Systemwandel, nein danke! oder von der Selbstorganisation des Marktes

Im vorherigen zweiten Teil dieser Reihe zur Selbstorganisation (SO) des Marktes [1] habe ich erläutert, dass Preise sogenannte Ordnungsparameter des sozialen Systems der Preisbildung sind. Preise wirken als Ordner, auf die sich das System „Angebot und Nachfrage“ einschwingt. – Preise können Lebensmittelpreise, Wohnungspreise und -mieten oder auch Gehälter sein. In vielen Fällen bildet sich ein mehr oder weniger stabiler (dynamischer) Preiszustand aus. – Nicht selten vergleicht man diesen stabilen Zustand mit dem Zustand einer Kugel, die auf dem Boden eines Tals angelangt ist. Wenn dieser Preiszustand nicht z.B. durch Gier, Innovationen, neue Marktteilnehmer oder Eingriffe des Staates „gestört“ wird, kann er eine erstaunliche Stabilität zeigen. Ich habe auch verdeutlicht, dass in den so sich ausbildenden Preisen vielfach nur ein Teil der Kosten für z.B. ein Produkt enthalten sind.- Dies bringt zum Ausdruck, dass die Preisbildung sehr stark vom jeweiligen gesellschaftlichen Kontext abhängt: Unsere Preise werden von vorherrschenden Rahmenparametern (u.a. Gesetze, Dominanz der Marktplayer, europäischen Lohnniveaus usw.) sowie den Kontrollparametern (insbesondere den Werte- und Glaubenssystemen) mitbestimmt.

Man stelle sich vor, die Autohersteller, oder auch wir, müssten alle Kosten, die mit dem ökologischen Fußabdruck der Autos verbunden sind, mittragen.- Wahrscheinlich gäbe es dann deutlich weniger Autos auf unseren Straßen. – Oder man stelle sich vor, die deutschen Milliardäre der Schwerindustrie würden nachträglich für die in Jahrzehnten verursachten Umweltschäden herangezogen. Oder die deutsche Industrie oder wir Verbraucher müssten die Kosten des ökologischen Fußabdrucks und der Ausbeutung der Menschen, die mit der Entsorgung unserer Abfälle in der dritten Welt verbunden sind, übernehmen. 

Im letzten Blog bin ich schon auf vorherrschende Glaubenssätze wie „Selbstorganisation ist gut und notwendig“ und „Wachstum ist gut und notwendig“ eingegangen. Diese Glaubenssätze werden durch weitere Glaubenssätze ergänzt (deshalb spricht man auch von einem Glaubenssystem).

Hinter der Nicht-Berücksichtigung des ökologischen Fußabdrucks bei der Preisbildung stecken zwei weitere zentrale Grundannahmen bzw. blinde Flecken des ökonomischen bzw. gesellschaftlichen Handelns:

  • Jeder – Mensch, Organisation, Gesellschaft – ist nur für sein unmittelbares Handeln verantwortlich, systemische Auswirkungen bleiben unberücksichtigt: Also, wie die Rohstoffe oder Basisprodukte zur Autoherstellung erzeugt werden, liegt nicht in der Verantwortung des Autoherstellers und was nach dem Verkauf des Autos an einen Konsumenten mit dem Auto passiert und welche Auswirkungen das Auto auf die Umwelt hat, dies alles gehört nicht in den Verantwortungsbereich des Autoherstellers.
  • Die Natur stellt ein unendliches Reservoir an Rohstoffen dar und sie stellt auch ein unendliches Reservoir für die Aufnahme von Abfällen dar: Menschen, Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser und Luft sind zuerst einmal nur Ressourcen für den ökonomischen Prozess.

Mit diesen Grundannahmen wird ökonomisches Handeln, so wie wir es aktuell kennen, erst möglich: Die Preisbildung ist meistens „lokal“, sie wird im Wesentlichen von allen systemischen Einflüssen befreit und damit bleibt sie relativ einfach. Lokal heißt z.B., dass die mittelbaren und langfristigen Auswirkungen auf Menschen, Tier und Natur weitgehend unberücksichtigt bleiben. Menschen, Tiere und Natur werden bei der Angebotserstellung der Ökonomie untergeordnet. Bei der Nachfrage spielt das Wohl der Menschen, der Tiere und der Natur, die im Angebotsprozess oft ausgebeutet werden, nahezu keine Rolle mehr.

Die Oxford Ökonomin Kate Raworth hat ein Bild, die Doughnut Economics [2], geprägt, um die durch diese Grundannahmen entstandene Situation zu verdeutlichen: Die Menschheit und die Natur bilden jeweils zwei konzentrische Kugeln (dazwischen befindet sich der Doughnut). Die Menschheit bildet die innere Kugel und die Natur die äußere Kugel. Die Menschheit hat ihre Kugel im Lauf der letzten 200 Jahre immer weiter in Richtung der Kugel der Natur ausgedehnt. Da die Natur sich nicht weiter ausdehnen kann (die natürlichen Aufnahme- und Abgabe-Ressourcen sind endlich), wird sie zunehmend durch uns „ersetzt“. Dies ist ein Bild für das Zeitalter des Anthropozäns.

Soll sich hieran etwas ändern, so ist es wichtig die SO Rahmen- und Kontrollparameter zu verändern. Wie wir schon gesehen haben, liegt ein unglaubliches Geflecht von SO-Strukturen vor: Z.B. hat alleine in Europa jedes Land andere SO-Strukturen und innerhalb der Länder haben die Regionen unterschiedliche SO-Strukturen, usw..- Im Rahmen der Corona-Bewältigung können wir ja täglich die Auswirkungen der föderalen Bundestruktur wahrnehmen – positiv wie negativ…

Die Ausgestaltung von Rahmenparametern kann helfen SO-Strukturen zu verändern: So ist die Einführung der CO2 Bepreisung durch den Gesetzgeber eine solche Maßnahme. Sie bildet einen Teil der Kosten für den ökologischen Fußabdruck ab. Der Staat drückt und zieht hiermit am Verhalten der Gesellschaft. Einerseits hofft er, dass damit die CO2 Belastung reduziert wird und andererseits sich das Verhalten der Gesellschaft nachhaltig verändert. Nachhaltig wäre die Verhaltensänderung nur, wenn die Gesellschaft ohne CO2 Bepreisung einen stabilen Zustand der CO2 Vermeidung einnehmen würde. Dies setzt voraus, dass sich das gesellschaftliche Glaubenssystem verändert hat. Wie schwer dieser Prozess der Veränderung von Glaubenssystemen ist, kann man sehr gut am Fall Tönnies erkennen: Es gibt wohl nicht wenige gesetzliche Regelungen, jedoch findet die Fleischindustrie immer wieder Schlupflöscher, diese auszuhöhlen oder zu umgehen. – Sie hat also ihr Glaubenssystem nach Jahrzehnten nicht geändert. Dies hängt auch damit zusammen, dass das Glaubenssystem der Fleischindustrie eine Resonanz im Glaubenssystem der Gesamtgesellschaft findet. – Die Einbettung der SO-Mechanismen der Fleischindustrie in den gesellschaftlichen Kontext macht dies möglich. – Also, wir alle machen es möglich!

Ein Systemwandel in einer Demokratie wird nur möglich, wenn sich das gesellschaftliche Glaubenssystem mehrheitlich ändert!

Ein System mit stabilen Strukturen und den dahinter liegenden Glaubensstrukturen zu verändern, ist sehr, sehr schwer.

Abbildung 1: Selbstorganisation und Transformation 4.0 (emoji’s von https://emojipedia.org/)

Abbildung 1 zeigt, wie wir im Management 4.0 Szenarien einer nachhaltigen Veränderung, einer Transformation, verstehen.

Hierzu habe ich die Metapher der Kugel verwendet, die sich in einer veränderbaren Berglandschaft bewegt. – Ist die Kugel einmal in einem Tal angelangt, ist es sehr schwer sie dort wieder herauszubekommen. Preise stellen solche Kugeln dar, d.h. es bildet sich ein stabiles Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage, falls nicht etwas im Umfeld/Kontext passiert…; Glaubenssysteme kann man als solche Kugeln verstehen, d.h. sie bilden sich durch Erfahrungen aus, sie stellen Vereinfachungen des Denkens dar, damit wir im Alltag schneller und einfacher zurechtkommen und sie bleiben, wenn nicht etwas „dramatisches“ passiert…; Menschen und soziale Systeme (Team, Organisationen und Gesellschaften) verharren ebenfalls oft in stabilen Zuständen.- Stabile Zustände vermitteln Sicherheit oder umgekehrt ihr Verlassen erzeugt Unsicherheit, nicht selten Angst.

Für Individuen ist Veränderung schon sehr schwierig und erfordert zumindest in Ansätzen Metakompetenz [3]. Eher selten entsteht eine Dynamik auf der Basis vieler: Meistens sind äußere Einflüsse notwendig, damit sich etwas verändert. Fridays for Future hat ihren Schubs durch die Klimakrise erhalten: Die antizipierte Klimakrise ist der neue Kontext, der die Veränderungsbereitschaft erleichtert. Je nachdem wie stark diese Betroffenheit und damit das Urteilen über die Klimakrise ausfällt, umso stärker ist die Veränderungsbereitschaft.

Corona hat ebenfalls den Kontext verändert und damit die Veränderungsbereitschaft erleichtert. Man sieht aber auch, dass die Kontextveränderung hinreichend lang und massiv sein muss, damit eine Veränderung geschieht: Z.B. hat eine Kontextveränderung von ca. einem halben Jahr nicht ausgereicht, damit sich das Schulsystem nachhaltig auf einen Online-Unterricht einlässt.

Die Selbstorganisation des Marktes bzw. der Gesellschaft benötigt also (meistens massive) Kontextveränderungen, damit sehr stabile Zustände sich auflösen. Von alleine könnte der Markt oder die Gesellschaft sich kaum aus diesem stabilen Zustand befreien. – Massive (soziale) Veränderung oder Krisen sind notwendig. Aus der praktischen Erfahrung aber auch der Forschung zu Komplexität und Selbstorganisation weiß man, dass diese Veränderungen oder Krisen nicht immer in bessere andere stabile Zustände führen, sondern z.B. u.a. auch chaotische Zuständen mit sich bringen können. – Leider kann selbst die „beste“ Führung dies nur sehr bedingt beeinflussen, denn komplexe Systeme sind in ihrem Verhalten nicht vorhersehbar. 

In agilen organisationalen Transformationen begegnen uns ähnliche Probleme: Agile Inseln in Organisationen helfen selten alleine, eine Organisation zu verändern. Falls der Markt, in dem eine Organisation aktiv ist, sich nicht verändert, sich also der Unternehmenskontext nicht massiv verändert, ist die Organisation selten bereit, sich zu verändern. Die deutsche Automobilindustrie brauchte Tesla als Kontextveränderer und selbst als der Kontext sich zusätzlich noch durch Corona, Klimakrise und Fridays for Future dramatisch änderte, war die Veränderungsbereitschaft ausgesprochen gering.

Auf die Politik bezogen, ist es auch so, dass es politische Inseln gibt, die in der Lage wären, eine Politik 4.0 [4] einzuführen. – Jedoch ohne Hilfe von „Außen“, also z.B. Corona, wird es Veränderung, wie wir sie aktuell sehen, eventuell geben, wenn, dann jedoch viel später. – Die Tatsache, dass Corona ein globales Phänomen ist, hilft zusätzlich die Veränderungsbereitschaft anzustoßen. – Auch und gerade in der Politik. Am Beispiel der überbordenden Luftfahrt oder des enormen Tourismus kann man erkennen, dass Corona zu einem globalen Umdenken beigetragen hat. Falls Corona z.B. lediglich auf Deutschland als Insel beschränkt gewesen wäre, so hätte dies ganz sicherlich zu keiner nachhaltigen Verhaltensänderung geführt. Auch deswegen, weil unsere Politik in ein globales politisches Netzwerk eingebunden ist.

Betrachten wir es positiv: Corona ist ein aktueller Rahmenparameter der Selbstorganisation, der den Kontext verändert und damit neue emergente Strukturen ermöglicht.

Nun sollten wir nicht auf weitere Krisen, wie Corona warten, sondern bewusst selbst Kontextveränderungen herbeiführen. – Eine nachhaltige Ethik für Mensch, Tier und Natur mit entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen ist ein Schritt in diese Richtung. – Jedoch gesetzliche Rahmenbedingungen alleine, ohne eine Veränderung des gesellschaftlichen Glaubenssystems, sind nicht nachhaltig. Auch dies wissen wir aus der Praxis des Agilen Managements: Die Einführung von agilen Techniken ohne Mindset- bzw. Kulturwandel macht meistens die Situation nicht besser, sondern schlimmer!   

 

[1] Oswald Alfred (2020) The (in)visible hand oder von der Selbstorganisation des Marktes, https://agilemanagement40.com/the-invisible-hand-oder-von-der-selbstorganisation-des-marktes, zugegriffen am 21.08.2020

[2] Raworth Kate (2017) Doughnut Economics: Seven Ways to Think Like a 21st-Century Economist, Kindle Ausgabe, Cornerstone Digital

[3] Oswald Alfred (2019) Metakompetenz Selbstorganisation 4.0, https://agilemanagement40.com/metakompetenz-selbstorganisation-4-0, zugegriffen am 21.08.2020

[4] Oswald Alfred (2019) Politik 4.0: Politik im Angesicht von Komplexität und Selbstorganisation, von Schmetterlingseffekt, Tipping Point und selbstorganisierter Kritikalität, https://agilemanagement40.com/politik-4-0-politik-im-angesicht-von-komplexitaet-und-selbstorganisation-von-schmetterlingseffekt-tipping-point-und-selbstorganisierter-kritikalitaet, zugegriffen am 21.08.2020

Bits to Atoms – Die Dritte Digitale Revolution

Oder: Co-Evolution von Physical und Social Technologies gesucht!

Zu Weihnachten 2018 habe ich von meinem Sohn Yannick, der als Ecological Economics Wissenschaftler tätig ist (siehe collective-mind.org ), das Buch Design Reality – How to Survive and Thrive in the Third Digital Revolution [1] geschenkt bekommen (man siehe auch [2]). Motivation für ihn, mir dieses Buch zu schenken, waren die beiden Aspekte Nachhaltigkeit und Social Technologies. – Insbesondere der letzte Aspekt gehört ja zu meinen Arbeitsschwerpunkten.

In diesem Buch skizzieren die drei Brüder Gershenfeld die von ihnen mitinitiierte Dritte Digitale Revolution. Die erste Revolution ist die Vernetzung durch das Internet und die zweite Revolution ist die durch die Miniaturisierung eingetretene Computer-im-Hosentaschen-Format Verbreitung (u.a. SmartPhone und SmartPad). Die Dritte Digitale Revolution besteht in ihrer letzten Ausbaustufe darin, dass in jedem Haushalt ein sogenanntes FabLab (Fabrication Laboratory) [3] zu finden ist. Diese FabLab’s sind in der Lage aus Basisstoffen (nahezu) alles herzustellen. Aus Computermodellen werden reale Objekte, man spricht deshalb von der „Bits to Atoms“ Technologie. Die derzeit bekannteste „Bits to Atoms“ Technologie ist die 3D-Drucker Technologie. Die Autoren betonen, dass die 3D-Drucker Technologie nur eine von vielen Technologien in einem FabLab ist [4], [5]. Im Jahre 2017 gab es weltweit ca. 1000 FabLab’s [1], [4].

Schreitet die Entwicklung der Dritten Digitale Revolution, wie bisher nach dem Lass’schen Gesetz prognostiziert, exponentiell voran (d.h. ~ (2/1,5)x, also eine Verdopplung alle 1,5 Jahre), so werden im Jahre 2050 ca. 1012 FabLab’s existieren. In der aktuellen Ausgabe der Megatrendmap des Zukunftsinstituts [6] ist der ehemals enthaltene Begriff Fabbing [7] nicht mehr enthalten. Stattdessen ist nur noch der Begriff 3D-Printing enthalten.

FabLab’s können sich heute hinsichtlich ihrer physikalischen Ausmaße erheblich unterscheiden: Von der Größe eines Laserdruckers [8] bis zu einer Größe, um Häuser zu drucken [9].

Wenn die Entwicklung denn exponentiell fortschreitet, tragen FabLab’s ganz entscheidend zu unserer Zukunft bei, hier einige Konsequenzen:

Individualisierung: Jeder kann sich nach eigenen Wünschen, die Produkte herstellen, die er sich wünscht bzw. die er benötigt. – Und schon heute kommt meine aktuelle Brille mit einem ganz speziellen Titan-Design aus einer FabLab-Produktion. – Man siehe auch die Megatrendmap [6] mit folgenden Trends: Do it yourself, Mass Customization, Lebensqualität, Single-Gesellschaft, Urban Farming, Urban Manufacturing,…

Nachhaltigkeit: Ein Ziel der FabLab’s ist es, dazu beizutragen, von der sogenannten Linearen Wirtschaft  auf die sogenannte Zyklische Wirtschaft umzustellen. Bei der Linearen Wirtschaft werden Basisstoffe verwendet, um Produkte zu erstellen (Stichwort: Ausbeutung der natürlichen Ressourcen) und diese Produkte landen dann vielfach im Abfall (Stichwort: Umweltverschmutzung). Die Zyklische Wirtschaft trägt dazu bei, dass die Produkte schon bei Design und Herstellung so modularisiert werden, dass diese Module wiederverwendet werden können. – Schon heute zeigen die Autoren von Design Reality, dass dies möglich ist [1], [2]. – Man siehe auch die Megatrendmap [6] mit folgenden Trends: Postwachstums-Ökonomie, Zero Waste, Circular Economy,…

Globalisierung: Wie schon oben erwähnt – siehe Häuser aus dem 3D-Drucker [9] – können FabLab-Produkte viel günstiger hergestellt werden. Damit können z.B. Häuser aus dem 3D-Drucker einerseits dazu beitragen unsere Wohnungsknappheit in Europa zu mildern, und andererseits in „Dritte Welt“ Ländern helfen, Wohnraum bereitzustellen oder in Notsituationen kurzfristig aufzubauen. Vielleicht noch wichtiger ist, dass Menschen aus der „Dritten Welt“ ihre ökonomische Autonomie zurückgewinnen.  – Schon heute berichtet die Tagespresse immer wieder von Menschen u.a. in Afrika, die aus alten Papierdruckerbestandteilen 3D-Drucker bauen und so innovative Produkte erzeugen, die sie am Markt preiswert anbieten können [10]. – Man siehe auch die Megatrendmap mit folgenden Trends [6]: Micro Housing, Direct Trade, Urban Farming, Urban Manufacturing,…

Im Buch Design Reality ist die Beschreibung der sogenannten Physical Technologies, und was man damit machen kann, schon sehr bemerkenswert. Doch für mich ist dies nicht das wirklich Bemerkenswerte! Das wirklich Bemerkenswerte ist die enorme Betonung der Social Technologies für die Digitalisierung: „…(physcial) technology is advancing at exponential rates while people tend to change at a linear rate… social systems become the limiting factors…The social sciences should be equal drivers when it comes to the human impacts of these transformational technologies. Currently that is not the case. In fact, it will take a culture change in the social sciences if they are to play this much-needed role…We cannot wait a generation for the social systems to co-evolve with the (physical) technology. This will require the social sciences to shift into a more proactive stance to become path creators, not just path observers.”

An der wissenschaftlichen Ausrichtung der jungen Wissenschaftlergeneration kann man erkennen, dass sich hier schon ein Umdenken bemerkbar macht. Indikatoren sind meines Erachtens die Veröffentlichungen in Top-Publikationen wie Science [11] oder das Auftauchen von Büchern wie Scale [12] und How Behavior Spreads [13]. Die GPM Fachgruppe Agile Management liefert ihren bescheidenen Beitrag zur oben skizzierten Entwicklung der Social Sciences/Social Technologies: Die Erkenntnis von Scale sind in dem Buchbeitrag „Scaled Agile Management 4.0“ verwertet worden und einige Erkenntnisse aus Science sowie How Behavior Spreads (social networks with wide bridges) sind in den Buchbeitrag „Agile Transformation 4.0“ eingeflossen. – Beide Beiträge sind im Release 3 unseres Handbuches Management 4.0 – Handbook for Agile Practices enthalten, das Ende März 2019 erscheint [14]. – Die Erkenntnisse fließen natürlich unmittelbar auch in unsere Trainings, Coaching und Consulting Tätigkeiten ein.

Um die notwendige Co-evolution von Physical Technologies und Social Technologies aktiv zu gestalten, schlagen die Brüder Gershenfeld ihr Predictive Transformation Model vor. Dieses Model lehnt sich an den Plan-Do-Check-Act Zyklus (PDCA Zyklus) an und entspricht in seiner Ausgestaltung mit hoher Übereinstimmung dem von uns vorgeschlagenen Agile Transformation 4.0 Modell [14], [15]. Das Agile Transformation 4.0 Modell beruht ebenfalls auf dem PDCA Modell, berücksichtigt zusätzlich die vier Hauptphasen einer individuellen oder organisationalen Veränderungsarbeit sowie die aus der Theorie der Selbstorganisation (Synergetik) abgeleiteten Erkenntnisse. Abbildung 1 zeigt das Agile Transformation 4.0 Modell für eine organisationale Transformation [14]:

Abbildung 1: Agile Transformation 4.0

Mit kleinen sprachlichen Änderungen ist das Predictive Transformation Modell in unserem Agile Transformation 4.0 Modell enthalten. Wir erläutern das Predictive Transformation Modell mit Hilfe unseres Modells:

Illmuninating pressure points bedeutet – im Predictive Transformation Modell – den Pfad der Digitalisierung zu antizipieren und ein gemeinsames gesellschaftliches Verständnis herbei zu führen.

Extracting organizational setting-, control- and order parameter bedeutet – im Predictive Transformation Modell – alle Stakeholder auf die antizipierte Digitalisierung auszurichten also ein gesellschaftliches Collective Mind auszubilden: Die Brüder Gershenfeld betonen hier das Flow Concept von Mihaly Csikszentmihalyi sowie die Ausbildung einer geeigneten Zielhierarchie (d.i. der „order parameter“ der Selbstorganisation) [15]. Diese Phase kulminiert dort in einer FabLab Charter und in der Agilen Transformation 4.0 in einer Transformation Charter. – In beiden Fällen ist es das Ziel, eine Governance über Leitplanken zu definieren, um einer Organisation eine regulierte Selbstorganisation zu ermöglichen.

Formulating fields of action of Collective Mind wird – bei den Brüdern Gershenfeld  – als “Cultivate: Enabling Ecosystem” bezeichnet. Dies entspricht unserer Ausgestaltung von Handlungsfeldern. Ein Zitat aus [1] möge dies für das Handlungsfeld Führung verdeutlichen: „… essential elements of such an overall fab ecosystem, including …Widely distributed mentorship and leadership for digital fabrication“.

Introducing Learning Organization bedeutet die selbstorganisierte Entwicklung einer Gesellschaft oder einer Fab Lab Organisation/Community, in der Physcial und Social Technologies co-evolutionieren. Hier taucht in [1] auch der Gedanke von „Organizations that make organizations and institutions that make institutions“ auf. – Ein Konzept, das wir in [14] und [15] in Verallgemeinerung der Agilen Organisation als Fluide Organisation bezeichnen. Fluide Organisationen bestehen aus Agilen Organisationen, die je nach Bedarf auf und ab gebaut werden: Hier ist das Lernen der alles bestimmende organisationale Faktor, denn ohne Lernen, ist es nicht möglich, dass ein exponentielles Wachstum des „Bits to Atoms“ Netzwerkes mittels „Organisationen machen Organisationen“ erzeugt wird.

Ich fasse zusammen:

  • „Bits to Atoms“ ist wahrscheinlich die Dritte Digitale Revolution: Exponentielles Wachstum ist heute sichtbar und die FabLab-Ausstattungs-Produkte werden immer preiswerter (3D-Drucker sind heute schon z.B. bei Amazon ab 100 € zu erhalten).
  • Die Dritte Digitale Revolution erfordert die Co-Evolution von Physical und Social Technologies, denn die Revolution beruht anders als die vorherigen auf dem exponentiellen Wachstum von Lab’s, also Organisationen. – Ich gehe noch einen Schritt weiter und behaupte, dass dies für die Digitalisierung insgesamt gilt, wenn wir nicht wollen, dass die Digital Physical Technologies uns überrollen.
  • Um die Co-Evolution herbei zu führen, ist eine Neuausrichtung der Social Science notwendig: Vom „path observer“ zum „path creator“ der Digitalisierung.
  • Management 4.0 ist vor ca. 8 Jahren in der GPM Fachgruppe Agile Management als „path creator“ ins Leben gerufen worden und wir gestalten seit dieser Zeit die Co-Evolution von Physical und Social Technologies: Unsere Mission ist es, branchenübergreifend mit unseren Kunden Arbeitsmodelle für die Wertschöpfung der Zukunft zu gestalten. Unsere damit verbundenen Erfolge beruhen ganz wesentlich auf der geeigneten Adaption und Anwendung von Physical und Social Science in Organisationen.         

[1] Gershenfeld Neil, Gershenfeld Alan, Cuther-Gershenfeld Joel (2017) Design Reality – How to Survive and Thrive in the Third Digital Revolution, BASIC BOOKS, New York

[2] Design Reality (2019) http://designingreality.org/, zugegriffen am 23.01.2019

[3] Wikipedia FabLab (2019)  https://de.wikipedia.org/wiki/FabLab, zugegriffen am 23.01.2019

[4] FabLab Verzeichnis (2019) https://www.fablabs.io/, zugegriffen am 23.01.2019

[5] Center for Bits and Atoms (CBA) (2019) http://cba.mit.edu/, zugegriffen am 23.01.2019

[6] Zukunftsinstitut Megatrends (2019) https://www.zukunftsinstitut.de/dossier/megatrends/, zugegriffen am 23.01.2019

[7] Zukunftsinstitut Fabbing (2012) https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/technologie/fabbing-die-naechste-industrielle-revolution/, zugegriffen am 23.01.2019

[8] 3D Druck (2019) https://www.3d-grenzenlos.de/, zugegriffen am 23.01.2019

[9] Chip Haus 3D Druck (2019) https://www.chip.de/news/3D-Drucker-baut-ein-Haus-in-24-Stunden-Der-Preis-ist-unschlagbar-und-macht-Mut_135927528.html, zugegriffen am 23.01.2019

[10] 3D Druck in Afrika (2019) https://www.3d-grenzenlos.de/magazin/thema/3d-druck-in-afrika/, zugegriffen am 23.01.2019

[11] Science (2019) https://www.sciencemag.org/, zugegriffen am 23.01.2019

[12] West G (2017) Scale: The Universal Laws of Growth, Innovation, Sustainability, and the Pace of Life in Organisms, Cities, Economies, and Companies, Penguin Press, Kindle Edition

[13] Centola D (2018a) How Behavior Spreads: The Science of Complex Contagions (Princeton Analytical Sociology, Band 3), Princeton Univers. Press

[14] Oswald A, Müller W (editors) (2019) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices, Release 3.0, BoD, Norderstedt

[15] Oswald A, Köhler J, Schmitt R (2016) Projekt Management am Rande des Chaos, Springer Heidelberg, oder engl. Version (2018) Project Management at the edge of chaos.