Agil oder adaptiv? Oder Management 4.0 = Complex Adaptive System Management?!

Die GPM Fachgruppe Normen und Standards im PM [1] trägt zurzeit in ihrer Arbeitsgruppe ‚Agiles Projektmanagement‘ Theorie und Praxis des Agilen Projekt Managements zusammen. Die Ergebnisse dieses Dialogs sollen in relevante Normierungsgremien von DIN, CEN und ISO einfließen.

Eine der aus dem ISO Kontext mitgebrachten Fragen lautet: „Gibt es Unterschiede zwischen Agilem und Adaptiven Management? Und welche Unterschiede sind dies?“

Der folgende Blog-Beitrag geht hierzu auf Spurensuche!

Spüre ich dem Verständnis von Agilem Management nach, so stoße ich fast immer auf ein vorherrschendes Verständnis: Agiles (Projekt) Management = Scrum, alleine oder hybrid-integriert in ein planbasiertes Projektmanagement.  Ich mache dies daran fest, dass in der überwiegenden Anzahl der Gespräche hierzu, sofort von Sprints, Product Backlog, Product Owner oder Scrum Master gesprochen wird, also speziellen Scrum Techniken! Sehr selten werden andere Techniken angeführt und noch viel seltener wird vom Agilen Manifest, von Mindset und Werten sowie Glaubenssätzen gesprochen oder dem Thema Governance. Der Begriff Selbstorganisation taucht zwar auf, jedoch wird keinerlei Zusammenhang zu dem universellen Prinzip der Selbstorganisation, als Governance, hergestellt. – PDCA oder PDIA [2] tauchen mit ähnlich geringer Häufigkeit in den Gesprächen auf, ganz zu Schweigen von Kontext, Empirie oder Komplexität. Agilität wird kaum als Balance von Flexibilität und Schnelligkeit gesehen (Agilität = Flexibilität * Schnelligkeit), und dementsprechend selten wird Agiles Management, als Management betrachtet, diese Balance herbeizuführen. Weiterführend verstehen wir im Management 4.0 Agilität als die Fähigkeit, Komplexität zu regulieren: D.h. sich mit der System-Komplexität, also der eigenen mentalen Komplexität oder der des Teams oder der der Organisation adaptiv auf die Komplexität des Umfeldes einzustellen und beide Komplexitäten, also von System und Umfeld, adaptiv wertschaffend zu meistern. Von diesem Verständnis ist das vorherrschende Verständnis Agilen (Projekt) Managements sehr weit entfernt. 

Umso erstaunlicher ist folgende Feststellung: Eine (erste) Recherche zu Adaptivem Management zeigt ein viel allgemeineres und tiefgehendes Verständnis. Der Begriff Adaptives Management hat es bis zur U.S. Agency for International Development (usaid.gov) gebracht und wird in einer discussion note ausgeführt [3], die auch in direkter Verbindung zum UK BOND Netzwerk steht, das Adaptives Management als ein zentrales Mittel für die erfolgreiche internationale Entwicklung sieht [4, 5]. – Nachhaltigkeit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Menschlichkeit, aber auch Komplexität, Selbstorganisation, und PDCA/PDIA spielen in beiden Dokumenten eine zentrale Rolle:  

“Adaptive management is defined in ADS 201.6 as “an intentional approach to making decisions and adjustments in response to new information and changes in context.” Adaptive management is not about changing goals during implementation, it is about changing the path being used to achieve the goals in response to changes. Like other donors and development organizations (see, for example, the following initiatives: Doing Development Differently, Problem-Driven Iterative Adaptation, Thinking and Working Politically, and The World Bank’s Global Delivery Initiative), USAID is increasingly recognizing the importance of adaptability for its work to be effective. ADS 201 now integrates adaptive management approaches throughout the Program Cycle. …“Manage adaptively through continuous learning” is one of the four core principles that serve as the foundation for Program Cycle implementation.”

Dies spiegelt den empirisch-wissenschaftlichen Hintergrund wider [6]:

„Adaptive management is a process that can improve management practices incrementally by implementing plans in ways that maximize opportunities to learn from experience. From: Models for Planning Wildlife Conservation in Large Landscapes, 2009”

Mein Verständnis von Management 4.0 beruht auf folgender Definition und schließt die obigen Ausführungen [3 ,4, 5, 6] zu Adaptivem Management ein:

Management 4.0 ist eine Führungs- und Management- Theorie und Praxis, um in einem komplexen und von Unsicherheit gekennzeichneten Handlungsfeld adaptiv und proaktiv agieren zu können. Sie ist gekennzeichnet durch einen agilen Mindset mit dem Fokus auf:

  • einer Führung, deren Grundlage das Lernen und die Selbstführung ist,
  • einer Führung, die auf den Grundbedürfnissen der Menschen fußt,
  • einer Führung, die die belebte und unbelebte Natur als Basis unseres Lebens schützt und respektiert,
  • einer Führung, die das Verständnis komplexer Systeme fordert, sowie deren Regulation durch ein iteratives Vorgehen fördert, 
  • einer Führung, die Menschen zur Selbstorganisation befähigt.
  • Damit ermöglicht sie Fluide Organisationen, die das anpassungsfähige und schnelle Liefern von nutzbaren Ergebnissen fördern und durch den proaktiven Umgang mit Veränderungen innovative nachhaltige Lösungen schaffen,
  • um wesentlich dazu beizutragen, dass alle Menschen in Würde in einem lebenswerten Umfeld leben, so dass sich das Bewusstsein unserer globalen Gesellschaft ständig integral weiterentwickelt.

Zusammenfassend stelle ich fest, dass Adaptives Management und damit Management 4.0, die Führung und das Management von Complex Adaptiv Systems [7] zum Ziel hat.

Die nachfolgenden drei Abbildungen illustrieren einige Aspekte dieser Definition und des damit verbundenen Verständnisses.

Abbildung 1 verdeutlicht „in einem komplexen und von Unsicherheit gekennzeichneten Handlungsfeld adaptiv und proaktiv agieren zu können“. Hiernach ist sowohl der Start als auch das Projekt-Ziel in einem gewissen Maße unbestimmt und der Weg vom Start zum Ziel ist von hoher Unsicherheit gekennzeichnet und erfordert mittels des PDCA/PDIA eine fortlaufende Adaption. Damit geht dieses Verständnis auch über dasjenige von [3] hinaus, in dem „changing goals“ explizit ausgeschlossen werden. – Das Goal wird im Management 4.0 über eine Ziel-Hierarchie abgebildet, und diese kann sich mit fortschreitender Erkenntnis auf allen Ebenen ändern. – Im Normalfall sollte die Änderung auf der obersten Ebene nur sehr selten und wenig erfolgen.- Die oberste Ebene stellt den am wenigsten sich ändernden Ordnungsparameter dar. Abbildung 1 ist für nicht wenige Projektmanager eine mentale Herausforderung, da sowohl Start als auch Ziel nur „fuzzy“ erfassbar sind.- Damit liegt für viele kein Projekt vor! Die Herausforderungen wie Corona oder Klimawandel illustrieren jedoch sehr eindrücklich die Unzulänglichkeiten dieses Projektverständnisses!

Abbildung 1: Vom fuzzy Projekt-Start zum fuzzy Projekt-Ziel, aus [8]

Abbildung 2 verdeutlicht den empirisch wissenschaftlichen Ansatz des Adaptiven Managements, der auch in [3, 4, 5, 6] enthalten ist. Am Beispiel des komplexen Umfeldes Corona können wir erkennen, wie über Jahrzehnte gelebte Praxis ohne Theorie zu Dummheit führt oder anders ausgedrückt zu mangelhafter Adaptionsfähigkeit und damit verbundenem mangelhaftem Adaptiven Management.

Abbildung 2: Der PDCA/PDIA im Management 4.0, aus [8]

Werden Theorien und Modelle einer Pandemie nicht verstanden oder politisch weichgespült, können keine relevanten Sozialtechniken abgeleitet werden, z.B. abgestimmte Regionalisierungsmodelle zur Pandemie, konsequente Datenerhebungs- und Auswertungs-Modelle gemäß den hypothetischen Erfolgsfaktoren, Ableitung der hypothetischen Erfolgsfaktoren (wie z.B. Einlasskontrollen und Prüfungen im Inland und an den Grenzen, usw.) sowie transparentes Adaptieren der Erfolgskriterien (wie z.B. Inzidenzen, Intensivbettenbelegung, mentale Verfassung der Gesellschaft, usw.). Stattdessen werden in kurzen Zeitabständen ohne Fundament adhoc Maßnahmen eingeführt, die kurze Zeit später schon wieder verworfen werden: Die politischen Amtsträger überbieten sich regelrecht in Aussagen wie „Ich bin der Meinung, dass…“. Meinungen entbehren jedoch oft der Tragfähigkeit; sie finden sich jedoch oft kurze Zeit später als weitere Corona Regeln in einem Wirrwarr von anderen Corona Regeln. Adaptionsfähigkeit verkommt zum Spielball von Interessen oder auch zur Dummheit: Dies ist keine Adaptionsfähigkeit, genauso wenig wie Agilität!

Abbildung 3 verdeutlicht die Verwendung des obigen PDCA/PDIA Zyklus am Beispiel des Management 4.0 Handlungsrahmens Collective Mind [9]:

Abbildung 3: Der PDCA/PDIA aus Abbildung 2 umgesetzt für den Handlungsrahmen Collective Mind [9] im Management 4.0.

Im Handlungsrahmen Collective Mind werden Theorien und Modelle aus wissenschaftlichen Theorie übernommen und auf den jeweiligen Projektkontext als Sozialtechniken adaptiert (in Abbildung 3 sind nur einige Theorien und Modelle als Beispiele angeführt). Die Sozialtechniken gestalten die hypothetischen Erfolgsfaktoren aus, die wiederum die hypothetischen Erfolgskriterien beeinflussen sollen. Diese spezielle Form des Projektdesigns wird adaptiv in Iterationen mittels PDCA/PDIA überprüft und angepasst.

Der PDCA bzw. PDIA wurde nicht von der agilen Community erfunden, jedoch vielleicht erstmals entsprechend seiner Bedeutung verstanden und eingesetzt. Er ist die Basis jeglichen agilen Handlungsrahmens und des Adaptiven Managements. Seit kurzem verwenden immer mehr Anwendungsfelder dieses einfache Modell in verschiedenen spezifischen Ausprägungen. – Stellvertretend hierfür erwähne ich nur zwei sehr unterschiedliche Bereiche, die dies auf den ersten Blick nicht vermuten lassen: Das Sicherheits-, Gesundheits- und Arbeitsschutz-Management gemäß ISO 45001 [10] und das Data Science Analyse Modell gemäß des CRISP-DM Standards [11].  

Im Management 4.0 verwenden wir die aus der Veränderungsarbeit des NLP bekannte Dilts Pyramide zur Charakterisierung von sozialen Systemen, also auch von Handlungsrahmen des Management 4.0 [12]. Die nachfolgende Tabelle charakterisiert Management 4.0 und den dort auch enthalten Handlungsrahmen Scrum:

 

Management 4.0 = Complex Adaptive System Management

Scrum = Agiles Management

Vision, Mission

Wir und unsere sozialen Systeme respektieren Mensch, Tier und Natur und wir sorgen uns um deren Integrität in unserem gesamten Handeln!

Wir sorgen dafür, dass die Arbeitswelt menschenwürdig wird und bleibt!

Mit Empirie lösen wir im Team jede komplexe Aufgabe.

Zugehörigkeit

Wir gehören zu denen, die Komplexität als Basis des Seins verstehen und als Geschenk begreifen, das man annimmt, in dem man es immer besser erfassen lernt.

Wir gehören zu denen, die eine komplexe Aufgabe lösen, in dem sie früh und häufig liefern.

Identität

Wir sind Modellierer unserer Arbeitswelt und sorgen mit Social Technologies für Synergien mit den Physical Technologies.

Wir sind Problemlöser, die ihre Kunden respektieren und Respekt vom Kunden erwarten.

Werte, Glaubenssätze

•       Fokus und Offenheit, Mut und Respekt, integrale Ganzheit und transzendentale Nachhaltigkeit

•       Theorie und Praxis gehören zusammen, Praxis ohne Theorie ist Dummheit: Nichts ist so praktisch, wie eine gute Theorie.

•       Selbstorganisation ist ein universelles Prinzip: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.

•       Die universellen Prinzipien sind fundamental für unser gesamtes Sein.

Werte: Transparenz, Fokus, Mut, Offenheit, Selbstverpflichtung, Respekt

Arbeitstechnik-Prinzipien: Timeboxen, Überprüfen und anpassen, frühe und häufige Lieferungen, Transparenz schaffen, ermächtigte selbstorganisierte Teams

Fähigkeiten

Selbstreflexion und Leadership, Modellierung und (systemische) Metakompetenz

Adaption mittels Iterationen im (wissenschaftlichen) PDCA: Erfolgskriterien-Erfolgsfaktoren; Theoriebildung-Hypothesenbildung-Social Technologies/Sozialtechniken-Empirie-Theorieanpassung…

Scrum-Team-Kompetenz: Product Owner -, Scrum Master -, Developer- Kompetenz, Kundenorientierung durch entsprechende Dienstleister-Kompetenz

Verhalten

Ständiges adaptives Verhalten auf der Basis der M 4.0 Fähigkeiten

Scrum-Handlungsrahmen: Aufgabenorientierung (Backlog definiert die Aufgabe), iterative Vorgehensweise, Arbeiten im Team

Kontext

Komplexes System-Umfeld, das durch Unüberschaubarkeit und Unvorhersehbarkeit gekennzeichnet ist.

Eine komplexe Aufgabe ist umzusetzen und das möglichst schnell und zur Zufriedenheit des Auftraggebers/Kunden

Tabelle 1: Management 4.0 und Scrum verglichen mittels der Dilts Pyramide

Wir bezeichnen die Ausprägungen aller Ebenen der Dilts Pyramide als Mindset. – Wie man unschwer erkennen kann, ist das Scrum Mindset im Management 4.0 Mindset enthalten, jedoch geht dieses weit über dasjenige von Scrum hinaus.

Damit beantworte ich abschließend unsere Eingangsfrage: Setzt man Agiles Management mit Scrum gleich, was oft geschieht, so ist Agiles Management nur eine spezielle Ausprägung Adaptiven Managements, insbesondere wenn man dieses verallgemeinert als Complex Adaptiv System Management, wie im Management 4.0, versteht.

 

[1] Fachgruppe Normen und Standards im PM der GPM (2021) https://www.gpm-ipma.de/know_how/fachgruppen/themenfokussierende_fachgruppen/normen_und_standards_im_pm.html

[2] Wikipedia (2021) PDCA, https://en.wikipedia.org/wiki/PDCA

[3] USAID Learning Lab (2021) Adaptive Management,  https://usaidlearninglab.org/lab-notes/what-adaptive-management-0 und https://usaidlearninglab.org/library/discussion-note-adaptive-management

[4] BOND (2021) Adaptive Management, https://www.bond.org.uk/resources/adaptive-management-what-it-means-for-csos

[5] Wikipedia (2021) Adaptive Management, https://en.wikipedia.org/wiki/Adaptive_management

[6] ScienceDirect (2021) Adaptive Management, https://www.sciencedirect.com/topics/earth-and-planetary-sciences/adaptive-management

[7] Wikipedia (2021) Complex Adaptive System, https://en.wikipedia.org/wiki/Complex_adaptive_system

[8] Oswald A, Köhler J, Schmitt R (2016) Projektmanagement am Rande des Chaos,  auch in englischer Sprache verfügbar: (2018) Project Management at the Edge of Chaos, Springer

[9] Köhler J und Oswald A (2009) Die Collective Mind Methode, Springer

[10] Wikipedia (2021) CRISP-DM, https://en.wikipedia.org/wiki/Cross-industry_standard_process_for_data_mining

[11] Wikipedia (2021) ISO 45001, https://de.wikipedia.org/wiki/ISO_45001

[12] Oswald A und Müller W (editors) (2019) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices, Release 3.0“, BoD 

Vom Projekt Corona oder von der Governance-freien Politik

Ich trage mich schon seit einigen Monaten mit dem Gedanken, diesen Blog zu schreiben. – Auslöser, es jetzt zu tun, ist die Erfahrung, die ich in den letzten Monaten und Wochen mit der Betreuung meiner 89-jährigen Mutter in einem Seniorenheim gemacht habe: Es vergehen Wochen und Monate in denen wir einen nur sehr eingeschränkten Zugang zu ihr bekommen. Zwischendurch haben sich recht viele Krankenhausaufenthalte ereignet, manche auch wochenlang in denen kein persönlicher Kontakt bestand. – Hinzu kam, dass meine Mutter sich, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, das COVID-19 Virus im Krankenhaus eingefangen hat und daraufhin auch noch mehrere Wochen in Quarantäne musste. Ich habe mir die Frage gestellt, ob dies alles wirklich notwendig ist, oder eher vermeidbar wäre, denn menschenwürdig ist es auf keinen Fall. – Aus meiner Sicht geschehen zu viele Fehler bei der COVID-19 Bekämpfung. – Die Sinnhaftigkeit verschiedener Bekämpfungs-Maßnahmen will sich mir nicht erschließen, weil ich diese mit jenen Fehlern verbinde.

Die letzten Monate habe ich mir vermehrt die Frage gestellt habe, ob ein Unternehmensprojekt, all die unglaublichen Fehler der letzten Monate verkraften würde?

Aus diesem Grunde tue ich jetzt einmal so, als ob die COVID-19 Bekämpfung ein Projekt, mit dem Namen Corona, wäre.

Bei der Anwendung des (Projekt-) Namens „Corona“ wurde schon der erste große Fehler begangen: Aus dem (Projekt) Management, dem Coaching und der Psychotherapie wissen wir, dass Menschen ganz schlecht mit negativen Aussagen umgehen können. Negative Aussagen bewirken keine Veränderung, sie verhindern diese sogar. Als die Entdecker von COVID-19 dem Virus auch den Namen Corona gegeben haben, hatten sie sicherlich keine wirklich negative Assoziation im Sinn. Man muss heute schon sehr lange bei google scrollen, um auf den Wikipedia Eintrag zu Corona (Antike) als Ehren- und Siegeskranz zu stoßen [1]. Heute wird Corona sicherlich nicht mit etwas Positivem, nämlich Ehre und Sieg, verbunden, sondern mit Einschränkungen, Unsicherheit, Angst und Freiheitsentzug.
Ein gutes Projektteam nimmt zu Projektbeginn eine Einschätzung mittels des Stacey-Darstellung und/oder dem Diamantmodell vor, um im Projektteam eine gemeinsame Sicht auf das Projekt zu erhalten [2]. Im Fall des Projektes Corona käme man wahrscheinlich sehr schnell zur Einschätzung, dass es sich um ein Projekt mit sehr hohem Innovationsgrad und sehr hohem Missionsgrad handelt. Es handelt sich also um ein Transformationsprojekt, das sich auch technologisch auf völligem Neuland bewegt. Nimmt man das Diamantmodell als Erweiterung hinzu, so würde man das Projekt als Krisenprojekt einstufen, das zudem auch noch alle Subsysteme des Systems BRD erfasst. Man spricht in diesem Fall von chaotischen Projekten, Projekten also, die immer die Gefahr in sich bergen, aus dem Ruder zu laufen und dieses „aus dem Ruder laufen“, wenn es denn einmal passiert ist, nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Diese Erkenntnis ist jetzt sicherlich nicht überraschend, aber ein gutes Projektteam wüsste, dass damit der Einstieg in eine systematische Analyse dieser Projektdimensionen vorzunehmen ist, dass die Einschätzungsskalen kontinuierlich anzupassen sind und, dass nur „auf Sicht gefahren“ werden kann. Das Projektteam wüsste aber auch, dass der Projektname positiv aufgeladen werden muss! – Ein Projektname mit negativer Aufladung erzeugt bei jedem Stakeholder (Interessensvertreter) nur Aversionen. Jetzt wird der ein oder andere sagen, wie sollte man so ein Projekt positiv aufladen? Nämlich damit, dass man nicht das Virus mit Corona assoziiert, sondern stattdessen „Ehre und Sieg“ und damit all die Chancen, die sich daraus ergeben: Erweiterung des Schul- und Universitätssystems um Online-Angebote, weitere Verbesserung der Digitalisierung der Verwaltung (u.a. wäre das RKI nicht mehr via FAX an die lokalen Gesundheitsämter angebunden), Stärkung lokaler wirtschaftlicher Angebote, Homeoffice, deutliche Verbesserung der Nachhaltigkeit, Erweiterung und Verbesserung demokratischer Mechanismen, Verbesserung des Gesundheitssystems…usw. also alles Themen, die aktuell über uns hereingebrochen sind, jedoch eben nicht bewusst gestaltet wurden. Und damit hat die Politik einen wichtigen mentalen Anker für die Transformationsarbeit, nämlichen die positive Assoziation, die mit dem Projektnamen verbunden werden könnte, verspielt!  – Dies ist ein „universelles“ negatives Muster in Projekten.

Der Weg zurück in den Vor-Corona-Zustand macht keinen Sinn. Wie die Bertelsmann Stiftung in einer ihrer letzten Studien darlegt, sind „Viele Staaten schlecht auf Zukunft vorbereitet“ [3]. – Es macht also keinen Sinn, dem Vergangenen nach zu weinen. – Es macht Sinn, die Zukunft mit Corona zu gestalten!

Ein weiteres wichtiges Kennzeichen erfolgreicher Projekte ist die Kompetenz der Projektteammitglieder. – Schauen wir uns die Krisen der letzten Jahre an: Flüchtlingskrise, Finanzkrise aber auch der Umgang mit der Griechenlandkrise oder der Umgang mit BER oder Elbphilharmonie.- Immer wieder lässt sich ein Muster erkennen: Die Politiker halten sich für sehr kompetent, teilweise von Hybris gesteuert. – Man stelle sich nur vor, der amerikanische Präsident hätte sich angemaßt, die Bewältigung des Ölkatastrophe der Deepwater Horizon selbst zu leiten [4]. – Auch dann, wenn eine Krise im politischen Raum stattfindet, sollte nicht geschlussfolgert werden, dass deren Bewältigung (allein) in die Hände von Politikern und Verwaltungsexperten gelegt wird, da ja für die Bewältigung angeblich keine spezielle Kompetenz (oder allenfalls politische) notwendig sei: Der Transport des COVID-19 Impfstoffes in „Campingboxen“ wirft ein Schlaglicht auf das Thema Kompetenz [5]. Es gibt derzeit kein Indiz dafür, dass dies nur ein Einzelfall ist und nicht etwa die Spitze vom Eisberg. Die Beschaffung von Schutzkleidung und Masken, den Schnelltests oder die Beschaffung der Impfstoffe geht in dieselbe Richtung. Es ist der Politik dringend anzuraten, sich multifunktional beraten zu lassen und die Beratung nicht auf dem Scheiterhaufen von persönlichen und parteipolitischen Eitelkeiten oder Machtinteressen zu opfern: Im Falle des Projektes Corona gehören zumindest Virologen, Epidemiologen, Projektmanager, Logistiker, Sozialwissenschaftler, Psychologen und Aritificial Intelligence/Data Science Spezialisten mit ins erweiterte Team. Es ist eine völlig irrige Annahme, die wir gerade in Unternehmensprojekten beginnen zu überwinden, dass Spezialisten nur in die operativen Einheiten gehören. Entscheidungen von großer Tragweite sind immer auch an das Spezialwissen der Experten gebunden. Im Agile Management weiss man, dass das „große Bild“ und die Details wirklich gut verbunden werden müssen. – Ja, dass die Details das „Große Bild“ oft massiv verändern und vice versa. Falls die Hybris „großer Bild“-Träger dies nicht zulässt, ist in chaotischen Projekten das selbstgemachte Chaos nicht weit. – Unlängst konnte ich im Spiegel lesen, dass die verschiedenen Chefs der Staatskanzleien „rund um die Uhr“ arbeiten [6]. – Jeder Projektmanager kennt dieses Muster, es kommt für kurze Zeit in jedem komplexen oder chaotischen Projekt vor; dauert es jedoch an, so ist dies kein Zeichen für Engagement mehr oder Projektnotwendigkeit, sondern für eine Reihe angehäufter Fehlentscheidungen, die eine immer größer werdende Lawine an ad hoc Aktivitäten notwendig machen: Wurden zum Beispiel Fehlentscheidungen bei der vertraglichen Reservierung von Impfstoffen getroffen, so erfordert dies ein Nachsteuern mit enormen Aufwand und zusätzlich sind diverse Stakeholder durch ein Meeting nach dem anderen zu beruhigen. Da das Nachsteuern wahrscheinlich nicht so funktioniert wie nachträglich gedacht, ergeben sich weitere Meetings mit noch mehr Aufwand usw.– Auch dies ist ein „universelles“ negatives Muster in Projekten. 

Kommen wir zur Projektorganisation: Für mich ist nicht erkennbar, dass es einen Projektleiter oder eine Projektleiterin (z.B. die Bundeskanzlerin, die durch einen Projektmanager unterstützt wird) gibt. Falls man die Länderchefs als Teilprojektleiter ansehen würde, so hätte man so etwas wie eine Projektorganisation. Aus dem Unternehmenskontext weiß man aber auch, dass Chefs, die gewohnt sind, die Linie zu führen, sehr selten auch gute Projektleiter oder Teilprojektleiter sind. Der Wert Macht und das Ego spielen meistens eine zu große Rolle. Hinzukommt, dass Teilprojektleiter mit zu großem Ego und Machtanspruch, gemeinsame Entscheidungen torpedieren und gemeinsam getroffene Entscheidungen untergraben. – Genau das passiert ja aktuell immer wieder im Projekt Corona. Dies ist pures Gift für die Krisenbewältigung. Denn diese nicht problembezogenen Strukturen und Persönlichkeiten binden viel Energie, die der eigentlichen Aufgabenstellung entzogen wird und es kommt noch ein zusätzlicher Aspekt hinzu: Die nicht problembezogenen Strukturen und Persönlichkeiten bringen zusätzliche Risiken und Unsicherheiten in das Projekt. Zum Beispiel führen die unterschiedlichen Aussagen und Maßnahmen zu einer Verwirrung unter den Stakeholdern, also den Bürgern der BRD. Jeder Projektleiter, der schon einmal ein Projekt mit hohem Transformationsanteil geleitet hat, weiß, dass viele unterschiedliche Meinungen und Maßnahmen, die sich teilweise sogar widersprechen, zuerst Verwirrung auslösen. Dauert dies an, so führt dies zu Unsicherheit und schließlich zu Angst. Angst verhindert jegliche Transformation. Meine These ist, dass die Politiker und diejenigen die sich im öffentlichen Raum immer wieder berufen fühlen, ihre Meinung kundzutun, über diesen Mechanismus unbewusst ganz erheblich zur Verbreitung der Verschwörungsideologien beitragen. Verschwörungsideologien sind bei Menschen, die Sicherheit und Struktur brauchen und sich durch einschränkende Maßnahmen in ihrer Freiheit bedroht fühlen, das Ventil, um diese Angst abzuleiten.
Falls in den Teilprojekten, also hier in den Ländern, unterschiedliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus durchgeführt werden, so erzeugt dies nicht nur diese mentale Verwirrung und schließlich Angst, sondern es ist fast unausweichlich, dass mit der unterschiedlichen Behandlung innerhalb der Teil-Systemgrenzen (also innerhalb der Länder) ein Schnittstellenmanagement notwendig wird. – Eine Notwendigkeit, die nichts mit dem Problem „Virus“ zu tun hat, sondern durch die vorhandenen Strukturen hervorgerufen wird. – Auch dies sind „universelle“ negative Muster in Projekten. 

Ein komplexes bzw. chaotisches Projekt zeichnet sich weiterhin dadurch aus, dass dessen Start fuzzy ist, der Weg zum Ziel fuzzy ist und das Ziel auch sehr lange fuzzy bleibt.  Jeder gute Projektleiter, jedes gute Projektteam, weiß dies und geht sehr sorgsam mit Prognosen um, denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass morgen die Prognose schon veraltet ist. Um so schlimmer sind Prognosen mit konkreten, aber nicht validierten Aussagen bzw. Zahlen: Z.B. Morgen oder in 3 Monaten haben wir das Virus besiegt (oder nicht besiegt) oder bis Ende 2021 werden 100.000 Menschen gestorben sein oder wir brauchen nicht mehr als 10 Mio. Impfdosen usw.. Wir lieben einerseits die Genauigkeit und verbinde sie mit Professionalität, andererseits hassen wir sie, wenn die Aussagen nicht eintreffen. Denn dies führt zu einer weiteren Verunsicherung, Unsicherheit und Angst und damit in den Teufelskreis der mentalen Ausweglosigkeit. Es ist eine Metakompetenz der Projektführungskräfte, genau diese Zusammenhänge zu erkennen und ggf. das eigene Ego mal nicht zur Schau zu stellen. Oder vielleicht die eigene Angst nicht dadurch in den Griff bekommen zu wollen, dass Horrorszenarien geschürt werden, um eine Veränderung zu erzwingen, die wieder Ordnung und Kontrolle garantiert. Horrorszenarien führen vielleicht am Anfang zu Verhaltensänderungen, aber auf keinen Fall zu langfristigen Veränderungen und schon gar nicht, wenn sie quasi im Sekundentack von allen möglichen Experten in unterschiedlichsten Formen geäußert werden.  – Auch dies ist ein „universelles“ negatives Muster in Projekten.

Am Anfang des Blogs, in Zusammenhang mit dem Projektnamen, habe ich kurz erwähnt, dass Projekte Sinn brauchen: Dies gilt insbesondere für komplexe (Innovations- und Transformations-) Projekte mit vielen betroffenen Stakeholdern. Aus diesem Grund spielt die sogenannte Ziel-Hierarchie eine so enorme Rolle in solchen Projekten. – Im Idealfall konkretisiert die Ziel-Hierarchie vom „Big Picture“ zum Detail die emotionale Ladung, die dem Projektnamen (schon hoffentlich) anhaftet und dient auch als agiler „Plan“ für die Umsetzung. – OKR’s, Story Maps oder Collective Mind Ziel-Hierarchie sind Beispiele dafür. An dieser Ziel-Hierarchie richtet sich das Projektteam aus. Es sorgt u.a. auch dafür, dass Projektleiter, Teilprojektleiter und die anderen Stakeholder gemeinsam! einen kollektiven Sinn entwickeln und nicht mit unterschiedlichen Meinungen in ihre Teilprojekte gehen, um dort unterschiedliche Maßnahmen umzusetzen und diese unterschiedlichen Maßnahmen ohne Bezug zum übergeordneten kollektiven Sinn den Stakeholdern zu kommunizieren. Im (Projekt-) Management herrschte viele Jahrzehnte die Meinung, dass Ziele SMART (Spezifisch, Messbar, Akzeptiert, Realistisch und Testbar) sein sollten. Diese Aussage gilt nach wie vor, jedoch nicht auf oberster Ziel-Ebene, sondern auf der Ebene der detaillierten Ziele. Damit verbunden ist der Glaube, Projekte werden in erster Linie über Zahlen geführt. Zahlen dienen lediglich als sogenannte Kontrollparameter. Die bekannten Corona Kennzahlen sind also Kontrollparameter aber keine Ordnungsparameter, die Sinn vermitteln. Die Politik führt über diese Kennzahlen, und verwechselt die Steuerung über Kennzahlen mit der Führung über Sinn. – Auch dies ist ein „universelles“ negatives Muster in Projekten.     

Es gibt auch Kontrollparameter, die unmittelbar sehr viel mit dem Thema Metakompetenz zu tun haben. Als unlängst unser Außenminister Maas meinte, Geimpfte sollten andere Rechte (Lockerungen) bekommen, als Nicht-Geimpfte, hat er meines Erachtens die für einen Politiker diesen Rangs notwendige Metakompetenz deutlich vermissen lassen. Man siehe hierzu u.a. auch die Kommentare auf meta.tagesschau.de [7]. – Es ist erfreulich zu sehen, dass der Begriff „meta“ in den üblichen Sprachgebrauch überzugehen scheint. Man stelle sich einen Moment Mitarbeiter in einem Unternehmen vor: Die einen bekommen (nicht nachvollziehbar, eher willkürlich oder zufällig) einen besonderen Bleistift zugeteilt, andere erhalten diesen Bleistift nicht. Diejenigen, die den Wunderbleistift erhalten haben, dürfen jeden Tag eine Stunde früher Schluss machen. Das Ergebnisse wäre ein sozialer Riss, der durch die Belegschaft ginge.- Die soziale Kohäsion wäre damit vorbei. Und genau diesen Vorschlag hat unser Außenminister gemacht. Es stellt sich wirklich die Frage, wie groß muss die Ego-Not sein, damit man solche unverzeihlichen Führungsfehler macht.

Der zweite Teil des Blogtitels „von der Governance-freien Politik“ bringt zum Ausdruck, dass der Politik, die man oft unmittelbar mit dem Begriff „Governance“ verbindet, eine Governance für das Projekt Corona fehlt. Als schwerwiegende Indizien dienen die obigen „universellen“ negativen Muster.  Politik braucht Goverance, erst recht wenn es um ein Krisenprojekt (in der Krise) geht!      

Während ich diesen Blog-Beitrag schreibe (Do. 28.01.2021, 08:00-12.00 Uhr) kommt eine Hiobsbotschaft nach der anderen zum Projekt Corona rein.

 

[1] Wikipedia (2021) Corona (Antike), https://de.wikipedia.org/wiki/Corona_(Antike), zugegriffen am 28.01.2021

[2] Oswald A, Köhler J, Schmitt R (2017) Projektmanagement am Rande des Chaos, 2. Auflage, Springer, Heidelberg

[3] Schiller C, Hellmann T (2021) Corona deckt auf: Viele Staaten sind schlecht für die Zukunft vorbereitet, https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2021/januar/corona-deckt-auf-viele-staaten-sind-schlecht-fuer-die-zukunft-vorbereitet, Bertelsmann Stiftung, zugegriffen am 28.01.2021

[4] Wikipedia (2021) Deepwater Horizon, https://de.wikipedia.org/wiki/Deepwater_Horizon, zugegriffen am 28.01.2021

[5] Amtmann K (2021) Corona-Impfstoff in Bayern fahrlässig zerstört? Ministerium äußert sich zu scharfen Vorwürfen, https://www.merkur.de/bayern/impfstoff-corona-bayern-soeder-biontech-huml-campingboxen-panne-news-zr-90160295.html, Merkur 

[6] Gathmann F, Hagen K, Teevs C (2021) Die Entscheider im Hintergrund https://www.spiegel.de/politik/deutschland/staatskanzleichefs-in-der-corona-krise-die-entscheider-im-hintergrund-a-822feb44-569b-425c-b418-093ff6899d63, Spiegel, zugegriffen am 28.01.2021

[7] ARD (2021) https://meta.tagesschau.de/id/148079/corona-pandemie-maas-will-lockerungen-fuer-geimpfte, zugegriffen am 28.01.2021

Gesellschaftlicher Wandel – Sein oder Nichtsein? – Das ist hier die Frage!

Schaut man zur Zeit in die verschiedenen Informationskanäle, so beherrscht die Schlagzeilen neben der Angst, dass Corona das Leben kosten könnte oder die Existenz, vor allem die Unsicherheit was wird von Corona wie lange bleiben. – Und hier insbesondere die Frage, ob wir wieder schnell zu unserem alten Leben zurück können oder ob Corona unser Leben nachhaltig verändern wird.

Der eine oder andere mutmaßt gar, dass Corona ein Weckruf war und dass dies zu einem nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel führen wird oder könnte [1], [2] [3]. – Wobei kaum zum Ausdruck kommt, was denn unter nachhaltigem gesellschaftlichem Wandel zu verstehen ist.

Schaue ich in erster Linie auf Deutschland oder Europa, so verstehe ich unter nachhaltigem gesellschaftlichem Wandel, dass wir beginnen unsere Tiere und Pflanzen zu schützen und mit Respekt zu behandeln; und nicht etwa Tiere in Massenhaltung unter grauenhaften Bedingungen halten, um im Supermarkt billig Fleisch anbieten zu können oder zu kaufen. Ich verstehe auch darunter, dass wir unseren Müll selbst verwerten und nicht exportieren, um diesen anderenorts abzuladen und Menschen für dessen sogenanntes Recycling auszubeuten. Ich verstehe auch darunter, dass dem umweltschädlichen Auto nicht der Vorzug vor dem öffentlichen Verkehr gegeben wird – dass die Autoindustrie nach dem Abgasskandal und Corona etwas dazugelernt hat und statt Abwrackprämien zu fordern, Innovationen einbringt, um die Mobilität auf völlig neue Wege zu bringen. Ich verstehe darunter, dass die Energiewende wirklich eingeleitet wird und regenerativen Energien der absolute Vorzug gegeben wird. Ich verstehe auch darunter, dass wir Produkte nicht billigst anderenorts produzieren und so Menschen ausbeuten, um diese Produkte dann, je nach Geschäftsmodell, teuer oder auch billig bei uns anzubieten. Ich verstehe auch darunter, dass man nicht für ein paar Euro, mehrmals im Jahr in Urlaub fliegen muss oder für „einige“ Euro mehr mehrere Kreuzfahrten unternimmt. Ich verstehe auch darunter, dass Vorstände und Geschäftsführer nicht nach Agilen Techniken suchen, um die Arbeit noch effizienter zu machen, um die Arbeitskraft Mensch unter dem Diktat des Marktes weiter auszubeuten.

Dieser, so verstandene, nachhaltige gesellschaftliche Wandel kann sicherlich nicht von heute auf morgen eingeleitet werden, wichtig ist vielmehr, dass über die Notwendigkeit dieses Wandelns sich ein breiter gesellschaftlicher Konsens entwickelt und dieser auch (mittels eines mittelfristigen Masterplans) in Willen zur Transformation umgesetzt wird.

Nach meiner Einschätzung ist für das Einsetzen einer Transformation entscheidend, ob die äußeren Umstände, also der technische, gesellschaftliche und natürliche Kontext zusammen, ausreichen, um genug „Druck“ aufzubauen, so dass eine breite mentale Entwicklung in der Gesellschaft einsetzt. Dies allein dürfte jedoch nicht hinreichend sein, damit die obigen Verhaltensänderungen einsetzen werden.  – Die passende Ausgangsbasis der Gesellschaft und der politischen Führung ist zusätzlich relevant.

Die nachfolgende Abbildung versucht einen Teil der relevanten Einflussfaktoren zu skizzieren. Ähnlich wie bei Individuen und Organisationen ist für die Transformationsfähigkeit einer Gesellschaft die (gesellschaftliche) Werteverteilung entscheidend (man siehe auch den vorherigen Blog „Cultural Entropy: Corona deckt unsere Werte auf“[0]).

Mentale Entwicklung und gesellschaftliche Transformation

Links in der Abbildung sind die sogenannten value meme (v-Mem) nach Spiral Dynamics zu sehen [1]. Die Darstellung vereinfacht das Werteprofil einer Gesellschaft: In einer Person und damit auch in einer Gesellschaft sind immer mehrere value meme enthalten, dargestellt ist hier jeweils nur das in einer Gesellschaft höchste und dominanteste v-Mem. In der deutschen Gesellschaft dürfte dies aktuell das orangene v-Mem sein: Erfolg und Effizienz sind wichtig. Materielle Güter zeigen dies an. Wissenschaft auf der Basis von linearem Ursache-Wirkungs-Denken hilft Erfolg und Effizienz zu erreichen. Diese v-Meme waren in den letzten 70 Jahren so erfolgreich, dass sie die Grundlagen unseres Wohlstandes gelegt haben, leider gleichzeitig auf Kosten von massiver Ausbeutung, insbesondere unserer natürlichen Ressourcen aber auch von Menschen (in ärmeren Ländern). – Da hilft es auch nicht zu betonen, dass wir u.a. über die Globalisierung mit zum Wohlstand Chinas beigetragen haben. – Denn letztendlich ging es uns nicht um eine globale gerechtere Weltordnung, sondern ganz eigennützig um unseren eigenen wirtschaftlichen Erfolg.
Die Bedeutung des orangenen v-Mems kann man auch an den langen Verkaufsschlangen vor IKEA am 04.05.2020 oder auch dem wachsenden Bedürfnis die Abschottungsregeln zunehmend massiv in Frage zu stelle, erkennen. Das Auftauchen von Verschwörungstheorien ist hingegen eher dem in der Abbildung enthaltenen purpurnen v-Mem (magisch) zuzuordnen.  

Die v-Meme bis zur Ebene der grünen v-Meme sind auch mit unseren menschlichen Grundbedürfnissen verbunden, und sind in nahezu jedem Menschen mehr oder weniger vorhanden: Es kann also nicht darum gehen, bestimmte Grundbedürfnisse auszuradieren, sondern lediglich in ihrer Stärke zu relativieren, so dass sie keinen Schaden anrichten.
Um die Dominanz des orangen v-Mems deutlich zu reduzieren und durch das grüne v-Mem zu regulieren, bedarf es meines Erachtens mehr als nur Corona. Grüne v-Meme sind u.a. gekennzeichnet durch: Gemeinschaft und Teilen mit allen Menschen, die Natur wird voll umfänglich geschützt und respektiert, Leben auf Augenhöhe mit den Anderen.

Es müsste also einen „Druck“ geben, der diesen v-Memen eine größere Bedeutung zukommen lässt, als dies bisher der Fall ist. – Die sogenannte Digitale Transformation kommt meines Erachtens hierfür auf keinen Fall in Frage, sie stützt derzeit mehr die orangenen v-Meme als dass sie diese relativiert. Auch wenn Sigmar Gabriel in [1] sagt, dass der Einsatz der Online Kommunikation während der Corona-Krise einer Bruchkante zwischen Online und Offline gleichkomme.

Derzeit wurden sehr viele Besprechungen und Treffen in den virtuellen Raum verlegt. Viele berichten davon, dass der Meeting Marathon offensichtlich weitergeht, teilweise mit noch weniger Pausen als bei realen Treffen. Anstatt sich also zu besinnen, wird mit den gleichen Werten „Erfolg und Effizienz“ weitergemacht. Der Übergang von orangenen zu grünen Werten scheint flächendeckend nicht in Gang zu kommen. Die ein oder andere Verwaltung berichtet davon, dass starre alte mentale Strukturen zumindest etwas aufgebrochen werden, und online Meetings abgehalten werden. Hier könnte man die Hoffnung haben, dass die blauen v-Meme der Bürokratie etwas ins Wanken geraten, zumal die Gesellschaft als Ganzes die blauen v-Meme längst relativiert hat. – Dies würde bedeuten, dass sich die Verwaltung in Teilen von dominant blau zu orange eingefärbt transformiert.

Schaut man sich die großen v-Mem Veränderungen an, so sind diese bisher offensichtlich mit sehr großen globalen Katastrophen (1. Weltkrieg/ Weltwirtschaftskrise, Nazi-Reich, 2. Weltkrieg) einher gegangen. Sollten, was wir wahrscheinlich alle hoffen, die wirtschaftlichen Folgen von Corona beherrschbar bleiben, so dürfte dies auch leider mit einem Verharren in den bisherigen v-Mem Strukturen verbunden sein. – Ich mache dies u.a. an dem Wiedererstarken von CDU/CSU fest. – Diese steht sicherlich nicht für die grünen v-Meme.                  

Die Abbildung enthält unten verschiedene Wirtschaftszweige mit einer geschätzten Zuordnung von v-Memen: Die Öl/Gas und Kohle Industrie hat meiner Meinung hiernach noch substantielle Anteile im Bereich purpurner und roter Werte und in keinem Fall grüne Werte, dafür ist der Anteil, den diese Giganten für die Forschung in erneuerbare Energie aufwenden, viel zu gering. Meines Erachtens zeigt die Forderung der Automobilindustrie nach neuen Abwrackprämien, um die Corona-Krise zu überstehen, dass ihre orangenen v-Meme lediglich einen grünen Anstrich erhalten haben. – Bisherige grüne v-Mem Äußerungen sind lediglich Lippenbekenntnisse.

Im oberen Bereich, unter Gesellschaft, habe ich die aktuelle v-Mem Verteilung für die deutsche bzw. amerikanische Gesellschaft sowie die deutsche und amerikanische Regierung eingeschätzt. Schon im letzten Blog ging ich von einer Verteilung grün zu (orange+blau+magisch) von 30% : 50% aus. – Höchstens 20 % der deutschen Bevölkerung hat die gelbe (systemische) oder türkise (ganzheitliche) Bewusstseinsebene erreicht. – Meines Erachtens werden diese Zahlen durch die Berichte zu unserem Verhalten in der Corona-Krise gestützt. Ich vermute, dass die amerikanische Gesellschaft einen etwas höheren orangenen Anteil zu Lasten des grünen Anteils hat.  Ich gehe davon aus, dass die v-Mem Verteilung der deutschen politischen Führung in etwa der Verteilung der Gesellschaft folgt. Die v-Mem Verteilung der derzeitigen US-politischen Führung repräsentiert wohl kaum in diesem Maße die US-amerikanische Gesellschaft.- Purpurne (magische) und rote (ego-heroische) v-Meme nehmen in der US Administration einen substantiellen Anteil ein: keine Empathie, lügen, drohen, verleumden, Wissenschaft ist Unsinn und spielt keine Rolle, usw.. – Margarete Stokowski hat gerade einen sehr schönen Beitrag zum Verständnis von Wissenschaft bei ego-heroischen Wertvorstellungen geschrieben [5]. 

Meine Prognose ist, dass deshalb die oben skizzierte Transformation bisher nicht eingesetzt hat und dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie im Rahmen von Corona einsetzt. – Außer, …die derzeitige Corona-Krise setzt sich fort oder verschlimmert sich (was ich mir nicht wünsche). Ich nehme an, dass in dem Fall der Corona Fortsetzung oder Verschlimmerung, diejenigen mit einem substantiellen Anteil an orangenen Bewusstseins-Memen die Population mit grünen Bewusstseins-Memen nachhaltig anreichert.  Dadurch sollte in Deutschland (und Ländern mit ähnlicher v-Mem Verteilung) die Transformation in Gang gesetzt werden, da der blaue, rote und magische Anteil zusammen deutlich unter 50% liegt und die Transformation nicht mehr verhindern kann. – Sollte der Corona-Kelch und die damit verbundene schmerzliche Transformation an uns vorüber gehen, so gehe ich davon aus, dass der nächste Katastrophen-Kelch schon auf uns wartet.- Nach jetzigem Wissen dürfte dies die Klimakatastrophe sein.  

 

[0] Oswald Alfred (2020) Cultural Entropy: Corona deckt unsere Werte auf!, https://agilemanagement40.com/cultural-entropy-corona-deckt-unsere-werte-auf, zugegriffen am 05.05.2020

[1] Gabriel Sigmar (2020) Mehr als eine Seuche, FAZ Online, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-05/corona-folgen-konjunktur-ungleichheit-globalisierung-sigmar-gabriel?utm_source=pocket-newtab, zugegriffen am 05.05.2020

[2] Scharmer Otto (2020) Acht aktuelle Lektionen von Otto Scharmer: Vom Coronavirus zum Klimaschutz, erstellt von Sascha Berger, https://medium.com/@sascha.g.berger/acht-aktuelle-lektionen-von-otto-scharmer-vom-coronavirus-zur-klimaaktion-6588e131a519, zugegriffen am 05.05.2020

[3] Horx Matthias (2020) Die Welt nach Corona, https://www.diezukunftnachcorona.com/, zugegriffen am 05.05.2020

[4] Spiral dynamics (2020) Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Spiral_Dynamics, zugegriffen am 04.05.2020

[5] Stokowski Margarete (2020) Ein Virus, das Lunge und Ego angreift, https://www.spiegel.de/kultur/corona-ein-virus-das-lunge-und-ego-angreift-kolumne-a-fcac8579-7466-427d-9b5c-a30aafb3f565, zugegriffen am 12.05.2020

Cultural Entropy: Corona deckt unsere Werte auf!

Seit vielen Jahren gehören Kulturmodelle zu meinen Handwerkszeugen [1], [2]. In [1] haben wir das Kulturmodell von Hofstede, das von Schein und das Bewusstsein- und Kulturmodell Spiral Dynamics integriert. Spiral Dynamics haben wir sogar mit dem Konsistenzmodell der Grundbedürfnisse der Neuropsychologie nach Grawe verbunden. Dies ist eine der wesentlichen Grundlagen von Agiler Führung 4.0.

Nach Jahren bin ich durch die GPM mal wieder mit dem Kulturmodell von Richard Barrett [3], [4] in Berührung gekommen. Barrett hat ehemals den Begriff „Cultural Entropy“ geprägt.- Als Physiker wollte ich etwas genauer wissen, was er unter Cultural Entropy versteht und ob ihm gelungen ist, woran schon einige gescheitert sind, nämlich den Begriff Entropie „sauber“ auf soziale Phänomene und sogar Kultur zu übertragen.

Dass es so viele Kulturmodelle gibt, hat nichts damit zu tun, dass das Thema Kultur eventuell schwierig zu fassen ist, sondern mit der Tatsache, dass die Modelle kommerziell genutzt werden und durch Copyright geschützt werden. Falls jemand, wie z.B. Barrett, mit einem (vorhandenen guten) Kulturmodell (kommerziell) arbeiten möchte, bleibt ihm meist nicht anderes übrig, als ein vermeintlich neues Modell zu kreieren. Dieses Modell unterscheidet sich aber nur geringfügig von den anderen Vorgängermodellen. So ist im Fall des Modells von Barrett der Bezug zu Spiral Dynamics und auch zur Dilts Pyramide im NLP mehr als nur offensichtlich; beide werden aber mit keinem Wort in [4] erwähnt.

Vor Jahren konnte ich dem Modell von Barrett nicht viel abgewinnen, inzwischen revidiere ich meine Ansicht weitgehend. Die Arbeiten des Barrett Value Center zeichnen sich durch folgende Ergebnisse bzw. Aussagen aus:

  • Tausende von „Werte-Vermessungen“ in Organisation belegen, dass Organisationen mit einem positiven Werteprofil über ökonomische Kennzahlen verfügen, die ca. 3-4mal besser sind als diejenige anderer Unternehmen. – Das deckt sich mit unseren Erfahrungen, man siehe hierzu [2].
  • Die „Werte-Vermessung“ unterscheidet zwischen „guten“ und sogenannten limitierenden Werten bzw. Verhaltensweisen. In der Abbildung unten ist das Barrett Bewusstseins- und Kulturmodell zu sehen. Die Evolutionsstufen des Modells haben eine sehr große Ähnlichkeit zu denjenigen von Spiral Dynamics. Die limitierenden Werte sind rot gekennzeichnet. Zu ihnen gehören: Level 1: Violence, Greed, Corruption, Control, Authoritarian, Caution; Level 2: Blame, Jealousy, Judgement, Conflict, Gossip, Being liked, Demanding, Internally competitive; Level 3: Arrogance, Status, Power, Rigidity, Long hours, Image. Wie man aus diesen Listen unschwer erkennen kann, verwendet Barrett auch limitierende Verhaltensweisen als Werte, was von der Systematik her nicht ganz sauber ist.
    Nur die Bewusstseins-Evolutionsstufen 1-3 enthalten hiernach limitierende Werte. Zu den “guten” Werten gehören u.a. aus dem Agilen Management bekannten Werte, wie Transparenz, Offenheit, Mut, Vertrauen usw.. – Die Ähnlichkeit geht auch noch weiter, denn auf den Ebenen 6-7 tauchen auch Begriffe aus dem Agilen Management auf wie Servant Leadership oder Meaning. – Man beachte welche enorm hohen Bewusstseins-Anforderungen damit an Agile Führungskräfte gestellt werden.
  • Sehr oft wurden die “limitierenden” Werte in der Kindheit grundgelegt und entspringen im wesentlichen verschiedenen Formen der Furcht. Barrett schreibt hierzu [4]: “Love is the great connector, whereas fear is the great separator.”
  • Das Verhältnis von limitierenden Werten zu allen Werten (also limitierenden plus “guten” Werten) über alle Mitglieder einer Organisation oder einer Gesellschaft ist gleich der Cultural Entropy. Das Verhältnis von limitierenden Werten zu allen Werten einer einzelnen Person wird als Personal Entropy verstanden. Deshalb wird die Cultural Entropy und die Personal Entropie auch über Prozent (%) angegeben. Man kann nachvollziehen, dass „limitierende“ Werte die Unordnung vergrößern oder besser die Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen. Im Management 4.0 reden wir davon, dass die Kontrollparameter (u.a. WIP sowie Persönlichkeitsorientierte Kommunikation, die u.a. Temperament, Motive, Werte und Grundannahmen berücksichtigt) schwer gestört sind und sich damit über einen Ordnungsparameter (also Sinn: Vision, Mission und Zweck) keine ganzheitlich nachhaltige sowie gleichzeitig adaptive Ordnung ausbilden kann. In diesem Sinne kann man mit etwas gutem Willen von Entropie-Erhöhung sprechen.
Barrett Value Modell und Spiral Dynamics Zuordnung
  • Barrett verortet die Ursache für Cultural Entropy wie kaum ein anderer Kulturmodell-Autor in der Personal Entropy. Er schreibt hierzu: “In my opinion, the root cause of all these corporate scandals is the short-term fear-driven values of the leaders, who are more focused on their own self-interest and the share price of the company than on caring for the long-term interests of investors…The Cultural Entropy score is a reflection of the Personal Entropy of the supervisors, managers and leaders of the organization, and the legacy of the Personal Entropy of past leaders which has been institutionalized into the structures, policies, processes and procedures of the organization… What I am effectively saying is that the culture of an organization is a reflection of the level of psychological development of the leader(s). Similarly, the culture of a department is a reflection of the level of psychological development of the director of the department, and the culture of a team is a reflection of the level of psychological development of the team leader.”
  • Die Fähigkeit bzw. Kompetenz mit Komplexität und der damit verbunden Unsicherheit umzugehen, hängt von der Verteilung an Werten ab: Sind lediglich Werte der Level 1-3 bei einer Person oder Organisation vorhanden, ist die entsprechende Kompetenz mit Komplexität umzugehen sehr gering. Barrett schreibt: “Low complexity work is best carried out by people who have not yet individuated, who are looking to satisfy their basic needs. Medium complexity work that requires initiative and is full of challenges is best carried out by those who have individuated. Highly complex work that requires a high degree of creativity and intuition is best carried out by those who are self-actualized and are now integrating or serving… Not everyone has the ability to attain full spectrum personal consciousness, and even fewer have the competencies to attain full spectrum leadership. This should not prevent us from trying to become the best we can become.” Er geht auch soweit zu sagen, dass die Kompetenz, die Stufen 1-7 des Bewusstseins zu erklimmen auch mit dem Alter wächst: Die Stufen 6 und 7 zu erreichen, behält er im Wesentlichen 60+-jährigen vor.
  • Die gesellschaftliche Verteilung auf die drei großen Kompetenzbereiche Socialied Mind, Self-Authoring Mind und Self-Transformation Mind, nämlich von ungefähr 50% : 30% : 20%, entspricht auch den „Messungen“ von Spiral Dynamics und deckt sich mit meinen Erfahrungen aus vielen Trainings und Coachings: Das Einsetzen des Self-Authoring Minds bezeichne ich als „es hat klick gemacht“. Er betont, dass es nur recht kleine Unterschiede in der Verteilung in Abhängigkeit von der Führungsebene gibt. Oder anders ausgedrückt, ca. 50% der Top-Führungskräfte eines typischen Unternehmens befinden sich nur auf Stufe 1-3 der Bewusstseinsmodells und erzeugen damit im gesamten Unternehmen durch ihre hohe Personal Entropy eine hohe Cultural Entropy.

Ich schließe mich diesen obigen Aussagen von Barrett im Wesentlichen an.- Sie decken sich mit meinen Erfahrungen aus Beratung, Training und Coaching. – Sie sind auch Teil meiner Management 4.0 Trainings. Das neue Training Metakompetenz Selbstorganisation 4.0 trägt diesem besonders Rechnung: Es ist aus dem Wunsche erwachsen, zur persönlichen und organisationalen Potentialentfaltung beizutragen, indem es die Bewusstseinsevolution anstößt [5].

Corona führt uns meines Erachtens eindringlich vor Augen, wo wir aktuell mit der Bewusstseins-Entwicklung der Gesellschaft stehen und welche Auswirkungen Megatrends wie Globalisierung und Konnektivität haben. Die Häufung von Epidemien oder sogar Pandemien und aktuell Corona haben sehr viel mit der Globalisierung und Konnektivität zu tun (u.a. wir reisen viel und gerne; wir müssen reisen, weil der Beruf es erfordert) und selbst die Reaktionsfähigkeit lokaler Systeme (u.a. Beschaffung von lebenswichtigen Waren wie Medikamenten, Nahrungsmitteln und Schutzmasken, Austausch anderer Waren wie Maschinen) ist hierdurch massiv betroffen.

Es gibt eine Welle von Hilfsbereitschaft und Solidarität, aber auch eine Welle von Verhaltensweisen, die durch Ich-Bezogenheit, Angst und Furcht (u.a. Hamsterkäufe, auch mit tätlicher Gewalt) aber auch Arroganz (u.a. Treffen in Parks, Corona-Parties, Autorennen bei Nacht auf leeren Stadtstraßen) geprägt sind. Hierzu zählen auch Verhaltensweisen, die Wissenschaft zu negieren, Fake News zu hofieren, einfache Schuldzuweisungen vorzunehmen oder sogar Personen aus Krisengebieten verbal oder tätlich anzugreifen. – Scobel hat hierzu ein sehr eindringliches Video verfasst [6].

Dieses Entropie-erzeugende Verhalten ist Ausdruck der Bewusstseinsstufen 1-3 und deren limitierender Werte bzw. Verhaltensweisen. – Diese Werte tauchen also nicht plötzlich auf, sie bestehen meistens (schon) viele Jahre und werden je nach Kontext und Zeit sichtbar. – Bei Gelegenheit gibt es Autorennen in Städten und fahren mit 50 km/h in Spielstraßen.
Scobel geht deshalb auch soweit zu fordern, dass Ausgangssperren kommen müssen, da das Bewusstseinsniveau vielfach nicht ausreicht sich selbst zu organisieren!

Plötzlich bekommen auch Personen wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder bundesweit Gehör – sie werden auch für ihre Entscheidungsfreude und Durchsetzungskraft gelobt. Jedoch ist Vorsicht geboten, denn es stellt sich die Frage, ob diese Personen aus einem Bewusstseinsniveau jenseits des Level 4 handeln (siehe Abbildung), oder ob sie handeln, weil ihre eigenen Werte, geprägt von Level 1-3, gerade zur aktuellen Situation passen, die einen „starken Mann“ oder „ eine „starke Frau“ fordert.- Im Donaukurier wird Söder mit der Überschrift „Gott schütze unsere Heimat“ zitiert [7]. – Ich habe starke Zweifel, dass dieses Zitat Ausdruck eines transformativen oder gar ganzheitlichen Bewusstseins ist!

Corona ist sicherlich eine nicht zu unterschätzende Krise, jedoch haben wir den Tipping Point und dessen Auswirkungen noch! weitgehend in eigener Hand; den Tipping Point des Klimas haben wir zwar jetzt hoffentlich auch noch in der Hand, jedoch wenn dieser! erreicht ist, dann gibt es kein Zurück mehr, und das für wahrscheinlich viele Generationen. – Ich messe unsere politische Führung an dieser Weitsicht!

 

[1] Oswald A, Köhler J, Schmitt R (2016) Projektmanagement am Rande des Chaos, Springer, Heidelberg

[2] Oswald A, Müller (Hrsg.) (2019) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices, Release 3, BoD Verlag, Norderstedt

[3] Barrett Values Center (2020) https://www.valuescentre.com/, zugegriffen am 20.03.2020

[4] Barrett R (2017) The Values Driven Organization, 2nd new edition, kindle, Routledge

[5] Oswald A (2019) Metakompetenz Selbstorganisation 4.0 im Blog https://agilemanagement40.com/metakompetenz-selbstorganisation-4-0, zugegriffen 20.03.2020

[6] Scobel G (2020) Corona – was es über unsere Gesellschaft verrät https://www.youtube.com/watch?v=G2BWraDlpFA

[7] Kain A (2020) Donaukurier,  https://www.donaukurier.de/nachrichten/bayern/Gott-schuetze-unsere-Heimat;art155371,4529305, zugegriffen am 22.03.2020