das sogenannte Cooper-Paar, in Kohärenz ausbildet. In dem alle Cooper-Paare in einen gemeinsamen kohärenten Zustand übergehen, senkt sich die Energie noch weiter ab. – Es entsteht Supraleitung: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. – Dies ist wahrscheinlich das beste physikalische Beispiel für Kohäsion und Kohärenz.

Wie man aus Abbildung 1 entnehmen kann, tritt Kohäsion sowohl in makroskopischen Systemen (Festkörper) als auch in Quantensystemen (Supraleiter) auf. Kohärenz, wie wir sie gleich skizzieren, ist ein typischer Quanteneffekt: Die Wellen der Quanten wechselwirken miteinander. Ich benutze diesen Effekt der Wellenmechanik, um interfrierende Wechselwirkung der Entscheidungsfindung im Menschen (Quantum Cognition) und in der Kommunikation zwischen Menschen zu beschreiben. – Es ist (bisher?) lediglich ein Modell, das psychische und soziale Effekte hilft mathematisch zu erfassen. – Unter dieser Einschränkung stehen die Ergebnisse dieser Blog-Reihe!

Ich habe überprüft, inwieweit die Zuordnung der Basiszustände zu den Generatoren sowie die Zuordnung der Basiszustände zu den Werte-Farben und die Zuordnung der Parameterfunktionen zu den Generatoren einen Einfluss auf die bisherigen und nachfolgenden Ergebnisse haben:

Im QSD-Modell wird die gesellschaftliche Dynamik durch eine Zuordnung von Spiral Dynamics Farben zu quantenmechanischen Basiszuständen beschrieben. Diese Basiszustände sind nicht frei wählbar, sondern stehen in einem festen Zusammenhang mit den SU(3)-Generatoren, die das soziale Eichpotential aufspannen. Mathematisch gilt: Jede unitäre Permutation der Basis wäre erlaubt, weil sich die Generatoren konsistent transformieren lassen. Inhaltlich jedoch zeigt ein Permutationstest, dass nicht alle Zuordnungen von Farben zu Basiszuständen gleichwertig sind.
Die Referenzzuordnung der Zustände zu Blau, Orange und Grün repoduziert die Daten des Deutschland-Modells 2000 bis 2025 über die Zeit am konsistentesten. Andere Permutationen sind zwar formal korrekt, führen aber u.a. zu abweichenden Phasen- und Kohärenzverläufen, die mit den empirischen Entwicklungen in Deutschland von 2000 bis 2025 weniger gut in Einklang stehen.
Die Wahl der Zuordnungen entsteht also nicht durch eine willkürliche Setzung, sondern spiegelt eine Konsistenz zwischen mathematischer Struktur (Basis und Generatoren) und sozialer Interpretation (Farbwerte und Parameterfunktionen) wider. Sie liefert damit zugleich eine Validierung des Modells.

Die nachfolgende Formel zeigt die allgemeinste Form einer Superposition für den Werte-Zustand eines Menschen in dem vereinfachten QSD-Modell, bestehend aus den Ebenen Blau (b), Orange (o) und Grün (g). Die Argumente in den e-Funktionen sind die Phasen der Wellenfunktionen: Vergegenwärtigt man sich, dass die e-Funktion mit komplexem Argument auch mittels cos- und sin-Funktion dargestellt werden kann, so sieht man, dass über diese Wellen-Wechselwirkungen (u.a. Superpositionen und Interferenzen) entstehen:

     \begin{equation*} |\Psi_{\text{QSD}}(t,r)\rangle = c_b\,e^{\,i\,\theta_b(t,r)}\,|b\rangle \;+\; c_o\,e^{\,i\,\theta_o(t,r)}\,|o\rangle \;+\; c_g\,e^{\,i\,\theta_g(t,r)}\,|g\rangle \end{equation*}

Ѳ bezeichnet die Phasen, ist reel und hängt von der Zeit t und dem Ortsvektor r ab.

Jeder der Agenten mit einem der Anfangs-Werte Blau, Orange und Grün wird auf seinem Weg im Kulturpotential durch solch eine Gleichung beschrieben: Am Anfang der Simulation der vorherigen Blog-Beiträge haben die Agenten nur eine Ausrichtung in den Werten, sie sind Blau oder Orange oder Grün. Während sie sich durch das Kulturpotential bewegen, geht ihre Werte-Zusammensetzung jeweils in eine Werte-Superposition über.

Abbildung 2 zeigt die Phasenentwicklung der Agenten und die Agenten-eigene Kohärenz gemäß dem Deutschland-Modell 2000-2025 des vorherigen Blog-Beitrags.

Abbildung 2: Die Abbildung zeigt jeweils die Entwicklung der drei Phasen der drei Agenten A (Blau), B (Orange) und C (Grün) sowie die daraus abgeleitete Agenten-eigene Kohärenz im Zeitraum 2000 bis 2025. In den Phasenverläufen wird deutlich, dass sich die Agenten unterschiedlich stark von ihrer ursprünglichen Basis entfernen: Während bei Agent A die Komponenten zunehmend auseinanderlaufen und damit eine wachsende interne Spannung andeuten, zeigen die Phasen von Agent B eine Polarisierung zwischen Blau sowie Orange und Grün, die auf eine innere Spaltung des Werteprofils hindeutet. Agent C hingegen bleibt phasenmäßig elastischer und oszilliert ohne eine klare Drift, was auf eine höhere Anpassungsfähigkeit im Werte- und Bedürfnisraum schließen lässt. Im Kontext der QSD bedeutet dies, dass A und B auf stabile, aber polarisierte Erzählrichtungen zusteuern, während C eher eine vermittelnde Rolle einnimmt bzw. einnehmen kann.

Abbildung 3 zeigt Kohärenz und Kohäsion für das 3 Agenten System:

Abbildung 3: Diese Abbildung zeigt die Entwicklung von Kohärenz (oben) und Kohäsion (unten) im Deutschlandmodell 2000–2025. – Wir betrachten die drei Agenten Blau, Orange und Grün als Werte-Populationen mit einer 50%:30%:20% Verteilung.
Kohäsion bedeutet, dass Menschen ähnliche Themen bewegen, auch wenn sie unterschiedliche Narrative dazu haben. Kohärenz heißt, dass diese Themen in einer gemeinsamen Welle getragen werden, also in Resonanz geraten – sie teilen die gleichen Narrative.

Das Modell zeigt, dass die Gesamt-Kohärenz zwar zeitweise hohe Werte erreicht, jedoch bei zentralen Krisen – etwa Agenda 2010 (2004), Eurokrise (2012), Fluchtmigration (2016) und Energiekrise/Ukrainekrieg (2023) – tiefe Einbrüche erfährt. Die quantenmechanisch berechnete Kohäsion bleibt bei nahezu null, während die klassische Kohäsion (Bhattacharyya und Cosine) beständig belegt, dass es thematische Überschneidungen gibt.

Im Zusammenspiel ergibt sich: Wirtschaft, soziale Fragen oder Klima betreffen zwar alle, verlaufen aber in getrennten Erzählungen ohne dauerhaftes kollektives Narrativ. Ereignisse erzeugen kurzfristige Resonanz oder Brüche, doch keine stabile gemeinsame Phase. Deutschland zeigt somit thematische Kohäsion, aber keine narrative Kohärenz – also eine fragile Stabilität, die anfällig für Fragmentierung ist.

Ich beantworte also die zweite Frage, ob man soziale Resonanz zwischen Menschen mittels der Wellenmechanik der Quantenmechanik beschreiben kann, mit ja: Alle bisherigen QSD-Interpretationen sind konsistent und stimmen gut mit der Kultur-Realität in Deutschland überein.

Anhang

QSD Formeln und Erläuterung

Die nachfolgende Gleichung zeigt die QSD-Wellenfunktion in der allgemeinsten Form als Superpostion der Werte Blau, Orange und Grün. Jeder Agent wird durch solch eine Wellenfunktion beschrieben. Das Argument in der e-Funktion wird als Phase bezeichnet und ist für die Welleneigenschaften der Funktion verantwortlich: Eine imaginäre e-Funktion kann mittels cos- und sin-Funktion beschrieben werden, was den Wellencharakter sofort verständlich macht.  Am Anfang der Simulation zeigen die Agenten jeweils ein ‚reines‘ Werteprofil, also nur jeweils Blau, Orange oder Grün:   

     \begin{equation*} |\Psi_{\text{QSD}}(t,r)\rangle = c_b\,e^{\,i\,\theta_b(t,r)}\,|b\rangle \;+\; c_o\,e^{\,i\,\theta_o(t,r)}\,|o\rangle \;+\; c_g\,e^{\,i\,\theta_g(t,r)}\,|g\rangle \end{equation*}

Falls ein Mehr-Quantensystem, oder im Falle der QSD, ein Mehr-Agenten System vorliegt, beschreibt man dieses sehr oft mittels eines Dichte-Operators bzw. einer Dichte-Matrix. Dass es sich bei dem Dichte-Operator um eine Matrix handelt, kann man sehr schnell sehen, wenn man die rechte Seite der nachfolgenden Gleichung als Vektorprodukt eines Vektors mit seinem transponierten Vektor interpretiert:

     \begin{equation*} \rho_{\text{QSD}}(t,r) \;=\; |\Psi_{\text{QSD}}(t,r)\rangle \langle \Psi_{\text{QSD}}(t,r)| \end{equation*}

Man kann die Dichte-Matrix in einen Diagonalteil und einen Nicht-Diagonal-Teil zerlegen. Die Elemente des Nicht-Diagonal-Teils sind für die Kohärenz eines Quantensystems verantwortlich. Sind alle Nicht-Diagonal-Elemente null, geht das System in ein klassisches System über. – Es kollabiert. – Die nachfolgenden Gleichungen zeigen die Diagonal-Elemente und die Nicht-Diagonal-Elemente:

     \begin{equation*} \rho_{\text{QSD}}(t,r) \;=\; \rho_{\text{diag}}(t,r) \;+\; \rho_{\text{off}}(t,r) \end{equation*}

     \begin{equation*} \rho_{\text{diag}}(t,r) \;=\; |c_b|^2\,|b\rangle\langle b| \;+\; |c_o|^2\,|o\rangle\langle o| \;+\; |c_g|^2\,|g\rangle\langle g| \end{equation*}

     \begin{equation*} \rho_{\text{off}}(t,r) \;=\; \sum_{i\neq j \in {b,o,g}} \rho_{ij}(t,r)\,|i\rangle\langle j| \end{equation*}

     \begin{equation*} \rho_{bo}(t,r) \;=\; c_b\,c_o\*e^{\,i\big(\theta_b(t,r)-\theta_o(t,r)\big)} \end{equation*}

     \begin{equation*} \rho_{bg}(t,r) \;=\; c_b\,c_g\*e^{\,i\big(\theta_b(t,r)-\theta_g(t,r)\big)} \end{equation*}

     \begin{equation*} \rho_{ob}(t,r) \;=\; c_o\,c_b\*e^{\,i\big(\theta_o(t,r)-\theta_b(t,r)\big)} \end{equation*}

     \begin{equation*} \rho_{gb}(t,r) \;=\; c_g\,c_b\*e^{\,i\big(\theta_g(t,r)-\theta_b(t,r)\big)} \end{equation*}

     \begin{equation*} \rho_{go}(t,r) \;=\; c_g\,c_o\*e^{\,i\big(\theta_g(t,r)-\theta_o(t,r)\big)} \end{equation*}

     \begin{equation*} \text{(Hermitizität:)}\qquad \rho_{ji}(t,r) \;=\; \rho_{ij}(t,r)^{*}\, \end{equation*}

Agenten-eigene Kohärenz

Ich beschreibe die zeitabhängige Agenten-eigene Kohärenz über die sogenannte C1\ell_1-Kohärenz. Diese misst die Stärke der Superposition über die Nicht-Diagonal-Elemente der Dichtematrix:

    \begin{equation*}C_{\ell_1}(\rho) = \sum_{i \neq j} \big| \rho_{ij} \big|.\end{equation*}

Mean-Field Ansatz für die kollektive Kohärenz

Im Rahmen des QSD-Modells habe ich einen Mean-Field-Ansatz für die kollektive Kohärenz einer Agenten-Mischung eingeführt. Mit der Agenten-Mischung lassen sich Werte-Populationsmischungen einer Gesellschaft analysieren. Für Deutschland habe ich angenommen, dass 50% der Bevölkerung ein dominantes blaues Mem haben, 30% ein dominates orangenes und 20% ein dominates grünes Mem.

Zunächst definieren wir den kollektiven Zeiger als gewichtete Summe der Agentenzustände ψnC3\psi_n \in \mathbb{C}^3:

    \begin{equation*}\mu(t) = \sum_{n} w_n  \psi_n(t),\qquad \sum_{n} w_n = 1.\end{equation*}

Die Norm dieses Zeigers liefert den Ausrichtungsparameter R(t)R(t):

    \begin{equation*}R(t) = |\mu(t)|  \in [0,1].\end{equation*}

  • R(t)0R(t) \approx 0: die Agentenzustände heben sich gegenseitig auf → keine kollektive Ausrichtung.

  • R(t)1R(t) \approx 1: perfekte Ausrichtung → maximale Kohärenz.


Auf Basis von R(t)R(t) konstruieren wir die Mean-Field QSD-Dichte-Matrix:

    \begin{equation*}\rho_{\text{QSD}}(t) = \big(1-R(t)^2\big) \mathrm{diag} \big(p_{\text{avg}}(t)\big)+ R(t)^2  \frac{|\mu(t)\rangle\langle\mu(t)|}{\langle \mu(t)|\mu(t)\rangle},\end{equation*}

wobei pavg(t)=diag ⁣(ρmix(t))p_{\text{avg}}(t)=\mathrm{diag}\!\big(\rho_{\text{mix}}(t)\big) die klassische Durchschnittsverteilung über die Agenten bezeichnet.


Die Kohärenz wird mit dem C 1\ell_1-Maß über die Nicht-Diagonal-Elemente von ρQSD(t)\rho_{\text{QSD}}(t)berechnet:

    \begin{equation*}C_{\ell_1}(t) = \sum_{i\neq j} \big|\rho_{\text{QSD},ij}(t)\big|.\end{equation*}

Für die Mean-Field-Formel kann dies kompakt in Abhängigkeit von μ^(t)=μ(t)/μ(t)\hat{\mu}(t)=\mu(t)/\|\mu(t)\| geschrieben werden:

    \begin{equation*}C_{\ell_1}(t) = R(t)^2 \left[ \left(\sum_{i=1}^3 |\hat{\mu}_i(t)| \right)^2 - 1 \right].\end{equation*}


Damit ergibt sich eine natürliche Schranke für die Kohärenz:

    \begin{equation*}C_{\ell_1}(t) \leq 2 R(t)^2,\end{equation*}

wobei das Maximum genau dann erreicht wird, wenn alle drei Komponenten von μ^(t)\hat{\mu}(t) gleiche Beträge besitzen, also

    \begin{equation*}|\hat{\mu}_b| = |\hat{\mu}_o| = |\hat{\mu}_g| = \tfrac{1}{\sqrt{3}}.\end{equation*}

Quanten-Kohäsion (Overlap)
Dieses Maß berechnet die Überlappung zweier Zustände im Hilbert-Raum. Es ist sensitiv für Phasenbeziehungen und nimmt Werte im Bereich [0,1] an, wobei 1 volle Überdeckung (identische Zustände) bedeutet.
Im QSD-Kontext zeigt ein hoher Wert, dass Menschen nicht nur ähnliche Themen haben, sondern diese auch in gemeinsamer Phase und Resonanz bewegen – also ein Narrativ-Kollektiv bilden.

     \begin{equation*} \text{Cohesion}(t) = \frac{1}{\binom{N}{2}} \sum_{i<j} \big|\langle \Psi_i(t) | \Psi_j(t) \rangle \big| \end{equation*}

Bhattacharyya-Kohäsion
Dieses Maß berechnet die Ähnlichkeit zweier Wahrscheinlichkeitsverteilungen, indem es deren geometrisches Mittel bildet. Es liegt im Bereich [0,1] wobei 1 für identische Verteilungen steht. Hierbei sind p_i​ und q_i​ die klassischen Wahrscheinlichkeiten, dass die Agenten in den Basis-Zuständen i (z. B. Blau, Orange, Grün) gemessen werden.

Im QSD-Kontext bedeutet ein hoher Wert: Menschen bewegen ähnliche Themen mit vergleichbarer Stärke, auch wenn ihre Narrative unterschiedlich sein können.

     \begin{equation*} C_{\text{Bhat}}(p,q) = \sum_{i} \sqrt{p_i q_i,} \end{equation*}

     \begin{equation*} \quad p_i = | \psi_i |^2, q_i = | \phi_i |^2 \end{equation*}

Kosinus-Kohäsion
Dieses Maß betrachtet die Verteilungen als Vektoren und misst den Winkel zwischen ihnen. Werte nahe 1 bedeuten eine sehr ähnliche Richtung (also ähnliche Verteilungen), Werte nahe 0 zeigen starke Unterschiede. Auch hier sind p_i​ und q_i​ die klassischen Wahrscheinlichkeiten für den jeweiligen Basiszustand i.

Im QSD-Kontext beschreibt dieses Maß, ob verschiedene Gruppen ihre Themen in vergleichbarer Gewichtung anordnen – ob also die „Richtung der Aufmerksamkeit“ ähnlich ist, auch wenn die absolute Stärke variiert.

     \begin{equation*} C_{\text{Cos}}(p,q) = \frac{\sum_{i} p_i q_i}{\sqrt{\sum_{i} p_i^2},\sqrt{\sum_{i} q_i^2}} \end{equation*}

Agile Persönlichkeit und Kultur: Auf dem Weg zum Evidenzbasierten Agilen Projekt Management – Endlich?!

Die Zeitschrift PROJEKTMANAGEMENTaktuell hat auch dieses Jahr eine Ausgabe (Ausgabe 2/2021) dem Agilen Projekt Management gewidmet. Dieses Mal sind recht viele Beiträge von universitären Autoren enthalten. – Es ist erfreulich zu sehen, dass Agiles Projekt Management seit einigen Jahren zunehmend auch in der universitären Forschung einen Platz erhalten hat.

Insbesondere sticht aus meiner Sicht positiv der Beitrag von Schoper, Gertler und Fox hervor, der erstmalig den Einfluss von Kultur und Persönlichkeit auf das agile Arbeiten untersucht [1].  In diesem Blog-Beitrag widme ich mich diesem Artikel, da der Artikel ein sehr wichtiges PM-Thema wissenschaftlich untersucht und die Ergebnisse eine klare Praxis Relevanz haben. Gleichzeitig möchte ich die wissenschaftliche Vorgehensweise diskutieren und die abgeleiteten Ergebnisse beleuchten.

Von evidenzbasiertem Agilem Projekt Management spreche ich, wenn die Aussagen über die Wirklichkeit zu Agilem Projekt Management bzw. Agilem Arbeiten empirisch wissenschaftlich nachprüfbar sind. Wie ich noch diskutieren werde, bedeutet „empirisch wissenschaftlich nachprüfbar“ nicht automatisch, dass die Aussagen die intendierte Wirklichkeit beschreiben.

Ich fasse die wichtigsten Ergebnisse aus [1] zusammen und verzichte hier auf eine Einführung zum Persönlichkeitsmodell MBTI und zu Kulturmodellen nach Hofstede, Schein oder Spiral Dynamics. – Stattdessen verweise ich auf unsere Bücher [2, 3]:

Erstes Ergebnis: Die ideale agile Persönlichkeit hat die folgenden MBTI Persönlichkeits-Präferenzen: Introversion (Position 4), Intuition (Position 3), Feeling (Position 1) und Perceiving (Position 2). – In Klammern ist jeweils die Bedeutung der Präferenz, als Position, für die ideale agile Persönlichkeit angegeben. Die Persönlichkeits-Präferenz Feeling ist hiernach also am wichtigsten für eine ideale agile Persönlichkeit.

Zweites Ergebnis: Die ideale agile Landes-Kultur (oder nationale Kultur) zeichnet sich durch geringe Machtdistanz (Position 4), ein polychrones Zeitverständnis (Position 1), geringe Unsicherheitsvermeidung (Position 2) und Kollektivismus (Position 3) aus. – In Klammern ist jeweils wieder deren Bedeutung für agiles Arbeiten angegeben. Ein polychrones Zeitverständnis ist also hiernach am wichtigsten für eine ideale agile Landes-Kultur.

Drittes Ergebnis: Die Landes-Kultur ist deutlich einflussreicher als die Persönlichkeit für das Anwenden agiler Methoden. Die Bedeutung der Einflussfaktoren Persönlichkeit und Kultur hat folgende Positions-Ordnung: Polychron, keine Unsicherheitsvermeidung, Kollektivismus, Feeling, Perceiving, Intuition, Introversion, kleine Machtdistanz.

Einige dieser Ergebnisse decken sich mit vielen von mir in Coaching, Training und Beratung gemachten Beobachtungen, andere wiederum nicht und es gibt auch welche die ich als falsch ansehe.

Bevor ich zu den einzelnen Ergebnissen komme, möchte ich zuerst auf die wissenschaftliche Methode eingehen:

Die Ergebnisse wurden auf der Basis einer Befragung von 73 TeilnehmerInnen ermittelt. Die wesentliche Grundannahme, die sich hinter der Ableitung von wissenschaftlicher Erkenntnis durch Befragungen verbirgt, ist, dass die kollektive Intelligenz der Befragten bei sorgfältiger statistischer Analyse die „Wahrheit über die intendierte Wirklichkeit“ zu Tage fördert. Kollektive Intelligenz oder Collective Intelligence ist inzwischen ein anerkanntes Forschungsgebiet [4]. – Sie liegt unserer Management 4.0 Theorie und hier insbesondere der Theorie der Selbstorganisation zugrunde. Kollektive Intelligenz setzt jedoch bestimmt Systemparameter der Selbstorganisation voraus. – Man siehe hierzu Beiträge in diesem Blog oder in unseren Büchern [2,3].
Einfache, schon sehr lange bekannte Erfolge der kollektiven Intelligenz sind zu Schätzungen im Projekt Management bekannt. Diese Erfolge beruhen auf kollektiven Schätzungen von Experten, die sich nicht gegenseitig primen: Die Experten müssen über ein hinreichend homogenes Wissen zum Schätzgegenstand verfügen und dürfen nicht kollektiven mentalen Verzerrungen unterliegen.  – Mentale Verzerrungen werden u.a. aktiv in politischen Wahlen ausgenutzt. Passiv sind sie aber auch vorhanden, wenn die Befragten mentale Verzerrungen durch eine ähnlich geübte Praxis haben. Diese geübte Praxis kann z.B. dadurch entstehen, dass sie zur selben Berufsgruppe gehören und/oder über keine theoretische und praktische Ausbildung zum Themenbereich verfügen oder sie einfach nur zufällig vorwiegend zu gleichen oder ähnlichen Persönlichkeitspräferenzen neigen. Die Vorteile der kollektiven Intelligenz werden beim Schätzung im Projekt Management u.a. in der Delphi-Methode oder im Planning Poker genutzt.

In dem hier betrachteten Fall heißt die Grundannahme, dass die 73 TeilnehmerInnen ExpertInnen in den Bereichen Agiles Projekt Management, MBTI und Kultur sind. – Und, dass die TeilnehmerInnen über eine sehr gut Selbstreflexion verfügen, so dass die jeweiligen eigenen Persönlichkeitsprofile (MBTI-Temperament, Werte und Motive sowie Grundannahmen) die Ergebnisse nicht verfälschen. Falls dies beides nicht der Fall ist, sind die Ergebnisse fragwürdig. Die Grundannahme heißt also, dass die 73 Teilnehmer einen guten „proxy“ für die intendierte Wirklichkeit „agiles Arbeiten in Teams“ darstellen. 

Eine alternative empirische wissenschaftliche Vorgehensweise ist, eine Theorie zur Hochleistung in agilen Teams zu entwickeln oder aus der Literatur zu nehmen, um auf der Basis dieser Theorie Hypothesen zu formulieren. Anschließend werden Teams in der Praxis beobachtet, und die Hypothesen werden an den Beobachtungen getestet bzw. falsifiziert. Hier liegt Evidenz nach allgemeinem Verständnis nur vor, wenn eine hinreichend große Anzahl gleicher oder ähnlicher Teams beobachtet wird und die Ergebnisse der Beobachtung wissenschaftlich ausgewertet werden. Diese geschilderte Vorgehensweise ist in der praktischen Umsetzung sehr schwer. –  Es gibt für (agiles) Projekt Management oder für agil arbeitende Teams bisher meines Erachtens keine Begleitforschung, die dies tut.

Die im Management 4.0 skizzierte Vorgehensweise entspricht in großen Teilen dieser alternativen Vorgehensweise. Sie benutzt das Erfolgsfaktoren-Erfolgskriterien Modell zusammen mit einem wissenschaftlichen PDCA Zyklus: Theoriebildung – Hypothesenbildung – Testen – Ergebnisse sammeln und auswerten – anpassen der Theorie – usw. [2]. Das Sammeln und Auswerten der Ergebnisse erfolgt jedoch nicht nach quantitativen wissenschaftlichen Kriterien und ist damit nach allgemeinem Verständnis keine Vorgehensweise, die Evidenz erzeugt.

Die Vorgehensweise wie sie von [1] gewählt wurde, wird als Evidenz erzeugend angesehen, obwohl die Ergebnisse wie oben geschildert, die Sicht der Befragten (ggf. mit Verzerrungen) messen, also eigentlich nicht die intendierte Wirklichkeit. – Die intendierte Wirklichkeit ist nämlich die agilen Projektteams und deren unmittelbare Beobachtung. – Stattdessen erfolgen das indirekte Sammeln und Auswerten von Aussagen über den proxy „Teilnehmer der Studie“.

Ich halte die in [1] gewählte Vorgehensweise für diskussionswürdig und glaube, dass sie im hier vorliegenden Fall die intendierte Wirklichkeit nicht hinreichend gut erfasst.    

Um dies zu verdeutlichen, skizziere ich das Potential für Verzerrungen an einigen der Aussagen aus [1]. – Schauen wir uns hierzu einige Begriffe an, die die Befragten aus [1] als Experten bewerten mussten.

Zuerst die Aussagen zur idealen Kultur:

Eine geringe Unsicherheitsvermeidung ist mit Position 2 der Kulturpräferenzen ein sehr wichtiges Thema in der agilen Arbeit: Haben die Projektteilnehmer z.B. in einem Projekt Angst ihre eigene Meinung zu äußern, weil sie sich nicht gegen die Mehrheit stellen wollen oder hat das ganze Team Angst Neues anzugehen und frühe Ergebnisse zu zeigen, dann hat dies viel mit Unsicherheitsvermeidung zu tun. Schaut man in die Studie von Hofstede [2], so werden die Griechen als das Volk vermessen, das die höchste Unsicherheitsvermeidung hat. – Was man kaum glauben mag! Hierzu muss man wissen, dass die Messung von Hofstede im Berufskontext und dort wieder bei IBM Mitarbeitern gemacht wurde. Und die Griechen hatten zu dem Zeitpunkt der Befragung große Angst ihren Job zu verlieren. Die Messung und das aus meiner Sicht tatsächliche kulturelle Verhalten haben also nicht zwangsläufig etwas miteinander zu tun. – Die griechische Kultur zeichnet sich im Allgemeinen nach meiner Erfahrung nicht durch Unsicherheitsvermeidung aus. In den wenigsten Fällen dürfte Befragten dieser Zusammenhang bewusst sein. In diesem Fall hier kann man sich jedoch auf das übliche Verständnis von „Unsicherheitsvermeidung“ verlassen. – Auch nach meiner Erfahrung spielt die Unsicherheitsvermeidung eine sehr große Rolle, ob sie im vorliegenden Kontext mehr persönlich oder kulturell geprägt ist, kann ich aus meinen bisherigen Erfahrungen nicht ableiten. – Dies kann aber auch nicht aus den Daten aus [1] geschlossen werden. 

Schauen wir uns die Kultur Dimension „Individualismus-Kollektivismus“ an. – Sie steht auf Position 3 der kulturellen Präferenzen: Nach Hofstede haben gerade die Länder mit hoher Machtdistanz einen ausgeprägten Kollektivismus. – U.a. gehören China und Bangladesch in diese Kategorie.

Nach unserer Erfahrung gehört die Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Bindung (u.a. ausgedrückt über die Werte Familie, Liebe, Teamorientierung,…) zu den wesentlichen Elementen einer persönlichkeitsorientierten (agilen) Kommunikation. Wie in [2] dargelegt, zeichnet sich eine agile Kultur durch eine Präferenz für die Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Bindung und für die Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Lust und Unlustvermeidung (u.a. ausgedrückt durch Neugier, Innovationsbereitschaft) aus. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse nach Selbstwerterhöhung und -schutz (u.a. ausgedrückt über die Werte und Motive Macht, Status, …) sowie Orientierung und Kontrolle (u.a. ausgedrückt durch die Werte und Motive Ordnung, Sicherheit, Kontrolle) ist weniger wichtig. Das Modell der Grundbedürfnisse ist evidenzbasiert und beruht auf dem Konsistenzmodell der Neuropsychiatrie nach Grawe. Hieraus haben wir Aussagen zu Neuro-Leadership sowie zur Verbindung von Grundbedürfnissen und dem Kultur- und Bewusstseinsmodell Spiral Dynamics abgeleitet [2].
Die Kulturpräferenz Kollektivismus basiert in erster Linie nicht auf emotionaler Bindung, sondern auf sozialen Konventionen. Es zeigt sich in der Praxis internationaler Teams, dass Teammitglieder mit einer kollektiven und machtorientierten Ausprägung am Anfang sehr schlecht mit agilem Arbeiten zu Recht kommen. Es bedarf einer gewissen Zeit (Wochen oder Monate) bis sie in einem agilen Projektkontext die durch den Kollektivismus geforderte Anpassung ablegen. Das agile Wir ist nicht identisch mit dem Wir des Kollektivismus!

Die kulturelle Dimension monochrones-polychrones Zeitverständnis steht an Position 1 der kulturellen Präferenzen für agile Projektarbeit. Nach Wikipedia wird sie durch folgende charakteristische Verhaltensweisen beschrieben [5]:

MonochroniePolychronie
Eine Aufgabe nach der anderen erledigenviele Aufgaben gleichzeitig erledigen (Multitasking)
hohe Konzentrationhohe Ablenkung
Termine werden ernst genommenTermine haben keine Bedeutung
Orientierung an PlänenPläne haben keine Bedeutung
Störungen anderer werden vermiedenStörungen anderer werden in Kauf genommen
hohe Pünktlichkeitgeringe Pünktlichkeit (Verspätungen)
Methodische Arbeitdie Geduld geht leicht verloren
Tabelle: Monochrones-Polychrones Zeitverständnis [5]

 

Diese Charakterisierung von monochronem bzw. polychronem Zeitverständnis ist auch mein Verständnis. Das polychrone Zeitverständnis ist (leider) geübte Praxis in vielen Unternehmen. Polychrones Zeitverständnis heißt im Wesentlichen „Tanzen auf vielen Hochzeiten“. Diese kulturelle Dimension findet auch ihre Entsprechung in der Dimension Judging-Perceiving des Persönlichkeitsmodells MBTI: Man kann sehr schnell feststellen, dass Personen mit der Persönlichkeitspräferenz Perceiving ohne große Anstrengung viele Aufgaben im Multitasking erledigen. – Das „Tanzen auf vielen Hochzeiten“ findet man u.a. gerade in den Kulturen der Unternehmen wieder, die über viele Jahre durch einen Chef mit entsprechender Persönlichkeitspräferenz Perceiving geführt wurden.

Falls dies das Verständnis der Befragten in [1] ist, so ist dies das genaue Gegenteil von agilem Arbeiten. Die Begrenzung des WIP ist eine Kernvoraussetzung für agiles Arbeiten und ein Kontrollparameter der Selbstorganisation und damit eine Voraussetzung für Hochleistung. Das Time Boxing und die Iterationen sorgen gerade für die Ausrichtung auf eine Aufgabe. Da das Begriffspaar monochron-polychron diese „negative“ Ausrichtung hat, verwenden wir in unseren Veröffentlichungen [2, 3] das aus unserer Sicht besser passende Begriffspaar monochromes-polychromes Zeitverständnis. Ein polychromes Zeitverständnis konzentriert sich in einer Zeiteinheit nur auf eine Aufgabe, zeigt jedoch Offenheit für weniger Planung und mehr adaptives Handeln, d.h. u.a. dass durchaus ein Plan gemacht wird (siehe PDCA), jedoch auch wieder verworfen oder angepasst wird, wenn der Kontext es erfordert. Die Menschen werden durch das Time Boxing und die Iterationen vor schnellen ad hoc Anpassungen geschützt.

Kommen wir zu den Persönlichkeitspräferenzen:

Die Persönlichkeitspräferenz Introversion steht auf Position 4 der Bedeutung für agiles Arbeiten. Wie in [2] dargelegt, und von Kahneman empirisch wissenschaftlich belegt, unterliegt die Auswahl von Führungskräften oft einer Repräsentations-Heuristik, also einer mentalen Verzerrung: Personen, die schnell reagieren können und immer etwas zu sagen wissen, werden als durchsetzungsstark empfunden. Die Erfahrung zeigt, dass in Teams, in denen die Teammitglieder oft überwiegend introvertiert sind, z.B. in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen oder in der Softwareentwicklung, die Extroversion der Projektleiter ein zusätzliches Risikopotential darstellt: Expertenmeinungen kommen nicht hinreichend zur Geltung, was das Projekt nicht selten in eine Schieflage bringt. – Dies ist ein bekanntes Phänomen in (planbasierten) Projekten mit einem stark extrovertierten Projektleiter.

Deshalb schlagen wir auch für den PO eines Scrum-Teams eine eher extrovertierte Persönlichkeit vor und für den Scrum Master eine eher introvertierte Persönlichkeit. „Eher“ bedeutet hier, beide verfügen über eine hinreichende Selbstreflexion, um die andere Seite der Persönlichkeits-Dimension zu aktivieren. Dies heißt auch, dass es keine feste Position für die Bedeutung agilen Arbeitens gibt, sondern diese sehr stark vom Projektkontext und der ausgeübten Verantwortlichkeit abhängt. 

Die Persönlichkeitspräferenz Intuition ist auf Position 3. Die Bandbreite was unter Intuition zu verstehen ist, ist enorm. Intuition dürfte nahezu immer mit Abstraktion zu tun haben, also einer mentalen Operation der Erfassung des Ganzheitlichen oder Allgemeinen in wahrgenommen Details. Es geht um den Zusammenhang von Feinkörnigem und Grobkörnigem. Unsere in Hochleistungs-Teams gewonnene Erfahrung, ist eindeutig: Die Intuition kann ihre Macht nur entfalten, wenn das Grobkörnige und das Feinkörnige zusammenkommen. Die Intuition Einsteins lebt von der genialen Integration beider Seiten [2]: Dem Erfassen von Details und deren Verarbeitung und der ganzheitlichen integrierenden Sicht, die das Neue und das Wesentliche erfasst und zum Ausdruck bringt. Die Intuition die Faustregeln, Glaubenssätze und Grundannahmen erzeugt, funktioniert ähnlich, kann damit auch Komplexität regulieren, aber auch Verzerrungen hervorrufen. Kahneman sieht hierin eher die damit verbundenen Gefahren, Gigerenzer eher die Möglichkeiten zum Meistern von Komplexität [2].

Meines Erachtens ist das traditionelle (planbasierte) Mindset vorwiegend in den Details verhaftet. – Hierunter leidet das traditionelle Projektmanagement oft. Es wäre aber grundfalsch stattdessen nur die Intuition zu favorisieren. – Ein Hochleistungsteam benötigt beides, um der Genialität Einsteins im Team näher zu kommen. Die diversen Ausprägungen der Ziel-Hierarchie (Collective Mind Schema, Critical Chain PM Strategie Baum, Story Map, OKR’s) sind Ausdruck der Integration von Grobkörnigem und Feinkörnigem. – Sie ist notwendig, um in einem Team oder einer Organisation eine wertschaffende Ordnung hervorzurufen.

Die MBTI-Präferenz Feeling der MBTI Dimension Feeling-Thinking ist auf Position 1 der Persönlichkeitspräferenz für agiles Arbeiten. Diese Präferenz besagt, dass die Entscheidungsprozesse einer Person durch Beziehungen und weniger durch Logik beeinflusst werden. Das Grundbedürfnisse nach Bindung hat sicherlich etwas damit zu tun, jedoch trifft diese Dimension keine unmittelbaren Aussagen über die Bedeutung des Bedürfnisses nach Bindung bei der entsprechenden Person (man siehe auch meine Ausführungen zur Kulturpräferenz Kollektivismus). Was jedoch zutrifft ist, dass Personen mit dieser Präferenz in stärkerem Maße für Störungen in der Beziehung empfindlich sind. – Dies ist sehr hilfreich, um eine gute persönlichkeitsorientierte Kommunikation mit positiver Resonanz aufzubauen. Auch gilt hier wieder die schon für die anderen Dimensionen gemachte Aussage, dass ein gutes Team immer eine Ausgewogenheit von Feeling und Thinking Präferenzen haben sollte und die Teammitglieder über genug Selbstreflexion verfügen, um die positive Resonanz hervorzubringen. Ich füge hier an, dass ich in meinen Management 4.0 Trainings Persönlichkeits-Stereotypen für Product Owner (PM) und Scrum Master (SM) angebe. – Diese Stereotypen dienen lediglich der Orientierung und sollen nicht zum Ausdruck bringen, dass andere Persönlichkeitspräferenzen für die jeweilige Verantwortlichkeit nicht geeignet sind. Unter Berücksichtigung dieser Warnung gebe ich für den PO den Stereotyp ENTJ und für den SM den Stereotyp ISFP an. Hier kann man erkennen, dass der PO eher folgende Präferenzen haben sollte: Extroversion, Intuition, Thinking und Judging. Der SM sollte eher folgende Persönlichkeitspräferenzen haben: Introversion, Sensing, Feeling und Perceiving. Also, die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten erfordern unterschiedliche Persönlichkeitspräferenzen. – Es gibt hiernach nicht das! ideale agile Persönlichkeitsprofil! – Team-Hochleistung entsteht durch ein Team mit diversen Persönlichkeitsprofilen. Im planbasierten Projektmanagement hat man hierauf keinen Wert gelegt. – Im Agilen Management und insbesondere im Management 4.0 ist das ein sehr wichtiges Thema!

Die Persönlichkeitspräferenz Perceiving der Persönlichkeitsdimension Perceiving-Judging bringt das adaptive Eingehen auf jeweils gerade wirkende Kontexte zum Ausdruck. Die Teammitglieder mit der Präferenz Perceiving helfen unterschiedliche Perspektiven auf Kontexte auszubilden. Dies ist gerade am Anfang eines innovativen Projektes von enormer Bedeutung, wenn es darum geht einen Möglichkeitsraum für Ideen explorativ abzusuchen. Mit dem Voranschreiten eines Projektes kann dies jedoch zum Hindernis werden, wenn immer wieder neue Ideen die Umsetzung einer ausgewählten Idee torpedieren. Deswegen haben wir schon vor mehr als zehn Jahren empfohlen, die Teamzusammensetzung eines innovativen Projektes dem Projektfortschritt anzupassen [6]: Am Anfang sind mehr P-Persönlichkeiten im Team, in der Mitte des Projektes und zum Ende mehr J-Persönlichkeiten. Eine kulturelle Entsprechung zur Persönlichkeitspräferenz Perceiving ist die Kultur-Ausprägung polychromes Zeitverständnis. Das polychrome Zeitverständnis kann aber auch sehr schnell zu einem polychronen Zeitverständnis werden. Der Scrum Master sollte die Fähigkeit besitzen, sich adaptiv auf gerade wirkende Kontexte einzustellen; falls er dies jedoch unkontrolliert tut, also ohne Selbstreflexion kreiert sie oder er mit einem polychronen Zeitverständnis im Team Chaos! – Meine Erfahrung hat gezeigt, dass ein Team mit überwiegend P-Präferenzen genauso wenig Hochleistung erbringt wie ein Team mit überwiegend J-Präferenzen. – Die Diversität ist auch hier der Schlüssel für Hochleistung! Nach meiner Erfahrung ist planbasiertes Projekt Management sehr stark Judging orientiert, deshalb ist es sehr verständlich, dass Agiles Management mit der Präferenz Perceiving von den Studienteilnehmern als Gegenentwurf empfunden wird.   

Kommen wir zu der Aussage „Die Landes-Kultur ist deutlich einflussreicher als die Persönlichkeit für das Anwenden agiler Methoden.“

Dies kann ich aufgrund meiner Erfahrung nicht bestätigen. Meine Erfahrung hierzu lässt sich in folgenden Aussagen zusammenfassen:

Es spielen folgende Faktoren eine Rolle: Landes-Kultur, Organisations-Kultur und Persönlichkeit. – Diese Faktoren wechselwirken miteinander und bringen komplexe Muster hervor. In [2] haben wir dies an Beispielen illustriert und modelliert. Der jeweilige räumliche und zeitliche Kontext ist entscheidend, wann welcher dieser Faktoren welche Bedeutung hat.

In einem Unternehmen spielt die Organisations-Kultur oft die entscheidende Rolle. – Hierbei ist zu beachten, dass es in einem Unternehmen von Abteilung zu Abteilung unterschiedliche Kulturausprägungen geben kann. Dies kann in Teams deren Teammitglieder aus unterschiedlichen Abteilungen stammen zu erheblichen Problemen führen. Die Persönlichkeit spielt insoweit auch eine Rolle als der- oder diejenige, deren Persönlichkeit nicht zur Kultur „passt“ je nach Passung einen mehr oder weniger hohen Energieaufwand leisten muss: Da dieses Mitglied nicht „passt“ bleibt es unter seinen Möglichkeiten, empfindet Stress und im schlimmsten Fall Burn Out.

Die Landes-Kultur des Herkunft-Landes eines Teammitgliedes kann eine große Rolle spielen, wenn das Teammitglied im Herkunfts-Land verbleibt. Dies spielt bei virtuellen Teams eine größere Rolle als bei Präsenz-Teams. Der Einfluss der Landes-Kultur geht nach einiger Zeit (Wochen, Monate) jedoch deutlich zurück, wenn der Kontext durch eine andere Landes-Kultur, Organisations-Kultur und Team-Kultur überlagert wird. Zum Beispiel: Ein chinesisches Teammitglied, das in Deutschland lebt und arbeitet, und dessen Team eine persönlichkeitsorientierte resonante Kommunikation pflegt, wird nach einigen Wochen kaum noch im Verhalten durch die Landes-Kultur seines Herkunfts-Landes im Team geprägt werden. – Diese Aussage gilt im Normalfall nur für die Zeit, in der das Teammitglied in diesem Teamkontext verbleibt.

Die obigen Ausführungen sind Bestandteile unserer Trainings und wurden im Laufe von vielen Jahren immer wieder überprüft, konkretisiert und angepasst. Wichtig ist, dass alle Aussagen auf Theorien beruhen, die empirisch wissenschaftlich überprüft wurden. Die spezifische Anwendung auf agile Teams oder Organisationen erfolgte im Rahmen der Management 4.0 Entwicklung.

Die Arbeit von Schoper, Gertler und Fox stellt einen sehr wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar. Vielleicht können meine obigen Ausführungen dazu beitragen, weitere wichtige Schritte folgen zu lassen.

 

[1] Schoper Y, Gertler E, Fox K (2021) Der Einfluss von Kultur und Persönlichkeit auf agile Projektmanagementtechniken, PROJEKTMANAGEMENTaktuell, Ausgabe 2/2021

[2] Oswald A, Köhler J, Schmitt R (2017) Projektmanagement am Rande des Chaos. 2. Auflage, Springer, Heidelberg

[3] Oswald A, Müller A (2018) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices. BoD, Norderstedt, Release 3

[4] Wikipedia (2021) Kollektive Intelligenz, https://de.wikipedia.org/wiki/Kollektive_Intelligenz, abgerufen am 18.05.2021

[5] Wikipedia (2021) Polychronismus, https://de.wikipedia.org/wiki/Polychronismus, abgerufen am 18.05.2021

[6] Köhler J, Oswald A (2009) Collective Mind Methode. Springer, Heidelberg

Cultural Entropy: Corona deckt unsere Werte auf!

Seit vielen Jahren gehören Kulturmodelle zu meinen Handwerkszeugen [1], [2]. In [1] haben wir das Kulturmodell von Hofstede, das von Schein und das Bewusstsein- und Kulturmodell Spiral Dynamics integriert. Spiral Dynamics haben wir sogar mit dem Konsistenzmodell der Grundbedürfnisse der Neuropsychologie nach Grawe verbunden. Dies ist eine der wesentlichen Grundlagen von Agiler Führung 4.0.

Nach Jahren bin ich durch die GPM mal wieder mit dem Kulturmodell von Richard Barrett [3], [4] in Berührung gekommen. Barrett hat ehemals den Begriff „Cultural Entropy“ geprägt.- Als Physiker wollte ich etwas genauer wissen, was er unter Cultural Entropy versteht und ob ihm gelungen ist, woran schon einige gescheitert sind, nämlich den Begriff Entropie „sauber“ auf soziale Phänomene und sogar Kultur zu übertragen.

Dass es so viele Kulturmodelle gibt, hat nichts damit zu tun, dass das Thema Kultur eventuell schwierig zu fassen ist, sondern mit der Tatsache, dass die Modelle kommerziell genutzt werden und durch Copyright geschützt werden. Falls jemand, wie z.B. Barrett, mit einem (vorhandenen guten) Kulturmodell (kommerziell) arbeiten möchte, bleibt ihm meist nicht anderes übrig, als ein vermeintlich neues Modell zu kreieren. Dieses Modell unterscheidet sich aber nur geringfügig von den anderen Vorgängermodellen. So ist im Fall des Modells von Barrett der Bezug zu Spiral Dynamics und auch zur Dilts Pyramide im NLP mehr als nur offensichtlich; beide werden aber mit keinem Wort in [4] erwähnt.

Vor Jahren konnte ich dem Modell von Barrett nicht viel abgewinnen, inzwischen revidiere ich meine Ansicht weitgehend. Die Arbeiten des Barrett Value Center zeichnen sich durch folgende Ergebnisse bzw. Aussagen aus:

  • Tausende von „Werte-Vermessungen“ in Organisation belegen, dass Organisationen mit einem positiven Werteprofil über ökonomische Kennzahlen verfügen, die ca. 3-4mal besser sind als diejenige anderer Unternehmen. – Das deckt sich mit unseren Erfahrungen, man siehe hierzu [2].
  • Die „Werte-Vermessung“ unterscheidet zwischen „guten“ und sogenannten limitierenden Werten bzw. Verhaltensweisen. In der Abbildung unten ist das Barrett Bewusstseins- und Kulturmodell zu sehen. Die Evolutionsstufen des Modells haben eine sehr große Ähnlichkeit zu denjenigen von Spiral Dynamics. Die limitierenden Werte sind rot gekennzeichnet. Zu ihnen gehören: Level 1: Violence, Greed, Corruption, Control, Authoritarian, Caution; Level 2: Blame, Jealousy, Judgement, Conflict, Gossip, Being liked, Demanding, Internally competitive; Level 3: Arrogance, Status, Power, Rigidity, Long hours, Image. Wie man aus diesen Listen unschwer erkennen kann, verwendet Barrett auch limitierende Verhaltensweisen als Werte, was von der Systematik her nicht ganz sauber ist.
    Nur die Bewusstseins-Evolutionsstufen 1-3 enthalten hiernach limitierende Werte. Zu den “guten” Werten gehören u.a. aus dem Agilen Management bekannten Werte, wie Transparenz, Offenheit, Mut, Vertrauen usw.. – Die Ähnlichkeit geht auch noch weiter, denn auf den Ebenen 6-7 tauchen auch Begriffe aus dem Agilen Management auf wie Servant Leadership oder Meaning. – Man beachte welche enorm hohen Bewusstseins-Anforderungen damit an Agile Führungskräfte gestellt werden.
  • Sehr oft wurden die “limitierenden” Werte in der Kindheit grundgelegt und entspringen im wesentlichen verschiedenen Formen der Furcht. Barrett schreibt hierzu [4]: “Love is the great connector, whereas fear is the great separator.”
  • Das Verhältnis von limitierenden Werten zu allen Werten (also limitierenden plus “guten” Werten) über alle Mitglieder einer Organisation oder einer Gesellschaft ist gleich der Cultural Entropy. Das Verhältnis von limitierenden Werten zu allen Werten einer einzelnen Person wird als Personal Entropy verstanden. Deshalb wird die Cultural Entropy und die Personal Entropie auch über Prozent (%) angegeben. Man kann nachvollziehen, dass „limitierende“ Werte die Unordnung vergrößern oder besser die Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen. Im Management 4.0 reden wir davon, dass die Kontrollparameter (u.a. WIP sowie Persönlichkeitsorientierte Kommunikation, die u.a. Temperament, Motive, Werte und Grundannahmen berücksichtigt) schwer gestört sind und sich damit über einen Ordnungsparameter (also Sinn: Vision, Mission und Zweck) keine ganzheitlich nachhaltige sowie gleichzeitig adaptive Ordnung ausbilden kann. In diesem Sinne kann man mit etwas gutem Willen von Entropie-Erhöhung sprechen.
Barrett Value Modell und Spiral Dynamics Zuordnung
  • Barrett verortet die Ursache für Cultural Entropy wie kaum ein anderer Kulturmodell-Autor in der Personal Entropy. Er schreibt hierzu: “In my opinion, the root cause of all these corporate scandals is the short-term fear-driven values of the leaders, who are more focused on their own self-interest and the share price of the company than on caring for the long-term interests of investors…The Cultural Entropy score is a reflection of the Personal Entropy of the supervisors, managers and leaders of the organization, and the legacy of the Personal Entropy of past leaders which has been institutionalized into the structures, policies, processes and procedures of the organization… What I am effectively saying is that the culture of an organization is a reflection of the level of psychological development of the leader(s). Similarly, the culture of a department is a reflection of the level of psychological development of the director of the department, and the culture of a team is a reflection of the level of psychological development of the team leader.”
  • Die Fähigkeit bzw. Kompetenz mit Komplexität und der damit verbunden Unsicherheit umzugehen, hängt von der Verteilung an Werten ab: Sind lediglich Werte der Level 1-3 bei einer Person oder Organisation vorhanden, ist die entsprechende Kompetenz mit Komplexität umzugehen sehr gering. Barrett schreibt: “Low complexity work is best carried out by people who have not yet individuated, who are looking to satisfy their basic needs. Medium complexity work that requires initiative and is full of challenges is best carried out by those who have individuated. Highly complex work that requires a high degree of creativity and intuition is best carried out by those who are self-actualized and are now integrating or serving… Not everyone has the ability to attain full spectrum personal consciousness, and even fewer have the competencies to attain full spectrum leadership. This should not prevent us from trying to become the best we can become.” Er geht auch soweit zu sagen, dass die Kompetenz, die Stufen 1-7 des Bewusstseins zu erklimmen auch mit dem Alter wächst: Die Stufen 6 und 7 zu erreichen, behält er im Wesentlichen 60+-jährigen vor.
  • Die gesellschaftliche Verteilung auf die drei großen Kompetenzbereiche Socialied Mind, Self-Authoring Mind und Self-Transformation Mind, nämlich von ungefähr 50% : 30% : 20%, entspricht auch den „Messungen“ von Spiral Dynamics und deckt sich mit meinen Erfahrungen aus vielen Trainings und Coachings: Das Einsetzen des Self-Authoring Minds bezeichne ich als „es hat klick gemacht“. Er betont, dass es nur recht kleine Unterschiede in der Verteilung in Abhängigkeit von der Führungsebene gibt. Oder anders ausgedrückt, ca. 50% der Top-Führungskräfte eines typischen Unternehmens befinden sich nur auf Stufe 1-3 der Bewusstseinsmodells und erzeugen damit im gesamten Unternehmen durch ihre hohe Personal Entropy eine hohe Cultural Entropy.

Ich schließe mich diesen obigen Aussagen von Barrett im Wesentlichen an.- Sie decken sich mit meinen Erfahrungen aus Beratung, Training und Coaching. – Sie sind auch Teil meiner Management 4.0 Trainings. Das neue Training Metakompetenz Selbstorganisation 4.0 trägt diesem besonders Rechnung: Es ist aus dem Wunsche erwachsen, zur persönlichen und organisationalen Potentialentfaltung beizutragen, indem es die Bewusstseinsevolution anstößt [5].

Corona führt uns meines Erachtens eindringlich vor Augen, wo wir aktuell mit der Bewusstseins-Entwicklung der Gesellschaft stehen und welche Auswirkungen Megatrends wie Globalisierung und Konnektivität haben. Die Häufung von Epidemien oder sogar Pandemien und aktuell Corona haben sehr viel mit der Globalisierung und Konnektivität zu tun (u.a. wir reisen viel und gerne; wir müssen reisen, weil der Beruf es erfordert) und selbst die Reaktionsfähigkeit lokaler Systeme (u.a. Beschaffung von lebenswichtigen Waren wie Medikamenten, Nahrungsmitteln und Schutzmasken, Austausch anderer Waren wie Maschinen) ist hierdurch massiv betroffen.

Es gibt eine Welle von Hilfsbereitschaft und Solidarität, aber auch eine Welle von Verhaltensweisen, die durch Ich-Bezogenheit, Angst und Furcht (u.a. Hamsterkäufe, auch mit tätlicher Gewalt) aber auch Arroganz (u.a. Treffen in Parks, Corona-Parties, Autorennen bei Nacht auf leeren Stadtstraßen) geprägt sind. Hierzu zählen auch Verhaltensweisen, die Wissenschaft zu negieren, Fake News zu hofieren, einfache Schuldzuweisungen vorzunehmen oder sogar Personen aus Krisengebieten verbal oder tätlich anzugreifen. – Scobel hat hierzu ein sehr eindringliches Video verfasst [6].

Dieses Entropie-erzeugende Verhalten ist Ausdruck der Bewusstseinsstufen 1-3 und deren limitierender Werte bzw. Verhaltensweisen. – Diese Werte tauchen also nicht plötzlich auf, sie bestehen meistens (schon) viele Jahre und werden je nach Kontext und Zeit sichtbar. – Bei Gelegenheit gibt es Autorennen in Städten und fahren mit 50 km/h in Spielstraßen.
Scobel geht deshalb auch soweit zu fordern, dass Ausgangssperren kommen müssen, da das Bewusstseinsniveau vielfach nicht ausreicht sich selbst zu organisieren!

Plötzlich bekommen auch Personen wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder bundesweit Gehör – sie werden auch für ihre Entscheidungsfreude und Durchsetzungskraft gelobt. Jedoch ist Vorsicht geboten, denn es stellt sich die Frage, ob diese Personen aus einem Bewusstseinsniveau jenseits des Level 4 handeln (siehe Abbildung), oder ob sie handeln, weil ihre eigenen Werte, geprägt von Level 1-3, gerade zur aktuellen Situation passen, die einen „starken Mann“ oder „ eine „starke Frau“ fordert.- Im Donaukurier wird Söder mit der Überschrift „Gott schütze unsere Heimat“ zitiert [7]. – Ich habe starke Zweifel, dass dieses Zitat Ausdruck eines transformativen oder gar ganzheitlichen Bewusstseins ist!

Corona ist sicherlich eine nicht zu unterschätzende Krise, jedoch haben wir den Tipping Point und dessen Auswirkungen noch! weitgehend in eigener Hand; den Tipping Point des Klimas haben wir zwar jetzt hoffentlich auch noch in der Hand, jedoch wenn dieser! erreicht ist, dann gibt es kein Zurück mehr, und das für wahrscheinlich viele Generationen. – Ich messe unsere politische Führung an dieser Weitsicht!

 

[1] Oswald A, Köhler J, Schmitt R (2016) Projektmanagement am Rande des Chaos, Springer, Heidelberg

[2] Oswald A, Müller (Hrsg.) (2019) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices, Release 3, BoD Verlag, Norderstedt

[3] Barrett Values Center (2020) https://www.valuescentre.com/, zugegriffen am 20.03.2020

[4] Barrett R (2017) The Values Driven Organization, 2nd new edition, kindle, Routledge

[5] Oswald A (2019) Metakompetenz Selbstorganisation 4.0 im Blog https://agilemanagement40.com/metakompetenz-selbstorganisation-4-0, zugegriffen 20.03.2020

[6] Scobel G (2020) Corona – was es über unsere Gesellschaft verrät https://www.youtube.com/watch?v=G2BWraDlpFA

[7] Kain A (2020) Donaukurier,  https://www.donaukurier.de/nachrichten/bayern/Gott-schuetze-unsere-Heimat;art155371,4529305, zugegriffen am 22.03.2020