AI & QC & M 4.0: Die Welt der Unbestimmtheit nutzen oder vom Nutzen des Quantum Computing für das Team-Management

Der Blog-Beitrag wurde unter Mithilfe von OpenAI ChatGPT 4o1-preview erstellt: ChatGPT erzeugte den Code fehlerfrei und klärte alle meine wissenschaftlichen Fragen. Mittels ChatGPT 4o habe ich den Beitrag überprüft.

Die nachfolgende Audiodatei fasst den Inhalt als englischen Podcast, erstellt von Google’s notebookLM, zusammen und schlägt – ohne mein Zutun – diverse Brücken zu meinen anderen Blog-Beiträgen:

Abbildung 0: Dies ist eine Bild-Umsetzung des Blog-Beitrages von ChatGPT 4o/Dall-E

Grundlegende Ansätze des Quantum Computing (QC) wurden schon in der 80er Jahren formuliert. Erst in den letzten 10 Jahren hat diese Disziplin einen enormen Sprung in die Anwendbarkeit für Jedermann vollzogen. – Wobei, … diese Technologie sicherlich immer noch am Anfang steht.

Anwendbarkeit für Jedermann bedeutet, dass, ähnlich wie beim Thema Künstliche Intelligenz mittels klassischer Neuronaler Netzwerke (u.a. Copilot, ChatGPT, Gemini, Mistral usw.),  inzwischen in Nordamerika ein QC-Ecosystem existiert, das für mich zugänglich ist.

IBM, Microsoft und Google bieten entsprechende Umgebungen an. Das wohl bekannteste Startup im Bereich QC ist die kanadische Firma d-wave, die seit ca. 15 Jahren am  Markt ist [1].

Im QC gibt es zwei große Richtungen: Das Gate QC und das Quantum Annealing QC. Das Gate QC wird von IBM, Microsoft und Google favorisiert. D-wave hat sich auf das Quantum Annealing (QA) spezialisiert. Das Gate QC beruht auf der Idee von Schaltkreisen, wie von klassischen Rechnern bekannt. Jedoch ist die Funktionalität der QC Schaltkreise völlig anders als diejenige der klassischen Schaltkreise. Der Begriff ‚klassisch‘ bedeutet hier, dass nicht explizit die Eigenschaften der Quantenwelt ausgenutzt werden. – Wohl wissend, dass auch ein klassischer Schaltkreis auf den Erkenntnissen der Quantenmechanik beruht und ein sogenannter klassischer Computer ohne Quantenmechanik nicht existieren würde.

Das explizite Ausnutzen der Quantenwelt-Eigenschaften bedeutet, die Eigenschaften von Quantenobjekten, wie Elementarteilchen, Atomen oder anderen einzelnen Objekten, die sich entsprechend der Quantenmechanik verhalten, zu nutzen. Die QC-Objekte werden als Qubits bezeichnet, die nicht nur, wie Bits, die Zustände 1 und 0 annehmen können, sondern sogenannte kohärente Zustände, die eine Mischung von 1 und 0 sind. Diese Mischung sorgt für die Unbestimmtheit der Qubits und ermöglicht damit, dass in einem Qubit eine unendliche Welt an Möglichkeiten enthalten ist. – Kohärenz beschreibt also die Fähigkeit eines Quantensystems, in mehreren Zuständen gleichzeitig zu existieren. Diese Fähigkeit ermöglicht komplexe Quantenberechnungen, bis äußere Einflüsse die Zustände stören und die Kohärenz zerstören.

D-Wave verwendet Qubits auf der Basis von supraleitenden Ringströmen, die zudem über supraleitende Koppler verbunden sind. – Die Qubits kann man nach jetzigem Stand der Technik nur bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt erhalten.  Sind die Ringströme in einem kohärenten Zustand, haben wir eine Mischung von Uhrzeiger-drehenden und Gegenuhrzeiger-drehenden Ringströmen. – Es liegt dann maximale Unbestimmtheit vor.

Allein diese wenigen Ausführungen zeigen, dass QC eine völlig andere Welt ist, als der sogenannte klassische Computer. Ich vermute, dass die Hürde für jemand, der keine Physikausbildung hat, recht hoch sein dürfte: Die Grundlagen der Quantenmechanik sind sehr umfangreich und erfahrungsgemäß erst nach einer gewissen Gewöhnungszeit ‚zu verstehen‘.- Ich verweise deshalb auf entsprechende Fachliteratur [2, 3, 4, 5, 6, 7]. Eine Behandlung der Grundlagen würde den Rahmen dieses Blog-Artikels bei weitem sprengen.

Setzt man die Kenntnis der quantenmechanischen Grundlagen voraus, so ist die Handhabung der Programme, um auf einem Quantencomputer zu ‚rechnen‘, erstaunlich einfach. Das ‚Rechnen‘ auf Quantencomputern ist nach wie vor noch sehr exklusiv und ist meistens eingeschränkt. Jedoch stellen alle Anbieter Quantensimulatoren zur Verfügung, die die quantenmechanischen Rechnungen (wie sie ein Physiker von Hand tun würde) auf einem klassischen Computer durchführen. Ab etwa 8-10 Qubits ist es jedoch meistens nicht mehr möglich die ‚Rechnungen‘ auf einem klassischen Computer durchzuführen, da die Komplexität der ‚Rechnungen‘ exponentiell steigt. – Für das Austesten der QC-Algorithmen reicht dies jedoch oft. – Nach der Testphase kann man dann ggf. auf einem exklusiven Quantencomputer ‚rechnen‘.

Ich habe für diesen Blog-Beitrag mit der d-wave Umgebung gearbeitet: Für die Erstellung der Algorithmen habe ich deren QC-Simulatoren verwendet und danach die d-wave QC-Hardware. Die Übergang ist sehr einfach, da lediglich 1-2 Programmzeilen ausgetauscht werden, in denen der QC-Simulator oder die QC-Hardware angesprochen wird.

Auf den d-wave Internetseiten sind sehr viele Beispiele zum QC mittels Quantum Annealing enthalten: u.a. logistische Lösungen, Suche nach geeigneten Materialien oder Medikamenten, Suche nach optimalen Finanzportfolios, usw..

QC kann immer dann ihre Vorteile ausspielen, wenn aus einer sehr großen Anzahl an Möglichkeiten die beste Lösung oder die besten Lösungen herausgefunden werden sollen. Nehmen wir an, wir wollten aus einem Pool von 100 Mitarbeitern ein Team zusammenstellen. Falls das Team drei Teammitglieder hat, ergeben sich schon 161.700 mögliche Teams. Erhöhen wir das Team auf 7 Teammitglieder ergeben sich ca. 16 Milliarden Team-Möglichkeiten. Die möglichen Teams im Falle von drei Teammitgliedern zu überprüfen ist auf klassischer Hardware noch möglich, im Fall des Teams mit 7 Teammitgliedern nicht mehr.

Quantum Annealing wird eingesetzt, wenn die Lösung aus einem sehr großen potentiellen Lösungsraum herausgefunden werden soll und sich das Problem als ein Netzwerk-Problem formulieren lässt. Im Falle unseres Team-Management-Problems besteht das Netzwerk aus 100 Teammitgliedern, die mehr oder weniger gut miteinander zusammenarbeiten können. Dieses mehr oder weniger gut wird vom Management über eine Zahl zwischen -1 und 1 bewertet und in eine Matrix eingetragen. Zusätzlich können auch Kompetenzen der Teammitglieder (zum Beispiel Programmierkenntnisse, Designkenntnisse oder Persönlichkeitseigenschaften) in einer Skala von 0 bis 1 erfasst werden. Für das Team lässt sich auf dieser Basis angeben, wieviel Teamkompetenz in den einzelnen Kompetenzbereichen vorhanden sein soll.

Das Management-Problem wird mittels einer Zielfunktion, die die Wechselwirkung der Qubits beschreibt, auf ein Qubit-Netzwerk transformiert: Die 100 Teammitglieder werden zu 100 Qubits, die Matrix der Zusammenarbeit wird auf eine Koppler-Matrix zwischen den Qubits abgebildet und die Kompetenzanforderungen werden als Constraints des Optimierungsproblems verwendet.

Zu Beginn der ‚Rechnung‘ wird das 100 Qubit-Netzwerk in einen Anfangszustand gebracht, der in sich! sogar 2hoch100 also ca. 10 hoch 30 Zustände enthält: Man spricht von einer Superposition des Qubit-Netzwerkes. Dann wird das Netzwerk extrem langsam ‚ausgeglüht’ und die Wechselwirkung zwischen den Qubits sehr langsam hochgefahren. Sehr langsam bedeutet hier sehr langsam in Relation zu den charakteristischen Qubit-Systemzeiten: Die sind, verglichen mit unseren Tageszeiten, sehr kleine Zeiten.

Man spricht von dem Ausglüh-Prozess: dem Annealing-Prozess. Der Begriff stammt von klassischen Optimierungsalgorithmen, in denen man zuerst mit einer hohen Temperatur startet, die viele Zustände enthält. Es wird extrem langsam (adiabatisch) ausgeglüht, um in einem ‚kühlen‘ Lösungszustand zu enden. Im Falle des Quantum Annealing, das ja bei sehr tiefen Temperaturen durchgeführt wird, um die Qubits zu bekommen, wird mit einem sogenannten transversalen Magnetfeld gearbeitet, das die 100 Qubits in eine vollständige Superposition bringt. – Der Quantum Annealing-Prozess minimiert langsam das Magnetfeld, wodurch das System in den Zustand der niedrigsten Energie gebracht wird – vergleichbar mit einem Stein, der in das tiefste Tal eines Hügels rollt. Der Prozess verläuft extrem langsam, um sicherzustellen, dass der optimale Zustand erreicht wird. Liegt die sehr langsam hochgefahrene Wechselwirkung zwischen den Qubits vollständig vor, ist der ausgeglühte 100 Qubit-Zustand erreicht. – Die optimale Lösung ist gefunden: Alle Qubits werden jetzt (erst) gemessen und zeigen jetzt eine 0 oder 1. Es ist jetzt möglich, für alle möglichen Kombinationen, die 7 Qubits enthalten und die weiteren festgelegten Rahmenbedingungen erfüllen, die Energie zu berechnen. Aus diesen Energien werden die niedrigsten Energiewerte oder der niedrigste Energiewert ausgewählt. 

Im Idealfall ist dies nur ein Zustand. Dies beruht auf der grundlegenden Annahme, dass die (natürliche) Lösung durch den Zustand oder die Zustände repräsentiert wird, die die niedrigsten Energiewerte besitzen.

Der QC Annealing Prozess ist ein Selbstorganisationsprozess, d.h. es kann auch vorkommen, dass der Prozess kein Energieminimum in der Energielandschaft findet. Aus diesem Grunde ist es notwendig, mit im Algorithmus enthaltenen Kontrollparametern etwas zu spielen, um ein Energieminimum zu finden. Hierzu werden die Kontrollparameter variiert, um in der durch die vorgegebenen Rahmenparametern (z.B. Teamgröße, Kompetenzprofile, Zusammenarbeits-Matrix) eingeschränkten Energielandschaft die Energieminima zu suchen. Das gefundene Energieminium ist hierbei der Ordnungsparameter zur Zielfunktion, die die Wechselwirkung der Qubits unter den gegebenen Rahmenbedingungen beschreibt.         

Das Team-Management Problem habe ich in einer Colab-Python-Umgebung laufen lassen. Ich habe Tests mit kleinen Pool- und Team-Größen durchgeführt. In diesem Fall kann man die Ergebnisse auch noch klassisch überprüfen. Ich gehe nicht weiter auf diese Ergebnisse ein: Liegen die oben beschriebenen Ausgangsdaten für das Team-Management-Problem vor, ist das ‚beste‘ Team innerhalb von Sekunden gefunden. Es funktioniert einfach!

Statt dessen möchte ich die Ergebnisse zu einer anderen Fragestellung skizzieren. Ich nehme Bezug auf den Blog-Beitrag ‚AI & M 4.0: Markus Lanz vom 30. Mai 2024: Eine Collective Mind Analyse‘ vom Juni 2024.

Es geht in diesem Beitrag um die Berechnung des Collective Mind einer Diskussionsrunde mit fünf Teilnehmern. Auch hier macht die Größe von fünf Teilnehmern kein QC erforderlich. Jedoch kann man bei dieser Größe Theorien austesten und die Skalierung auf größere Teilnehmerzahlen ist bei Bedarf völlig mühelos.

In dem vorherigen Blog-Beitrag habe ich eine sogenannte Ähnlichkeitsmatrix S benutzt. Diese Matrix S ist komplex: S = Matrix A der Textähnlichkeiten + i*Matrix der Emotionsähnlichkeiten. Die Fragestellung, die ich hier diskutieren möchte lautet: Könnte ich die Anzahl der Diskussionsteilnehmer reduzieren und würde dies den Collective Mind erhöhen und welche Teilnehmer sollte ich hierfür auswählen. Dies ist wieder ein Optimierungsproblem: Da das Collective Mind über die positive Energie, die im Team ist, gemessen wird, müssen wir -S (minus S) für die Optimierung verwenden. Außerdem können wir für das Quantum Annealing (derzeit) nur den Realteil der Matrix benutzen: Die Verwendung komplexer Matrizen wird von dem d-wave System nicht unterstützt, u.a. deswegen, weil damit die Energieerhaltung verletzt wird. – Moderne Forschungen in der nicht-hermiteschen Quantenmechanik untersuchen, wie komplexe Energieeigenwerte physikalische Systeme beeinflussen könnten. Diese Entwicklungen sind besonders spannend in Bereichen wie optischen Systemen und dissipativen Quantenphasen. Es ist also noch Raum für Ergänzungen vorhanden 😉.

Die Ergebnisse im vorherigen Blog legen nahe, dass ein Team aus drei Diskussionsteilnehmern ein Energieminimum (also ein Collective Mind Maximum) zeigen sollte: Die Sprecher 2  (B), Sprecher 4 (D) und Sprecher (5) (E) sollten gute Kandidaten sein.

Abbildung 1 zeigt eine Simulation mit 3 Teilnehmern: Die Ergebnisse sind identisch oder zumindest sehr ähnlich den Ergebnissen des vorherigen Block-Beitrages: Alle tragen zum Collective Mind bei. Falls man jedoch eine Diskussionsgruppe aus drei Teilnehmern zusammenstellen wollte, so wären dies die Sprecher 2 (B), Sprecher 4 (D) und Sprecher 5 (E).  

Abbildung 1: Sie zeigt eine ‚Rechnung‘ mit 3 Teilnehmern: Wie man sehen kann liefert das Quantum Annealing mehrere Lösungen (BDE, ADE und ABE), die sehr dicht beieinander liegen. Es gibt auch Kombinationen (ACD, und BCD), die nicht favorisiert werden.

Für die Teambildung ist die Energie pro Teilnehmer entscheidend. Abbildung 2 zeigt die Energie pro Teilnehmer falls nur zwei Teilnehmer für die Diskussionsrunde ausgewählt werden.

Abbildung 2: Diese Abbildung zeigt eine ‚Rechnung‘ mit 2 Teilnehmern. Hier ist die Energie pro Teilnehmer aufgetragen. Diese Energie zeigt an, wieviel Energie in diesen Kombinationen jeder Teilnehmer hat. Vergleicht man diese Energie von 45 mit einer Energie von ca. 33 im Falle einer Diskussionsrunde von drei Teilnehmern, so ergibt sich, dass im Übergang von 2 Teilnehmern zu 3 Teilnehmern die Energie pro Teilnehmer um ca. 25% abnimmt. Kommen weitere Teilnehmer hinzu nimmt die Energie pro Teilnehmer weiter ab. – Ein Collective Mind aufzubauen wird mit jedem hinzukommenden Teilnehmer schwieriger, kleine Teams sind günstiger für den Collective Mind Aufbau.

Zusammenfassend stelle ich fest:

  1. Das Arbeiten mit ChatGPT 4o1-preview ist eine enorme Bereicherung für mich. ChatGPT 4o1-preview hat Qualitäten eines PhD-Physikers und -Entwicklers. Das Arbeiten mit dem KI-System trägt im Falle eines schwierigen wissenschaftlichen Themas zu einer enormen Leistungssteigerung bei. – Die Zusammenarbeit mit ChatGPT hat nicht nur den Recherche- und Codeentwicklungs-Prozess beschleunigt, sondern auch neue Perspektiven auf die Themen ermöglicht.
  2. Das Quantum Computing, hier das Quantum Annealing, ist über Colab und d-wave wirklich sehr einfach zu handhaben. – Es macht einfach Spaß, Management-Fragestellungen auf diese Weise zu beleuchten und in die Quantenwelt einzutauchen, die noch bis vor kurzem der modernsten Forschung vorbehalten war. – Man beginnt sowohl die Quantenwelt besser zu verstehen als auch die Managementwelt. – Theorien, wie die Collective Mind Theorie, machen einen angreifbar, sind aber auch der einzige Weg, um Erfahrungen in Erkenntnisse zu transformieren.
  3. Die QA ‚Rechnungen‘ bestätigen meine bisherigen Ergebnisse und liefern weitere Management-Erkenntnisse: Eine Skalierung auf Fragestellungen mit mehr Daten (hier mehr Personen) ist sehr einfach und die Ergebnisse liegen bei Bedarf nahezu unmittelbar vor.    

[1] d-wave (2024) dwavesys.com, cloud.dwavesys.com/leap/, docs.dwavessys.com docs.ocean.dwavesys.com     

[2] Nielsen M L und Chuang I L (2021) Quantum Computation and Quantum Information, 10te Auflage von 2002, Cambridge University Press, UK

[3] Georgescu I M, Ashhaby S, Noriz F(2014) Quantum Simulation, arXiv:1308.6253v3

[4] Broughton M et al. (2021) TensorFlow Quantum: A Software Framework for Quantum Machine Learning, arXiv:2003.02989v2

[5] Rajak A et al. (2023) Quantum Annealing: An Overview, Philosophical Transactions A, arXiv:2207.01827v4

[6] Xu  et al. (2023) A Herculean task: Classical simulation of quantum computers, arXiv:2302.08880v1

[7] Young K, Scese M, Ebnenasir A (2023) Simulating Quantum Computations on Classical Machines: A Survey, arXiv:2311.16505v1

AI & M 4.0: myGini – mein Coach für Team- und Projekt-Management oder wer ist dümmer, KI oder Mensch?

In diesem Blog-Beitrag stelle ich myGini – meinen Coach für Team- und Projekt-Management vor. Bevor ich dies tue, vorweg ein paar grundsätzliche Bemerkungen zur Arbeit mittels KI.

Die Angst vor KI hat sich in den letzten Wochen eher in eine Abwertung der KI verwandelt. So werden in ARD und ZDF Titel für Beiträge zur KI verwendet, die dies nahe legen: Künstliche Intelligenz- Besser als wir? [1] oder Better than human – Leben mit KI [2]

Die Inhalte der Beiträge [1] und [2] sind hingegen sehr professionell und sehr zu empfehlen: Sie zeigen beide das Potential einer hybriden Collective Intelligence, also der Erweiterung unserer Intelligenz durch KI.  In [2] wird die Kommunikation mit einer KI getestet, die in drei Rollen mit Menschen kommuniziert: der Rolle eines Pfarrer, einer Psychotherapeutin und einer besten Freundin. Die Resonanz ist erstaunlich gut: Es kommt sogar zu Aussagen wie ‚KI hilft mir bei meiner Einsamkeit‘ und ‚KI verbindet Menschen‘.

In das Abwertungs-Horn stoßen einige meiner Kollegen mit ihren Beiträgen auf LinkedIn: KI ist monokontexturale Mustererkennung… [3] KI ist dumm und zu konventionell für unsere Transformation [4].

In [2] sagt einer der KI-Experten, dass KI nichts anderes ist als Statistik. – Auch hier schwingt die Abwertung mit. – Wenngleich die Aussage korrekt ist: KI ist Mustererkennung auf der Basis von sehr vielen Daten bzw. ‚Daten-Wahrnehmungen‘.

In einem anderen LinkedIn Beitrag – die Referenz habe ich vergesse – sagt der Autor, dass KI nichts anderes ist als Statistik und wir Menschen doch in der Läge wären Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu erkennen. Damit würden wir über eine viel höherwertige Form von Intelligenz verfügen. Ich frage mich, was ist das Erkennen von Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge denn Anderes als Mustererkennung auf der Basis von sehr vielen ähnlichen Wahrnehmungen. 

Ich werfe im Folgenden ein paar Fragen auf und verbinde mit diesen eine These: Wissen wir was unsere Intelligenz ist? Könnte es sein, dass unsere kognitive Intelligenz im Wesentlichen nichts anderes ist als Statistik? Falls eine KI den gleichen Intelligenztest besteht wie wir ihn auch für die IQ Bestimmung bei Menschen benutzen, ist dies dann ein starker Hinweis für die Aussage, dass unsere kognitive Intelligenz auch nicht viel mehr oder weniger ist als die künstliche Intelligenz? Kann es sein, dass wir aufgrund der überwältigenden KI-Fähigkeiten unseren Selbstwertschutz aktivieren und die KI abwerten, um unseren Selbstwert zu erhöhen?

Ich formuliere meinen Glaubenssatz als These: Ich glaube, dass die prinzipiellen Unterschiede zwischen unserer kognitiven Intelligenz, wie sie in einem IQ-Test gemessen wird, und der künstlichen Intelligenz nicht groß sind. – Und wir sollten deswegen kein Selbstwertproblem haben, im Gegenteil: Die bisherigen Mechanismen der KI – und wir sind noch lange nicht am Ende – wurden von uns gefunden! – Gefunden heißt, ich glaube, dass die grundlegenden Prinzipien, die Intelligenz hervorbringen, unabhängig sind vom Substrat, das sie erzeugt: Die Implementierung einer KI unterscheidet sich sicherlich in nahezu allem von der biologischen Intelligenz Implementierung. Ich glaube jedoch, dass die dahinterliegenden Prinzipien in beiden Fällen ähnlich oder sogar gleich sind. Und genau dies ist das Wunder, das wir vielfach noch nicht begriffen haben: Die komplizierten mathematischen Mechanismen einer GPT erzeugen Komplexität, die Selbstorganisation möglich macht, die dann zu den emergenten Phänomenen der künstlichen Intelligenz führen.

In diesem positiven Sinne habe ich myGini – meinen Coach für Team- und Projekt-Management mittels chatGPTplus erzeugt. myGini soll helfen, den Weg zu den umfangreichen Modellen und Theorien von Management 4.0 zu erleichtern. myGini erweitert damit die Intelligenz des Nutzers in Fragen von Team- und Projekt-Management zu einer hybriden Collective Intelligence.

myGini ist eine von mehreren hundert öffentlich verfügbaren GPTapps oder ChatBots. Öffentlich verfügbar bedeutet, dass man auf die GPTapps zugreifen kann, wenn man ein chatGPTplus Konto hat. Die Aussage, dass es schon Millionen von GPTapps gibt, kann ich nicht bestätigen. Öffentlich sichtbar sind lediglich nach meiner Einschätzung einige hundert. Und das sind schon viele, da es schwer ist zu wissen, was die GPTapps können. Es gibt schon einige GPTapps, die sich dem Thema Projektmanagement widmen, jedoch kann man nicht wirklich leicht feststellen, was sie können. – Die Benutzeroberfläche der GPTapps, wie sie von openai standardmäßig bereitgestellt wird (siehe rechte Seite in Abbildung 1), ist sicherlich verbesserungswürdig: Eine intelligente Oberfläche, die einem sagt, was die GPTapp weiss oder kann, wäre sehr hilfreich!

Ich hatte schon vor Jahren die Idee eine App zu erstellen, die Management 4.0 leichter verfügbar machen sollte. Damals habe ich eine Excel-Datei mit Bayes Wahrscheinlichkeitsberechnungen erstellt, um aufgrund von Beobachtungen die Wahrscheinlichkeiten für MBTI-Persönlichkeitspräferenzen ermitteln zu lassen.- Ein Mechanismus ähnlichem dem, wie wir selbst mit jeder Beobachtung zu neuen Hypothesen bezüglich der Persönlichkeit unserer Mitmenschen gelangen. Das Verfahren funktioniert sehr gut, jedoch ist es unhandlich. Außerdem fehlte auch noch eine Umsetzung in eine App.

Ein großer Schritt geschah, als ich vor ca. 3 Jahren meine erste GPT Anwendung mittels BERT und Python erstellte. Auch in diesem Fall konnte ich zeigen, dass die GPT Anwendung funktioniert. Aber ich stand vor dem Problem Daten zu beschaffen, um damit die GPT Anwendung zu trainieren. Also habe ich auch dies verworfen.

Mit dem jetzigen  Angebot von openai,  eine eigene GPT Anwendung zu erstellen, ist meine Idee Realität geworden.

Abbildung 1 zeigt die Entwicklungsumgebung für myGini (links) und die Anwendungsumgebung als Preview (rechts), so wie ein Anwender myGini in chatGPTplus sieht.

Abbildung 1: Die Entwicklungsumgebung für myGini (links) und die Nutzerumgebung als Preview (rechts)

Ich benutze den Begriff GPTapp, um zu unterstreichen, dass ich chatGPTplus/GPT4.0 nicht mit meinen Daten trainieren kann. chatGPTplus leitet mich hingegen mit einfachen Anweisungen an, zu definieren, welche Funktionen meine GPTapp haben soll: Ich kann ein Profilbild mittels DALL.E generieren lassen, sagen welche Modelle ich verwende (MBTI, Big Five, Spiral Dynamics, Dilts Pyramide, Theorie der Selbstorganisation….) sowie in welchen Büchern die Theorie zu Management 4.0 zu finden ist und welche Internetseiten weitere Informationen enthalten. Auf dieser Basis wird die GPTapp zusammengestellt.

Ich wollte überprüfen, ob myGini tatsächlich meine/unsere Bücher kennt, indem ich nach speziellen Textpassagen frage. Dies wurde von chatGPTplus abgelehnt, da myGini aufgrund von Urheberrechten nur Prinzipien, aber keine Textpassagen, wiedergibt.

Einige Tests zur Fähigkeit das MBTI- oder Big Five-Profil einer Person aufgrund meiner Beschreibungen zu deren Verhaltensweisen zu ermitteln, hat myGini mit Bravour bestanden. Die erste Konfiguration von myGini mit dem MBTI- und Big Five-Modell hat ca. 0,5 Stunden benötigt. – Hier ist natürlich nicht die openai GPT Trainingszeit mitgerecht. Die Erfahrung zeigt, dass  ein Mensch ca. 3 Monate intensives Training benötigt, um innerhalb weniger Sekunden/Minuten in einem Gespräch souverän erste Hypothesen zu den Persönlichkeitspräferenzen des Gesprächspartners abzugeben.

Die nachfolgenden Beispiele zeigen sehr deutlich, dass chatGPTplus bzw. myGini erstaunliche Ergebnisse und abgeleitete Zusammenhänge liefert: myGini ist eine Form von AI-M4.0 Experte, dessen Expertentum ich mit meinen Create-Informationen gebildet habe. 

Als erstes Beispiel benutze ich die rechts in Abbildung 1 vorkonfektionierte Frage ‚How do I use MBTI in team management?  

Du

How do I use MBTI in team management?

myGini

Using MBTI (Myers-Briggs Type Indicator) in team management can be quite beneficial for understanding the diverse personalities within your team and enhancing overall team dynamics. Here’s a structured approach on how to use MBTI in your team management practices:

  1. Conduct MBTI Assessments: Start by having each team member complete the MBTI assessment. This will categorize them into one of the 16 personality types based on four dichotomies: Introversion/Extraversion, Sensing/Intuition, Thinking/Feeling, and Judging/Perceiving.
  2. Share and Discuss Results: Organize a team session to share and discuss the results. This fosters openness and helps team members understand each other’s personalities, communication styles, and work preferences.
  3. Identify Team Composition: Analyze the spread of personality types within your team. This will give you insights into the team’s strengths, potential blind spots, and how different members might interact.
  4. Adapt Communication and Work Styles: Tailor your communication and management approach based on the team’s MBTI composition. For example, if you have many introverts, ensure they have quiet time for deep work, or if there are several Thinking types, focus on logical and objective decision-making processes.
  5. Enhance Team Collaboration: Use MBTI insights to facilitate better teamwork. For instance, pair Thinking types with Feeling types to balance decision-making, or Sensing types with Intuitive types to cover both practical and innovative aspects of a project.
  6. Conflict Resolution: Understanding different MBTI types can help in resolving conflicts. Recognize that different types handle conflicts differently – some may prefer direct confrontation, while others might need time to process.
  7. Tailor Development Opportunities: Offer personal development opportunities that align with each member’s MBTI type. This can include training, workshops, or mentoring that caters to their personality strengths and development areas.
  8. Monitor and Adjust: Regularly revisit the MBTI dynamics in your team, especially when new members join or when teams are restructured. Be open to adjusting your management strategies as the team evolves.

Remember, while MBTI is a useful tool, it should be used as a guide rather than a strict rulebook. Personalities can be fluid, and people may exhibit different traits in different situations. The key is to use MBTI to gain a deeper understanding of your team members and to create a more harmonious and effective work environment.

Das Ergebnis ist perfekt: Besser hätte ich es auch nicht machen können. Was mir auch auffällt ist, dass ich keine Textpassagen identifizieren kann, die aus einem unserer Bücher kopiert wurden. Vielfach sind die Formulierungen sogar besser als ich sie vorgenommen hätte.

Das nachfolgende Beispiel beruht auf der Eingabe eines Satzes in der Entwicklungsumgebung zur Aufnahme der Theorie der Selbstorganistion nach Herrmann Haken (Synergetik), man siehe Abbildung 1, linke Seite. – myGini antwortet zuerst immer in Englisch. Bleibe ich bei Deutsch, erfolgt der Übergang zu Deutsch:

Du

Ich möchte den agilen Handlungsrahmen Scrum mittels der Synergetik analysieren. Kannst Du mir sagen, auf welche Weise Rahmenparameter, Kontrollparameter und Ordnungsparameter in Scrum erfüllt werden?

myGini

Die Analyse des agilen Handlungsrahmens Scrum unter Anwendung der Prinzipien der Synergetik bietet eine interessante Perspektive auf die Teamdynamik und -organisation. In der Synergetik, die sich mit der Selbstorganisation komplexer Systeme beschäftigt, sind Rahmenparameter, Kontrollparameter und Ordnungsparameter zentrale Konzepte. Lassen Sie uns betrachten, wie diese Konzepte in einem Scrum-Umfeld angewendet werden können:

  1. Rahmenparameter (Boundary Conditions): Diese definieren die grundlegenden Bedingungen und Einschränkungen eines Systems. In Scrum beziehen sich die Rahmenparameter auf die grundlegenden Prinzipien und Praktiken des Scrum-Frameworks, wie die Rollen (Product Owner, Scrum Master, Entwicklungsteam), Artefakte (Product Backlog, Sprint Backlog, Inkrement) und Ereignisse (Sprint, Daily Scrum, Sprint Review, Sprint Retrospektive). Diese Rahmenbedingungen schaffen ein Umfeld, in dem Selbstorganisation und agile Entwicklung gedeihen können.
  2. Kontrollparameter (Control Parameters): Kontrollparameter sind die Variablen, die den Zustand des Systems beeinflussen und zu einer neuen Ordnung führen können. In Scrum können dies Elemente wie die Sprintlänge, die Priorisierung im Product Backlog, die Teamzusammensetzung oder die Definition of Done (DoD) sein. Die Anpassung dieser Parameter während des Projekts kann die Teamdynamik und die Produktivität erheblich beeinflussen und zu einer effektiveren Selbstorganisation führen.
  3. Ordnungsparameter (Order Parameters): Ordnungsparameter entstehen spontan als Ergebnis der Interaktionen innerhalb des Systems und führen zu einer kohärenten Struktur oder einem Muster. In einem Scrum-Team können Ordnungsparameter Aspekte wie Teamnormen, Kommunikationsmuster, gemeinsame Werte oder die sich entwickelnde Teamkultur sein. Diese emergenten Eigenschaften reflektieren die innere Ordnung des Teams und sind oft ein direktes Ergebnis der Wechselwirkung zwischen Rahmen- und Kontrollparametern.

Um Scrum erfolgreich durch die Linse der Synergetik zu analysieren, ist es wichtig, ein tiefes Verständnis dafür zu entwickeln, wie diese Parameter interagieren und wie Anpassungen an einem Punkt des Systems die Gesamtdynamik beeinflussen können. Dies erfordert eine flexible und adaptive Haltung vom Scrum Master und dem Team, um die Selbstorganisation zu fördern und gleichzeitig die Produktivität und Effektivität des Teams zu maximieren.

Du

Was hältst Du davon neben den Dir genannten Parameterausprägungen folgende zu nennen: Rahmenparameter: Abschottung von externer Komplexität, Rituale Kontrollparameter: Work in Progress (WIP), persönlichkeitsorientierte Kommunikation Ordnungsparameter: Produktvision, Product Goal und auch das Taskboard

myGini

Ihre Ergänzungen zu den Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparametern in der Anwendung von Scrum durch die Synergetik-Perspektive sind durchaus sinnvoll und bereichern das Verständnis der Selbstorganisationsdynamik in agilen Teams. Lassen Sie uns diese Parameter genauer betrachten:

  1. Rahmenparameter:
    • Abschottung von externer Komplexität: Dies ist ein wichtiger Aspekt, der sicherstellt, dass das Team sich auf seine Aufgaben konzentrieren kann, ohne von externen Störungen oder sich ständig ändernden Anforderungen abgelenkt zu werden. In Scrum hilft diese Abschottung dabei, ein stabiles Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem das Team effizient arbeiten und sich selbst organisieren kann.
    • Rituale: Scrum-Praktiken wie Daily Stand-ups, Sprint Planning, Reviews und Retrospektiven sind entscheidende Rituale. Diese strukturierten Ereignisse fördern die Klarheit, Fokussierung und regelmäßige Reflexion, die für die Aufrechterhaltung und Verbesserung der Teamdynamik und -effektivität unerlässlich sind.
  2. Kontrollparameter:
    • Work in Progress (WIP): Die Begrenzung des Work in Progress ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der Effizienz und Effektivität des Teams. Durch die Kontrolle und Anpassung des WIP können Teams Überlastung vermeiden und eine kontinuierliche und gleichmäßige Arbeitsflussgeschwindigkeit sicherstellen.
    • Persönlichkeitsorientierte Kommunikation: Die Anpassung der Kommunikationsstile und -methoden an die individuellen Persönlichkeiten im Team kann die Zusammenarbeit und das Verständnis innerhalb des Teams erheblich verbessern. Dieser Ansatz trägt dazu bei, Missverständnisse zu reduzieren und eine positive Teamdynamik zu fördern.
  3. Ordnungsparameter:
    • Produktvision und Product Goal: Diese geben die Richtung und den Zweck des Teams vor und sind entscheidend für die Ausrichtung und Motivation des Teams. Sie dienen als Leitfaden für Entscheidungen und Priorisierungen und helfen, die Bemühungen des Teams auf ein gemeinsames Ziel zu konzentrieren.
    • Taskboard: Das Taskboard ist ein visuelles Werkzeug, das nicht nur den Fortschritt und die aktuelle Arbeitslast darstellt, sondern auch zur Strukturierung der Teamaktivitäten und zur Förderung der Transparenz beiträgt. Es ist ein zentraler Bestandteil der Selbstorganisation, da es die Koordination und die Zusammenarbeit innerhalb des Teams erleichtert.
    Insgesamt bieten Ihre vorgeschlagenen Parameterausprägungen eine umfassendere Sicht auf die Anwendung von Scrum in einem selbstorganisierenden Team. Sie betonen die Bedeutung der Abschirmung vor externen Störungen, der Anpassung der Kommunikation an individuelle Bedürfnisse und der zentralen Rolle von Vision, Zielen und visuellen Tools bei der Förderung von Teamkohärenz und -ausrichtung. Diese Aspekte sind entscheidend für die Schaffung eines Umfelds, in dem agile Teams effektiv arbeiten und sich selbst organisieren können, im Einklang mit den Prinzipien der Synergetik.

Du

Perfekt, super hilfreich!

myGini

Das freut mich zu hören! Wenn Sie weitere Fragen haben oder Unterstützung bei einem anderen Thema benötigen, zögern Sie nicht, mich zu fragen. Viel Erfolg bei Ihren Projekten und in der Anwendung von Scrum!

Wie man aus diesen Beispielen sehen kann, erzeugt diese ‚statistische‘ 😉 Künstliche Intelligenz Antworten, die den Antworten eines Senior-Experten in nichts nachstehen.

Es ist deshalb sehr müßig, AI-Systeme als dumm zu bezeichnen, denn dann müsste man uns Menschen auch als dumm bezeichnen. – Was alles in allem wenig hilfreich ist und allenfalls unser ‚gekränktes‘ Selbstwertgefühl aufwertet.

Neben den Gefahren, die mit der Erstellung von GPTapps einhergehen können –  man siehe als Beispiel [5] – sehe ich ein viel größeres strukturelles Problem: Kann es sein, dass wir mit der flächendeckenden Verfügbarkeit von GPTapps immer träger und dümmer werden? Denn warum sollte ich mich noch den Mühen eines M4.0-Verständnisse oder den Mühen der Mathematik oder den Mühen des Programmierens oder…oder… aussetzen, wenn mir die gebratenen Tauben in Form von GPTapps in den Mund fliegen. Kann es sein, dass wir eine Bildungsungleichheit befeuern, in der nur noch wenige wissen, wie man AI-Systeme erstellt und der traurige Rest an Milliarden von Menschen nur noch konsumiert? Kann es sein, dass die GPTapps jede Form von erdenkbarem Missbrauch möglich machen? – Denn wer sagt uns, dass die GPTapp-Ersteller zum Wohl der Milliarden anderen Menschen handeln?

Eine neue Zeit ist angebrochen! Den Zug der KI-Innovationen zu stoppen, ist für mich keine Option. -Statt dessen ist ein Aufbruch erforderlich, der den Milliarden KI-Nutzern den souveränen Umgang mit der Technologie vermittelt.  

[1] ZDF (2023) Künstliche Intelligenz – Besser als wir? – Weltspiegel Doku – ZDFmediathek, https://www.zdf.de/daserste/weltspiegel/page-video-ard-kuenstliche-intelligenz–besser-als-wir—weltspiegel-doku-100.html

[2] MDR (2023) Better than human – Leben mit KI, https://www.ardmediathek.de/video/ard-wissen/better-than-human-leben-mit-ki/das-erste/Y3JpZDovL21kci5kZS9zZW5kdW5nLzI4MjA0MS8yMDIzMTIyOTA2MDAvbWRycGx1cy1zZW5kdW5nLTc4NzI

[3] Detholff C (2024) #KI ist monokontexturale Mustererkennung, denn … , https://www.linkedin.com/posts/conny-dethloff-6b9b0942_ki-innovation-lernen-activity-7150711017889509376-nplL/?utm_source=share&utm_medium=member_ios

[4] Hofert S (2024) KI ist dumm und zu konventionell für unsere Transformation!, https://www.linkedin.com/posts/svenjahofert_bigfive-vertikalenentwicklung-wust-activity-7151513159051161600-fRwu?utm_source=share&utm_medium=member_desktop

[5] Petereit D (2024) OpenAIs GPT-Store: Girlfriend-Bots zeigen die Probleme des offenen KI-Shops auf, https://t3n.de/news/openais-gt-store-girlfriend-bots-zeigen-die-probleme-des-offenen-ki-shops-auf-1601980/

AI & M 4.0: (Collective Intelligence)**2 – Collective Mind Agent Based Model mit GPT-4/chatGPTplus erstellt!

In diesem Blog-Beitrag beschreibe ich meine weiteren Erfahrungen zur Modellierung und Programmierung eines Collective Mind Agent Based Models (CM ABM). 

Anders als beim Blog-Beitrag vom Februar 2023 benutze ich als ‚Erweiterung‘ meiner kognitiven Fähigkeiten chatGPTplus, also die Bezahlversion von chatGPT auf der Basis von GPT-4. Außerdem soll dieses Mal ein dynamisches ABM entwickelt werden, das auf MESA Python beruht und die zeitliche Entwicklung eines Team Collective Mind‘s modelliert.

Der Titel (Collective Intelligence)**2, also Collective Intelligence zum Quadrat, weist  daraufhin, dass es in diesem Beitrag in mehrfacher Hinsicht um Collective Intelligence geht: Ich benutze zum einen unserer aller Collective Intelligence, die in GPT-4 trainiert vorliegt und zum anderen die hybride Collective Intelligence von GPT-4 und mir. Außerdem ist ein CM ABM ein Team Collective Intelligence Modell.

Vor zwei Wochen habe ich mit der Entwicklung des CM ABM begonnen, indem ich chatGPTplus eine Aufgabenstellung als Prompt eingab. Diese anspruchsvolle Aufgabenstellung ist weiter unten im Anhang dieses Beitrages zu finden. Meine Erwartung war nicht, dass chatGPTplus diese Aufgabenstellung sofort ohne Kommunikation mit mir umsetzen kann. Jedoch ist meine Erfahrung zur ‚Erweiterung‘ meiner kognitiven Fähigkeiten durch chatGPTplus derart positiv, dass diese Collective Intelligence Erfahrung, bestehend aus AI und Mensch, mehr als nur einmal bei mir Gänsehaut erzeugte. – Der Zuwachs an Geschwindigkeit sowie wissenschaftlicher Kreativität und Python Kompetenz liegt deutlich näher am Faktor 100 als am Faktor 2!

Ich fasse meine Collective Intelligence Erfahrungen mit chatGPTplus zusammen:

  • ChatGPTplus hat die unten stehende Aufgabenstellung mit ersten Ideen zur Ziel-Hierarchie und deren Ähnlichkeitsvermessung umgesetzt. Es fehlten lediglich vollständig die Projekttypisierung und die Stakeholder. – Eine Einbettung von chatGPTplus in die Agentenlogik habe ich nachträglich gestrichen, da dies zu kompliziert für mich wurde.
  • Zur Verfeinerung und Verbesserung der Aufgabenstellung war es notwendig, im Dialog mit chatGPTplus das Python-Programm weiter zu entwickeln. Die Kommunikation mit chatGPTplus entspricht hierbei der Kommunikation mit einem hochintelligenten Experten: Die chatGPTplus Expertise in den Bereichen Python, Mathematik und spezifischer Modellierungskompetenz übersteigt meine bei weitem. Hierbei habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Verwendung von Ratgebern à la ‚Wie gestalte ich die chatGPT Prompteingabe optimal?‘ für mich keinen Sinn macht. – Meines Erachtens genügt es, die Prompts so zu erstellen, dass ein menschlicher Experte:inn sie nachvollziehen kann. – Dies genügt, um eine gelungene Kommunikation mit super Ergebnissen zu erhalten!
  • Auf der Basis der Kommunikation habe ich von chatGPTplus Pythoncode erstellen lassen. Dieser Code wurde in einer Colab-Umgebung laufen gelassen. Manchmal enthielt dieser Code einen Fehler, manchmal habe ich einen Fehler eingebaut, da ich noch Veränderungen am Code vorgenommen habe. Die Rückmeldung des vollständigen Fehlers als Prompt hat immer zum direkten Auffinden des Fehlers durch chatGPTplus geführt.
  • Die Analyse der Ergebnis-Daten zeigte den ein oder anderen Mangel in der Modellierungslogik auf. Eine textuelle Beschreibung der Ergebnis-Daten als Prompt führte immer innerhalb weniger Schritte zur Behebung dieses Mangels.
  • Es gibt eine Unzulänglichkeit in der Zusammenarbeit mit chatGPTPlus, die ich nicht beheben konnte und durch einen Workaround umgehen musste: In den ersten Tagen der Bearbeitung der Aufgabenstellung stellte ich mit fortschreitender Zeit immer häufiger fest, dass chatGPTplus vorherige gute Ergebnisse vergessen hatte. Dies führte dazu, dass an Stellen, die ich als abgeschlossen und korrekt betrachtet habe, plötzlich anderer Code und nicht selten zur Aufgabenstellung nicht passender Code auftauchte. So geschah es zum Beispiel, dass die Ziel-Hierarchie Berechnung verändert wurde oder dass das 7-köpfige Team wie Stakeholder behandelt wurde, also die MBTI Typ-Zuordnung zufällig erfolgte und nicht nach dem gewünschten Schema der Aufgabenstellung. Dieses ‚Fehlverhalten‘ tauchte umso häufiger auf, je länger die Modellierung der Aufgabenstellung dauerte. Das ‚Fehlverhalten‘ wurde noch verstärkt, wenn ich chatGPTPlus darauf hinwies, dass der Code an einer bestimmten Stelle falsch ist. Dann versuchte das System ein völlig anderes Modellverhalten zu erstellen. Am vierten Tag nach insgesamt ca. 4-5 Std. chatGPTplus Interaktion, habe ich mich zu folgendem Workaround entschlossen: Ich habe das gesamte Programm selbst immer wieder integriert und alle Änderungen selbst in das gesamte Programm eingegeben. Um erwünschte neue Modellierungs-Änderungen zu erhalten, habe ich chatGPTplus lediglich eine konkrete überschaubare aber durchaus schwierige Teilaufgabe gegeben. Wenn Änderungen größere Auswirkungen im Code hatten oder mehr als ca. 1 Std. Interaktion verstrichen war, habe ich den gesamten Code wieder als Prompt eingegeben. chatGPTplus hat sich hierfür meistens bedankt 😉: Es sei hilfreich, den gesamten Code zur Verfügung zu haben. Zusammenfassend interpretiere ich dieses Verhalten von chatGPTplus dahingehend, dass chatGPTplus über kein Kurzzeitgedächtnis verfügt.

Und nun zu den Ergebnissen. – Auf Nachfrage stelle ich gerne den CM ABM Code als Colab-Jupyter Notebook zur Verfügung. Ich beschreibe hier das Modell und diskutiere einige Ergebnisse:

Das Modell basiert auf der ABM Bibliothek MESA-Python [1]. Die Teammitglieder eines Teams und die Stakeholder werden als Agenten unterschiedlichen Typs behandelt. Die Agenten werden über eine MBTI Typologie mit Persönlichkeits-Polwahrscheinlichkeit charakterisiert (siehe Anhang). Alternativ könnte auch das Standardmodell der Psychologie, das Big Five Persönlichkeitsmodell (NEO-PI-R), verwendet werden. Das Persönlichkeitsmodell lässt sich auch um Werte/Motive oder Glaubenssätze erweitern.

Entsprechend der Aufgabenstellung haben die Teammitglieder fest vorgegebene Persönlichkeiten. Die Stakeholder erhalten ihre Persönlichkeit gemäß der globalen statistischen Verteilung der MBTI Persönlichkeiten.

Jeder Agent verfügt über eine eigene dreiteilige Ziel-Hierarchie. Die dreiteilige Ziel-Hierarchie entspricht dem einfachsten Collective Mind Schema, das wahlweise als Teil eine Dilts Pyramide angesehen werden kann oder als persönliche Story Map oder als OKR [2, 3]. Die Agenten verändern ihre Ziel-Hierarchie in Abhängigkeit ihrer individuellen MBTI Präferenzen, also der individuellen Persönlichkeits-Polwahrscheinlichkeiten. Zum Beispiel ändert ein extrovertierter NT-Typ durch Kommunikation vornehmlich die oberste Ebene der Ziel-Hierarchie – ein introvertierter NT-Typ tut dies auch, jedoch nicht so oft.

Die dreiteilige Ziel-Hierarchie besteht aus alphanumerischen Zeichenketten einer bestimmten Länge. Diese Zeichenketten werden am Anfang, wenn die Simulation beginnt, per Zufall ermittelt. Der Inhalt der Ziel-Hierarchie sollte keine entscheidende Rolle für das Auftauchen prinzipiell emergenter Systemeigenschaften haben. Dies trägt der langjährigen Erfahrung aus anderen ABM Modellen und deren Systemeigenschaften Rechnung [4]. – Die Mathematik ist vielleicht doch viel entscheidender als der Inhalt!

Die Änderung der Ziel-Hierarchien erfolgt zufällig und paarweise zwischen zufällig ausgewählten Agenten. Das Ändern der Ziel-Hierarchien durch Kommunikation ist eine Form von Lernen und wird über einen Lernparameter alphaT für Teammitglieder und alphaS für Stakeholder eingestellt. Typischerweise ist alphaS kleiner gleich alphaT, da die Interaktion im Team zu einem besseren Lernen führt.

Zusätzlich erhalten die Stakeholder weniger Möglichkeiten ihre Ziel-Hierarchie zu ändern. Dies erfolgt über eine gesondert einzustellende Zeit-Steprate: Die Stakeholder erhalten zum Beispiel eine um den Faktor 200 reduziert Möglichkeit ihre Ziel-Hierarchie zu ändern. Dies trägt der Annahme Rechnung, dass die Stakeholder untereinander weniger oft kommunizieren und auch weniger oft mit den Teammitgliedern.

In der Sprache der Theorie der Selbstorganisation ergeben sich damit folgende Parameter:

Rahmenparameter: Anzahl und Persönlichkeit der Teammitglieder, Anzahl und Persönlichkeit der Stakeholder, reduzierte Steprate für die Stakeholder

Kontrollparameter: alphaT, alphaS

Ordnungsparameter: dreiteilige Ziel-Hierarchie, am Anfang gefüllt mit zufällig ermittelten Zeichenfolgen der Länge k. Die Ziel-Hierarchien werden gemäß MBTI-Profil geändert. Die Ähnlichkeiten der Ziel-Hierarchien wird über die Ratcliff-Obershelp Funktion bestimmt [5].

Die nachfolgenden Abbildungen zeigen jeweils links das resultierende emergente Systemverhalten, gemessen über die mittlere Ähnlichkeit aller Ziel-Hierarchien getrennt nach den Teammitgliedern und den Stakeholdern.

Jeweils rechts ist die Performance des Teams bzw. der Stakeholder zu sehen. Die Performance ist keine emergente Eigenschaft sondern wird über folgende Formel aus der Ähnlichkeit ermittelt: Performance=(Anzahl der Agenten eines Typs* mittlere Ähnlichkeit der Ziel-Hierarchien des Agententyps)**2. Diese Formel basiert auf folgender Betrachtung: Es werden alle bilateralen Verbindungen innerhalb einer Gruppe (Teammitglieder, Stakeholder) aufsummiert – gewichtet mit der mittleren Ähnlichkeit der Ziel-Hierarchien innerhalb der Gruppe. Wie man weiter untern sehen kann, folgt die Performance der Ähnlichkeit, natürlich erhöht um einen Faktor, der die Anzahl der Gruppenmitglieder berücksichtigt. 

Abbildung 1:
Rahmenparameter: 7 Teammitglieder mit definierter MBTI-Persönlichkeit, keine Stakeholder
Kontrollparameter: Lernparameter Teammitglieder alphaT = 0.1
Ordnungsparameter: Ziel-Hierarchie-Ähnlichkeit mit der Ratcliff-Obershelp Funktion berechnet, ermittelt aus den dreiteiligen Ziel-Hierarchien mit jeweils am Anfang zufällig generierter Zeichenfolge von k = 100 Zeichen pro Ebene

Wie man aus Abbildung 1 sehen kann, steigt die Ähnlichkeit recht schnell auf Werte von über 0,7 und die Teamperformance damit auf Werte von 21 und mehr, bei 7 Teammitgliedern. – Der Synergieeffekt beträgt also 3 und mehr!

Selbstverständlich genügt diese Aussage, wie auch die nachfolgend abgeleiteten Aussagen, keinen wissenschaftlichen Ansprüchen. Um wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen, müsste ich u.a. ggf. 10.000 und mehr Durchläufe errechnen lassen, um dann auf dieser Basis eine statistische Auswertung aller errechneten Werte zu erhalten. Hierauf verzichte ich, da dies meine (derzeitigen) Möglichkeiten übersteigt. Abbildung 2 zeigt den Einfluss der Stakeholder auf das Team. Die Anzahl der Stakeholder entspricht der Anzahl der Teammitglieder, ist also 7. Die Fähigkeit der Stakeholder ein Collective Mind auszubilden, bestimmt auch die Fähigkeit des Teams ein Collective Mind auszubilden: Die Stakeholder ziehen die Leistungsfähigkeit des Teams runter, obwohl die Lernrate der Stakeholder genau so groß ist wie diejenige der Teammitglieder. – Die Interaktionsrate der Stakeholder ist jedoch um den Faktor 200 geringer als die Interaktionsrate der Teammitglieder. 

Abbildung 2:
Rahmenparameter: 7 Teammitglieder mit definierter MBTI-Persönlichkeit, 7 Stakeholder mit zufälliger MBTI-Persönlichkeit, Abschottung des Teams und zwischen den Stakeholdern durch 200-fach geringere Steprate als im Team selbst.
Kontrollparameter: Lernparameter Teammitglieder alphaT= 0.1, Lernparameter Stakeholder alphaS= 0.1
Ordnungsparameter: Ziel-Hierarchie-Ähnlichkeit mit der Ratcliff-Obershelp Funktion berechnet, ermittelt aus den dreiteiligen Ziel-Hierarchien mit jeweils am Anfang zufällig generierter Zeichenfolge von k = 100 Zeichen pro Ebene

Abbildung 3 zeigt eine Simulation mit 21 Stakeholdern und einer zehnmal geringeren Lernrate der Stakeholder (diese Simulation benötigt in der Colab Umgebung ohne spezielle Hardware ca. 3-4 Stunden elapsed time). Die Ziel-Hierarchie-Ähnlichkeit der Stakeholder sinkt weiter ab und zieht das Collective Mind des Teams mit sich weiter runter. Die Stakeholder wie das Team zeigen jetzt eine Performance die weiter unterhalb der Anzahl der Teammitglieder bzw. der Stakeholder liegt.

Abbildung 3:
Rahmenparameter: 7 Teammitglieder mit definierter MBTI-Persönlichkeit, 21 Stakeholder mit zufälliger MBTI-Persönlichkeit, Abschottung des Teams und zwischen den Stakeholdern durch 200-fach geringere Steprate als im Team selbst.
Kontrollparameter: Lernparameter Teammitglieder alphaT= 0.1, Lernparameter Stakeholder alphaS = 0.01
Ordnungsparameter: Ziel-Hierarchie-Ähnlichkeit mit der Ratcliff-Obershelp Funktion berechnet, ermittelt aus den dreiteiligen Ziel-Hierarchien mit jeweils am Anfang zufällig generierter Zeichenfolge von k = 100 Zeichen pro Ebene

Was sagt uns dies?

Es sieht so aus, als wenn die hybride Collective Intelligence von chatGPTplus und mir, ein Modell gefunden hätte, das emergentes Collective Mind Verhalten eines Teams in Interaktion mit Stakeholdern recht gut abbildet. – Dies ist ein weiterer Schritt in Richtung von Management 5.0, der Synergie von AI und Management 4.0.

Anhang: Erst-Aufgabenstellung für GPT4/ChatGPTplus

Die Aufgabenstellung zur Digitalen Transformation des Unternehmens KüchenManufaktur verwende ich in meinen Management 4.0 Trainings, um eine Scrum Simulation durchzuführen und eine Ziel-Hierarchie zu erstellen. Die zugrundeliegende Theorie hierzu ist in [2], [3] zu finden.

Erzeuge ein Agent Based Model (ABM) in der Programmiersprache Python, z. B. mittels MESA Python, für ein Team von 7 Teammitgliedern und 100 Stakeholdern. Die 7 Teammitglieder und die 100 Stakeholder sind Agenten im ABM. Die Teammitglieder und die 100 Stakeholder gehören zu dem Unternehmen KüchenManufaktur, das sogenannte Weiße Ware, also u.a. Herde, Kühlschränke und Gefrierschränke herstellt. Bisher hat das Unternehmen KüchenManufaktur diese Weiße Ware ohne große Digitalisierungsfunktionen hergestellt. Jetzt soll die Weiße Ware smart werden und als Life Style Produkt positioniert werden. Der Einsatz von smarter Technologie kann auch den Einsatz von AI oder ML beinhalten. Zum Beispiel könnte eine zukünftige Anforderung für einen Kühlschrank beinhalten, dass ‚er sich von alleine füllt‘. ‚Von alleine füllen‘ bedeutet, dass er über ein intelligentes Füllmanagement verfügt, das u.a. Zugriff auf Lebensmittellieferanten hat.

Es geht also um die Digitale Transformation des Unternehmens KüchenManufaktur. Die Digitale Transformation soll mittels eine Projektes durchgeführt werden. In einem ersten Schritt ist ein Konzept für die Digitale Transformation zu erstellen. Für diesen ersten Schritt ist das ABM mittels Python zu erstellen.

Die Aufgabe der Konzepterstellung typisieren wir als Projekt mittels des Diamantmodells: Das Projekt ist für KüchenManufaktur ein Projekt mit hohem Innovationsgrad. Nicht alle Stakeholder sind vom Sinn der Digitalen Transformation überzeugt und deshalb zeigen auch recht viele Stakeholder innere Widerstände gegen das Projekt. Deshalb sprechen wir von einem hohen Missionsgrad.- Das Team hat also viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Der Kompliziertheitsgrad der neuen smarten Weißen Ware ist eher gering bis mittelgroß. Der Managementgrad ist mittel, da KüchenManufaktur innerhalb eines Jahres mit ersten smarten Produkten auf den Markt kommen möchte.

Die Persönlichkeiten der 7 Teammitglieder beschreiben wir mittels des MBTI, wobei die dominante Persönlichkeitsdimension des jeweiligen Teammitgliedes als Wahrscheinlichkeit angegeben wird. Wir nennen vereinfacht die jeweiligen Teammitglieder entsprechend ihrer MBTI Typologie und einer MBTI-Polwahrscheinlichkeit, also:

Teammitglied 1: ENTJ heißt: Extraversion = E = 0.8, Intuition = N = 0.8, Thinking = T = 0.6, Judging = J = 0.6

Teammitglied 2: INTJ heißt: Introversion = I = 0.8, Intuition = N = 0.7, Thinking = T = 0.7, Judging = J = 0.6

Teammitglied 3: ISFP heißt: Introversion = I = 0.6, Sensing = S = 0.7, Feeling = F = 0.7, Perceiving = P = 0.6

Teammitglied 4: ISTJ heißt: Introversion = I = 0.8, Sensing = S = 0.7, Thinking = T = 0.7, Judging = J = 0.9

Teammitglied 5: ESTJ heißt: Extraversion = E = 0.8, Sensing = S = 0.9, Thinking = T = 0.7, Judging = J = 0.6

Teammitglied 6: ISTP heißt: Introversion = I = 0.9, Sensing = S = 0.9, Thinking = T = 0.6, Perceiving = P = 0.6

Teammitglied 7: ISTJ heißt: Introversion = I = 0.7, Sensing = S = 0.6, Thinking = T = 0.6, Judging = J = 0.6

Die Stakeholder erhalten per Zufall eine Persönlichkeit gemäß MBTI.

Die Aufgabe der Konzepterstellung ist erledigt, wenn die 7 Teammitglieder, die das Konzept erstellen, eine gemeinsame Ziel-Hierarchie erstellt haben. Eine Ziel-Hierarchie besteht aus Informationseinheiten, die abstrakt oder detailliert sind. Eine Vision oder ein übergeordnetes Ziel bilden die oberste Ebene, es folgen darunter größere Informationseinheiten, die in weitere Informationseinheiten runtergebrochen werden. Im Agilen Management beginnt die Ziel-Hierarchie zum Beispiel mit einer Vision, gefolgt von Epics, die in Features zerlegt werden, die Features werden in User Stories zerlegt und diese wieder in Tasks und Tasks in Subtasks usw.

Für die Generierung der Informationseinheiten kann pro Teammitglied auf chatGPT zurückgegriffen werden

Um die Ziel-Hierarchie zu erstellen, tauschen die 7 Teammitglieder gemäß ihrer Persönlichkeitspräferenzen Informationseinheiten aus. Diese Informationseinheiten werden gemäß ihrer Präferenzen und der damit verbundenen Wahrscheinlichkeiten in die persönliche Ziel-Hierarchie aufgenommen.

Im ABM Model wird der Informationsaustausch in Zeitschritten durchgeführt. Wir definieren die Performance des Teams über die Ähnlichkeit der persönlichen Ziel-Hierarchien. Wenn alle persönlichen Ziel-Hierarchien identisch sind, sprechen wir von einem Collective Mind. Der Collective Mind kann durch die Kommunikation mit den Stakeholdern stabilisiert oder destabilisiert werden. Die Ähnlichkeit der Ziel-Hierarchien aller Stakeholder und der 7 Teammitglieder ist ein Maß für den Collective Mind im Team bzw. im Stakeholderkreis bzgl. der Digitalen Transformation.

Zeichne den Verlauf des Colletive Mind im Team und den Verlauf des Collective Mind für den Stakeholderkreis über die Zeit.

[1] Complexity Explorer (2023) MESA-Python Lecture, https://www.complexityexplorer.org/courses/172-agent-based-models-with-python-an-introduction-to-mesa/segments/17326, Santa Fe Institute, zugegriffen am 30.04.2023

[2] Oswald A, Köhler J, Schmitt R (2017) Projektmanagement am Rande des Chaos. 2. Auflage, Springer, Heidelberg, auch in englischer Sprache unter ‚Project Management at the Edge of Chaos‘ verfügbar.

[3] Köhler J, Oswald A. (2009) Die Collective Mind Methode, Projekterfolg durch Soft Skills, Springer Verlag

[4] Epstein J M, Axtell R (1996) Growing Artificial Societies – Social Science from the Bottom Up, The Brookings Institution, Washington D.C.

[5] Wikipedia (2023) Ratcliff-Obershelp Funktion, https://de.wikipedia.org/wiki/Gestalt_Pattern_Matching#:~:text=Gestalt%20Pattern%20Matching%2C%20auch%20Ratcliff,im%20Juli%201988%20im%20Dr.

„Einheit in der Vielfalt“ oder von der Selbstorganisation des Marktes

Anlässlich des 30zigsten Jahrestages der Deutschen Einheit wurde der Zukunftsforscher Daniel Dettling vom Zukunftsinstitut zum Stand der deutschen Einheit interviewt [1]. Er kommt zu dem auf den ersten Blick erstaunlichen Schluss „Der Westen wird sich dem Osten angleichen“. Dies basiert auf der weitreichenden Erkenntnis „Wir leben 2050 in einem Deutschland und Europa der Regionen. Landkreise und ihre Kommunen haben ähnliche Kompetenzen wie die Bundesländer und können vor Ort autonomer agieren, angefangen von den Schulen bis hin zu Steuern.“ – Die „Einheit in der Vielfalt“ sei das zukünftige Einende. – Dettling identifiziert nicht Geld, als den entscheidenden Ordnungsparameter, sondern er spricht vom „Glücksfaktor“, bei dem der Osten schon weiter sei als der Westen.

Man braucht nicht sehr „quer“ zu denken, um zu erkennen, dass dies nichts anderes ist als einer der Grundgedanken der Selbstorganisation, der sich auch im gesellschaftlichen Raum seinen Weg bahnt.

Die Grundgedanken der Selbstorganisation „Einheit in der Vielfalt“, die Suche nach Sinn, die Einführung von Nachhaltigkeit, die Ersetzung des Wettbewerbsgedankens durch den Kollaborationsgedanken, alle dies sind Ausdruck eines weiter entwickelten  gesellschaftlichen Bewusstseins, das sich anschickt zu emergieren.

In einem Artikel auf nature communication warnen Nachhaltigkeitsökonomen erst kürzlich vor den Konsequenzen des Überflusses. Sie skizzieren Konzepte, die auf dem Grundgedanken der Selbstorganisation beruhen und hier Abhilfe schaffen sollen [2]. Dies wird flankiert von den datenbasierten Forschungsergebnissen meines Sohnes Yannick, dass der Energie-Fußabdruck ganz wesentlich mit dem Einkommen und damit mit dem Überfluss korrespondiert [3]. Man siehe hierzu und zur korrespondierenden Oxfam-Studie auch den Kommentar in Forbes [4].

Der ein oder andere mag auf die Idee komme, dass dies dem Kapitalismus bzw. dem ungezügelten Kapitalismus zuzuschreiben ist. – Dies ist nicht ganz von der Hand zu weisen, jedoch liegt das Problem meines Erachtens tiefer. Es hat viel mehr mit den aktuell (noch) vorherrschenden Werte-Memen zu tun, die besagen, dass „Wer (mehr) Erfolg hat, hat auch ein Anrecht auf (mehr) Entlohnung, also mehr Überfluss“, dass „Innovationen schon immer unser aller Lebensstandard gehoben haben und deshalb (immer) gut sind“, und dass „wir klare Fakten brauchen, die keinen Zweifel aufkommen lassen, bevor wir die Pferde scheu machen, denn es ist noch immer gut gegangen ist“. Diese Aussagen sind zentrale Werte-Meme des sogenannten orangenen Werte-Mems. Das orangene Werte-Mem ist weitgehend blind für eine Relativierung unserer anthropozentrischen Bedeutung und unserer systemischen Einbettung. – Deshalb sind auch datenbasierte Forschungsergebnisse so wichtig; neben Rahmenbedingungen wie Corona oder ersten großen Klimaschäden, die einen mächtigen Druck zum Umdenken ausüben, ist es sehr wichtig, das orange Mem mit einer seiner eigenen Waffen, der „datenorientierten Innovation“, zu schlagen, um so mitzuhelfen, eine Transformation anzustoßen. – Denn, …der Überfluss entspringt einem Denken und Handeln, das nicht mehr zum 21. Jahrhundert passt.

In [2] wird ein „neuer Lebensstil für das 21. Jahrhundert“ vorgeschlagen. – Die nachfolgende Tabelle zeigt wie stark diese Vorschläge mit den im Management 4.0 vorgeschlagenen Werte-Memen korrespondieren [5]. Dieser Werte-Mem Shift hat schon vor mehr als 25 Jahren eingesetzt, denn man kann ihn an den Entwicklungen festmachen, die zum Agilen Manifest führten:

Nachhaltige Ökonomie/
Gesellschaft [2]

Management 4.0 [5]

Das Bruttoinlandsprodukt ist kein geeignetes Maß für Wohlstand oder gar den „Glücksfaktor“. – Dies entspricht der Aussage: Preise bzw. Geld sind keine Sinngeber!

Der überbordende Work-in-Progress von einzelnen Personen, Teams oder Organisationen ist letztendlich die organisationale Repräsentation des Glaubens „Geld ist der entscheidende Träger von Sinn“.

Der WIP ist vielmehr zu limitieren und als „falscher“ Ordnungsparameter zu entlarven, um den Weg für einen sinngebenden Ordnungsparameter frei zu machen.

Ermächtige Menschen auf allen Ebenen zur Partizipation und Demokratie mit stärkerer Selbst-Governance auf lokaler Ebene.

Führe Selbstorganisation ein, die auf den synergetischen Prinzipien der natürlichen Selbstorganisation beruht. Baue eine entsprechende dynamische Governance-Architektur auf.

Betone Gleichheit und reduziere Ungleichheit durch Umverteilung

Betone individuelle Wertschätzung und reduziere wertvernichtende Komplexität durch einen integralen Ansatz.

Unterstütze die Transformation des ökonomischen Systems durch die Betonung von Forschung und Innovation in einem kollaborativen lokalen Umfeld (bei gleichzeitiger Reduktion von Massenproduktion in einem Wettbewerbsumfeld) 

Richte die Organisation an einer innovativen Ziel-Hierarchie (z.B. Collective Mind, Story Map, OKRs,…) aus, die den Menschen in der Organisation Sinn vermittelt und ermögliche dies durch Kollaboration statt Silo-Denken und Wettbewerb.

Sorge für Kapazitäten in der (digitalen) Bildung sowie im Austausch von Know-How zwischen lokalen gesellschaftlichen Einheiten 

Sorge dafür, dass durch geeigneten Austausch Selbstorganisation und Skalierung von Organisationen Hand in Hand gehen.

 

In [2] werden zusätzlich unterschiedliche Organisationsformen skizziert, die sich insbesondere in der Ausgestaltung der Governance-Architektur unterscheiden: Nämlich, ist die Governance-Architektur eher dynamisch oder statisch?; gibt es eine übergeordnete Governance, die die Einheit in der Vielfalt sicherstellt?; und gibt es eine Governance, die die Wechselwirkung zwischen lokalen Einheiten im gesellschaftlichen System reguliert?

Auch im Management 4.0 kennen wir genau diese Fragestellungen.- Die meisten Agilen Handlungsrahmen (wie Scrum und Kanban oder SAFe und LeSS) verfügen lediglich über eine statische Governance. Nur der Handlungsrahmen Soziokratie bzw. der hiervon abgeleitete Handlungsrahmen Holacracy verfügt über eine dynamische Governance. Der Handlungsrahmen Scaled Agile Management 4.0 beruht auf einer dynamischen Governance, die zusätzlich auf den Prinzipien der natürlichen Selbstorganisation (Synergetik) beruht.

In dem Deutschlandfunk-Beitrag „Die Wertedebatte, Wie fünf Ökonominnen Wirtschaft und Politik neu verbinden“ [6] werden die volkswirtschaftlichen Konzepte der fünf bedeutenden Ökonominnen Mariana Mazzucato, Kate Raworth, Esther Duflo, Stephanie Kelton und Carlota Pérez skizziert. Ich zitiere beispielhaft hieraus zu einem „neuen Lebensstil für das 21. Jahrhundert“:    

„Voraussetzung wäre jedoch auch in ihren Augen der Abschied von traditionellen Theorien der Volkswirtschaft. Statt sich weiter an den Modellen der industriellen Massenproduktion zu orientieren, bei denen Wachstum, Erwerbsarbeit, Besitz und dergleichen wichtig sind, gelte es, einen neuen Lebensstil für das 21. Jahrhundert zu entwickeln.

Die Zukunft ist nicht immer die Fortführung der jüngsten Vergangenheit. Der Staat muss die Wettbewerbsbedingungen in eine synergistische Richtung lenken. Eine Richtung, in der das, was einer tut, allen anderen zugutekommt, sodass wir diese fantastische gemeinsame Energie für Wachstum und Wohlbefinden bekommen.

Erste Trends in diese Richtung gibt es ja bereits. Wir könnten noch mehr Gebrauchsgüter gemeinsam nutzen, statt einzeln zu besitzen. Eine individuelle maßgeschneiderte Produktion von qualitativ hochwertigen und langlebigen Einzelstücken könnte die heutige Massenproduktion von Billigteilen ersetzen. Wir könnten mehr Zeit für Familie, gegenseitige Fürsorge, Bildung und Kultur aufwenden statt um jeden Preis an überflüssig gewordenen Erwerbsarbeitsplätzen festzuhalten. Klingt utopisch?“

Die Erkenntnisse des Zukunftsinstituts, der modernen (Nachhaltigkeits-) Ökonomie und des Management 4.0 zeigen in die gleiche Richtung. Analog dem Agilen Manifest schlage ich auf dieser Basis ein ökologisch-ökonomisches Manifest vor:

  • Die Selbstorganisation der Gesellschaft ist wichtiger als die Selbstorganisation des Marktes.
  • Der Markt dient der Gesellschaft, und nicht die Gesellschaft dem Markt.
  • Eine geführte Selbstorganisation des Marktes ist wichtiger als eine ungeführte Selbstorganisation des Marktes.
  • Einheit in der Vielfalt ist wichtiger als Einheit.
  • Kollaboration ist wichtiger als Wettbewerb.
  • Lokalität ist wichtiger als Globalisierung.

Die nachfolgende Abbildung 1 fasst einige Aussagen der Blog-Reihe „Selbstorganisation des Marktes“ zusammen:

Abbildung 1: Die Selbstorganisation der Gesellschaft ist wichtiger als die Selbstorganisation des Marktes.

Viele Individuen tragen mit ihrem individuellen Verhalten in verschiedenen Kontexten auf der Mikro-Ebene zur Ausbildung von Mustern bei, die sich auf der Makro-Ebene des Marktes und der Gesellschaft zeigen. Damit tragen die individuellen Makro-Ebenen mit ihren individuellen Werten und Glaubenssätzen, ihren Identitäten und dem Sinn, den jeder seinem Leben gibt, zu den gesellschaftlichen Makro-Strukturen bei. – Es bilden sich mehr oder weniger viele Gesellschaften bzw. Teilgesellschaften sowie ein Markt bzw. Teilmärkte.

Die sozialen Makro-Ebenen (Markt/Märkte bzw. Gesellschaft/Teilgesellschaften) lassen sich wiederum durch unterschiedliche Ordnungsparameter beschreiben. So habe ich im letzten Blog z.B. erwähnt, dass man die unterschiedlichen ökonomischen Theorien u.a. auch durch die Reihenfolge der Markt-Ordnungsparameter charakterisieren kann. Der in allen ökonomischen Theorien oberste Ordnungsparameter ist die Technologie, sie ändert sich am langsamsten. – Die Schnelligkeit oder Langsamkeit, mit der sich die Größen im Verhältnis zueinander ändern, habe ich durch stärkere oder weniger starke Schwingungen angedeutet. So zeigt das Verhalten der Menschen auf Mikro-Ebene die (wahrscheinlich) stärkste Dynamik.

Der Markt ist Teil des gesellschaftlichen Systems. Berücksichtigt man, dass Modelle immer ihre Limitierungen haben, so hat die Ökonomie gezeigt hat, dass man mit mathematischen Modellen den Markt vielfach sehr gut beschreiben kann. – Man kann sogar mit Hilfe der mathematischen Theorien der Komplexitätsforschung und der Selbstorganisation für den Markt wichtige Erkenntnisse gewinnen. – Es ist jedoch wichtig, festzuhalten, dass der Markt bzw. die Märkte zwar emergierende Makro-Strukturen zeigen, jedoch in sich keine soziale Rechtfertigung tragen. – Sie sollten, trotz aller „selbstorganisierter Komplexität“ nur als „formale“ Repräsentationen gesellschaftlicher Makro-Strukturen betrachtet werden und diesen untergeordnet werden, damit sich die integralen Werte-Meme entwickeln können. Genau dies ist für mich die Quintessenz eines „neuen Lebensstils für das 21. Jahrhundert“. – Wenn man sieht, dass Management 4.0 gerade die organisationale Welt verändert, dann kann man die berechtigte Hoffnung haben, dass der Kapitalismus für das Leben im 21. Jahrhundert seine Dominanz verliert, Innovationen mehr integrale gesellschaftliche Relevanz zeigen und der „Glücksfaktor“ wächst.  

[1] Bayer Anna und Künßberg Jann-Luca (2020) Interview mit dem Zukunftsforscher Daniel Dettling über Deutschland 2050, „Der Westen wird sich dem Osten angleichen“, Spiegel,  https://www.spiegel.de/geschichte/deutschland-2050-der-westen-wird-sich-dem-osten-angleichen-a-5d614ef4-1d3a-4022-afde-49d6f1ddd7d4, zugegriffen am 24.10.2020

[2] Wiedmann Thomas, Lenzen Manfred, Keyßer Lorenz T., Steinberger Julia K. (2020) Scientits‘ warning on affluence, nature communications, (2020)11:3107

[3] Oswald, Y., Owen, A. & Steinberger, J.K. (2020) Large inequality in international and intranational energy footprints between income groups and across consumption categories, Nature Energy volume 5, page 349(2020)

[4] Ollie Williams (2020) Rich People Are Bad For The Planet Studies Show, https://www.forbes.com/sites/oliverwilliams1/2020/09/21/rich-people-are-bad-for-the-planet-studies-show/#2e6f07db2b46, zugegriffen am 24.10.2020

[5] Oswald Alfred, Müller Wolfram (editors) (2020) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices, BoD, Norderstedt

[6]  Schrupp Antje (2020) Die Wertedebatte, Wie fünf Ökonominnen Wirtschaft und Politik neu verbinden, Deutschlandfunk, https://www.deutschlandfunk.de/die-wertedebatte-wie-fuenf-oekonominnen-wirtschaft-und.1184.de.html?dram:article_id=485902&utm_source=pocket-newtab-global-de-DE, zugegriffen am 24.10.2020

Emergenz oder Selbstorganisation des Marktes?

Die 8te research conference der IPMA (International Project Management Association) beginnt am 09.09.2020 als Online Veranstaltung und steht unter dem Thema „Projects as arena for self-organizing“ [1]. Eine Kollegin fragt in einer Voabdiskussion „Is self-organization a “superpower” or a “mythological creature?”.

Der vierte Teil der Blog-Reihe „Selbstorganisation des Marktes“ versucht diese Frage zu beleuchten und aus meiner Sicht zu beantworten. Gleichzeit möchte ich die Universalität des Konzeptes der Selbstorganisation weiter verdeutlichen.  

In meinem Blog-Beitrag über Evidenz-basiertes Management [2] habe ich am Beispiel des Begriffes Selbstorganisation schon einmal gezeigt, dass dieser Begriff völlig unterschiedlich verwendet wird und meines Erachtens daraus abgeleitete Ergebnisse einer wissenschaftlichen Befragung nicht aussagkräftig sind. In dieser wissenschaftlichen Befragung wurden folgende Begriffe als Substitut für „selbst-organisierte Teams“ verwendet: „self-managing teams, self-directing teams, self-regulating teams, self-organizing teams, self-leading teams, autonomous teams, autonomous task groups, autonomous work groups, and team leadership.”

Fast Jeder, der schon einmal in Gruppen oder Teams gearbeitet hat, hat sicherlich schon die Erfahrung gemacht, dass Teams, die man umgangssprachlich als selbst-organisiert bezeichnet hat, keineswegs eine „superpower“ entwickelt haben. – Viele der sogenannten agilen Teams gehören in diese Kategorie. Dagegen haben einige wenige, die Erfahrung gemacht, dass es auch selbst-organisierte Teams gibt, die „superpower“ haben bzw. entwickeln. – Diese Teams zeigen eine enorme Leistungsfähigkeit, kreieren Etwas völlig Neues und empfinden ihre Arbeit als hoch-motivierend und sinnvoll. Wenn so etwas auftritt spricht man von emergenten Phänomenen oder Emergenz (lateinisch emergere „Auftauchen“, „Herauskommen“, „Emporsteigen“ [3]).

So gesehen trägt der Satz „Is self-organization a “superpower” or a “mythological creature?” kein ausschließendes Oder in sich. Denn die Superpower ist ein wenig beobachtetes Phänomen, und gleichzeitig haben alle schon mal von (selbstorganisierten) Teams mit Superpower gehört. – Und schon ist das Fabelwesen „Selbstorganisation“ geboren, denn man hat davon gehört, keiner weiss was es ist, und gleichzeitig wünscht man es sich herbei.

In den wenigsten Fällen wird man Selbstorganisation auch mit Technologie oder Technik verbinden. So dürfte den wenigsten bekannt sein, dass z.B. Laser, Supraleitung, Künstliche Intelligenz oder smarte autonome Logistiksysteme auf Selbstorganisation beruhen [4].

In [5] werden die Begriffe Emergenz und Selbstorganisation untersucht und voneinander abgegrenzt. Emergenz wird dort wie folgt definiert:

„A system exhibits emergence when there are coherent emergents at the macro-level that dynamically arise from the interation between the parts at the mirco-level. Such emergents are novel with respect to the individual parts of the system.”

Selbstorganisation wird in [5] definiert als:

„Self-organisation is a dynamical and adpative process where systems acquire and maintain structure themselves, without external control.”

Unsere in [6] gegebene Definition integriert Emergenz und Selbstorganisation:

„Self-organization creates, under certain conditions (setting-, control- and order parameters) and through the interaction of system elements on the micro-level, emergent properties on a macro-level. The consequence of a self-organizing process is an ordered pattern, collective behavior or a new structure.”

Wie man unmittelbar sehen kann, integriert unsere Definition Selbstorganisation und Emergenz nicht nur, sondern sie geht sogar noch ein Stück weiter: Sie spricht von bestimmten Konditionen (den Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparametern) unter denen emergente Selbstorganisation sich ausbilden. – Und in diesem Sinne verwenden wir Selbstorganisation im Management 4.0. – Wir sprechen nur dann von emergenter Selbstorganisation, wenn sich ein Ordnungsparameter ausbildet.

Das heißt auch, dass die von uns verwendete Definition von emergenter Selbstorganisation, Emergenz und das übliche Verständnis von Selbstorganisation (wie in [4] verwendet) einschließt. Nicht alle Systeme, die nach üblichem Verständnis als selbstorganisierte Systeme verstanden werden, zeigen Emergenz sondern sind z.B. nur autonom und passen sich mehr oder weniger emergent an die Umgebung an. Um diesen Grad an Emergenz zu verdeutlichen, könnte man eine Skala von z.B. 1 bis 10 einführen und selbstorganisierte Systeme entsprechend einordnen: Hiernach hätten vermutlich die meisten der sogenannten agilen Teams eine Emergenz, die nahe 1 ist (also nur wenig oder keine Emergenz)  und einige wenige eine Emergenz nahe 10 (also eine hohe Emergenz). Wenn wir von einem Collective Mind in Teams sprechen, dann meinen wir eine Emergenz, die Nahe 10 ist. (Anm.: Es gibt in der wissenschaftlichen Literatur einige Versuche Emergenz über Komplexität oder Entropie zu definieren und zu messen. – Diese Versuche waren meines Erachtens bisher nicht sehr erfolgreich, da man eigentlich nicht wirklich genau weiß, was Emergenz ist [7].)

Die Unvorhersehbarkeit und die Stärke des Ordnungsparameters, beim Team der Collective Mind, ist im Management 4.0 ein „Maß“ für den Emergenzgrad. – In Management 4.0 Trainings lernen die Teilnehmer für den Emergenzgrad eine Intuition zu entwickeln. – Dies erlaubt ihnen über Selbstreflexion ihre Team-Emergenz (Teamperformance) zu erhöhen.

Technische Systeme, die auf Emergenz beruhen, hätten hiernach einen recht hohen Grad an Emergenz. – Dies wäre insoweit gerechtfertigt als der Emergenzgrad die mit einem kollektiven Verhalten verbundene qualitative und quantitative Neuartigkeit einer Vernetzung „misst“. Falls das Universum auf emergenter Selbstorganisation beruht, dann läge dessen Emergenzgrad sicherlich sehr viele Größenordnungen über unserer Skala von 1 bis 10. Abbildung 1 zeigt einen sehr vagen Versuch die Emergenzgrade verschiedener Systeme zu „bemessen“.

Abbildung 1: Systeme und deren Emergenzgrad, eine sehr vage Zuordnung

Warum ist dies Alles wichtig für das Verständnis von Selbstorganisation, insbesondere von sozialer Selbstorganisation, hier der Selbstorganisation des Marktes?

Ein Markt ist auch ein selbstorganisiertes System, das Emergenz zeigt. Ein überregulierter Markt kann keine emergente Selbstorganisation mehr ausbilden, denn es gibt ja keine Neuartigkeit bzw. Unvorhersehbarkeit, die der Markt als Ganzes zeigt. – Und damit verliert der Markt das Potential Emergenz zu zeigen. – Man beachte, dass diese Aussage direkt zu dem schon erwähnten Glaubenssatz „Selbstorganisation verträgt keine Eingriffe“ führt. – Man beachte aber auch, dass wir an vielen anderen Stellen im Blog schon gezeigt haben, dass „Eingriffe“ sehr wohl vorkommen können: Diese „Eingriffe“ wirken als Governance, die die Rahmen- und Kontrollparameter gestaltet und indirekt hilft, dass sich der oder die Ordnungsparameter ausbilden können.

Ein unterregulierter Markt, also ein Markt, der keinen Eingriffen unterliegt, zeigt aber auch nicht zwangsläufig eine hohe Emergenz und wenn er Emergenz zeigt, dann ist dies eventuell eine Emergenz, die nicht wünschenswert ist. – Man kann dies mit einem sehr wenig regulierten, also autonomen Team vergleichen, das auch nicht automatisch Emergenz zeigt.

Legt man den Fall Tönnies als symptomatisch für die Fleischindustrie zugrunde, dann zeigt dieser Markt wahrscheinlich eine gewisse Emergenz (auf unserer Skala vielleicht 2-3), die leider aber nicht wünschenswert ist! Diese Emergenz lässt sich zum großen Teil auf die nicht wünschenswerte Kultur in diesem Markt zurückführen. Wenn also Emergenz auftritt, so ist diese keineswegs immer gut. – An anderer Stelle habe ich des Öfteren festgestellt, dass Selbstorganisation keinesfalls immer „gut“ ist. – Es kann durchaus hochemergente Gesellschaften und Märkte oder auch Organisationen und Teams geben, die mit Superpower Böses tun.

Emergente Selbstorganisation, also „superpower“, wenn man sie denn haben will, benötigt die explizite Ausbildung eines wünschenswerten Mindsets oder einer wünschenswerten Kultur, denn sonst entsteht eine „superpower“, die man ggf. nicht mehr kontrollieren kann. – Deswegen ist z.B. die Ausbildung einer Ethik für die Digitale Transformation besonders wichtig. Allgemein kann man sagen, dass es für Transformationen, die emergente Strukturen hervorbringen (hervorbringen sollen) besonders wichtig ist, eine Ethik auszubilden, und zwar umso mehr, als ein höherer Emergenzgrad mit ihnen verbunden ist.

 

[1] IPMA (2020) 8te IPMA research conference, http://www.ipma-research-conference.world/

[2] Oswald Alfred (2018) Evidenzbasiertes Management: Richtig verstanden… geht kein Weg daran vorbei, https://agilemanagement40.com/evidenzbasiertes-management-richtig-verstanden-geht-kein-weg-daran-vorbei, zugegriffen am 07.09.2020

[3] Emergenz (2020) https://de.wikipedia.org/wiki/Emergenz, zugegriffen am 07.09.2020

[4] Czybik Björn, Ehrlich Marco, Trsek Henning, Oswald Alfred (2020) Eine differenzierte Betrachtung ganzheitlicher Selbstorganisation im Rahmen von Industrie 4.0, veröffentlicht im Rahmen der Automation 2020, https://www.vdi-wissensforum.de/automatisierungskongress/

[5] De Wolf Tom, Holvoet Tom (2004) Emergence and Self-Organisation a statement of similarities and differences, Lecture Notes in Computer Science 3464

[6] Oswald Alfred, Köhler Jens, Schmitt Roland (2018) Project Management at the Edge of Chaos, Springer

[7] Greve Jens, Schnabel Annette (Hrsg.) (2011) Emergenz: Zur Analyse und Erklärung komplexer Strukturen, suhrkamp taschenbuch wissenschaft

Liebesaffären in der Projektarbeit – Hypnosystemisches Arbeiten und Management 4.0

Unlängst habe ich von meiner Kollegin Sonja Armatowski, die als systemischer Coach in Projekten arbeitet, das Buch „Liebesaffären zwischen Problem und Lösung, Hypnosystemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten“ von Gunther Schmidt [1] aus dem Jahre 2004 geschenkt bekommen. Dies ist ein Buch, das trotz seines Alters nichts an Aktualität verloren hat, und gerade für Führung und Management viele wertvolle Erkenntnisse bereit hält. Mit diesem Blog Beitrag möchte ich dies verdeutlichen.

Gunther Schmidt [2] ist innerhalb des deutschsprachigen Raumes sicherlich der bekannteste Experte für (systemische) Hypnotherapie. Seine Arbeiten beruhen auf den Hypnosetechniken von Milton Erickson. – Milton Erickson gehört neben Gregory Bateson, Virginia Satir und Fritz Perls zu den genialen Modelgebern des NLP [3]. Schmidt’s Buch enthält deshalb sehr viele implizite und explizite Verbindungen zum NLP.

Schmidt schreibt zum Titel seines Buches: „<der Titel> eben darauf hinweisen soll, wie „Problemmuster“ und „Lösungsmuster“, erfreuliche über ihr ursprüngliches Wesen hinausgehende Entwicklungen (im schönsten Fall „Liebesbeziehungen mit Folgen“) anregen können.“ Dem aufmerksamen Leser dürfte nicht entgangen sein, dass er im Titel von „Liebesaffären“ und im Text von „Liebesbeziehungen“ spricht. Beide Begriffe bezeichnen wohl unterschiedliche Kontextstereotype. – Schmidt wäre wohl kein Experte für Hypnosearbeit, wenn er den Titel nicht mit Bedacht ausgewählt hätte. – Der Titel erzeugt nämlich eine enorme Aufmerksamkeit und fokussiert über die damit verbundenen „romantisierenden“ [1] Gefühle. – Und genau um Aufmerksamkeit und Fokus geht es; sie sind die Schlüsselbegriffe in der Hypnosetherapie. Die Abbildung eines Clowns im Buch Cover trägt zur (weiteren) Irritation und letztendlich zur Fesselung bei. – Eine wichtige Interventionstechnik in der systemischen Hypnotherapie.

Und damit sind wir beim Kern, warum ich das Buch und einige seiner Inhalte für diesen Block ausgewählt habe. Das Buch enthält neben Kapiteln zur Anwendung in der systemischen Psychotherapie auch Kapitel zur Anwendung in Teams und Organisationen. – Schmidt verweist direkt am Anfang seines Buches auf Zusammenhänge zur Theorie der Selbstorganisation, insbesondere auch zur Synergetik, die einer der vier Basisbausteine des Management 4.0 [4] darstellt.- Die anderen drei sind Mindset-Entwicklung, Skalierung und Neuroleadership. Die Fachsprache von Schmidt verwendet nicht selten Begriffe der Synergetik. So schreibt er zum Beispiel im Kontext der Hauptaufgaben von therapeutischen Interventionen „Es soll erreicht werden, dass Klienten und Therapeuten ihre Aufmerksamkeit so intensiv als irgend möglich … auf die kontext-angemessenen Zielpotentiale fokussieren können. So soll eine Art Attraktorkraftfeld für das Lösungserleben geschaffen werden (wie bei der Synergetik), das immer stärker („Schneeballeffekt“) Feedbackschleifen unterstützt, die wieder das Kraftfeld des Lösungserlebens weiter verstärken.“ – Attraktor ist ein Begriff aus der Komplexitätstheorie. Er steht für einen dynamischen Zustand, auf den ein System sich hinbewegt oder hier hinbewegen soll. Die Fokussierung auf kontext-angemessene Zielpotentiale stellt den sogenannten Ordnungsparameter [5] dar, der zum Attraktor führt. – Damit ergibt sich noch eine Verbindung zum Titel des Buches bzw. zur Liebe: Liebe ist ein solcher Ordnungsparameter, der auf die Geliebte (den Geliebten) hinführt.- Entsprechende Neurotransmitter sorgen dafür, dass die Aufmerksamkeit extrem gebündelt wird. Nicht umsonst sagt man „Liebe macht blind“. – Liebe ist also eine Form von Trance bzw. Hypnose. – Schmidt hat genau diese Wirkung des Wortfeldes Liebe-Liebesbeziehung-Liebesaffäre im Titel sprachlich genutzt, um eine Fokussierung auf sein Buch zu erreichen.

Die Verwendung der Gedanken aus der Theorie der Selbstorganisation ist schon recht erstaunlich, zumal Haken und Schiepek die Theorie der Selbstorganisation für psychische und soziale Systeme erst im Jahre 2006/2011 in einem umfangreichen Buch [6] einem breiteren Publikum zugänglich gemacht haben. 

Schmidt führt an verschiedenen Stellen aus, dass „Unter Hypnose …generell der interaktionelle Prozess der systematischen Fokussierung von Aufmerksamkeit verstanden <wird>, welcher auf willkürlicher, besonders aber auf unwillkürlicher Ebene das Erleben gestaltet.“  Oder anders ausgedrückt, Hypnose versucht mittels Interventionstechniken die Aufmerksamkeit so stark zu bündeln (siehe auch obiges Zitat), dass ein neuer Ordnungsparameter entsteht, der neue Lösungsräume eröffnet. Die Interventionstechniken helfen als Rahmen- und vor allem Kontrollparameter von derzeitigen Problem-Ordnungsparametern zu neuen Lösungs-Ordnungsparametern zu wechseln. Das Buch von Schmidt erläutert zum einen diesen Zusammenhang und zum anderen vor allem die vielen möglichen vom Kontext abhängigen Interventionstechniken, um Aufmerksamkeit und Fokus zu erzeugen.

Der Zusammenhang zum Agile Management 4.0 [4] ist jetzt vielleicht schon fast greifbar. Ich wende das obige Zitat zum „Attraktokraftfeld“ auf den agilen Handlungsrahmen Scrum an, in dem ich einige Wortersetzungen mache:

„Es soll erreicht werden, dass Development Team und Produkt Owner mit Hilfe des Scrum Masters ihre Aufmerksamkeit so intensiv als irgend möglich … auf die kontext-angemessene Produktvision fokussieren können. So soll eine Art Attraktorkraftfeld für das Lösungserleben (für alle Stakeholder) geschaffen werden, das immer stärker („Schneeballeffekt“) Feedbackschleifen unterstützt, die wieder das Kraftfeld des Lösungserlebens (für alle Stakeholder) weiter verstärken.“

Ich glaube, dass damit der Zusammenhang von systemischer Hypnotherapie und Agile Management 4.0 greifbar wird. Tatsächlich findet man in Schmidt’s Buch unzählige Beispiele, die im Management 4.0 ihre Entsprechung haben. – Er selbst wendet seine Erfahrungen und Erkenntnisse auf Teams und Organisationen an; sehr ähnlich zu den im Management 4.0 praktizierten.

Auf dieser Basis wird auch sehr schnell verständlich, warum viele agile Handlungsrahmen in Theorie und Praxis nur wenig mit Selbstorganisation, die Hochleistung ermöglicht, zu tun haben: Den agilen Führungskräften wie z.B. Product Owner und Scrum Master fehlt meistens die Kompetenz, für Aufmerksamkeit und Fokus zu sorgen; also ihre Interventionen so zu gestalten, dass sich eine Produktvision, also der Ordnungsparameter, aus dem Team für alle Stakeholder selbstorganisiert entwickelt. – Management 4.0 und damit Agilität, haben also viel mehr mit hypnosystemischer Arbeit zu tun, als mit dem vorgegebenen „korrekten“ Ausführen von Agilen Handlungsrahmen.  – Aus diesem Grunde sind die agilen Techniken der unwichtigste Faktor unter den wichtigen Faktoren: Das Verständnis für die Wirkzusammenhänge der Selbstorganisation ist hundertmal wichtiger, das Mindset ist sogar tausendmal wichtiger!   

[1] Schmidt G (2017) Liebesaffären zwischen Problem und Lösung, Hypnosystemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten, Hypnotherapie, systemische Therapie, Beratung, 7. Auflage (1. Auflage von 2004), Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg

[2] Wikipedia (2019a) https://de.wikipedia.org/wiki/Gunther_Schmidt_(Mediziner), zugegriffen am 30.04.2019

[3] Mohl A (2010) Der große Zauberlehrling. Das NLP-Arbeitsbuch für Lernende und Anwender. Teil 1 und Teil 2. Junfermann Verlag

[4] Oswald A, Müller W (Hrsg.) (2019) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices, Release 3.0“, BoD, Norderstedt

[5] Oswald A, Köhler J, Schmitt R. (2017) Projektmanagement am Rande des Chaos, 2. Auflage, Springer, Heidelberg, auch in Englisch verfügbar: Project Management at the Edge of Chaos (2018), Springer, Heidelberg

[6] Haken H, Schiepek G (2010) Synergetik in der Psychologie: Selbstorganisation verstehen und gestalten. Hogrefe-Verlag, Göttingen

Made in Germany – Management am Scheideweg

Im Spiegel, Ausgabe 34/2017, wird unter dem Titel „Made in Germany“ das Desaster des Berliner Flughafen Baues BER beschrieben.

Ich kann nicht beurteilen, ob die Darstellungen der Wahrheit entsprechen, gehe aber davon aus, wenngleich dies für die nachfolgenden Betrachtungen unerheblich ist. Wir nehmen einfach mal an, dass die Beschreibung des Spiegels ein Beispiel skizziert, wie es in der Praxis sein könnte. Gleichwohl ist mir kein Beispiel aus meiner Praxis bekannte, das so konsequent Verhaltensweisen aufweist, wie sie im Falle des BER wohl aufgetreten sind. Einzelne Facetten dieser Verhaltensweisen finden sich jedoch immer wieder in Projekten.

Schauen wir uns das Beispiel des BER aus meiner Brille an.

In meiner Beratungs- und Trainingspraxis verwende ich u.a. zur Beschreibung von Management 4.0 eine Faustregel, die aus drei Faktoren besteht:

Management = Mindset * Governance * Arbeitstechnik.

Die drei Faktoren Mindset, Governance und Arbeitstechnik werden in dieser Faustregel durch Multiplikationszeichen verbunden. Die „Größe“, also Effizienz und Effektivität, von Management wird also durch das Mindset (die innere Haltung), das Setzen geeigneter Leitplanken (Governance) und durch ein oder mehrere Arbeitstechniken bestimmt. Das Mindset wird durch ein Modell, die Dilts Pyramide, beschrieben. Mit dem zentralen Modell der Dilts Pyramide lässt sich zu den einzelnen Ebenen der Dilts Pyramide unter Verwendung weiterer Modelle, die innere Haltung von einzelnen Personen, die Haltung eines Teams oder die Kultur einer Organisation oder einer ganzen Gesellschaft ziemlich gut beschreiben. Ich verweise auf das Buch „Projektmanagement am Rande Chaos“ und darin enthaltene Verweise auf weiterführende Literatur. Die Governance, also die Ausgestaltung der Führung mittels Leitplanken, in denen sich ein Team oder eine Organisation bewegen soll, hängt natürlich in seiner ausgebildeten Struktur und Dynamik von dem jeweiligen herrschenden Mindset ab. Die Leitplanken führen unmittelbar zu Vorgehensmodellen oder Handlungsrahmen, die verschiedene einzelne Arbeitstechniken bündeln.

Im Agilen Management 4.0 entspricht das Mindset einem Agilen Mindset, in dem auf der Ebene der Werte und Glaubenssätze, Werte wie Offenheit, Vertrauen, Transparenz, Fokus, Mut und Commitment zu finden sind. Als einer der zentralen Glaubensätze ist dort auch angesiedelt „Teams zeigen Hochleistung, wenn man sie zur Selbstorganisation führt“. Deshalb orientiert sich die Governance im Management 4.0 daran, eine Organisation (Team, Abteilung, Unternehmen) zur Selbstorganisation zu führen. Arbeitstechniken werden so ausgewählt, dass sie das Mindset und die Governance entsprechend unterstützen und fördern.

Im Gegensatz zum Management 4.0 wird in den Unternehmen oder der öffentlichen Verwaltung nach wie vor ein Management praktiziert, das beliebig weit von einem Management 4.0 entfernt ist. Nehmen wir auch hier wieder für das Mindset nur die Ebene der Werte und Grundannahmen, so herrschen nach wie vor Macht, Misstrauen, Intransparenz, kein Fokus (u.a. heißt dies, dass die Mitarbeiter auf vielen Hochzeiten tanzen), Angst und eine dementsprechend geringe Verbindlichkeit vor. Die Governance wird u.a. von dem Glauben beherrscht, dass Prozesse und Strukturen Sicherheit und Stabilität geben. Entsprechend sind auch die einzelnen Techniken ausgerichtet, sei es, um nur zwei Beispiele zu nennen, dass man an die Sinnhaftigkeit von „stabilen“ Projektplänen als Steuerungsinstrument von komplexen Vorhaben glaubt oder auch die von individuellen Zielvereinbarungen zur Entwicklung von Teams.

Die Umsetzbarkeit von Agilem Management wird dann oft daran gemessen, ob sich diese, in solch „aberwitzigen verbogenen“ Made-in-Germany Struktur anwenden lässt. Falls nicht, ist das Agile Management nicht praktisch. Es kommt aber selten jemand auf die Idee, die zugrundeliegende Organisation im Mindset und der damit verbundenen Governance grundsätzlich in Frage zu stellen.

Die Geschichte des BER ist, aus meiner Sicht, die Geschichte einer solch „aberwitzigen verbogenen “ Made-in-Germany Struktur.

Nach der Schilderung des Spiegels, hat das Ganze seine Wurzel in dem Mindset von Herrn Wowereit, der als politische Führungskraft vom Spiegel durch Sätze, wie folgt, charakterisiert wird:

„Ich bin der Koch, du bist der Kellner.“

„So, Freunde, ab heute gelten andere Regeln. Ich bin der, der hier bestellt – und ihr wollt uns ja sowieso nur von vorn bis hinten betrügen.“

Es ist unschwer zu erkenne, dass solch ein Mindset von Macht, Arroganz, Selbstüberschätzung, Narzissmus, Abwertung des Anderen, Misstrauen und damit der völligen Abwesenheit von Führungskompetenz gekennzeichnet ist.

Da ein solches Mindset in der direkten Kommunikation, aber auch in der bewussten wie unbewussten Ausgestaltung der Governance, verherrende Folgen haben muss, wäre eine mentale Veränderungsarbeit an der Führungskraft unabdingbar. Da diese Arbeit, wenn sie denn überhaupt von Erfolg gekrönt wäre, erst nach Jahren der Veränderungsarbeit Erfolg zeigen dürfte, bleibt in solch einem Fall lediglich das Absetzen der entsprechenden Führungskraft als alleiniges Mittel. Dies setzt natürlich voraus, dass diejenigen, die im politischen Umfeld die Verantwortung für die Besetzung tragen, den Mut haben, unbequeme Konsequenzen zu ziehen. Im vorliegenden Fall, wie aber auch in verschiedenen Beispielen der letzten Jahre der „freien“ Marktwirtschaft, sind mit solchen Fehlbesetzungen leider Milliarden Euro zu Lasten der Steuerzahler verbunden. Leider werden die Verantwortlichen selten zur Verantwortung gezogen, denn an anderer Stelle fürchtet man daraus abgeleitete Ansprüche, die dann zu weiteren Ruf- und Finanzschäden führen könnten.

Dass wenig Transparenz bezüglich der Persönlichkeitsmerkmale und der Kompetenzen der Führungskräfte besteht, zeigen die im Spiegel angeführten Besetzungen zu nachgeordneten Führungskräften im BER.

Der Spiegel schreibt u.a. zum Rollenverständnis der BER Geschäftsführer Schwarz und Körtgen: „Wie Ihnen sicherlich bekannt sein dürfte“, schreibt Schwarz, „ist mein Kollege Herr Körtgen primär für Planung und Bau BBI zuständig. …“. Dies zeigt wie neben Macht und Arroganz, Silo-Denken die nächste Führungsebene beherrscht hat bzw. evtl. noch weiter beherrscht.

Dies ist sicherlich keine ungewöhnliche Ausprägung von Werten in Führungsebenen, beginnend mit den Werten für die Herr Wowereit steht, wenngleich sie in dieser geballten Vehemenz und Kombination nicht so oft zu finden sein dürfte.

Auffallend ist auch die Auswahl von Herrn Mehdorn als Führungskraft durch die Politik und die Beschreibung seines Verhaltens:

„….. Er trommelt mit den Fingern …“ „…Leute, die mit Mehdorn gearbeitet haben, sagen ungefähr dasselbe in vielen Variationen. Dass er ein Energiebündel sei, ein Kraftpaket …“ „…Er ist ein Antreiber, der „Sprint“-Programme verkündet…“

In diesem Fall ist die Politik wohl einer mentalen Verzerrung, dem Halo-Effekt unterlegen, verbunden auch noch mit einer verzerrenden Repräsentationsheuristik (man siehe hierzu auch das Buch „Projektmanagement am Rande des Chaos“): Herr Mehdorn hat wohl, aus Sicht der Politik, schon so manches Unternehmen aus dem Sumpf geführt (was vielleicht der ein oder andere auch anders sehen mag). – Dann wird er dies auch im Falle des BER schaffen und er ist energiegeladen, das ist die beste Voraussetzung steckengebliebene Projekte wieder in Gang zu bringen. Dies zeigt, dass Projekterfahrung (keine Linienmanagement Erfahrung!) für komplexe Flughafen-Bauvorhaben und die nötige Umsicht in der Regulierung von sozialer und technischer Komplexität offensichtlich keine Rolle bei der Auswahl der Führungskraft gespielt haben können.

Aufgrund dieser Beispiele darf man sicherlich feststellen, dass das Mindset der Führungskräfte des BER von Narzissmus, Arroganz und Selbstüberschätzung, sowie einer großen Portion von Engstirnigkeit und Silo-Denken beherrscht wurde (bzw. wird?). Komplexe Vorhaben erfordern hingegen Offenheit und vernetztes systemisches Denken und Handeln, verbunden mit einer gehörigen Portion an Selbstreflexion und Demut sowie der Einsicht in eigene Kompetenzgrenzen.

Auf der Basis des geschilderten Mindset bildet sich nahezu automatisch eine gelebte Governance aus, die sich, wie der Spiegel auch schildert, durch einige zentrale Leitplanken charakterisieren lässt:

  • Die Abschaffung eines kompetenten Generalunternehmers und der damit verbundene Verlust einer Verantwortungshierarchie münden in ein „viele Köche kochen an der selben Suppe.“ – U.a. gab es wohl einen ganzen Zoo an Architektur-, Planungs- und Beratungsunternehmen.
  • Es wird im „klassischen“ Auftraggeber-Auftragnehmer Verhältnis gehandelt: Der Auftraggeber schiebt die Verantwortung „erpresserisch“ auf den Auftragnehmer. Er mischt sich in dessen Arbeit ein, und erzeugt für sich selbst keine Verbindlichkeit in den Anforderungen, fordert aber gleichzeitig Verbindlichkeit in Zeit, Budget und Qualität vom Auftragnehmer.
  • Die Komplexität der Anforderungen wird einfach „rosarot ausgeblendet“, dies führt zu einem Handeln nach „Gutsherrenart“; es werden einfach nach Gutdünken neue Anforderungen geschaffen oder Anforderungen umformuliert, je nach neuen „Erkenntnissen“.
  • Die ausführenden Unternehmen bzw. Teams verlieren den Glauben in Führung und Planung und entscheiden völlig selbständig ohne entsprechenden Gesamtüberblick über ihre Aktivitäten.

Zusammenfassend kann man sagen: Das geschildert Mindset und die daraus entstandenen Governance Leitplanken sind völlig ungeeignet ein komplexes Projekt erfolgreich zu Ende zu führen, sie führen nahezu automatisch ins „Chaos“. Jegliche Form von Arbeitstechniken, wie z.B. die Ermittlung des Projektfortschritts und der Meilensteinplanung sind wirkungslos und sind zum Scheitern verurteilt. – Dies konnten wir ja, nahezu täglich, in den öffentlichen Nachrichten der letzten Jahre recht gut mitverfolgen.

Es bleibt die vage Hoffnung, dass sich eine in zehn Jahren etablierte Projektkultur korrigieren lässt und auch mutig korrigiert wird, indem man einfach mal das Gegenteil von dem macht, was man bisher für richtig gehalten hat.

Agile Management und Digitalisierung, passt dies überhaupt zusammen?

Agile Handlungsrahmen wie Scrum und Kanban sind genau deswegen entstanden, weil man Ende des 20zigsten Jahrhunderts wieder zurück wollte zum Wesentlichen:

  • Befriedigende Arbeit,
  • Kontakt zum Kunden,
  • Weniger Technokratie und Methodenwahn,
  • Sehen und fühlen, was man innerhalb einer bestimmten Zeit erreicht hat.

Hieraus sind dann die sehr haptischen Werkzeuge wie das Task Board oder andere kleine Werkzeuge entstanden, die Teammitglieder in realen Präsenztreffen interaktiv und gemeinsam anwenden.

Digitalisierung bringt oftmals das Gegenteil mit sich, nämlich Virtualität im Leben und in der Kommunikation (u.a. virtuelle Teams), hervorgerufen durch die Verwendung digitaler Werkzeuge.

Digitalisierung ist ein ganz klarer Komplexitätstreiber; sie erzeugt einerseits neue Verbindungen (u.a. über Social Media), bringt teilweise Vorgänge ans Licht, die vorher nicht sichtbar waren (u.a. Big Data Auswertungen), andererseits versteckt sie Vorgänge und erlaubt Aktivitäten, die man vorher überhaupt nicht kannte oder so nicht kannte (u.a. elektronische Wahlhelfer). Wie mein Sohn Yannick Oswald an anderer Stelle ausgeführt (yannickoswald.de), entstehen Netzwerke, deren Charakteristiken man prinzipiell zwar schon kannte, die heute jedoch einen weltumspannenden Charakter und damit auch eine neue Qualität haben

Agiles Management wurde als Antwort auf eine zunehmend komplexere Welt gegeben. Man siehe hierzu unser Buch „Projektmanagement am Rande des Chaos“ und das in der Veröffentlichung befindliche Buch „Management 4.0 – Handbook for Agile Practices“ der GPM Fachgruppe Agile Management. – Hierbei kommen u.a. folgende zwei zentrale Prinzipien zum Einsatz: Abschotten von wertvernichtender Komplexität und Ausbildung wertschöpfender Komplexität über Selbstorganisation in einem Team, deren Teammitglieder sich „anfassen“ können.

Es stellt sich also einerseits die Frage, muss Agiles Management anders aussehen, wenn Komplexität zunehmend durch Digitalisierung getrieben wird und wenn ja, wie. – Und andererseits, wie kann Digitalisierung möglichst viel wertschaffende und möglichst wenig wertvernichtende Komplexität erzeugen. Welche Formen von Digitalisierung erzeugen oder unterstützen Selbstorganisation? Und welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für die Führung?

Digitalisierung ist meines Erachtens (mindestens) durch folgende Hauptbereiche gekennzeichnet:

  • Automatisierung der industriellen Wertschöpfung, dies läuft derzeit (im engeren Sinn) unter dem Schlagwort Industrie 4.0, also Anreicherung der industriellen Wertschöpfung mit digitalen Werkzeugen (u.a. Roboter) und deren Vernetzung. – Die IT-Arbeitswelt (Software, Hardware) gehört (unter diesem Blickwinkel) seit jeher zur digitalen Arbeitswelt. Die bisherigen nicht-IT getriebenen Bereiche der industriellen Wertschöpfung werden diesen Umbruch am stärksten spüren. Evtl. gilt dies auch für das (Projekt) Management. – Mir sind hierzu noch kaum Aussagen zu den Auswirkungen bekannt, sieht man einmal davon ab, dass Führungskräfte sich mit digital natives „auseinandersetzen müssen“.
  • Anreicherung von Produkten um smarte Eigenschaften (u.a. das Bett, das einem beim gesunden Schlafen hilft, der Kühlschrank, der sich selbständig füllt): Hierbei werden die Produkte mit digitalen Eigenschaften angereichert und mit dem Internet verbunden. In Konsequenz sind alle so mit dem Internet verbundenen Produkte auch prinzipiell über das Internet zugänglich. Hieraus entstehen neu Möglichkeiten und Gefahren. Das Auto, das über ein WLAN verfügt und sich bei Problemen selbständig mit der Werkstatt verbindet aber auch jederzeit lokalisierbar ist oder das smarte Haus, das in seinen verschiedenen Funktionen über Internet steuerbar ist und damit auch „angreifbar“ wird.
  • Neue digitale Produkte, hierzu zähle ich auch autonom fahrende Autos und die iWatch von Apple, aber auch neue Produkte wie Drohnen für den „Hausgebrauch“, smarte Medizintechnik, die uns ständig „überwacht“, aber auch diverse Apps, die unsere sozialen Aktivitäten einem social feedback zugänglich machen (z.B. die App, die unsere Kontakte im Dialog aufnimmt und ggf. analysiert, und anderes mehr, man siehe u.a. www.humanyze.com). Hier ist der Übergang zu der vorherigen Kategorie sicherlich fließend. Verbunden werden diese beiden Kategorien auch durch sogenannte „disruptive“ Innovationen. Agiles Management selbst kann man als disruptive soziale Innovation (Social Technology) bezeichnen.- Denn mit weniger Ressourcen (Prozessen, Strukturen, Werkzeugen) werden qualitativ und quantitatv bessere Ergebnisse erzeugt, das Hauptkennzeichen disruptiver Innovationen. Oder, vielleicht ein ähnlich (unbekanntes) Beispiel für eine Disruption; das Internet hat auch im Bereich der Telefonie zu einer Disruption geführt: Denn zukünftig werden sicherlich alle Telefonkommunikationen auf IP-Technologie umgestellt sein, damit verschwinden altbekannte Telefon-Technologien vollständig. Da die IP-Technologie in allen Bereichen digitaler Kommunikation eingesetzt wird, entfallen frühere Telefonietechnologien und die gleichen Ressourcen können zu geringeren Kosten mehrfach genutzt werden.
  • Die letzte Kategorie baut in einem gewissen Maße auf den vorherigen Kategorien auf, denn sie ist nur möglich, wenn viele Personen oder (stellvertretend) digitale Produkte über das Internet Daten bewusst oder unbewusst eingeben und austauschen sowie diese Daten anderweitig als Information verarbeitet werden und zu Wissen werden. Dies ist die Kategorie „Big Data“. Sie ist für uns durch die sozialen Netzwerke und Plattformen à la Amazon, Google, Facebook usw. sichtbar. Sichtbar heißt in diesem Fall, dass wir lediglich die Spitze des Eisbergs sehen, jedoch keineswegs seinen gesamten Umfang.

Schauen wir uns die letzte Kategorie etwas genauer an:

Einher mit der Technisierung (d.h. den digitalen Schaltungen) der Digitalisierung geht die zunehmende algorithmische Modellbildung oder Mathematisierung, die vereinfacht und schlagwortartig oft unter dem Begriff der Artifical Intelligence zusammengefasst wird. Dies betrifft nahezu alle Bereiche der Digitalisierung. Cathy O’Neill hat sehr engagiert und eindrucksvoll die schon heute vorhandenen Konsequenzen für die amerikanische Gesellschaft aufgezeigt (Cathy O’Neil, Weapons of Math Destruction, How Big Data Increases Inequality and threatens Democracy, Penguin Random House, UK 2016, https://www.amazon.de/Weapons-Math-Destruction-Increases-Inequality/dp/0241296811/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1488042721&sr=8-1&keywords=weapons+of+math+destruction). Hiernach werden inzwischen alle Bereiche von der Mathematisierung durchzogen, teilweise mit katastrophalen gesellschaftlichen Folgen: Modelle unterscheiden zwischen Arm und Reich und vergeben auf dieser Basis fragwürdige Kredite, Modelle entscheiden über bildungsarm und bildungsnah und entscheiden auf dieser Basis auf welcher Universität man eine Chance hat bzw. wie sich der Studentenkredit zu Ungunsten der Studenten vergeben lässt. Diese Modelle sind keineswegs besonders kompliziert, sie entziehen sich aber, dadurch, dass sie intransparent arbeiten, der Nachvollziehbarkeit oder gar Beeinflussbarkeit.

In Deutschland sieht Yvonne Hofstetter (https://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss_2?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&url=search-alias%3Daps&field-keywords=Yvonne+Hofstetter) gar die Demokratie in Gefahr; und dieser Gedanke ist gar nicht so abwegig. Denn diese Daten- und Modell-Intransparenz erzeugt auch intransparente gesellschaftliche Prozesse und Strukturen, die sich jeglicher Kontrolle entziehen und damit wird ein wesentliches Tor für populistische oder diktatorische Aktivitäten geöffnet.

Christoph Kucklick sieht diese Gefahren für Gerechtigkeit und Demokratie ebenfalls, und setzt in seinem Buch „Die Granulare Gesellschaft“ (https://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_ss_c_1_10?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&url=search-alias%3Daps&field-keywords=granulare+gesellschaft&sprefix=Granulare+%2Caps%2C555&crid=3O2EVTGRPH4QA) ein anderen, aus meiner Sicht noch fundamentaleren, Schwerpunkt: Er skizziert wie die zunehmende Feinkörnigkeit (also die „feine“ Granularität) von Information unser Leben verändern wird. Er spricht nicht mehr nur von Individualität, sondern von Singularität. Die Feinkörnigkeit der Daten ist inzwischen teilweise so hoch, dass man Menschen, ohne dass man ihre Personalausweisdaten kennt, eindeutig identifizieren kann, Z.B. aus den Bewegungsmustern gesammelt über das Smartphone; aus den Likes und Texten, über die heute mit hoher Wahrscheinlichkeit die Big Five Persönlichkeitspräferenzen einer Person ermittelt werden können; oder aus spezifischen Daten zum Gesundheitszustand oder direkt zu genetischen Informationen. In diversen Krimi’s wird einem heute diese Granularität vor Augen geführt, in dem der Täter über das Sammeln von Daten eindeutig identifiziert wird.

Wohingegen O’Neill die heutigen Unzulänglichkeiten der Modelle (zu grob, zu pauschal) skizziert, skizziert Kucklick (und auch Hofstetter) deren Abbildungs-Mächtigkeit und die hieraus entstehenden Gefahren: Modelle, die smarter sind als wir selbst, haben alle Mittel an der Hand, uns zu manipulieren.

Kucklick weist auf die Bedeutung der mathematischen Modelle und deren Anwendung im großen Stil (Big Data) im Zusammenhang mit dem Wahlkampf von Obama hin. Hiernach flossen 100 Mio. $ in die Analyse und strategisch-taktische Anwendung von Daten zur Gewinnung von potentiellen Wählern.

Wie man auf https://www.dasmagazin.ch/2016/12/03/ich-habe-nur-gezeigt-dass-es-die-bombe-gibt/ nachlesen kann ist Trump noch einen Schritt weiter gegangen, vielleicht nicht was die Menge an aufgewendetem Geld anbetrifft, aber soweit man diesem Bericht vertrauen kann, was die Intelligenz der Modelle und deren Anwendung anbetrifft.

Ein Modell, das verwendet wurde, ist das Persönlichkeitsprofil NEO-PI-R (kurz Big Five, https://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_ss_rsis_1_6?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&url=search-alias%3Daps&field-keywords=f%C3%BChren+mit+dem+big-five-pers%C3%B6nlichkeitsmodell&sprefix=f%C3%BChren%2Caps%2C170).

Eine leicht abgespeckte Version dieses Modells (der MBTI) wird von mir in meinen Trainings zur Teamentwicklung und zur Agilen Führung eingesetzt. Es stammt aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts (!) – Also nichts Neues, so könnte man denken.

Youyou et al. (Youyou et al. (2015) Computer-based personality judgements are more accurate than those made by humans, In Proceeding of the National Academy of Sciences of the United States of America) haben das Modell genommen und aus Facebook-Like-Daten auf die Persönlichkeit der klickenden Personen geschlossen.

Die nachfolgende Abbildung zeigt ihr Ergebnis: Das verwendete Modell ist genauso gut in der Vorhersage (Computer’ Average Accuracy (0,56)) wie das mentale Modell des Partners der klickenden Personen (Spouse (0,58)). – Und das, nach relativ wenigen Klicks (ca. 300).

Persönlichkeit und Digitalisierung
Youyou et al. (2015)

Trump hat über eine englische Firma (Cambridge Analytica, https://www.youtube.com/results?search_query=cambridge+analytica) etwas Ähnliches gemacht. Er hat Persönlichkeitsprofile von Wählern ermittelt und seine Wahlhelfer über eine App mit diesen Informationen ausgestattet, um sie entsprechend ihrer Persönlichkeit gezielt anzusprechen. – Zusätzlich wurden hunderttausende Emails individuell auf die jeweilige Persönlichkeit zugeschnitten und mit unterschiedlichen Informationen oder Informationsdarstellungen verschickt.

Und hier ist der Bezug zur Gefahr für die Demokratie wieder gegeben.- Denn die Tendenz zur Manipulation ist nicht nur nicht da, sondern die Manipulation hat schon gewirkt.

Wie ich schon sagte, verwende ich solche Modelle (Sozial Techniken) in meinen Trainings. Hier jedoch aus der Kenntnis, dass ich keine Big Data Anwendungen damit füttere und dass Modelle sehr hilfreich sind, damit wir intuitiver werden (man siehe hierzu auch die Ausführungen in dem Buch „PM am Rande des Chaos“). Denn mit der Anwendung solcher Modelle trainieren wir unsere eigenen Fähigkeiten zur Mustererkennung und verbessern so deutlich unsere damit verbundene Intuition. Die obige Abbildung enthält noch eine weitere erschreckende Information: Unsere Genauigkeit bei der Einschätzung von Personen, die wir nicht so gut kennen (also zum Beispiel am Arbeitsplatz) ist lausig (Work Colleague (0,27)). Dies entspricht meiner Erfahrung in den Trainings; wobei erschwerend hinzukommt, dass die Trainierten einen nicht unerheblichen blinden Fleck diesbezüglich haben. Sie kennen ihre Unkenntnis gar nicht und wehren sich teilweise gegen ein entsprechendes Lernen. Man kann sich leicht vorstellen, wie „unterentwickelt“ die bilaterale Kommunikation ist, aber auch die Einschätzung zur Erkennung von systemischen kommunikativen Mustern in sozialen Netzwerken (z.B. einem Stakeholdernetzwerk). Auf dieser Basis ist effektives Stakeholdermanagement, eine Kernkompetenz im klassischen Management wie im Management 4.0, nahezu unmöglich.

Ich erwähne hier noch ergänzend die Services, die im Internet rund um das IBM Artificial Intelligence-System Watson angeboten werden. Einer dieser Services ist die Analyse von Texten aus dem die Big Five Präferenzen des Autors abgeleitet werden: https://personality-insights-livedemo.mybluemix.net/. Ohne das genaue mathematische Modelle zu kennen, das Watson hier verwendet, so ist jedoch der Zusammenhang zwischen Sprache und Persönlichkeit schon recht lange bekannt und wird in Modellen wie den Meta-Programmen, einem wesentlichen Element der NLP-Basis, schon seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts angewendet.

Agiles Management hat, aus dem Blickwinkel der Digitalisierung betrachtet, folgende Aufgaben (man siehe hierzu auch das in der Veröffentlichung befindliche Buch der GPM Fachgruppe Agile Management „Management 4.0 – Handbook for Agile Practices“):

Eine Umgebung für Mitarbeiter zu schaffen,

die disruptives Denken fördert und damit disruptive Innovationen möglich macht. Agile Führung muss zu

  • Offenheit anregen,
  • Komplexität regulieren und Selbstorganisation gestalten,
  • Selbstreflexion und Lernen unterstützen (Entwicklung von Meta-Kompetenz und Intuition für komplexe Systeme).

die diese befähigt, digitale Technologie und mathematische Modelle zusammenzubringen,
die diese befähigt, die systemischen (Netzwerk-) Muster einer feingranularen Gesellschaft zu verstehen, um die Gefahren und Chancen der Digitalisierung zu begreifen.

Wie in dem o.g. Handbuch geschildert, sind die Anforderungen an eine Agile Führung schon sehr hoch, im Zeichen der Digitalisierung werden diese noch höher und schärfer. Das „Kommunizieren auf Augenhöhe“ bekommt nämlich jetzt eine völlig neue Ausrichtung. Das Randthema IT-Technologie wird nämlich mit der Digitalisierung zum dominanten Hauptthema und Führungskräfte sind gezwungen ihre Augenhöhe an diejenige der digital natives anzuheben