AI & M 4.0: Sein als Netzwerk – Den Collective Mind als Netzwerk sichtbar machen

Über Jahrhunderte hinweg haben die berühmtesten Philosophen versucht das „Ding an sich“ auszuleuchten und zu finden. Es ist ihnen nicht gelungen, da es meines Erachtens das „Ding an sich“ nicht gibt.

Es gibt Dinge oder Objekte, aber diese werden ganz entscheidend durch ihre Wechselwirkung mit ihrer Umgebung bestimmt. – Andere Umgebungen und schon sind Objekte oft ganz anders. – Die Relationen, also die Beziehungen, zwischen den Objekten bestimmen ganz entscheidend das Sein. – Deswegen habe ich diesem Blog-Beitrag den Titel „Sein als Netzwerk“ gegeben.

Das Studium von Netzwerken in Natur, Sozialem oder Technik mittels mathematischer Methoden ist schon mehrere hundert Jahre alt und ist eng mit dem Namen des französischen Mathematiker’s Pierre-Simon Laplace verbunden [1]. – Im zwanzigsten Jahrhundert wurde die Netzwerkanalyse zu einer vollständigen Disziplin, u.a. in den Sozialwissenschaften, ausgebaut [2], [3].

Die erfolgreiche Netzwerkanalyse ist einer der Grundpfeiler für den Erfolg von google: Der PageRank Algorithmus misst die Bedeutung von Internetknoten (homepages) im Netzwerk Internet [4]. – Weiter unten werde ich diesen Algorithmus für das Vermessen der Bedeutung von Begriffen in einem Text benutzten. – Denn ich nehmen an, dass bedeutende Begriffe und deren Relationen die mentale Ausrichtung eines Teams beschreiben.  

Die Netzwerkanalyse, oft auch Graphentheorie genannt, hat in den letzten Jahren im Bereich AI/ML eine enorme Bedeutung erhalten: Graphentheorie und Neuronale Netzwerke sind eine Relation 😉 eingegangen. Es entstand die AI/ML Disziplin Graph Neural Networks (GNN) [5]. – Im letzten Blog-Beitrag war Word-embedding der Schwerpunkt. GNN basieren auf dem Embedding von Netzwerken in höher-dimensionale abstrakte Räume. – Einige der aktuellen spektakulären AI/ML Erfolge, wie zum Beispiel in der Medikamentenerforschung, gehen auf diese Relation von Graphentheorie und AI/ML zurück.

GNN sind high-end AI/ML Systeme, die aktuell sehr viel Know-How erfordern. In vielen Fällen dürfte es jedoch genügen, Netzwerke lediglich sichtbar zu machen und erste Analysen, wie den mathematisch recht einfachen PageRank Algorithmus, anzuwenden. Genau dies will ich in diesem Artikel an einem Beispiel demonstrieren. – Hierbei steht, wie schon im letzten Beitrag, die grundlegende Idee im Vordergrund und nicht die Erzeugung oder Vermarktung eines vollständigen Produktes.

In meinem Blog-Beitrag vom Dezember 2021 habe ich erstmals für die IPMA PM Kompetenzbereiche Beispiele zu Graphen Anwendungen genannt. Hier nochmals einige Beispiele:

Führung und Stakeholder: Soziale Netzwerke können mittels Graphen oder GNN analysiert werden. Dies kann auf Teamebene und auf der Ebene aller Stakeholder erfolgen. Hierzu wird u.a. der eMail-Austausch einer Organisation analysiert und in einem Graphen sichtbar gemacht. Relative einfache Werkzeuge, wie der PageRank Algorithmus zeigen die relative Bedeutung von Knoten (d.h. hier Personen) im Netzwerk an.

Führung, Kommunikation, Teamarbeit: Die verbale Kommunikation wird mittels Graphen analysiert und die Analyse wird als Feedback in das Team gegeben. Oder die AI/ML Analyse unterstützt die Führungskraft bei ihrer Selbstreflexion und abgeleiteten Team-Interventionen. Aus der Analyse der Kommunikation lassen sich auch Collective Mind Target Hierarchien erzeugen. Das Beispiel, das ich weiter unten skizziere, gehört in diese Kategorie.

Planung und Steuerung: Aus Texten werden Graphen abgeleitet, aus denen wiederum Projektpläne erzeugt werden. Auf der Basis der Graphen und mittels GNN werden u.a. Risiken ermittelt und Aufwände abgeleitet. Diese Informationen können im Projektzeitverlauf auch für das Projektmonitoring verwendet werden.

Die letzte Kategorie ist eine deutlich anspruchsvollere Aufgabe als die beiden vorherigen Anwendungskategorien. Die beiden ersten Anwendungskategorien lassen sich in der ersten Ausbaustufe mit den in diesem Blog skizzierten Techniken bewältigen.

Im letzten Blogbeitrag habe ich die Ähnlichkeit von (gesprochenen) Texten, d.h. die Similarity, dazu benutzt, ein Maß für die Stärke des Collective Mind abzuleiten. In diesem Fall wurden Wort-Relationen über deren Einbettung in einen hochdimensionalen abstrakten Raum benutzt, um die Similarity zu berechnen.

In diesem Blogbeitrag will ich die Graphentheorie und AI/ML dazu benutzten, Texte auf enthaltene Relationen zu analysieren und diese Relationen in einem Graphen sichtbar zu machen. – Es steht also die Visualisierung von Kommunikation im Vordergrund: Die Visualisierung mittels Graphen macht in einer Kommunikation sehr schnell Zusammenhänge sichtbar. Die These ist, dass über visualisiertes Feedback in ein Team, der Prozess der Collective Mind Ausbildung deutlich beschleunigt wird.      

Ich benutze den Code von Thomas Bratanic [6], der auf towardsdatascience.com zu finden ist. Towardsdatascience.com ist eine hervorragende Fundgruppe für alle möglichen Fragestellungen rund um das Thema AI/ML.

Bratanic demonstriert die Graphenanalyse am Beispiel der Analyse von Wikipedia-Seiten zu drei Wissenschaftlerinnen. Hierzu werden die Wikipedia-Seiten in page.summaries mit einfachen Sätzen zusammengefasst. – Wir werden später sehen, dass diese einfachen Sätze (derzeit noch) notwendig sind, um die NLP-Verarbeitung gut durchzuführen. Abbildung 1 zeigt einen Auszug aus diesem Ergebnis:

Abbildung 1: Auszug einer Analyse von Wikipedia Daten zu drei Wissenschaftlerinnen gemäß Thomas Bratanic [6].

Die Grundidee ist einfach: Es werden Sätze in Texten oder Gesprochenem in „Subjekt-Relation->Objekt“ Strukturen (S-R->O Strukturen) zerlegt. Zum Beispiel ergibt der Satz „Alfred wohnt in Stolberg.“ die Struktur „Alfred – wohnt in -> Stolberg“. Die gefundenen S-R->O Strukturen werden in eine Graphen-Datenbank transferiert. Hier können verschiedene Netzwerkanalysen durchgeführt werden.

Die AI/ML Technik hierzu ist schon nicht mehr so einfach: Wie im letzten Blog-Beitrag kommt die NLP-Bibliothek spaCy [7] zum Einsatz. Hinzukommen diverse raffinierte NLP-Python-Skripte, die high-end Transformator Pipeline aus der tensorflow-Technologie [8] und zum Schluss die Graphendatenbank Neo4j [9]. Das Ganze ist nach diversen Anpassungen und einige Zeit später als Jupyter-Notebook [10] in der Colab-Umgebung [11] lauffähig.

Wie schon im letzten Blogbeitrag, habe ich der Einfachheit wegen den Text der Definition von Agile Management 4.0 benutzt. Der erste Lauf mit diesem Text zeigt jedoch, dass kaum Relationen extrahiert wurden. – Der Text ist zu verschachtelt geschrieben. Dementsprechend habe ich ihn in einfache Sätze umgeschrieben. – Ich hätte auch einen entsprechenden AI/ML pre-processing Schritt vorwegschalten können, der Text in einfachen Text mit S-R->O Strukturen transformiert. Dies hätte den Aufwand jedoch deutlich erhöht. – Mit entsprechenden AI/ML Techniken stellt dies jedoch kein prinzipielles Problem dar. – Ich habe den Text auch teilweise belassen wie er ist, um die Auswirkungen zu sehen.

 
Hier der verwendete Text:

“Agile Management is a leadership and management practice. Agile Management is able to act in an agile and proactive way. Agile Management is for acting in a complex environment. The complex environment is characterized by uncertainty. Agile Management is described as an Agile Mindset. The Agile Mindset is focused on leadership. The basis of leadership is self-leadership. Leadership is based on respect for basic human needs. Leadership demands an understanding of complex systems. Leadership regulates complexity. Regulation of complexity is done by iterative procedures. Leadership is based on people who use self-organization in teams. Agile Management creates fluid organizations.  Fluid organizations promote adaptable and fast delivery of useful results and create innovative customer solutions through proactive dealing with changes.”

Dieser Text wird von dem AI/ML-System in S-R->O Strukturen transferiert, die in der Graphendatenbank Neo4j folgende Visualisierung erhalten:

 

Abbildung 2: Screenshot der Neo4j Visualisierung der NLP extrahierten S-R->O Strukturen.

Agile Management und leadership werden als zentrale Knoten erkannt. Die Sätze

„Regulation of complexity is done by iterative procedures.”

und

Fluid organizations promote adaptable and fast delivery of useful results and create innovative customer solutions through proactive dealing with changes.”

sind in zwei getrennten Netzwerkclustern enthalten.  Der zweiten Satz ist auch nicht vollständig abgebildet. Dies ist meinem unzureichenden manuellen Pre-Processing geschuldet. Bei diesem Satz kann man auch schön erkennen, dass „Fluid organization“ und „fluid organization“ nicht als gleiche Nomen erkannt werden.

Für den ganzen Text gilt, dass die Verben des Textes in allgemeinere Relationsbezeichnungen abgebildet werden. Diese haben ihren Ursprung in einem entsprechenden vorgegebenen NLP Training von spaCy.

Auch mit diesen Einschränkungen stellt die Visualisierung des Textes einen erheblichen Mehrwert dar: Denn man möge sich nur vorstellen, dass ein entsprechendes AI/ML System online und ad hoc Teamkommunikation auf solche Weise visualisiert als Feedback an das Team zurückgibt. – Dies würde meines Erachtens den Kommunikationsprozess erheblich beschleunigen und die Visualisierung wäre auch gleichzeitig eine Visualisierung des gerade vorhandenen Collective Mind’s. Im Falle einer komplexen Kommunikation wäre die Visualisierung um so hilfreicher: Dies umso mehr, wenn die Visualisierung mehrere oder viele Netzwerkcluster zu Tage fördern würde. Dies entspräche mehreren Gesprächsthemen oder -lagern, die ggf. für mehrere (konkurrierende) Collective Mind’s stünden.

Neben der Visualisierung können diverse Werkzeuge der Netzwerktheorie verwendet werden, um Netzwerke zu analysieren [12]. – Dies ist umso notwendiger, je komplexer die Netzwerke aus Personen, Worten, homepages, Molekülen usw. sind.  Neo4j stellt mehr als hundert solcher Werkzeuge zu Verfügung, u.a. auch den PageRank Algorithmus. Abbildung 3 zeigt die PageRank-Auswertung für den Graphen aus Abbildung 2.

Abbildung 3: PageRanking für den Graphen aus Abbildung 3

Das PageRanking ist für diesen einfachen Graphen sicherlich keine große Überraschungen: Agile Management und leadership sind die beiden Begriffe, die im Netzwerk gemäß diesem Algorithmus am wichtigsten sind. Für größere Graphen erwarte ich jedoch erhebliche Überraschungseffekte in den Teams oder Organisation, deren Kommunikation auf diese Weise analysiert wird.

Agile Management und leadership sind zwei Begriffs-Attraktoren, die die Ausrichtung der gedachten Teamkommunikation, anzeigen: Das Begriffs-Netzwerk visualisiert den Collective Mind oder den fehlenden Collective Mind einer Kommunikation, je nachdem wie viele konkurrierende Netzwerkcluster (Communities) mit ähnlichem PageRanking es gibt.

Dieses kleine Beispiel illustriert, dass man mit den Mittel von AI/ML erhebliche Informationen über Teams oder Organisationen gewinnen kann. Diese Informationen können im Guten wie im Bösen eingesetzt werden. Berücksichtigt man, dass das Know-how von google und Co. Lichtjahre weiter ist als mein Eigenes, so ist die Einbettung in eine AI Ethik um so wichtiger. Deshalb beabsichtige ich, mich im nächsten Blog mit dem EU AI Act zu beschäftigen [13].

 

[1] Laplace Matrix (2022) https://en.wikipedia.org/wiki/Laplacian_matrix, Wikipedia, zugegriffen am 19.06.2022

[2] Jansen D (1999) Einführung in die Netzwerkanalyse, VS Verlag für Sozialwissenschaften

[3] Wasserman S, Faust K (1994) Social Network Analysis, Cambridge University Press

[4] PageRank (2022) https://en.wikipedia.org/wiki/PageRank, Wikipedia, zugegriffen am 19.06.2022

[5] Hamilton W L (2020) Graph Representation Learning, Morgan&Claypool Publishers

[6] Bratanic T (2022) Extract knowledge from text: End-to-end information extraction pipeline with spaCy and Neo4j, published May 6, 2022, https://towardsdatascience.com/extract-knowledge-from-text-end-to-end-information-extraction-pipeline-with-spacy-and-neo4j-502b2b1e0754, towardsdatascience.com, zugegriffen am 10.05.2022

[7] spaCy (2022) https://spacy.io/models/de, zugegriffen am 20.04.2022

[8] Transformers (2022) https://huggingface.co/docs/transformers/main_classes/pipelines, huggingface.co, zugegriffen am 20.04.2022

[9] Neo4j (2022) neo4j.com, zugegriffen am 23.06.2022

[10] Jupyter Notebooks (2021) https://jupyter.org/, zugegriffen am 02.12.2022

[11] Colab (2021) https://colab.research.google.com/

[12] Scifo E (2020) Hands-on Graph Analytics with Neo4J, Packt Publishing, Birmingham, kindle edition

[13] EU AI Act (2022) https://artificialintelligenceact.eu/, Europe Administration

Agil oder adaptiv? Oder Management 4.0 = Complex Adaptive System Management?!

Die GPM Fachgruppe Normen und Standards im PM [1] trägt zurzeit in ihrer Arbeitsgruppe ‚Agiles Projektmanagement‘ Theorie und Praxis des Agilen Projekt Managements zusammen. Die Ergebnisse dieses Dialogs sollen in relevante Normierungsgremien von DIN, CEN und ISO einfließen.

Eine der aus dem ISO Kontext mitgebrachten Fragen lautet: „Gibt es Unterschiede zwischen Agilem und Adaptiven Management? Und welche Unterschiede sind dies?“

Der folgende Blog-Beitrag geht hierzu auf Spurensuche!

Spüre ich dem Verständnis von Agilem Management nach, so stoße ich fast immer auf ein vorherrschendes Verständnis: Agiles (Projekt) Management = Scrum, alleine oder hybrid-integriert in ein planbasiertes Projektmanagement.  Ich mache dies daran fest, dass in der überwiegenden Anzahl der Gespräche hierzu, sofort von Sprints, Product Backlog, Product Owner oder Scrum Master gesprochen wird, also speziellen Scrum Techniken! Sehr selten werden andere Techniken angeführt und noch viel seltener wird vom Agilen Manifest, von Mindset und Werten sowie Glaubenssätzen gesprochen oder dem Thema Governance. Der Begriff Selbstorganisation taucht zwar auf, jedoch wird keinerlei Zusammenhang zu dem universellen Prinzip der Selbstorganisation, als Governance, hergestellt. – PDCA oder PDIA [2] tauchen mit ähnlich geringer Häufigkeit in den Gesprächen auf, ganz zu Schweigen von Kontext, Empirie oder Komplexität. Agilität wird kaum als Balance von Flexibilität und Schnelligkeit gesehen (Agilität = Flexibilität * Schnelligkeit), und dementsprechend selten wird Agiles Management, als Management betrachtet, diese Balance herbeizuführen. Weiterführend verstehen wir im Management 4.0 Agilität als die Fähigkeit, Komplexität zu regulieren: D.h. sich mit der System-Komplexität, also der eigenen mentalen Komplexität oder der des Teams oder der der Organisation adaptiv auf die Komplexität des Umfeldes einzustellen und beide Komplexitäten, also von System und Umfeld, adaptiv wertschaffend zu meistern. Von diesem Verständnis ist das vorherrschende Verständnis Agilen (Projekt) Managements sehr weit entfernt. 

Umso erstaunlicher ist folgende Feststellung: Eine (erste) Recherche zu Adaptivem Management zeigt ein viel allgemeineres und tiefgehendes Verständnis. Der Begriff Adaptives Management hat es bis zur U.S. Agency for International Development (usaid.gov) gebracht und wird in einer discussion note ausgeführt [3], die auch in direkter Verbindung zum UK BOND Netzwerk steht, das Adaptives Management als ein zentrales Mittel für die erfolgreiche internationale Entwicklung sieht [4, 5]. – Nachhaltigkeit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Menschlichkeit, aber auch Komplexität, Selbstorganisation, und PDCA/PDIA spielen in beiden Dokumenten eine zentrale Rolle:  

“Adaptive management is defined in ADS 201.6 as “an intentional approach to making decisions and adjustments in response to new information and changes in context.” Adaptive management is not about changing goals during implementation, it is about changing the path being used to achieve the goals in response to changes. Like other donors and development organizations (see, for example, the following initiatives: Doing Development Differently, Problem-Driven Iterative Adaptation, Thinking and Working Politically, and The World Bank’s Global Delivery Initiative), USAID is increasingly recognizing the importance of adaptability for its work to be effective. ADS 201 now integrates adaptive management approaches throughout the Program Cycle. …“Manage adaptively through continuous learning” is one of the four core principles that serve as the foundation for Program Cycle implementation.”

Dies spiegelt den empirisch-wissenschaftlichen Hintergrund wider [6]:

„Adaptive management is a process that can improve management practices incrementally by implementing plans in ways that maximize opportunities to learn from experience. From: Models for Planning Wildlife Conservation in Large Landscapes, 2009”

Mein Verständnis von Management 4.0 beruht auf folgender Definition und schließt die obigen Ausführungen [3 ,4, 5, 6] zu Adaptivem Management ein:

Management 4.0 ist eine Führungs- und Management- Theorie und Praxis, um in einem komplexen und von Unsicherheit gekennzeichneten Handlungsfeld adaptiv und proaktiv agieren zu können. Sie ist gekennzeichnet durch einen agilen Mindset mit dem Fokus auf:

  • einer Führung, deren Grundlage das Lernen und die Selbstführung ist,
  • einer Führung, die auf den Grundbedürfnissen der Menschen fußt,
  • einer Führung, die die belebte und unbelebte Natur als Basis unseres Lebens schützt und respektiert,
  • einer Führung, die das Verständnis komplexer Systeme fordert, sowie deren Regulation durch ein iteratives Vorgehen fördert, 
  • einer Führung, die Menschen zur Selbstorganisation befähigt.
  • Damit ermöglicht sie Fluide Organisationen, die das anpassungsfähige und schnelle Liefern von nutzbaren Ergebnissen fördern und durch den proaktiven Umgang mit Veränderungen innovative nachhaltige Lösungen schaffen,
  • um wesentlich dazu beizutragen, dass alle Menschen in Würde in einem lebenswerten Umfeld leben, so dass sich das Bewusstsein unserer globalen Gesellschaft ständig integral weiterentwickelt.

Zusammenfassend stelle ich fest, dass Adaptives Management und damit Management 4.0, die Führung und das Management von Complex Adaptiv Systems [7] zum Ziel hat.

Die nachfolgenden drei Abbildungen illustrieren einige Aspekte dieser Definition und des damit verbundenen Verständnisses.

Abbildung 1 verdeutlicht „in einem komplexen und von Unsicherheit gekennzeichneten Handlungsfeld adaptiv und proaktiv agieren zu können“. Hiernach ist sowohl der Start als auch das Projekt-Ziel in einem gewissen Maße unbestimmt und der Weg vom Start zum Ziel ist von hoher Unsicherheit gekennzeichnet und erfordert mittels des PDCA/PDIA eine fortlaufende Adaption. Damit geht dieses Verständnis auch über dasjenige von [3] hinaus, in dem „changing goals“ explizit ausgeschlossen werden. – Das Goal wird im Management 4.0 über eine Ziel-Hierarchie abgebildet, und diese kann sich mit fortschreitender Erkenntnis auf allen Ebenen ändern. – Im Normalfall sollte die Änderung auf der obersten Ebene nur sehr selten und wenig erfolgen.- Die oberste Ebene stellt den am wenigsten sich ändernden Ordnungsparameter dar. Abbildung 1 ist für nicht wenige Projektmanager eine mentale Herausforderung, da sowohl Start als auch Ziel nur „fuzzy“ erfassbar sind.- Damit liegt für viele kein Projekt vor! Die Herausforderungen wie Corona oder Klimawandel illustrieren jedoch sehr eindrücklich die Unzulänglichkeiten dieses Projektverständnisses!

Abbildung 1: Vom fuzzy Projekt-Start zum fuzzy Projekt-Ziel, aus [8]

Abbildung 2 verdeutlicht den empirisch wissenschaftlichen Ansatz des Adaptiven Managements, der auch in [3, 4, 5, 6] enthalten ist. Am Beispiel des komplexen Umfeldes Corona können wir erkennen, wie über Jahrzehnte gelebte Praxis ohne Theorie zu Dummheit führt oder anders ausgedrückt zu mangelhafter Adaptionsfähigkeit und damit verbundenem mangelhaftem Adaptiven Management.

Abbildung 2: Der PDCA/PDIA im Management 4.0, aus [8]

Werden Theorien und Modelle einer Pandemie nicht verstanden oder politisch weichgespült, können keine relevanten Sozialtechniken abgeleitet werden, z.B. abgestimmte Regionalisierungsmodelle zur Pandemie, konsequente Datenerhebungs- und Auswertungs-Modelle gemäß den hypothetischen Erfolgsfaktoren, Ableitung der hypothetischen Erfolgsfaktoren (wie z.B. Einlasskontrollen und Prüfungen im Inland und an den Grenzen, usw.) sowie transparentes Adaptieren der Erfolgskriterien (wie z.B. Inzidenzen, Intensivbettenbelegung, mentale Verfassung der Gesellschaft, usw.). Stattdessen werden in kurzen Zeitabständen ohne Fundament adhoc Maßnahmen eingeführt, die kurze Zeit später schon wieder verworfen werden: Die politischen Amtsträger überbieten sich regelrecht in Aussagen wie „Ich bin der Meinung, dass…“. Meinungen entbehren jedoch oft der Tragfähigkeit; sie finden sich jedoch oft kurze Zeit später als weitere Corona Regeln in einem Wirrwarr von anderen Corona Regeln. Adaptionsfähigkeit verkommt zum Spielball von Interessen oder auch zur Dummheit: Dies ist keine Adaptionsfähigkeit, genauso wenig wie Agilität!

Abbildung 3 verdeutlicht die Verwendung des obigen PDCA/PDIA Zyklus am Beispiel des Management 4.0 Handlungsrahmens Collective Mind [9]:

Abbildung 3: Der PDCA/PDIA aus Abbildung 2 umgesetzt für den Handlungsrahmen Collective Mind [9] im Management 4.0.

Im Handlungsrahmen Collective Mind werden Theorien und Modelle aus wissenschaftlichen Theorie übernommen und auf den jeweiligen Projektkontext als Sozialtechniken adaptiert (in Abbildung 3 sind nur einige Theorien und Modelle als Beispiele angeführt). Die Sozialtechniken gestalten die hypothetischen Erfolgsfaktoren aus, die wiederum die hypothetischen Erfolgskriterien beeinflussen sollen. Diese spezielle Form des Projektdesigns wird adaptiv in Iterationen mittels PDCA/PDIA überprüft und angepasst.

Der PDCA bzw. PDIA wurde nicht von der agilen Community erfunden, jedoch vielleicht erstmals entsprechend seiner Bedeutung verstanden und eingesetzt. Er ist die Basis jeglichen agilen Handlungsrahmens und des Adaptiven Managements. Seit kurzem verwenden immer mehr Anwendungsfelder dieses einfache Modell in verschiedenen spezifischen Ausprägungen. – Stellvertretend hierfür erwähne ich nur zwei sehr unterschiedliche Bereiche, die dies auf den ersten Blick nicht vermuten lassen: Das Sicherheits-, Gesundheits- und Arbeitsschutz-Management gemäß ISO 45001 [10] und das Data Science Analyse Modell gemäß des CRISP-DM Standards [11].  

Im Management 4.0 verwenden wir die aus der Veränderungsarbeit des NLP bekannte Dilts Pyramide zur Charakterisierung von sozialen Systemen, also auch von Handlungsrahmen des Management 4.0 [12]. Die nachfolgende Tabelle charakterisiert Management 4.0 und den dort auch enthalten Handlungsrahmen Scrum:

 

Management 4.0 = Complex Adaptive System Management

Scrum = Agiles Management

Vision, Mission

Wir und unsere sozialen Systeme respektieren Mensch, Tier und Natur und wir sorgen uns um deren Integrität in unserem gesamten Handeln!

Wir sorgen dafür, dass die Arbeitswelt menschenwürdig wird und bleibt!

Mit Empirie lösen wir im Team jede komplexe Aufgabe.

Zugehörigkeit

Wir gehören zu denen, die Komplexität als Basis des Seins verstehen und als Geschenk begreifen, das man annimmt, in dem man es immer besser erfassen lernt.

Wir gehören zu denen, die eine komplexe Aufgabe lösen, in dem sie früh und häufig liefern.

Identität

Wir sind Modellierer unserer Arbeitswelt und sorgen mit Social Technologies für Synergien mit den Physical Technologies.

Wir sind Problemlöser, die ihre Kunden respektieren und Respekt vom Kunden erwarten.

Werte, Glaubenssätze

•       Fokus und Offenheit, Mut und Respekt, integrale Ganzheit und transzendentale Nachhaltigkeit

•       Theorie und Praxis gehören zusammen, Praxis ohne Theorie ist Dummheit: Nichts ist so praktisch, wie eine gute Theorie.

•       Selbstorganisation ist ein universelles Prinzip: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.

•       Die universellen Prinzipien sind fundamental für unser gesamtes Sein.

Werte: Transparenz, Fokus, Mut, Offenheit, Selbstverpflichtung, Respekt

Arbeitstechnik-Prinzipien: Timeboxen, Überprüfen und anpassen, frühe und häufige Lieferungen, Transparenz schaffen, ermächtigte selbstorganisierte Teams

Fähigkeiten

Selbstreflexion und Leadership, Modellierung und (systemische) Metakompetenz

Adaption mittels Iterationen im (wissenschaftlichen) PDCA: Erfolgskriterien-Erfolgsfaktoren; Theoriebildung-Hypothesenbildung-Social Technologies/Sozialtechniken-Empirie-Theorieanpassung…

Scrum-Team-Kompetenz: Product Owner -, Scrum Master -, Developer- Kompetenz, Kundenorientierung durch entsprechende Dienstleister-Kompetenz

Verhalten

Ständiges adaptives Verhalten auf der Basis der M 4.0 Fähigkeiten

Scrum-Handlungsrahmen: Aufgabenorientierung (Backlog definiert die Aufgabe), iterative Vorgehensweise, Arbeiten im Team

Kontext

Komplexes System-Umfeld, das durch Unüberschaubarkeit und Unvorhersehbarkeit gekennzeichnet ist.

Eine komplexe Aufgabe ist umzusetzen und das möglichst schnell und zur Zufriedenheit des Auftraggebers/Kunden

Tabelle 1: Management 4.0 und Scrum verglichen mittels der Dilts Pyramide

Wir bezeichnen die Ausprägungen aller Ebenen der Dilts Pyramide als Mindset. – Wie man unschwer erkennen kann, ist das Scrum Mindset im Management 4.0 Mindset enthalten, jedoch geht dieses weit über dasjenige von Scrum hinaus.

Damit beantworte ich abschließend unsere Eingangsfrage: Setzt man Agiles Management mit Scrum gleich, was oft geschieht, so ist Agiles Management nur eine spezielle Ausprägung Adaptiven Managements, insbesondere wenn man dieses verallgemeinert als Complex Adaptiv System Management, wie im Management 4.0, versteht.

 

[1] Fachgruppe Normen und Standards im PM der GPM (2021) https://www.gpm-ipma.de/know_how/fachgruppen/themenfokussierende_fachgruppen/normen_und_standards_im_pm.html

[2] Wikipedia (2021) PDCA, https://en.wikipedia.org/wiki/PDCA

[3] USAID Learning Lab (2021) Adaptive Management,  https://usaidlearninglab.org/lab-notes/what-adaptive-management-0 und https://usaidlearninglab.org/library/discussion-note-adaptive-management

[4] BOND (2021) Adaptive Management, https://www.bond.org.uk/resources/adaptive-management-what-it-means-for-csos

[5] Wikipedia (2021) Adaptive Management, https://en.wikipedia.org/wiki/Adaptive_management

[6] ScienceDirect (2021) Adaptive Management, https://www.sciencedirect.com/topics/earth-and-planetary-sciences/adaptive-management

[7] Wikipedia (2021) Complex Adaptive System, https://en.wikipedia.org/wiki/Complex_adaptive_system

[8] Oswald A, Köhler J, Schmitt R (2016) Projektmanagement am Rande des Chaos,  auch in englischer Sprache verfügbar: (2018) Project Management at the Edge of Chaos, Springer

[9] Köhler J und Oswald A (2009) Die Collective Mind Methode, Springer

[10] Wikipedia (2021) CRISP-DM, https://en.wikipedia.org/wiki/Cross-industry_standard_process_for_data_mining

[11] Wikipedia (2021) ISO 45001, https://de.wikipedia.org/wiki/ISO_45001

[12] Oswald A und Müller W (editors) (2019) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices, Release 3.0“, BoD