Agile Persönlichkeit und Kultur: Auf dem Weg zum Evidenzbasierten Agilen Projekt Management – Endlich?!

Die Zeitschrift PROJEKTMANAGEMENTaktuell hat auch dieses Jahr eine Ausgabe (Ausgabe 2/2021) dem Agilen Projekt Management gewidmet. Dieses Mal sind recht viele Beiträge von universitären Autoren enthalten. – Es ist erfreulich zu sehen, dass Agiles Projekt Management seit einigen Jahren zunehmend auch in der universitären Forschung einen Platz erhalten hat.

Insbesondere sticht aus meiner Sicht positiv der Beitrag von Schoper, Gertler und Fox hervor, der erstmalig den Einfluss von Kultur und Persönlichkeit auf das agile Arbeiten untersucht [1].  In diesem Blog-Beitrag widme ich mich diesem Artikel, da der Artikel ein sehr wichtiges PM-Thema wissenschaftlich untersucht und die Ergebnisse eine klare Praxis Relevanz haben. Gleichzeitig möchte ich die wissenschaftliche Vorgehensweise diskutieren und die abgeleiteten Ergebnisse beleuchten.

Von evidenzbasiertem Agilem Projekt Management spreche ich, wenn die Aussagen über die Wirklichkeit zu Agilem Projekt Management bzw. Agilem Arbeiten empirisch wissenschaftlich nachprüfbar sind. Wie ich noch diskutieren werde, bedeutet „empirisch wissenschaftlich nachprüfbar“ nicht automatisch, dass die Aussagen die intendierte Wirklichkeit beschreiben.

Ich fasse die wichtigsten Ergebnisse aus [1] zusammen und verzichte hier auf eine Einführung zum Persönlichkeitsmodell MBTI und zu Kulturmodellen nach Hofstede, Schein oder Spiral Dynamics. – Stattdessen verweise ich auf unsere Bücher [2, 3]:

Erstes Ergebnis: Die ideale agile Persönlichkeit hat die folgenden MBTI Persönlichkeits-Präferenzen: Introversion (Position 4), Intuition (Position 3), Feeling (Position 1) und Perceiving (Position 2). – In Klammern ist jeweils die Bedeutung der Präferenz, als Position, für die ideale agile Persönlichkeit angegeben. Die Persönlichkeits-Präferenz Feeling ist hiernach also am wichtigsten für eine ideale agile Persönlichkeit.

Zweites Ergebnis: Die ideale agile Landes-Kultur (oder nationale Kultur) zeichnet sich durch geringe Machtdistanz (Position 4), ein polychrones Zeitverständnis (Position 1), geringe Unsicherheitsvermeidung (Position 2) und Kollektivismus (Position 3) aus. – In Klammern ist jeweils wieder deren Bedeutung für agiles Arbeiten angegeben. Ein polychrones Zeitverständnis ist also hiernach am wichtigsten für eine ideale agile Landes-Kultur.

Drittes Ergebnis: Die Landes-Kultur ist deutlich einflussreicher als die Persönlichkeit für das Anwenden agiler Methoden. Die Bedeutung der Einflussfaktoren Persönlichkeit und Kultur hat folgende Positions-Ordnung: Polychron, keine Unsicherheitsvermeidung, Kollektivismus, Feeling, Perceiving, Intuition, Introversion, kleine Machtdistanz.

Einige dieser Ergebnisse decken sich mit vielen von mir in Coaching, Training und Beratung gemachten Beobachtungen, andere wiederum nicht und es gibt auch welche die ich als falsch ansehe.

Bevor ich zu den einzelnen Ergebnissen komme, möchte ich zuerst auf die wissenschaftliche Methode eingehen:

Die Ergebnisse wurden auf der Basis einer Befragung von 73 TeilnehmerInnen ermittelt. Die wesentliche Grundannahme, die sich hinter der Ableitung von wissenschaftlicher Erkenntnis durch Befragungen verbirgt, ist, dass die kollektive Intelligenz der Befragten bei sorgfältiger statistischer Analyse die „Wahrheit über die intendierte Wirklichkeit“ zu Tage fördert. Kollektive Intelligenz oder Collective Intelligence ist inzwischen ein anerkanntes Forschungsgebiet [4]. – Sie liegt unserer Management 4.0 Theorie und hier insbesondere der Theorie der Selbstorganisation zugrunde. Kollektive Intelligenz setzt jedoch bestimmt Systemparameter der Selbstorganisation voraus. – Man siehe hierzu Beiträge in diesem Blog oder in unseren Büchern [2,3].
Einfache, schon sehr lange bekannte Erfolge der kollektiven Intelligenz sind zu Schätzungen im Projekt Management bekannt. Diese Erfolge beruhen auf kollektiven Schätzungen von Experten, die sich nicht gegenseitig primen: Die Experten müssen über ein hinreichend homogenes Wissen zum Schätzgegenstand verfügen und dürfen nicht kollektiven mentalen Verzerrungen unterliegen.  – Mentale Verzerrungen werden u.a. aktiv in politischen Wahlen ausgenutzt. Passiv sind sie aber auch vorhanden, wenn die Befragten mentale Verzerrungen durch eine ähnlich geübte Praxis haben. Diese geübte Praxis kann z.B. dadurch entstehen, dass sie zur selben Berufsgruppe gehören und/oder über keine theoretische und praktische Ausbildung zum Themenbereich verfügen oder sie einfach nur zufällig vorwiegend zu gleichen oder ähnlichen Persönlichkeitspräferenzen neigen. Die Vorteile der kollektiven Intelligenz werden beim Schätzung im Projekt Management u.a. in der Delphi-Methode oder im Planning Poker genutzt.

In dem hier betrachteten Fall heißt die Grundannahme, dass die 73 TeilnehmerInnen ExpertInnen in den Bereichen Agiles Projekt Management, MBTI und Kultur sind. – Und, dass die TeilnehmerInnen über eine sehr gut Selbstreflexion verfügen, so dass die jeweiligen eigenen Persönlichkeitsprofile (MBTI-Temperament, Werte und Motive sowie Grundannahmen) die Ergebnisse nicht verfälschen. Falls dies beides nicht der Fall ist, sind die Ergebnisse fragwürdig. Die Grundannahme heißt also, dass die 73 Teilnehmer einen guten „proxy“ für die intendierte Wirklichkeit „agiles Arbeiten in Teams“ darstellen. 

Eine alternative empirische wissenschaftliche Vorgehensweise ist, eine Theorie zur Hochleistung in agilen Teams zu entwickeln oder aus der Literatur zu nehmen, um auf der Basis dieser Theorie Hypothesen zu formulieren. Anschließend werden Teams in der Praxis beobachtet, und die Hypothesen werden an den Beobachtungen getestet bzw. falsifiziert. Hier liegt Evidenz nach allgemeinem Verständnis nur vor, wenn eine hinreichend große Anzahl gleicher oder ähnlicher Teams beobachtet wird und die Ergebnisse der Beobachtung wissenschaftlich ausgewertet werden. Diese geschilderte Vorgehensweise ist in der praktischen Umsetzung sehr schwer. –  Es gibt für (agiles) Projekt Management oder für agil arbeitende Teams bisher meines Erachtens keine Begleitforschung, die dies tut.

Die im Management 4.0 skizzierte Vorgehensweise entspricht in großen Teilen dieser alternativen Vorgehensweise. Sie benutzt das Erfolgsfaktoren-Erfolgskriterien Modell zusammen mit einem wissenschaftlichen PDCA Zyklus: Theoriebildung – Hypothesenbildung – Testen – Ergebnisse sammeln und auswerten – anpassen der Theorie – usw. [2]. Das Sammeln und Auswerten der Ergebnisse erfolgt jedoch nicht nach quantitativen wissenschaftlichen Kriterien und ist damit nach allgemeinem Verständnis keine Vorgehensweise, die Evidenz erzeugt.

Die Vorgehensweise wie sie von [1] gewählt wurde, wird als Evidenz erzeugend angesehen, obwohl die Ergebnisse wie oben geschildert, die Sicht der Befragten (ggf. mit Verzerrungen) messen, also eigentlich nicht die intendierte Wirklichkeit. – Die intendierte Wirklichkeit ist nämlich die agilen Projektteams und deren unmittelbare Beobachtung. – Stattdessen erfolgen das indirekte Sammeln und Auswerten von Aussagen über den proxy „Teilnehmer der Studie“.

Ich halte die in [1] gewählte Vorgehensweise für diskussionswürdig und glaube, dass sie im hier vorliegenden Fall die intendierte Wirklichkeit nicht hinreichend gut erfasst.    

Um dies zu verdeutlichen, skizziere ich das Potential für Verzerrungen an einigen der Aussagen aus [1]. – Schauen wir uns hierzu einige Begriffe an, die die Befragten aus [1] als Experten bewerten mussten.

Zuerst die Aussagen zur idealen Kultur:

Eine geringe Unsicherheitsvermeidung ist mit Position 2 der Kulturpräferenzen ein sehr wichtiges Thema in der agilen Arbeit: Haben die Projektteilnehmer z.B. in einem Projekt Angst ihre eigene Meinung zu äußern, weil sie sich nicht gegen die Mehrheit stellen wollen oder hat das ganze Team Angst Neues anzugehen und frühe Ergebnisse zu zeigen, dann hat dies viel mit Unsicherheitsvermeidung zu tun. Schaut man in die Studie von Hofstede [2], so werden die Griechen als das Volk vermessen, das die höchste Unsicherheitsvermeidung hat. – Was man kaum glauben mag! Hierzu muss man wissen, dass die Messung von Hofstede im Berufskontext und dort wieder bei IBM Mitarbeitern gemacht wurde. Und die Griechen hatten zu dem Zeitpunkt der Befragung große Angst ihren Job zu verlieren. Die Messung und das aus meiner Sicht tatsächliche kulturelle Verhalten haben also nicht zwangsläufig etwas miteinander zu tun. – Die griechische Kultur zeichnet sich im Allgemeinen nach meiner Erfahrung nicht durch Unsicherheitsvermeidung aus. In den wenigsten Fällen dürfte Befragten dieser Zusammenhang bewusst sein. In diesem Fall hier kann man sich jedoch auf das übliche Verständnis von „Unsicherheitsvermeidung“ verlassen. – Auch nach meiner Erfahrung spielt die Unsicherheitsvermeidung eine sehr große Rolle, ob sie im vorliegenden Kontext mehr persönlich oder kulturell geprägt ist, kann ich aus meinen bisherigen Erfahrungen nicht ableiten. – Dies kann aber auch nicht aus den Daten aus [1] geschlossen werden. 

Schauen wir uns die Kultur Dimension „Individualismus-Kollektivismus“ an. – Sie steht auf Position 3 der kulturellen Präferenzen: Nach Hofstede haben gerade die Länder mit hoher Machtdistanz einen ausgeprägten Kollektivismus. – U.a. gehören China und Bangladesch in diese Kategorie.

Nach unserer Erfahrung gehört die Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Bindung (u.a. ausgedrückt über die Werte Familie, Liebe, Teamorientierung,…) zu den wesentlichen Elementen einer persönlichkeitsorientierten (agilen) Kommunikation. Wie in [2] dargelegt, zeichnet sich eine agile Kultur durch eine Präferenz für die Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Bindung und für die Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Lust und Unlustvermeidung (u.a. ausgedrückt durch Neugier, Innovationsbereitschaft) aus. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse nach Selbstwerterhöhung und -schutz (u.a. ausgedrückt über die Werte und Motive Macht, Status, …) sowie Orientierung und Kontrolle (u.a. ausgedrückt durch die Werte und Motive Ordnung, Sicherheit, Kontrolle) ist weniger wichtig. Das Modell der Grundbedürfnisse ist evidenzbasiert und beruht auf dem Konsistenzmodell der Neuropsychiatrie nach Grawe. Hieraus haben wir Aussagen zu Neuro-Leadership sowie zur Verbindung von Grundbedürfnissen und dem Kultur- und Bewusstseinsmodell Spiral Dynamics abgeleitet [2].
Die Kulturpräferenz Kollektivismus basiert in erster Linie nicht auf emotionaler Bindung, sondern auf sozialen Konventionen. Es zeigt sich in der Praxis internationaler Teams, dass Teammitglieder mit einer kollektiven und machtorientierten Ausprägung am Anfang sehr schlecht mit agilem Arbeiten zu Recht kommen. Es bedarf einer gewissen Zeit (Wochen oder Monate) bis sie in einem agilen Projektkontext die durch den Kollektivismus geforderte Anpassung ablegen. Das agile Wir ist nicht identisch mit dem Wir des Kollektivismus!

Die kulturelle Dimension monochrones-polychrones Zeitverständnis steht an Position 1 der kulturellen Präferenzen für agile Projektarbeit. Nach Wikipedia wird sie durch folgende charakteristische Verhaltensweisen beschrieben [5]:

MonochroniePolychronie
Eine Aufgabe nach der anderen erledigenviele Aufgaben gleichzeitig erledigen (Multitasking)
hohe Konzentrationhohe Ablenkung
Termine werden ernst genommenTermine haben keine Bedeutung
Orientierung an PlänenPläne haben keine Bedeutung
Störungen anderer werden vermiedenStörungen anderer werden in Kauf genommen
hohe Pünktlichkeitgeringe Pünktlichkeit (Verspätungen)
Methodische Arbeitdie Geduld geht leicht verloren
Tabelle: Monochrones-Polychrones Zeitverständnis [5]

 

Diese Charakterisierung von monochronem bzw. polychronem Zeitverständnis ist auch mein Verständnis. Das polychrone Zeitverständnis ist (leider) geübte Praxis in vielen Unternehmen. Polychrones Zeitverständnis heißt im Wesentlichen „Tanzen auf vielen Hochzeiten“. Diese kulturelle Dimension findet auch ihre Entsprechung in der Dimension Judging-Perceiving des Persönlichkeitsmodells MBTI: Man kann sehr schnell feststellen, dass Personen mit der Persönlichkeitspräferenz Perceiving ohne große Anstrengung viele Aufgaben im Multitasking erledigen. – Das „Tanzen auf vielen Hochzeiten“ findet man u.a. gerade in den Kulturen der Unternehmen wieder, die über viele Jahre durch einen Chef mit entsprechender Persönlichkeitspräferenz Perceiving geführt wurden.

Falls dies das Verständnis der Befragten in [1] ist, so ist dies das genaue Gegenteil von agilem Arbeiten. Die Begrenzung des WIP ist eine Kernvoraussetzung für agiles Arbeiten und ein Kontrollparameter der Selbstorganisation und damit eine Voraussetzung für Hochleistung. Das Time Boxing und die Iterationen sorgen gerade für die Ausrichtung auf eine Aufgabe. Da das Begriffspaar monochron-polychron diese „negative“ Ausrichtung hat, verwenden wir in unseren Veröffentlichungen [2, 3] das aus unserer Sicht besser passende Begriffspaar monochromes-polychromes Zeitverständnis. Ein polychromes Zeitverständnis konzentriert sich in einer Zeiteinheit nur auf eine Aufgabe, zeigt jedoch Offenheit für weniger Planung und mehr adaptives Handeln, d.h. u.a. dass durchaus ein Plan gemacht wird (siehe PDCA), jedoch auch wieder verworfen oder angepasst wird, wenn der Kontext es erfordert. Die Menschen werden durch das Time Boxing und die Iterationen vor schnellen ad hoc Anpassungen geschützt.

Kommen wir zu den Persönlichkeitspräferenzen:

Die Persönlichkeitspräferenz Introversion steht auf Position 4 der Bedeutung für agiles Arbeiten. Wie in [2] dargelegt, und von Kahneman empirisch wissenschaftlich belegt, unterliegt die Auswahl von Führungskräften oft einer Repräsentations-Heuristik, also einer mentalen Verzerrung: Personen, die schnell reagieren können und immer etwas zu sagen wissen, werden als durchsetzungsstark empfunden. Die Erfahrung zeigt, dass in Teams, in denen die Teammitglieder oft überwiegend introvertiert sind, z.B. in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen oder in der Softwareentwicklung, die Extroversion der Projektleiter ein zusätzliches Risikopotential darstellt: Expertenmeinungen kommen nicht hinreichend zur Geltung, was das Projekt nicht selten in eine Schieflage bringt. – Dies ist ein bekanntes Phänomen in (planbasierten) Projekten mit einem stark extrovertierten Projektleiter.

Deshalb schlagen wir auch für den PO eines Scrum-Teams eine eher extrovertierte Persönlichkeit vor und für den Scrum Master eine eher introvertierte Persönlichkeit. „Eher“ bedeutet hier, beide verfügen über eine hinreichende Selbstreflexion, um die andere Seite der Persönlichkeits-Dimension zu aktivieren. Dies heißt auch, dass es keine feste Position für die Bedeutung agilen Arbeitens gibt, sondern diese sehr stark vom Projektkontext und der ausgeübten Verantwortlichkeit abhängt. 

Die Persönlichkeitspräferenz Intuition ist auf Position 3. Die Bandbreite was unter Intuition zu verstehen ist, ist enorm. Intuition dürfte nahezu immer mit Abstraktion zu tun haben, also einer mentalen Operation der Erfassung des Ganzheitlichen oder Allgemeinen in wahrgenommen Details. Es geht um den Zusammenhang von Feinkörnigem und Grobkörnigem. Unsere in Hochleistungs-Teams gewonnene Erfahrung, ist eindeutig: Die Intuition kann ihre Macht nur entfalten, wenn das Grobkörnige und das Feinkörnige zusammenkommen. Die Intuition Einsteins lebt von der genialen Integration beider Seiten [2]: Dem Erfassen von Details und deren Verarbeitung und der ganzheitlichen integrierenden Sicht, die das Neue und das Wesentliche erfasst und zum Ausdruck bringt. Die Intuition die Faustregeln, Glaubenssätze und Grundannahmen erzeugt, funktioniert ähnlich, kann damit auch Komplexität regulieren, aber auch Verzerrungen hervorrufen. Kahneman sieht hierin eher die damit verbundenen Gefahren, Gigerenzer eher die Möglichkeiten zum Meistern von Komplexität [2].

Meines Erachtens ist das traditionelle (planbasierte) Mindset vorwiegend in den Details verhaftet. – Hierunter leidet das traditionelle Projektmanagement oft. Es wäre aber grundfalsch stattdessen nur die Intuition zu favorisieren. – Ein Hochleistungsteam benötigt beides, um der Genialität Einsteins im Team näher zu kommen. Die diversen Ausprägungen der Ziel-Hierarchie (Collective Mind Schema, Critical Chain PM Strategie Baum, Story Map, OKR’s) sind Ausdruck der Integration von Grobkörnigem und Feinkörnigem. – Sie ist notwendig, um in einem Team oder einer Organisation eine wertschaffende Ordnung hervorzurufen.

Die MBTI-Präferenz Feeling der MBTI Dimension Feeling-Thinking ist auf Position 1 der Persönlichkeitspräferenz für agiles Arbeiten. Diese Präferenz besagt, dass die Entscheidungsprozesse einer Person durch Beziehungen und weniger durch Logik beeinflusst werden. Das Grundbedürfnisse nach Bindung hat sicherlich etwas damit zu tun, jedoch trifft diese Dimension keine unmittelbaren Aussagen über die Bedeutung des Bedürfnisses nach Bindung bei der entsprechenden Person (man siehe auch meine Ausführungen zur Kulturpräferenz Kollektivismus). Was jedoch zutrifft ist, dass Personen mit dieser Präferenz in stärkerem Maße für Störungen in der Beziehung empfindlich sind. – Dies ist sehr hilfreich, um eine gute persönlichkeitsorientierte Kommunikation mit positiver Resonanz aufzubauen. Auch gilt hier wieder die schon für die anderen Dimensionen gemachte Aussage, dass ein gutes Team immer eine Ausgewogenheit von Feeling und Thinking Präferenzen haben sollte und die Teammitglieder über genug Selbstreflexion verfügen, um die positive Resonanz hervorzubringen. Ich füge hier an, dass ich in meinen Management 4.0 Trainings Persönlichkeits-Stereotypen für Product Owner (PM) und Scrum Master (SM) angebe. – Diese Stereotypen dienen lediglich der Orientierung und sollen nicht zum Ausdruck bringen, dass andere Persönlichkeitspräferenzen für die jeweilige Verantwortlichkeit nicht geeignet sind. Unter Berücksichtigung dieser Warnung gebe ich für den PO den Stereotyp ENTJ und für den SM den Stereotyp ISFP an. Hier kann man erkennen, dass der PO eher folgende Präferenzen haben sollte: Extroversion, Intuition, Thinking und Judging. Der SM sollte eher folgende Persönlichkeitspräferenzen haben: Introversion, Sensing, Feeling und Perceiving. Also, die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten erfordern unterschiedliche Persönlichkeitspräferenzen. – Es gibt hiernach nicht das! ideale agile Persönlichkeitsprofil! – Team-Hochleistung entsteht durch ein Team mit diversen Persönlichkeitsprofilen. Im planbasierten Projektmanagement hat man hierauf keinen Wert gelegt. – Im Agilen Management und insbesondere im Management 4.0 ist das ein sehr wichtiges Thema!

Die Persönlichkeitspräferenz Perceiving der Persönlichkeitsdimension Perceiving-Judging bringt das adaptive Eingehen auf jeweils gerade wirkende Kontexte zum Ausdruck. Die Teammitglieder mit der Präferenz Perceiving helfen unterschiedliche Perspektiven auf Kontexte auszubilden. Dies ist gerade am Anfang eines innovativen Projektes von enormer Bedeutung, wenn es darum geht einen Möglichkeitsraum für Ideen explorativ abzusuchen. Mit dem Voranschreiten eines Projektes kann dies jedoch zum Hindernis werden, wenn immer wieder neue Ideen die Umsetzung einer ausgewählten Idee torpedieren. Deswegen haben wir schon vor mehr als zehn Jahren empfohlen, die Teamzusammensetzung eines innovativen Projektes dem Projektfortschritt anzupassen [6]: Am Anfang sind mehr P-Persönlichkeiten im Team, in der Mitte des Projektes und zum Ende mehr J-Persönlichkeiten. Eine kulturelle Entsprechung zur Persönlichkeitspräferenz Perceiving ist die Kultur-Ausprägung polychromes Zeitverständnis. Das polychrome Zeitverständnis kann aber auch sehr schnell zu einem polychronen Zeitverständnis werden. Der Scrum Master sollte die Fähigkeit besitzen, sich adaptiv auf gerade wirkende Kontexte einzustellen; falls er dies jedoch unkontrolliert tut, also ohne Selbstreflexion kreiert sie oder er mit einem polychronen Zeitverständnis im Team Chaos! – Meine Erfahrung hat gezeigt, dass ein Team mit überwiegend P-Präferenzen genauso wenig Hochleistung erbringt wie ein Team mit überwiegend J-Präferenzen. – Die Diversität ist auch hier der Schlüssel für Hochleistung! Nach meiner Erfahrung ist planbasiertes Projekt Management sehr stark Judging orientiert, deshalb ist es sehr verständlich, dass Agiles Management mit der Präferenz Perceiving von den Studienteilnehmern als Gegenentwurf empfunden wird.   

Kommen wir zu der Aussage „Die Landes-Kultur ist deutlich einflussreicher als die Persönlichkeit für das Anwenden agiler Methoden.“

Dies kann ich aufgrund meiner Erfahrung nicht bestätigen. Meine Erfahrung hierzu lässt sich in folgenden Aussagen zusammenfassen:

Es spielen folgende Faktoren eine Rolle: Landes-Kultur, Organisations-Kultur und Persönlichkeit. – Diese Faktoren wechselwirken miteinander und bringen komplexe Muster hervor. In [2] haben wir dies an Beispielen illustriert und modelliert. Der jeweilige räumliche und zeitliche Kontext ist entscheidend, wann welcher dieser Faktoren welche Bedeutung hat.

In einem Unternehmen spielt die Organisations-Kultur oft die entscheidende Rolle. – Hierbei ist zu beachten, dass es in einem Unternehmen von Abteilung zu Abteilung unterschiedliche Kulturausprägungen geben kann. Dies kann in Teams deren Teammitglieder aus unterschiedlichen Abteilungen stammen zu erheblichen Problemen führen. Die Persönlichkeit spielt insoweit auch eine Rolle als der- oder diejenige, deren Persönlichkeit nicht zur Kultur „passt“ je nach Passung einen mehr oder weniger hohen Energieaufwand leisten muss: Da dieses Mitglied nicht „passt“ bleibt es unter seinen Möglichkeiten, empfindet Stress und im schlimmsten Fall Burn Out.

Die Landes-Kultur des Herkunft-Landes eines Teammitgliedes kann eine große Rolle spielen, wenn das Teammitglied im Herkunfts-Land verbleibt. Dies spielt bei virtuellen Teams eine größere Rolle als bei Präsenz-Teams. Der Einfluss der Landes-Kultur geht nach einiger Zeit (Wochen, Monate) jedoch deutlich zurück, wenn der Kontext durch eine andere Landes-Kultur, Organisations-Kultur und Team-Kultur überlagert wird. Zum Beispiel: Ein chinesisches Teammitglied, das in Deutschland lebt und arbeitet, und dessen Team eine persönlichkeitsorientierte resonante Kommunikation pflegt, wird nach einigen Wochen kaum noch im Verhalten durch die Landes-Kultur seines Herkunfts-Landes im Team geprägt werden. – Diese Aussage gilt im Normalfall nur für die Zeit, in der das Teammitglied in diesem Teamkontext verbleibt.

Die obigen Ausführungen sind Bestandteile unserer Trainings und wurden im Laufe von vielen Jahren immer wieder überprüft, konkretisiert und angepasst. Wichtig ist, dass alle Aussagen auf Theorien beruhen, die empirisch wissenschaftlich überprüft wurden. Die spezifische Anwendung auf agile Teams oder Organisationen erfolgte im Rahmen der Management 4.0 Entwicklung.

Die Arbeit von Schoper, Gertler und Fox stellt einen sehr wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar. Vielleicht können meine obigen Ausführungen dazu beitragen, weitere wichtige Schritte folgen zu lassen.

 

[1] Schoper Y, Gertler E, Fox K (2021) Der Einfluss von Kultur und Persönlichkeit auf agile Projektmanagementtechniken, PROJEKTMANAGEMENTaktuell, Ausgabe 2/2021

[2] Oswald A, Köhler J, Schmitt R (2017) Projektmanagement am Rande des Chaos. 2. Auflage, Springer, Heidelberg

[3] Oswald A, Müller A (2018) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices. BoD, Norderstedt, Release 3

[4] Wikipedia (2021) Kollektive Intelligenz, https://de.wikipedia.org/wiki/Kollektive_Intelligenz, abgerufen am 18.05.2021

[5] Wikipedia (2021) Polychronismus, https://de.wikipedia.org/wiki/Polychronismus, abgerufen am 18.05.2021

[6] Köhler J, Oswald A (2009) Collective Mind Methode. Springer, Heidelberg