Das ZDF hat in den letzten Wochen eine sechsteilige Dokumentation von Hollywood-Regisseur Steven Spielberg und Oscarpreisträger Alex Gibney zum Thema „Warum wir hassen“ gezeigt [1] – Man siehe auch das Interview mit dem Konfliktforscher Andreas Zick [2]. Diese Dokumentation zeigt eindrucksvoll die vielen Beispiele, in denen Menschen hassen – von kriminellen Gangs, religiösen und ethnischen Gruppierungen zu ideologischen Gruppierungen oder Gesellschaften. Hiernach hat der Hass folgende gemeinsame Ursachen:
Hass ist eine der ursprünglichsten Emotionen und hat sich auf der Basis von (zufällig vorhandenen) Rahmenbedingungen (Rahmenparametern) in der Evolution ausgebildet.
Diejenigen, die man hasst, kennt man nicht; sie werden entmenschlicht, d.h. die Hassenden sprechen ihnen menschliche Züge ab. Empathie für den Anderen ist nicht vorhanden.
Fakten werden nicht wahrgenommen. Starke Emotionen wie Angst und Furcht sind vorhanden. Es kommt zu erheblichen mentalen Verzerrungen.
Hassende verfügen über ein niedriges Selbstwertgefühl. Sie suchen nach Führung, Halt und Sicherheit. In vielen Fällen sind ihre Grundbedürfnisse (Bedürfnis nach Bindung, Bedürfnis nach Orientierung & Kontrolle, Bedürfnis nach Lust & Unlustvermeidung und nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz [3]) nicht erfüllt oder verletzt.
Gruppen oder einzelne Personen geben mittels einfacher Aussagen, die nicht auf Fakten beruhen, Führung und fehlendes Selbstwertgefühl, indem sie eine Abgrenzung und Ausgrenzung des Anderen vornehmen und damit die Zugehörigkeit stärken. Sie vermitteln vermeintlich Sinn.
An Hand von Beispielen illustriert die Reihe drei Prinzipien zur Überwindung des Hasses:
Eine Gruppe oder eine einzelne Person leitet einen Integrationsprozess zur Überwindung des Hasses ein (Beispiel: Südafrika – Nelson Mandela). – Hiermit wird der Kontext, in dem Hass gedeiht, geändert.
Die Hassenden lernen sich als Menschen kennen (Beispiel: Kolumbien – FARC). – Eine zweite Möglichkeit, um den Kontext, in dem Hass gedeiht, zu ändern.
Meditation und Achtsamkeit hilft, die Vernetzung von Amygdala und präfrontalem Kortex zu stärken, um ursprüngliche Emotionen zu regulieren (Beispiel: Ehemaliges Gangmitglied vermittelt heute Meditation für Kinder). – Man siehe auch [4].
Gedanken und Emotionen kann man als emergente Muster der Selbstorganisation (sogenannte Attraktoren, also Anziehungsbereiche) unseres Gehirns bzw. unserer Neuronen in unserem Gehirn verstehen.
Man kann sich diesen Zusammenhang sehr gut vergegenwärtigen, wenn man an die Metapher der inneren Teile oder an das innere Team nach Schulz von Thun denkt [5], [6]: Die inneren Teile sind dann langlebige Attraktoren. Zwangshandlungen und -gedanken sind weitere Beispiele für langlebige Attraktoren. Andere langlebige Attraktoren sind Glaubenssätze. Diese werden mittels Erfahrungen gewonnen, verallgemeinern diese und führen dann ein „Eigenleben“. Beispiele sind lebensbestimmende Glaubenssätze wie „Mich mag keiner“ aber auch „Mich haben alle lieb“, oder auch (vermeintlich) weniger bedeutungsvolle wie „Jedes Projekt benötigt einen Projektplan“. Glaubenssätze tauchen auch als Faustregeln auf und bilden dann die Grundlage für bestimmte Formen der Intuition mit einer großen Gefahr der Ausbildung von mentalen Verzerrungen [3].
Selbstorganisation ist „immer“ da, auch dann, wenn wir sie nicht bewusst herbeiführen. Gedanken und Emotionen befallen uns sozusagen und die Selbstorganisation macht auch keinen Unterschied zwischen Gut und Böse. Selbstorganisation beginnt auf der Ebene der Elementarteilchen und reicht über die Moleküle bis zur unbelebten und belebten Natur. Sie bildet sich in unserem Gehirn aus und setzt sich in unseren sozialen (und zunehmend auch technischen) Systemen fort. – Seit Anbeginn hat sich zunehmend ein riesiges Geflecht von selbstorganisierten, sich gegenseitig beeinflussenden Sphären in und zwischen Natur, Gesellschaft und Technik ausgebildet.
Das „Befallen von Gedanken“ wird begünstigt durch einen Mangel an Fakten, sowie durch Abgrenzung und Ausgrenzung: Die Selbstorganisation arbeitet sozusagen mit dem Wenigen was sie hat; mit dem Wenigen, das der Kontext bietet. Das Einleiten eines Integrationsprozesses und das Kennenlernen des Anderen öffnet der Selbstorganisation in der Gruppe oder in der Gesellschaft mehr Möglichkeiten sich auszubilden. Es werden die sogenannten soziale Kontrollparameter für mehr Vielfalt geöffnet. Dieses Öffnen auf sozialer Ebene hat natürlich kurz über lang einen Einfluss auf die individuellen Kontrollparameter unseres Gehirns. Meditation ist eine weitere Möglichkeit die Ausbildung der neuronalen Kontrollparameter besser in den Griff zu bekommen, indem Rationales und Emotionales besser mit einander vernetzt wird, d.h. die Vernetzung von Amygdala und präfrontalem Kortex unterstützt wird.
In der Sprache der Selbstorganisation entsteht Hass „Wenn die Fähigkeit zur Selbstselektion (d.h. die „selbstgeführte“ rationale Ausbildung von Kontrollparametern) nicht vorhanden ist oder unterentwickelt ist. Soziale Rahmenparameter (also der Kontext) befeuern die Fremdselektion zusätzlich durch Gruppendynamik. Die Gruppe bildet eine ausgrenzende Verbundenheit (Zugehörigkeit) aus, die zu einem gruppenspezifischen Sendungsbewusstsein führt. Es wird Sinn über eine eigene „verbildete“ Mission und Vision ausgebildet. Es entsteht ein neuer Ordnungsparameter, eine neue Ausrichtung (Ordnungsparameter sind spezielle Attraktoren). Daran kann man erkennen, dass Selbstorganisation nicht per se gut oder böse ist, sie geschieht einfach auf der Basis der gerade vorhandenen Parameterkonstellationen (u.a. des Kontextes). Die Ausbildung von Fremdenhass und nationalsozialistischen Tendenzen (u.a. auch das Auftauchen der AfD) sind Beispiele für Selbstorganisation: Auch wenn die prinzipiellen Muster der Selbstorganisation nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden, so ist es jedoch an uns, diese Muster so auszugestalten, dass nichts Böses entsteht.
Jetzt könnte man meinen o.g. Ursachen für Hass sind in der Politik typischen Populisten wie Trump, Erdogan, Höcke oder ähnlichen Personen vorbehalten. Dem ist leider nicht so; in anderen, weniger offensichtlichen Fällen ist er viel subtiler und damit vielleicht sogar viel gefährlicher. So schreibt die FAZ in einem Artikel zu einem Interview von Friedrich Merz in dem er die Aktivitäten von Greta Thunberg charakterisiert: „Auf der einen Seite sei sie „bewundernswert, aber auf der anderen Seite ist sie krank“, sagte Merz mit Blick auf Thunbergs Asperger-Syndrom“ „Ich hätte meine Tochter auch nicht dahin gelassen. (Anm.: Gemeint ist ein Auftritt bei den Vereinten Nationen).“ [7].
Das Stigma der „Krankheit“ ist ein in unserer deutschen Geschichte wohl geübtes Muster der Abgrenzung und Ausgrenzung. Ziel ist es hier, Wählerstimmen abzufischen, die das Bedürfnis nach Sicherheit vor das des Klimaschutzes stellen. Wahrscheinlich wohl wissend, dass damit rechte Wählerstimmen auf Kosten der Ab- und Ausgrenzung von anderen Wählerstimmen eingefangen werden sollen. Dass das Stigma der „Krankheit“ während des Nationalsozialismus grauenhafte Verhaltensweisen hervorgebracht hat, wird in Kauf genommen, wahrscheinlich auch wohlwissend, dass Menschen mit Asperger, wie Albert Einstein, unglaublich Wertvolles für die Menschheit geleistet haben.
Es erfordert eine hohe mentale Widerstandskraft, der manipulativen Verwendung und Ausbreitung solcher Meme, also von Gedankenschnipseln, Sätzen, Bildern oder Symbolen zu widerstehen. Hierzu ist es notwendig, die Meme zu erkennen und ggf. zu entlarven, um nicht einer Fremdbestimmung zu unterliegen, die dann zu einer neuronalen Selbstorganisation führt, die wir selbst nicht mehr führen können. In meinem Blog „Soziologie 4.0 – Vom Nutzen über den Tellerrand zu schauen“ vom Juli 2019 zitiere ich Dirk Baecker: „Genügt dem Individuum in der modernen Gesellschaft fachliche und soziale Kompetenzen sowie die Fähigkeit, zwischen Ihnen zu wechseln, so benötigt es jetzt (Anm.: im Zeitalter der Digitalen Transformation) zusätzlich die Kompetenz der Selbstselektion.“ Selbstselektion bedeutet, dass man in der Lage ist, seine mentale Selbstorganisation selbst zu führen und nicht durch innere Gegebenheiten (also z.B. durch eine geringe neuronale Vernetzung von Amygdala und präfrontalem Kortex) „von Gedanken wie einem Virus befallen zu werden“ oder durch äußere Gegebenheiten (also z.B. dem Kontext) fremd geführt zu werden, also einer Fremdselektion zu unterliegen.
Hass gibt es schon immer, jedoch…
…die zunehmende Komplexität der Kontexte, in denen wir uns bewegen, birgt die Gefahr, dass wir einer „fremden“ Selbstorganisation unterliegen: Intransparente Werte, Motive, Glaubenssätze, Grundannahmen und Ziele wirken auf uns ein. Wir benötigen in solchen Kontexten eine deutlich bessere Wahrnehmung, eine gesteigerte Fähigkeit zur Selbstführung, mehr Agilität, mehr Kreativität und mehr Entscheidungskompetenz. Diese Kompetenz zur Selbstorganisation ist eine Kompetenz, die in der Lage ist, mentale, soziale (und zukünftig auch technische) Selbstorganisation zu orchestrieren und natürliche Selbstorganisation zu verstehen, um achtsam mit ihr umzugehen.
Aus diesem Grunde haben meine Kollegin Sonja Armatowski und ich ein Trainings- und Coaching Programm für Einzelpersonen, Teams und Organisationen entwickelt, um deren Selbstorganisation zu stärken und die bestehenden Management 4.0 Trainings zu begleiten. Es trägt den Namen Metakompetenz Selbstorganisation 4.0 [8].
Im Management 4.0 (und natürlich in allen agilen Handlungsrahmen wie z.B. Scrum) spielen Rahmenparameter wie die Gestaltung von Raum und Zeit eine sehr große Rolle: Hierzu gehören zum Beispiel, die „Befreiung“ von Sitztischen als Kommunikationsbarrieren oder die Gestaltung der Zeit über Time Boxing, u.a. in der Form von Iterationen bzw. Sprints. Eine der eindrucksvollsten bewussten Gestaltung eines Rahmenparameters ist die Positionierung einer Säule in einem gewissen Abstand vor einem Notausgang. Experimente haben gezeigt, dass dadurch der Durchfluss an Menschen durch den Notausgang erheblich verbessert wird. Andere Beispiele sind die bewusste Gestaltung von Büroräumen, um unsere Kommunikation gezielt in Raum und sogar in Zeit „zu lenken“. Rahmenparameter sind immer da, ob wir wollen oder nicht: Man geht heute davon aus, dass z.B. die Evolution verschiedener Zivilisationen (zufällig) vor zehntausenden von Jahren erheblich durch entsprechende Rahmenparameter wie Klima, örtliche Lage oder dem Vorkommen von Tier- und Pflanzenwelt positiv wie negativ beeinflusst wurde (und natürlich auch noch wird) [1]. – Heute sind jedoch wahrscheinlich andere Rahmenparameter wichtiger, wie z.B. die Struktur unserer Städte [2].
Wir sprechen im Management 4.0 von Kompetenz, wenn man in
der Lage ist, die Rahmenparameter z.B. von Raum und Zeit aufgrund von gelernten
Mustern aus den agilen Handlungsrahmen in einem ähnlichen Kontext neu
anzuwenden: Z.B. wird das Time Boxing auch in Situationen wie einem
(fachlichen) Teammeeting angewendet und im Meeting spezifisch ausgestaltet.
Metakompetenz liegt damit noch nicht vor.
Wir sprechen von Metakompetenz, wenn jemand in der Lage ist, über so völlig unterschiedliche Kontexte wie oben geschildert, nämlich z.B. die Auswirkungen von Raum und Zeit im Agilen Management, der Raumgestaltung im öffentlichen und firmenspezifischen Raum oder in der Evolution wahrzunehmen und diese Wahrnehmungen einigen wenigen zugrundliegenden Prinzipien zuzuordnen. Mit Hilfe der Anwendungen dieser Prinzipien ist diese Person dann in der Lage aus der Situation heraus agil neue Modelle und Werkzeuge zu kreieren. Das Sammeln und Jagen nach scheinbar völlig unterschiedlichen immer wieder auf dem Markt der Tools angebotenen Werkzeugen kann damit entfallen. – In meinem Blog vom Juni 2019 – Vom Unterschied, der den Unterschied macht: „Principles rather than processes are what matter” – habe ich das Vier-Schritt-Zyklen Modell (PDCA-Modell) und die Ziel-Hierarchie als an Prinzipien orientierte grundlegende Modelle angeführt. – Diese Modelle tauchen an vielen Stellen immer wieder in abgewandelter Form auf und werden dort als „neue“ Modelle mit neuem Erkenntnisgewinn vermittelt.
In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Führung+Organisation ist der sehr schöne Beitrag „Nudging als Instrument der Wertevermittlung“ mit vielen Nudges-Beispielen erschienen. Nudge (engl. schwacher Stoß oder Schubs) oder Nudging ist eine Form der Kommunikation, die die „Veränderung der Entscheidungsumgebung, ohne dabei die Entscheidungsoptionen oder zugrundeliegenden Leistungsanreize zu verändern“ zum Ziel hat [3]. Dieser Beitrag vermittelt ohne Zweifel Kompetenz, jedoch keine Metakompetenz.
Als ein Beispiel für Nudging wurde angeführt, dass in einem Unternehmen, das sich ökologischer orientieren wollte, die Standardeinstellung am Firmendrucker von einseitigem Druck auf zweiseitigen Druck umgestellt wurde. Die Grundidee ist hierbei, dass diese kleine Änderung schon zu einer Änderung im Verhalten führt: Denn die aktive Änderung der Standardeinstellung ist mit Verhaltensenergie verbunden und sollte im Normalfall dazu führen, dass die Standardeinstellung (nahezu immer) beibehalten wird. Die Anzahl an möglichen Entscheidungsoptionen wird in diesem Beispiel also nicht verändert, jedoch führt die zusätzliche Energie, die notwendig ist, eine alternative Entscheidung umzusetzen, zu einem Verharren in der Standardeinstellung. Leider hat der gut ausgedachte nudge nicht wirklich funktioniert, da es eine recht große Anzahl an Mitarbeitern gegeben hat, die ihre Unterlagen doppelseitig und zusätzlich einseitig ausgedruckt haben. Es bestand nämlich die zusätzliche Regel, dass im Kontext von Besprechungen, die Unterlagen einseitig vorliegen müssen.
Hieraus wurden die folgenden „neuen“ Erkenntnisse für einen Kompetenzerwerb abgeleitet [3]:
Nudging muss die jeweiligen Kontexte einer
Organisation berücksichtigen.
Nudging muss die Werte und Glaubenssätze von
Menschen und organisationalen Systemen berücksichtigen, denn diese können die
Wirksamkeit der nudges erheblich beeinflussen. Da Menschen oder Organisationen
unterschiedliche Kontexte, Werte und Glaubenssätze haben, ist das Finden von
geeigneten nudges nicht einfach.
Nudging unterliegt einem Anpassungsprozess: Da
man nur Hypothesen über Kontexte, Werte und Glaubenssätze machen kann, sind
geeignete nudges iterativ zu ermitteln.
„Nudges sind überall und jederzeit.“ [3]
„Jeder ist ein choice architect, also jemand
der eine Entscheidungsumgebung entwirft oder beeinflusst.“ [3]
Mit einer relativ einfachen Erweiterung können diese
Erkenntnisse für den Metakompetenzerwerb nutzbar gemacht werden. Hierzu ist es lediglich
notwendig, nudges als spezielle Varianten von Rahmenparametern der Selbstorganisation
zu verstehen [4], [5]. Hierbei ist es zwar nicht für das Ergebnis, jedoch für
die grundlegenden systemischen Muster gleichgültig, ob diese Rahmenparameter
bewusst erzeugt werden oder einfach per Zufall so sind wie sie sind. In der Sprache
der Selbstorganisation ergeben sich folgende verallgemeinerte Erkenntnisse:
Neue Rahmenparameter müssen die jeweiligen Kontexte einer Organisation berücksichtigen. Denn die bestehenden Kontexte einer Organisation sind Rahmenparameter, die mit den neuen Rahmenparametern kollidieren können.
Rahmenparameter müssen die Werte und Glaubenssätze von Menschen und organisationalen Systemen berücksichtigen, denn diese können die Wirksamkeit der Rahmenparameter erheblich beeinflussen. Da Menschen oder Organisationen unterschiedliche Kontexte, Werte und Glaubenssätze haben, ist das Finden von geeigneten Rahmenparametern nicht einfach. Werte und Glaubenssätze bzw. die damit verbundene persönlichkeitsorientierte Kommunikation sind in der Selbstorganisation Kontrollparameter. Rahmenparameter und Kontrollparameter hängen sehr stark voneinander ab und müssen abgestimmt designed werden.
Das bewusste Designen von Rahmenparametern unterliegt einem Anpassungsprozess: Da man nur Hypothesen über Kontexte, Werte und Glaubenssätze machen kann, sind geeignete Rahmenparameter iterativ zu ermitteln. Es macht sich also bemerkbar, dass Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparameter kein einfaches, lineares System darstellen, sondern ein sehr dynamisches Geflecht von komplexen Abhängigkeiten, für das man Metakompetenz und nicht nur Kompetenz benötigt.
Rahmenparameter sind überall und jederzeit.- Hieraus ergibt sich die sehr weitreichende Feststellung „Der Begriff Selbstorganisation verspricht mehr als er hält.“ – Denn Rahmenparameter geben unserer Selbstorganisation einen nicht unerheblichen „Rahmen“.
Jeder ist ein ´selforganisation architect´, also jemand der eine Selbstorganisations-Umgebung entwirft oder beeinflusst. Vorausgesetzt…
er oder sie besitzt die entsprechenden Metakompetenz. Wir verstehen im Management 4.0 [5], Metakompetenz als eine Disposition zur Selbstselektion (man siehe auch den Blog Beitrag Soziologie 4.0) und der damit verbundenen Fähigkeit aus einem (eigenen) mentalen System und einem organisationalen System kognitiv und affektiv heraus zu treten. Im obigen Beispiel geht es darum, aus dem vermeintlich „neuen“ Gedankensystem des Nudging herauszutreten und dieses in einen umfassenderen Kontext zu stellen. Diese Metakompetenz wird als zentral angesehen, um in komplexen Kontexten kompetent handlungsfähig zu sein [6], [7].
[2] West G
(2017) Scale: The Universal Laws of Life and Death in Organisms, Cities and
Companies, Weidenfeld & Nicolson, kindle edition
[3] Böhm K L und Renz E (2019) Nudging als Instrument der
Wertevermittlung, in zfo Zeitschrift für Organisation 5/2019, Schäfer-Poeschel
[4] Oswald A, Köhler J, Schmitt R (2016) Projektmanagement
am Rande des Chaos, Springer, Heidelberg
[5] Oswald A, Müller (Hrsg.) (2019) Management 4.0 –
Handbook for Agile Practices, Release 3, BoD Verlag, Norderstedt
[6] Erpenbeck J et al. (2006) Metakompetenzen und Kompetenzentwicklung, QUEM-Report, Heft 95 Teil 1, Berlin
[7] Bergmann G et al. (2006) Metakompetenzen und
Kompetenzentwicklung, Metakompetenzen und Kompetenzentwicklung in systemisch-rationaler
Sicht, Selbstorganisationsmodelle und die Wirklichkeit von Organisationen, QUEM-Report,
Heft 95 Teil 2, Berlin
Als die GPM Fachgruppe Agile Management vor ungefähr 10
Jahren das erste Mal den Begriff Management 4.0 kreierte, hatten wir nicht
Industrie 4.0 oder die Digitale Transformation im Sinn. Industrie 4.0 bzw. die
Digitale Transformation waren als Begriffe in Google damals noch nicht sichtbar.
Uns geht es heute, wie damals, um das Verständnis von Komplexität und der damit sehr eng verbundenen Selbstorganisation. Es geht uns, um ein geeignetes Denken und Handeln im Angesicht von Komplexität: 4.0 steht also für das Denken und Handeln in komplexen Situationen und Umfeldern und hat zuerst einmal nichts mit Industrie 4.0 bzw. der Digitalen Transformation zu tun. – Jedoch, … die Digitale Transformation, als sozial-technisches Phänomen, ist einer der derzeit recht vielen globalen Komplexitätstreibern. Andere Komplexitätstreiber, die ihre Auswirkungen in Gesellschaft, Natur und Technik haben, sind der mögliche Klimakollaps oder die soziale Sicherheit und die Verfügbarkeit von Arbeit und Wohnen. Damit sehr eng verbundenen sind die gesellschaftlichen Auswirkungen der Bereiche Energie, Mobilität, Nahrung, Gesundheit sowie lokaler und globaler Umweltschutz.
Auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zeigt das Management
4.0 Prinzipien für das Handeln unter Komplexität auf. – Dieser Blogbeitrag
wendet einige dieser Prinzipien auf einige Aspekte des aktuellen
gesellschaftlichen Diskurses und der Politik an.
Der Schmetterlingseffekt – „Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien löst einen Tornado in New York aus“ – steht als realitätsnahe Metapher für die enorm unterschiedlichen Auswirkungen, die kleine Unterschiede in den Anfangsbedingungen eines komplexen Systems haben. Insbesondere mit unserem Klima stehen wir an einem möglichen Tipping Point (Kipppunkt). Das was wir heute entscheiden oder nicht entscheiden kann in der Zukunft enorme Auswirkungen haben, also einen Schmetterlingseffekt zeigen: Das was wir entscheiden kann den Fortbestand unserer Erde, so wie wir sie heute (noch) kennen, massiv gefährden oder ermöglichen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass der Tipping Point längst erreicht ist, und sich selbstorganisiert Mechanismen in Gang setzen, die wir nicht (mehr) aufhalten können. Man spricht von selbstorganisierter Kritikalität.
Schmetterlingseffekt, Tipping Point und selbstorganisierte Kritikalität gibt es nicht nur in der Natur, sondern auch in sozialen Systemen, also in Gruppen, Organisationen oder in der gesamten Gesellschaft.
Forschungsergebnisse aus dem Jahre 2018 haben starke Hinweise, dass in sozialen Systemen ein Tipping Point bei 25% der Population liegt [1]: Sind also 25% einer Organisation oder Gesellschaft von etwas wirklich überzeugt, kippt die gesamte Gesellschaft in die entsprechende Richtung. Interessante, neugierig machende Lügen (Fake News) und die richtige Auswahl bzw. Platzierung der Promotoren des Kippens begünstigen den Übergang.
Wie der neueste Deutschlandtrend des ARD zeigt [2], geben inzwischen 63% der Bevölkerung dem Klimaschutz Vorrang vor dem wirtschaftlichen Wachstum.- Eine erfreuliche Entwicklung. – Die Ausweitung der Grünen Grundstimmung und vor allem auch die „Fridays for Future“ haben hierzu beigetragen. – 52% der Bevölkerung schätzen die Bedeutung von „Fridays for Future“ für diese Entwicklung hoch ein. Das (halbherzige) Umschwenken der Meinung des politischen Establishments (CDU/CSU und FDP) ist sicherlich ganz wesentlich auf die letzten Wahlergebnisse und die „Fridays for Future“ Bewegung zurückzuführen. – Es gab nicht wenige Politiker, die den jungen Menschen in den Anfängen öffentlich Kompetenz abgesprochen und Disziplinlosigkeit zugesprochen haben. – Inzwischen sind besagte Politiker wesentlich vorsichtiger geworden.- Sie könnten ja Wählerstimmen verlieren. Das Kippen der öffentlichen Meinung vollzieht sich gerade, jedoch die politische Führung bleibt in ihrer mentalen Blockade gefangen.- Die Maßnahmen des Klimakabinetts werden schon während ihrer Publikation als Fehlentwicklung und Augenwischerei bezeichnet (unter vielen sehr ähnlichen Aussagen, hier nur eine in [3]).
Die Bildung der AfD und auch der Brexit kann man als selbstorganisierte Kritikalität verstehen: Das „Eindringen der Flüchtlinge“ hat neue Komplexität mitgebracht, die vielen Menschen Angst macht bzw. gemacht hat. – Diese Angst ist ein enormer Brandbeschleuniger. Die mit dem drohenden Klimakollaps verbundenen Maßnahmen, können, wenn sie jetzt falsch „designed“ werden, weitere Ängste schüren und diese Ängste könnten dann noch viel schlimmere Auswirkungen haben: Sollten die Klimaziele zu Lasten der sozialen Sicherheit gehen, ist dies der „gefundene Kontrollparameter“ den die AfD sucht, um die Gesellschaft weiter zu spalten bzw. zu destabilisieren. – Es könnte sein, dass das politische Establishment genau hiervor Angst hat und dementsprechend das Klimapaket falsch schnürt. – Es ist aber auch zu vermuten, dass sie das Denken unter Komplexität nicht wirklich beherrschen und damit die Wirkung der angedachten Maßnahmen nicht wirklich einschätzen können: Die CO2-Bepreisung ist ein Kontrollparameter, damit er wirkt, muss man ihn erkennen und auch im Wert richtig einstellen, was offensichtlich bisher nicht getan wurde. – Der aktuelle Wert ist nur ein Fünftel des notwendigen Wertes.- Also als Kontrollparameter völlig wirkungslos. – Diesen Effekt des Festhaltens an alten Denkmustern kennen meine Kollegen und ich auch aus der Agilen Organisationsentwicklung: Dort gibt es u.a. den Kontrollparameter Work-in-Progress, der im Idealfall bei 1 liegen sollte, also eine Aufgabe pro Zeiteinheit pro Mitarbeiter… Die Führungskräfte und die Mitarbeiter der Organisation finden tausend Gründe warum die Organisation diesen Wert nicht einhalten kann, auch wenn man weiß, dass damit Agilität in weite Ferne rückt. Stattdessen werden viele kleine, wenig sinnvolle Maßnahmen eingeführt, in der Hoffnung, dass in der Summe der Effekt eintritt. Dies ist lineares Denken für nicht-lineare komplexe Prozesse. Damit verbunden ist die zentrale Erkenntnis, dass es keinen Sinn macht einen Kontrollparameter eines Bereiches (hier der Bereich Energie und Mobilität) niedriger als gefordert anzusetzen, weil man Angst vor den Konsequenzen in einem anderen Bereich (hier dem der sozialen Sicherheit oder Arbeit) hat: Das Klima weiss nichts von den Problemen im Bereich Arbeit; es wartet nicht, es geschieht einfach…
Selbstorganisation in komplexen Systemen findet immer statt.
Hierbei ist es gleichgültig, ob man die Systemparameter bewusst einstellt oder
sich diese durch den Kontext wie von alleine ergeben. – Auch eine Diktatur
führt zu einer Selbstorganisation, die jedoch sehr wenige Freiheitsgrade hat
und damit keine entsprechende innovative soziale Entwicklung ermöglicht.
Das Auffinden von Systemparametern (Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparametern), die dem System Freiheiten für neue Strukturen geben, ist, wie man aus der Wissenschaft weiß, kein leichtes Unterfangen: Es gibt evtl. nicht nur viele Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Systemvariablen, die einen beim „Design“ der Systemparameter verwirren, sondern es sind nur wenige, ganz bestimmte Parameter, die es zu finden gilt: Zur Zeit tobt die Diskussion „CO2-Zertifikate versus CO2-Bepreisung“. Diese Diskussion wird noch vernebelt durch viele weitere Detail-Maßnahmen, wie z.B. die Vorgabe einer e-Auto Mindestanzahl für die Automobilindustrie, die Diskussion zum SUV, die Erhöhung der Pendlerpauschale, usw. Die Experten sind sich einig, dass die CO2-Bepreisung die effektivste Form für die Reduktion des CO2 Ausstoßes ist (siehe u.a. [3]). Auch nach meinen jetzigen Erkenntnissen ist die richtige CO2 Bepreisung der beste Kontrollparameter, vielleicht auch der einzige. – Die vielen weiteren Maßnahmen schaden vermutlich nicht, sie nutzen aber auch nicht (viel) für die Verhinderung des Klimakollapses.
Jedoch… sie lassen die Bevölkerung und die Politiker im
Glauben, dass ein Nutzen damit verbunden ist, und dies ist die wirklich
gefährliche mentale Verzerrung.
Anlässlich einer Diskussion in der Sendung „Anne Will“ [4] zwischen dem Verkehrsminister und einer Greenpeace Aktivistin kann man diese Verzerrung leicht nachvollziehen: Der Verkehrsminister fragte die Aktivistin, ob sie es denn nicht gut fände, dass Porsche ein e-Auto Werk baut, das 1500 Menschen Arbeit gibt. Die Aktivistin sagte hierauf lediglich, dass dies das falsche Signal sei, ohne zu erklären, was sie damit meint.
Stattdessen hätte sie sagen können, dass mit dem Lob „Porsche, super gemacht“ durch die Politik, die gesellschaftlichen Werte unterstützt werden, die ganz wesentlich zum Klimakollaps beitragen (man sie hierzu meinen Blog vom August 2019: Selbstorganisation Straßenverkehr – Der Straßenverkehr ein Spiegelbild unserer Gesellschaft?!). Vielmehr wäre es wichtig, dass die Politik neue Werte in den Diskurs einführt, damit sich diese mit der Zeit als soziale Kontrollparameter etablieren können. – Dies heißt auch, dass die Maßnahme von Porsche nicht verteufelt wird, aber in ihrer Bedeutung stark relativiert wird. Wie oben schon gesagt, ist es notwendig, den Wandel so zu gestalten, dass den Rechtspopulisten kein Kontrollparameter „fehlende soziale Sicherheit“ in die Hand gegeben wird.
Abbildung 1 zeigt einen möglichen, sehr groben Vorschlag für die Ausgestaltung der Deutschland-Systemparameter. Dem obersten Ordnungsparameter (Leben im Einklang mit und im Respekt für die Natur, Würdevolles Leben für Jeden) kommt hierbei die zentrale Rolle für den Wandel in der Gesellschaft zu. Dieser ist in einem „Kasten“, der andeuten soll, dass dieser Ordnungsparameter „immer“ als „Großes Bild“ visualisiert wird, um ihn für die gesamte Bevölkerung sichtbar zu machen. Die Kontrollparameter in Form von Werten (und weniger Regeln oder Verboten) helfen im täglichen Handeln bei der Umsetzung des „Großen Bildes“. Und natürlich dienen diese übergeordneten Systemparameter als „Rahmenparameter“ für die Ausgestaltung der Systemparameter in den jeweiligen Bereichen Nahrung, Arbeit, Gesundheit, Energie, Mobilität, lokaler und globaler Umweltschutz, Migration und Digitalisierung. – Es entsteht also eine Hierarchie an vertikal wie horizontal abgestimmten Systemparametern. Die CO2-Bepreisung haben wir ja schon als Kontrollparameter kennengelernt; sie dient für die Bereich Mobilität und Energie als Kontrollparameter. Natürlich, wie oben geschildert, kann diese nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn ein geeigneter Wert eingestellt wird und ggf. immer wieder adjustiert wird. Die Ausgestaltung der bereichsspezifischen Ordnungsparameter erfolgt auf der Basis des obersten Ordnungsparameters als Leitplanke: Für den Bereich Nahrung könnte dies zum Beispiel heißen: „Qualität vor Quantität: Die Nahrungsmittelproduktion unterliegt nicht dem Diktat des Marktes. Es gilt der Respekt vor uns Menschen, den Tieren und den Pflanzen. Der Respekt vor Tieren und Pflanzen sichert über die Nahrungskette auch ganz wesentlich unsere Gesundheit.“ Dies hat dann nahezu automatisch zur Konsequenz, dass es keine prophylaktische flächendeckende Behandlung der Tiere mittels Antibiotika mehr gibt, dass die Tiere nicht wie Ware behandelt werden, die es tod- oder lebendig zu exportieren gilt, usw… Für den Bereich Lokaler und Globaler Umweltschutz könnte dies heißen: „Das, was wir an Müll erzeugen beseitigen/recyclen wir im eigenen Land. Wir erzeugen weder direkt noch indirekt in anderen Ländern Müll.“
Abbildung 1: Politik 4.0: Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparameter auf Deutschland-Ebene
Politik 4.0 weiß also einerseits um die komplexen Zusammenhänge der verschiedenen sozialen-natürlichen-technischen Bereich, orientiert sich – wie oben geschildert- an einer Systemparameterhierarchie, stimmt diese vertikal wie horizontal ab, und berücksichtigt hierbei, dass Steuerungsmechanismen (Kontrollparameter) nicht politischen Interessen geopfert werden dürfen, denn sie sind, wie am Beispiel Klima (Mobilität und Energie) skizziert, nicht verhandelbar.
Politik 4.0 strebt nach einer hohen öffentlichen Transparenz der Systemparameter. – Hierzu sind wahrscheinlich neue Mechanismen der integrierten Kommunikation notwendig. – Den öffentlich-rechtlichen Medien kommt hier sicherlich eine besondere weitere Bedeutung zu.
Politik 4.0 etabliert transparente PDCA-Zyklen (Plan-Do-Check-Adapt-Zyklen): Denn öffentliches Erfolgsmonitoring ist von enormer Bedeutung für die Transformation der Gesellschaft.
[1] Oswald A, Müller (Hrsg.) (2019) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices, Release 3, BoD Verlag, Noderstedt
Am 13.08.2019 brachte das WDR Fernsehen in der Reihe „Quarks“ den Beitrag: Wem gehört die Straße? Aggressionen im Verkehr [1].
Hiernach hat
sich die Anzahl der PKW’s in der BRD seit den 50er Jahren mehr als
verfünfzigfacht. Seit den 1970er Jahren verdreifacht. Reiht man alle Autos
aneinander, so ergibt sich heute eine Parklänge die ca. 7mal die Erde umrundet.
Wir haben ca. 2000 Staus/Tag, 400 Unfälle/Tag durch aggressives Fahren,
insgesamt 7223 Unfälle/Tag sowie 9 Tote/Tag [2]. 70% der Autobahnkilometer sind
ohne Tempolimit.- Wir sind das einzige europäische Land ohne Tempolimit. – Die
bisher unberücksichtigten Folgekosten des Verkehrs betragen ca. 150
Milliarden/Jahr [3]
In den Innenstädten
hat sich der für den Verkehr zur Verfügung stehende Raum nicht wesentlich
geändert. – Es konkurrieren immer mehr Autos mit Fußgängern, Radfahrern und
neuerdings auch E-Scootern. D.H. auch, dass wir einen erheblichen
Ressourenkonflikt haben. Außerhalb der Innenstädte wird nach wie vor immer mehr
Fläche u.a. von unserem Straßenverkehr „gefressen“.
Berücksichtigen wir, dass neben dem Flächenfrass [4], die Luftverschmutzung und die Verschmutzung durch Lärm über die letzten Jahrzehnte erheblich zugenommen haben, so wird offensichtlich, dass der Straßenverkehr eines der großen Probleme unserer Zeit darstellt. – Das Problem grundsätzlich anzugehen, hat die Politik bisher versäumt. – Ich fühle mich unwillkürlich an das amerikanische Beharrungsvermögen bezüglich der amerikanischen Waffengesetze erinnert.
Gleichzeitig nimmt der Zeitdruck durch Privatleben und Beruf immer mehr zu und entlädt sich durch die bestehenden Rahmenparameter unseres Straßenverkehrs (geringer werdender Verkehrsraum in den Städten, Erlaubnis zu hoher Geschwindigkeit,…) in einer höheren Aggressivität. Selbst das Design der Autos ist über die Jahre aggressiver und dominanter geworden. Im WDR Beitrag wird als Beispiel die Veränderung des VW Golf Designs angeführt. Betrachtet man die Ausmaße und das Design der beliebten großmotorigen SUV’s von Mercedes, BMW und Audi, so könnte man vermuten, dass es geradezu eine Explosion von Dominanz, „Sportlichkeit“ und Aggressivität im Autodesign gibt. – Von einer Explosion des ökologischen Fußabdruckes ganz zu schweigen.
Begonnen hat Alles in den Zeiten des Deutschen Wirtschaftswunders. – Die Straßen wurden damals so angelegt, dass die damals noch wenigen Autos ungehindert fahren konnten und sich ein „ungestörter“ Verkehrsfluss einstellen konnte. Das Wirtschaftswunder hatte als oberstes Ziel – also als einen der obersten gesellschaftlichen Ordnungsparameter der Selbstorganisation [siehe Anmerkung unten] – ökonomisches Wachstum ausgebildet. – Dieses oberste Ziel wurde durch die zunehmende Ausbildung der Werte Erfolg, Status, Spaß, Freiheit und Autonomiemöglich gemacht. Im Straßenverkehr wurde der gesellschaftliche Ordnungsparameter durch Ordnungsparameter wie „Freie Fahrt dem Tüchtigen!“ oder „Freie Fahrt dem freien Bürger!“ umgesetzt. Dies mündete in eine entsprechende Ausgestaltung des Flächenfrasses, die Geschwindigkeitseuphorie, die Vernachlässigung des Schienenverkehrs, die Markt-Dominanz der Autoindustrie, usw.. Slogans wie „Das Beste oder nichts!“, „Freude am Fahren!“ oder „Vorsprung durch Technik“ sind von der Autoindustrie entsprechend adaptierte Ordnungsparameter der gesellschaftlichen und verkehrspolitischen Ordnungsparameter. – Mit den Jahren hat sich eine heute sehr stabile Ordnungsparameter-Hierarchie ausgebildet, untermauert von den sie stützenden Wertvorstellungen (Erfolg, Status, Spass, Freiheit und Autonomie).
Heute können wir jeden Tag erfahren, dass unser Straßenverkehr jeden Tag viele Kollapse hat und dass die Autos einen verschwenderischen ökologischen Fußabdruck von der Herstellung bis zur Verschrottung erzeugen. – Trotzdem ergeht sich die Politik in törichten Maßnahmen. – Ich glaube zwar, dass wir alle unseren Beitrag jeden Tag leisten sollten. – Jedoch ist es die Aufgabe der Politiker, ihrer gesellschaftlichen Führungsaufgabe gerecht zu werden. Dietrich Dörner, der sich seit Jahrzehnten als Wissenschaftler mit dem Denken in komplexen Situationen und Kontexten beschäftigt, schreibt kürzlich hierzu [5]:
„Welcher Berufsstand gefährdet Gesundheit und Leben der Menschen am meisten? Ist der Soldat am gefährlichsten? Nein, nicht der Soldat, auch nicht der Mafiosi (wenn man denn die Mafia als einen Berufsstand akzeptieren möchte). Auch nicht der Arzt, wie manche Leute meinen. – Wer dann? Nun, die größte Gefahr für Leib und Leben seiner Mitmenschen geht vom Politiker aus. …. …Fehler, die in der Politik gemacht werden, (sind) nicht einfach Fehler, sondern törichte Fehler.“
Auch Politiker sind „Kinder ihrer Zeit“! Falls sie keine Metakompetenz entwickelt haben – was man nach den in den Medien berichteten Gedanken und Aktion wohl überwiegend annehmen darf – dann machen sie einen törichten Fehler nach dem anderen [5]. Törichte Fehler (der Politiker) sind gekennzeichnet durch:
Die Politiker nehmen nicht wahr, dass sich unser Kontext seit den 70er Jahren dramatisch verändert hat (Wahrnehmungsabwehr und -verzerrung).
Ihr persönlicher politischer Ordnungsparameter „An der Macht bleiben“ hindert sie daran, in komplexen Zusammenhängen zu denken und zu handeln (Vereinfachungen bringen Wählerstimmen, das Phänomen des Populismus ist keine neues Phänomen, das man nur der AfD zuschreiben kann, Wahrnehmungsverzerrung, Realitätsleugnung und Vereinfachung gehören zum „Handwerkszeug“ jedes Politikers). – Zur Diskussion persönlicher Ordnungsparameter, siehe den Artikel „Interaction Patterns for the Digital Transformation in [6].
Sie zeigen Aktionismus, denn wer agiert ist präsent (siehe die „beScheuert“ wirkenden Gedanken und Aktionen unseres Verkehrsministers).
Und sie wenden sehr oft immer die gleichen einfachen, in der Vergangenheit erworbenen Methoden und Regeln an (Methodismus) (u.a. z.B. Arbeitsplätze haben Vorrang, das Auto ist des deutschen liebstes Kind, also nicht angreifen, …)
Was könnte man
tun? Dietrich Dörner sieht eine entscheidende Maßnahme: Ausbildung der
Politiker in komplexem Denken. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz, denn
wer sollte so etwas in die Wege leiten, wenn nicht die Politiker selbst. …Ich
ergänze dies um die aktive politische Auseinandersetzung mit den Parametern der
Selbstorganisation:
Transparente und bewusste Diskussion zu unseren Kontrollparametern: Dies bedeutet insbesondere eine Diskussion zu den Werten Erfolg, Status, Spaß, Freiheit und Autonomie und den daraus abgeleiteten Konsequenzen: Ist es sinnvoll, neben Autos weitere Verkehrsteilnehmer mit evtl. noch mehr Energieverbrauch einzuführen. Oder ist es notwendig Autos nicht mehr in erster Linie mit Erfolg, Spaß, Autonomie und Status zu verbinden, sondern eher mit Umweltverschmutzung und unbezahlten Rechnungen auf die Zukunft. Ist es evtl. sinnvoll, den Kontrollparameter „Anzahl an Autos“ zu limitieren, ähnlich wie den WIP im Agilen Management.
Transparente und bewusste Diskussion zu unseren Ordnungsparametern: Ist es sinnvoll, uns an einem quantitativen Wachstum auszurichten, sei es in der Landwirtschaft, der Nahrungsmittelindustrie, der Pharmaindustrie, der Autoindustrie, usw. Oder ist es notwendig und sinnvoll z.B. die Landwirtschaft und Nahrungsherstellung nicht dem Diktat des globalen Wachstums und Handelns zu unterwerfen? Ist es also notwendig und sinnvoll, neue Ordnungsparameter zu kreieren, die qualitatives Wachstum hervorheben?
Wir haben es mit komplexen Zusammenhängen zu tun haben. – Und für die Gestaltung dieser komplexen Zusammenhänge benötigen wir die Fähigkeit zu komplexem Denken, das auf systemischem Verständnis beruht und agiles politisches Handeln ermöglich. – Also möglichst wenige törichte Fehler macht! – Dies kommt einer radikalen Trendwende im Kompetenzprofil der Politik aber auch auch der Gesellschaft gleich!
[Anmerkung]: Der Straßenverkehr wird oft als Beispiel für Selbstorganisation herangezogen: Gemeint ist die Selbstorganisation, die sich auf dem Straßennetz über die Autos einstellt: Der ungehinderte Verkehrsfluss entspricht dem sich selbst einstellenden Ordnungsparameter. Leider bildet sich dieser heute nur noch sehr selten aus. Es entstehen Staus, auch eine Form von „negativer“ Ordnung. Man könnte auch sagen, „das Ganze ist weniger als die Summe seiner Teile“. Ein Kontrollparameter wäre die bewusste Regulierung/Reduzierung von Verkehrsteilnehmern entsprechend der Verkehrssituation. – Dies geschieht in der Praxis nur sehr selten. – Anlässlich der Ölkrise in den 70er Jahren hat man so etwas zum letzten Mal flächendeckend gemacht. Rahmenparameter haben wir sehr viele: Die vielen Verkehrsregeln und ihre Umsetzung durch Verkehrszeichen, das Verkehrsnetz, die vielen Baustellen sowie der zunehmend geringere Verkehrsraum pro Verkehrsteilnehmer in den Innenstädten. In diesem Blog Beitrag diskutiere ich diese „nachgelagerte“ Selbstorganisation nicht, sondern eine Facette der gesellschaftlichen Selbstorganisation, die dieser Selbstorganisation „vorausgeht“. – Der Straßenverkehr ist also ein selbstorganisiertes Teilsystem einer Hierarchie von selbstorganisierten (Teil-) Systemen.
Unlängst hat der Soziologe Dirk Baecker ein Buch herausgebracht, das den Titel trägt „4.0 oder Die Lücke die der Rechner lässt“ [1].
4.0 – Grund genug, eventuelle Gemeinsamkeiten und
Verbindungen zwischen Soziologie 4.0 und Management 4.0 [3] aufzuspüren. Ich betrachte
hierzu neben [1] eine ältere Veröffentlichung [2], die wichtige Ergänzungen zum
soziologischen Verständnis des Begriffes „System“ enthält.
Die Sprache in [1] und [2] ist keineswegs einfach, aus meiner Sicht nicht selten kryptisch (d.h. u.a., dass Begriffe nicht klar definiert sind oder deren Verwendungen (mir) nicht nachvollziehbar erscheinen oder, dass Sätze Negationen von Negationen von …enthalten). Ich nehme in beiden Werken drei Sprachebenen wahr: Die Sprache, die den Bezug zur Alltagswelt herstellt, die Sprache eines Soziologen Luhmann’scher Prägung und eine Sprache, die naturwissenschaftliche Erkenntnisse wiedergibt oder verarbeitet. Bemerkenswert ist, dass immer wieder ein Thema in allen drei Ebenen ausgedrückt wird und die Suche nach der „Einheit“ von Natur, Technik und Gesellschaft überall durchschimmert.
In [1] analysiert Baecker die Entwicklungsstufen (1.0 bis 4.0) der Gesellschaft von der tribalen Gesellschaft (1.0 „Erfindung“ der Sprache), der antiken Gesellschaft (2.0 „Erfindung“ der Schrift), der modernen Gesellschaft (3.0 „Erfindung“ des Buchdrucks) zur nächsten (post-modernen) Gesellschaft (4.0 „Erfindung“ der elektronischen Medien). Um diese Gesellschaftsformen zu beschreiben, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten verwendet er 26 Themen (dies sind u.a. Überschusssinn, Strukturform, Kulturform, …., Witz). – Ich gehe nicht auf diese 26 Themen ein, sondern vielmehr auf dahinterliegende Grundaussagen. – Die „Übersetzung“ dieser Themen in eine operationalsierbare und damit in der Praxis testbare Theorie sprengt bei weitem den Rahmen eines Blogbeitrages.
Die zeitliche und inhaltliche Zuordnung der Nummerierung 1.0
bis 4.0 entspricht nicht derjenigen der im Management 4.0 verwendeten [6]. – Mit
der Kennzeichnung 4.0, beziehen sich jedoch beide auf die nächste, sich gerade
entwickelnde Gesellschaftsform. Management 4.0 und Soziologie 4.0 enthalten sehr
viele gemeinsame Aussagen und stimmen in ihren Prinzipien (meines Erachtens)
überein.
Um dies zu zeigen, habe ich im Folgenden eine Reihe von Aussagen aus [1] und [2] herausgegriffen und damit eine Perspektive eingenommen, die sicherlich nicht vollständig ist, jedoch vielleicht einige wesentliche Aspekte der Soziologie 4.0 einfängt und die Verbindung zum Management 4.0 aufzeigt.- Meine Kommentare zu den Soziologie 4.0 Aussagen füge ich in kursiv hinzu:
„4.0 steht für die Gesellschaft elektronischer Medien und
nicht nur für die elektronischen Medien.“ [1, S. 30]
Hier taucht schon eine Sicht auf, die
Medien/Digitalisierung und Gesellschaft als „Einheit“ betrachtet und nicht als
etwas „Getrenntes“. Eine grundlegende Aussage, um die nächste, jetzt anstehende
Gesellschaft (ich verwende der Einfachheit wegen im Folgenden den Begriff post-moderne
Gesellschaft) zu verstehen.
„Eine Soziologie 4.0 ist eine Soziologie, die Trajektorien
im Netzwerk folgt und ein intensives Interesse daran entwickelt, wie Elemente
heterogener Art, vermittelt über Schnittstellen digitaler und analoger Art,
unwahrscheinliche Muster, Geschichten und Modelle bildet, an denen sich
Operationen orientieren, die im nächsten Moment zu Operanden werden.“ [1,
S.58].
Trajektorie heißt ein gesellschaftlicher, historischer,
wirtschaftlicher, ökologischer oder technologischer Entwicklungsverlauf [4],
und ist ein Begriff der in Natur-, Technik- und Sozialwissenschaften sehr
ähnlich verwendet wird. Er beschreibt den Entwicklungspfad von Systemen. Das
System der post-modernen Gesellschaft wird als heterogenes Netzwerk verstanden,
das Komplexität ausprägt (Muster, Geschichten und Modelle). Prozesse
(Operationen) wirken in diesem komplexen Netzwerk und werden in „höheren“
Prozessen weiterverarbeitet. – Dies deutet auf eine selbstreferentielle Entwicklung
zu „höheren“ Stufen hin. Der Begriff „emergente Phänomene“ taucht hier zwar
nicht auf, im Management 4.0 verbinden wir jedoch diese selbstreferentielle
Entwicklung mit Emergenz.
„Die sogenannte digitale Transformation (der Gesellschaft)
ist rekursiv und nicht-trivial. Sie verändert die Voraussetzungen, unter denen
sie stattfindet, und damit auch die Ziele, die sie verfolgt.“ [1, S. 61]
Dieser Satz führt die vorherige Aussage fort: Prozesse,
Regeln oder Strukturen der Transformation erbringen ein Transformationsprodukt,
das wieder Prozessen, Regeln und Strukturen ausgesetzt wird. Hierbei können
sich die Prozesse, Regeln und Strukturen, die das Produkt hervorrufen, schon
wieder verändert haben. In diesem Sinne liegt keine „ideale“ Rekursion vor. Im
Management 4.0 verwenden wir deshalb den Begriff der Selbstreferenzialität
(auch wenn wir wissen, dass das Selbst sich durch den Selbstbezug ändern wird).
Komplexität und Selbstreferenzialität sind im Management 4.0 die Basis von
Selbstorganisation und damit von emergenten Strukturen.
„Der gemeinsame Nenner von Wissenschaft, Natur und
Gesellschaft ist die Eigenschaft der rekursiven Komplexität.“ [1, S.137] „Rekursivität
ist die Voraussetzung jeder kontextuellen Berechnung, die die eigenen Ansätze
überprüft, indem sie sie im Material überprüft.“ [1, S. 138]
Hier wird mit dem Begriff der rekursiven Komplexität, der Natur, der Technik und der Gesellschaft ein gemeinsamer Nenner gegeben. – Mir ist allerdings nicht bekannt, dass es Komplexität ohne Rekursion gibt. – Der Begriff ist aus meiner Sicht ein Pleonasmus (weißer Schimmel): Komplexität beruht immer auf Feedback, also u.a. auf Rekursion. Im Management 4.0 gehen wir von der Grundannahme aus, dass die grundlegenden Prinzipien in Natur, Technik und Gesellschaft gleich sind. Die kontextuelle Berechnung unter Einbeziehung von Selbstreferenzialität („rekursiver“ Komplexität) führt im Kontext von Personen oder sozialen Systeme zur Selbstreflexion. Sie ist eine zentrale Basis des Agilen Managements.
„Als Einmalerfindungen liegt die Gesellschaft auf derselben
Ebene wie das Leben, das Gehirn, das Bewusstsein, vielleicht auch die Welt. Es
gibt sie, man kann sie beobachten und beschreiben, aber man kann sie nicht
erklären. Sie verdanken sich Symmetriebrüchen, wie man in der Physik
formuliert.“ [1 S. 143]
Hier wird Emergenz in seiner höchsten Form beschrieben. Diese
wird im Zusammenhang mit Symmetriebrüchen genannt. Nicht „Alles“ auf der
jeweiligen Stufe bleibt „symmetrisch“ vorhanden, sondern es wird eine Selektion
vorgenommen, also die Symmetrie im „Alles“ wird gebrochen. Dies führt zur
nächsten Entwicklungsstufe. Ein Symmetriebruch ist eine zentrale Voraussetzung
für die Ausbildung von Selbstorganisation (Prinzip 7) [5]
„Die soziologische Systemtheorie im Stile Luhmanns ist der
theoretische und nicht entschiedene Versuch, die Teleologie und die Teleonomie
miteinander zu verbinden, das heißt gesellschaftliche Institutionen als Einrichtungen
zu untersuchen, die sich teleonomisch ihr Gesetz selbst geben, um teleologisch
eine gesellschaftliche Funktion zu erfüllen.“ [1 S. 144] (Teleologisch ist
Phänomenen ein bestimmter Logos verordnet, teleonomisch geben sie sich ihre
Gesetze selbst. [1 S. 144])
Die soziologische Systemtheorie kann den „Unterschied“ zwischen teleonomisch und teleologisch nicht auflösen, da diese Form der Systemtheorie nur die Makroebene und nicht die Mikroebene kennt [5]. Über die Verbindung dieser beiden Ebenen lässt sich dieser Widerspruch (meines Erachtens) auflösen. In der sozialwissenschaftlichen Veröffentlichung vonStadelbacher und Böhle [6] wird die teleonomische Ausrichtung im Kontext der Selbstorganisation als autonome Selbstorganisation bezeichnet, eine von der Organisation selbstgeleistete, selbstbestimmte absichtliche Selbstorganisation. Die telelogische Ausrichtung wird als autogene Selbstorganisation, eine von der Organisation, in der Organisation nicht absichtlich herbeigeführte Selbstorganisation bezeichnet. Die Theorie der Selbstorganisation (u.a. die Synergetik) löst den „Widerspruch Teleologie-Teleonomie“ auf. Die Theorie der Selbstorganisation macht keinen Unterschied, ob die Systemparameter (Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparameter) absichtlich oder unabsichtlich gerade so sind, dass emergente Makrostrukturen entstehen. – Ich betrachte diesen „Widerspruch“ als Anzeichen der Reife einer wissenschaftlichen Disziplin: Die Thermodynamik war über viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, eine phänomenologische Theorie der Makrostruktur von (makroskopischen) Objekten. Ludwig Boltzmann war im 19ten Jahrhundert derjenige, der auch die Mikroebenen-Sicht vertrat und diese mit der Makroebene zusammenbrachte. Er wurde Zeit seines Lebens hierfür angefeindet, so dass er sich wahrscheinlich deshalb das Leben nahm. Erst Einstein und die Quantenmechanik trug zur Auflösung dieser vermeintlichen „Widersprüche“ bei.
„Genügt dem Individuum in der modernen Gesellschaft
fachliche und soziale Kompetenzen sowie die Fähigkeit, zwischen Ihnen zu
wechseln, so benötigt es jetzt zusätzlich die Kompetenz der Selbstselektion.“
[1 S. 158]
Die Kompetenz der Selbstselektion bezeichnet im
Management 4.0 die Metakompetenz: Dies ist die Fähigkeit, sein Verhalten über
die höheren Ebenen der sogenannten Dilts-Pyramide (Vision, Mission,
Zugehörigkeit, Identität, Werte und Grundannahmen) dem Kontext entsprechend
selbst zu selektieren und entsprechend zu handeln [5], [3]. Diese
Selbstselektion ist die zentrale Fähigkeit, um in komplexen Umfeldern
Komplexität zu regulieren und Unsicherheit zu meistern.
„Man liebt sich, weil man ist, wer man ist, und keine Rolle
spielt, wer man ist. Liebe ist die andere Seite aller Verbreitungsmedien, die
eingeschlossene ausgeschlossene Wahrnehmung im Kontext des Ausschlusses der
eingeschlossenen Kommunikation.“ [1 S. 167]
Der erste Satz stellt wohl ein Beispiel für einen
allgemein verständlichen Satz dar, der im zweiten Satz abstrahiert wird. – Man
kann dies mit etwas Mühe nachvollziehen, jedoch erschließt sich (mir) der
Mehrwert der Abstraktion nicht wirklich.
Werte wie Liebe werden in der Soziologie 4.0 als Verbreitungsmedien angesehen.
– Werte sind also Medien, in denen sich Kommunikation verbreitet. Mit dem
Agilen Manifest wurde explizit der Übergang zu einer wertorientierten
Kommunikation eingeleitet. Die Gestaltung der Kommunikation über eine bewusste
und transparente Persönlichkeitsorientierung ist eine Basis des Management 4.0.
– Die Persönlichkeitsorientierung schließt nicht nur die Werteorientierung,
sondern alle eine Persönlichkeit ausmachenden Charakteristika mit ein. – Die
Quellen der Werte einer Gesellschaft sind also Menschen. Wir modellieren eine
Persönlichkeit mit der sogenannten Dilts Pyramide [3], [5]. Deshalb werden die
logischen Ebenen der Dilts Pyramide (Zugehörigkeit, Identität, Werte und
Grundannahmen) mit der Theorie der Grundbedürfnisse (Grawe Neuropsychiatrie), dem
Kultur- und Bewusstseinsmodell Spiral Dynamics, dem Modell des Schnellen und
Langsamen Denkens nach Kahneman und Tversky, dem Reiss Motive Profil sowie dem
MBTI Temperamentprofil ausgestaltet. Man kann das resultierende Feld der
Interaktion der Persönlichkeiten als ein Verbereitungsmedium oder ggf. als
mehrere Verbreitungsmedien mit unterschiedlichen Charakteristika ansehen.
„Die nächste Organisation ist entweder Plattform oder agil.
Sie ist entweder, wie oben bereits zitiert, Schnittstelle und Nutzer, System
und Programm, Bühne und Regelwerk, Standard und Abweichung, Zentrum und
Peripherie zugleich, oder Projekt in jenem Sinne der Philosophie eines agilen
Managements, die zugleich auf einen hohen Grad der Vertaktung von Organisation
und der Schaffung von Spiel- und Freiräumen setzt.“ [1, S. 173]
Dies entspricht vollständig dem Management 4.0 Ansatz. Für
die umfangreiche Ausgestaltung dieses Satzes im Sinne des Management 4.0
verweise ich auf Release 3 des Management 4.0 Handbuches [6].
„Im agilen Management ist das Projekt eine Art
internalisierte und strikt temporalisierte Plattform.“ [1 S. 176]
Dies entspricht vollständig dem Management 4.0 Ansatz. Die
Gestaltung von Raum und Zeit als Ausgestaltung des Rahmenparameters (Abschottung,
time boxing und PDCA-Zyklus) spielt für die Regulation von Komplexität u.a.
durch Selbstorganisation eine sehr große Rolle [6].
„Technische Objekte sind mitten unter uns. Und mehr Objekte
sind technisch, als es sich die Moderne mit ihrer Unterscheidung von Technik,
Natur und Gesellschaft träumen ließ. Im Grunde ist jedes Objekt, vom Faustkeil
über das Fell, den Stuhl und das Fahrrad bis zum Phasenprüfer und Smartphone
ein technisches Objekt der Herstellung von Einfachheit an der Schnittstelle von
Black Boxes, hinreichend komplexen Einheiten.“ [1 S. 185]
Dies entspricht einem der wichtigsten Glaubenssätze des Management 4.0: Hiernach löst sich der Glaubenssatz der willkürlichen Unterscheidungen von Natur, Technik und Gesellschaft in der post-modernen Gesellschaft auf, er wird obsolet und schließlich abgeschafft. Die post-moderne Gesellschaft ist für das Management 4.0 eine Gesellschaft in der gemäß der Spiral Dynamics Codierung die value meme gelb (vernetzt) und türkis (holistisch) ihre Wirkung entfalten.
„Die Abstraktion ist eine Vorstellung, die sich von der
Anschauung unabhängig macht, um in sie zurückzukehren. Sie ist nicht der
Sündenfall eines Verrats an der Lebenswelt, sondern ein Medium der Erkundung
dieser Lebenswelt.“ [1, S. 239]
Dies entspricht einem der wichtigsten Glaubenssätze des
Management 4.0: Ohne die Abstraktion ist keine Metakompetenz und damit keine
Selbstselektion möglich. Ein selbstbestimmtes Leben in einer komplexen Welt der
Netzwerke wäre damit verwehrt. Ich verweise auch auf meinen Blog-Beitrag „Vom
Unterschied, der den Unterschied macht: „Principles rather than processes are
what matter.”“ vom Juni 2019.
„Architektur und Kleidung, Praktiken und Routinen, kognitive
Schemata und institutionalisierte Selbstverständlichkeit. Sobald sie als das
Produkt eines Designs auftreten, absorbieren sie Ungewissheit, weil sie sich
verdächtigen und somit testen lassen.“ [1, S. 258]
Dies entspricht einem der wichtigsten Glaubenssätze des
Management 4.0: „Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie.“ Eine gute
Theorie liefert die Grundlage für ein bewusstes Design und reguliert damit
Komplexität, um Ungewissheit zu absorbieren. In [5] haben wir einen
verallgemeinerten PDCA Prozess eingeführt, um Hypothesen auszutesten und das
Design iterativ und bewusst zu gestalten.
Zusammenfassend stelle ich bisher fest, dass die Soziologie 4.0 und das Management 4.0 sehr viele Gemeinsamkeiten und Verbindungen besitzen und die Kennzeichnung über die 4.0 dies auch zum Ausdruck bringt.
Die Veröffentlichung zum Systembegriff [2] ist aus dem Jahre
2010. Sie enthält einige der Grundlagen, die in der Soziologie 4.0 zum Tragen
kommen. Ich verwende die gleiche Vorgehensweise wie oben, um [2] in seinen
Aussagen zu skizzieren:
…nach dem Tod der beiden größten Mathematiker, die sich mit
der Kybernetik beschäftigt haben, John von Neumann und Norbert Wiener, [waren] drei
Probleme der Kybernetik ungelöst liegen geblieben: das Problem unzureichender
statistischer Datenreihen, um neben technischen auch soziale Probleme mit den
Mitteln der Kybernetik lösen zu können; das Problem der Kopplung nichtlinearer
Oszillatoren; und das Problem kontinuierlich nichtlinearer Vorhersage.
Die o.g. drei Probleme wird man heute wohl nicht mehr
allein der Kybernetik, sondern eher der breiter aufgestellten Komplexitätsforschung
(inkl. Theorie der Selbstorganisation, Chaostheorie, Synchronisationstheorie) zuordnen.
Das Problem unzureichender statistischer Datenreihen, um soziale Probleme
quantitativ anzugehen, ist sicherlich immer noch vorhanden, jedoch befindet es
sich mit dem Thema von Big Data (und KI) in der Auflösung.- Hierzu gibt es
zahlreiche Beispiele, man siehe u.a. [7], [8]. Die Kopplung nichtlinearer
Oszillatoren ist ein aktuelles Forschungsgebiet, das u.a. über die durch
Synchronisation induzierte Selbstorganisation von gekoppelten Systemen und
komplexen Netzwerken enorme Fortschritte gemacht hat [9]. Der verwendete
Begriff „kontinuierlich nichtlineare Vorhersage“ entzieht sich so meinem
Verständnis. Ich interpretieren ihn so, dass damit die zukünftige Vorhersage in
nichtlinearen Systemen auf der Basis eines beliebigen Ausgangszustandes gemeint
ist. Auch hier wurden erhebliche Fortschritte gemacht [9], wenngleich jedes
komplexe oder chaotische Systeme Unvorhersehbarkeit in sich trägt und damit dieses
Problem wahrscheinlich nie ganz gelöst wird.
Dabei interessierte ihn [John von Neumann] in Diskussionen
mit Heinz von Foerster laut McCulloch insbesondere die Frage eines
Verständnisses der Selbstorganisation von Sternen, Kristallen und Organismen
auf der Grundlage eines Systembegriffs, der von informationaler Geschlossenheit
(bei energetischer Offenheit, das versteht sich von selbst) ausgeht.
Ich kenne kein System, das energetische Offenheit und
informationale Geschlossenheit hat. Energetische oder materielle Offenheit
führt auch immer informationale Offenheit mit sich. – Energie/Materie
transportiert Information. Die Aufnahme oder Abgabe von Information ist
wesentlich, damit sich Systeme an die Umgebung anpassen können.- Natürlich darf
die Offenheit nur so groß sein, dass sich das System selbst erhalten kann.
Aus der Frage, welche statistischen Zeitreihen komplexe
Phänomene beschreiben, wird die Frage, wie Systeme zählen und rechnen. Die
Frage nach der Kopplung nichtlinearer Oszillatoren wird übersetzt in die Frage
der symmetrischen Tauschfähigkeit unter den Werten, die die Zustände eines
Systems beschreiben. Und aus der Frage nach der kontinuierlich nichtlinearen
Vorhersage wird die Frage nach einer funktionalen Beobachtung, die in der Lage
ist, die Zustände eines Systems asymmetrisch zu ordnen und diese Ordnung nach
Bedarf auch wieder aufzulösen. Tausch und Ordnung laufen über eine Befähigung
des Systems zur Negation, die möglicherweise an dieselbe Erfahrung der
Inkommensurabilität und unreduzierbaren Komplexität der Komponenten des Systems
rückgekoppelt ist, die auch das Zählen ermöglicht, wenn nicht sogar erzwingt.
Die nachfolgende Tabelle listet diese zentralen Fragen, ordnet
diesen dann die abgeleiteten Fragen der sozialen Systemtheorie zu und skizziert
entsprechende Fragen des Management 4.0:
Zentrale
Fragen der Kybernetik
Abgeleitete
Fragen der sozialen Systemtheorie
Fragen im
Management 4.0
Unzureichende
statistische Zeitreihen oder das Beschreiben statistischer Zeitreihen
Wie zählen
und rechnen Systeme? Die Wahl der Verben „zählen und rechnen“
erschließt sich mir nur bedingt. Es geht um Wechselwirkung und damit
verbundene charakteristische Größen. In der Mathematik werden
Wechselwirkungen durch Operationen abgebildet. Zählen und Rechnen sind
sicherlich eine Form von Operationen.
Was sind
die zentralen Größen und deren Wechselwirkung? Und ist es auf der Basis
dieser zentralen Größen möglich, Zeitreihen für die zentralen Größen zu
definieren. Z.B. ist die Persönlichkeit eine zentrale Größe? Und durch welche
Variablen lässt sich diese beschreiben und welche Zusammenhänge gibt es
zwischen diesen Variablen -und wie ergibt sich aus den Persönlichkeiten und
evtl. anderen Größen (und welche sind die wichtigsten?) eine soziale
Makrostruktur?Zu charakteristischen Zeitreihen siehe man für Gruppen [10] oder für
social media Groß-Gruppen [7].People Analytics ist ein neues
Anwendungsgebiet, das auf Big Data und KI aufsetzt.- Man siehe hierzu auch
meinen Blog“#PAFOWLondon – People Analytics & Future of Work –
Deutschland, wo bist Du?“ vom April 2019
Kopplung
nichtlinearer Oszillatoren
Symmetrische
Tauschfähigkeit unter den Werten. Auch hier erschließt sich mir die
Wahl der Zuordnung nur bedingt: Gehe ich mal davon aus, dass es sich nicht
(allein) um materielle Werte (Gold, Aktien, usw.) handelt, sondern um
Kulturwerte, so geht es nicht nur um Tausch, sondern um Wechselwirkungen und
diese müssen auch keinesfalls vollständig symmetrisch sein.
Wie führt
die Kopplung nichtlinearer Agenten, u.a. deren Persönlichkeiten (u.a. die
Werte, aber nicht nur diese, s.o.) zu nichtlinearen Wechselwirkungen, die
wiederum nichtlineare soziale Felder ausbilden. In der Theorie der
Selbstorganisation ist die Kopplung nichtlinearer Oszillatoren/Agenten sehr
stark mit der Variation der sogenannten Kontrollparameter verbunden [5]. Man
siehe auch [9], [10].
Kontinuierliche
nichtlineare Vorhersage
funktionale
Beobachtung, die in der Lage ist, die Zustände eines Systems asymmetrisch zu
ordnen und diese Ordnung nach Bedarf auch wieder aufzulösen
Handlungen
auf der Basis des verallgemeinerten PDCA Zyklus ausgehend von
falsifizierbaren Hypothesen [5]. Ausgestaltung von Systemen mittels der acht Prinzipien der
Selbstorganisation [5] und Anwendung des verallgemeinerten PDCA Zyklus. Iterative, selbstkonsistente Ausbildung eines symmetriegebrochenen
Makrozustandes
Das, was sich in einem System zu einem System zusammenstellt
(griech. syn-histamein), greift aus dem System heraus, um innerhalb des Systems
eine Ordnung aufrechtzuerhalten oder herzustellen.
Dies entspricht in der Theorie der Selbstorganisation der Ausbildung von Ordnungsparametern und der damit verbundenen Emergenz von Makrostrukturen [5], [10], [9].
Mit der Kybernetik und ihrer Rezeption der mathematischen
Kommunikationstheorie Claude E. Shannons wird jedoch eine Mathematik verfügbar,
die für diese Ergänzungsbedürftigkeit einen eigenen Begriff hat, denjenigen der
Nichtlinearität, und die in der Lage ist, diesen Begriff auf die Beschreibung
von Gesamtsystemeigenschaften zurückzubeziehen, die mit Hilfe der Thermodynamik
nicht mehr mechanisch verstanden werden müssen, sondern als Zustände gemischter
Ordnung und Unordnung verstanden werden können. Der entscheidende Punkt hierbei
ist die Verwendung eines probabilistischen Ordnungsbegriffs, der sowohl den
Zufall als auch die Entscheidung zu inkorporieren erlaubt, und so erstmals den
Systembegriff auf die Spitze der Differenz eines Ereignisses stellt, bei dem
alles darauf ankommt, den Unterschied zwischen System und Umwelt zu verstehen
und zu verarbeiten. »Zufall « heißt einerseits Unsicherheit und andererseits
Material für abweichende Elemente und Operationen.
Damit ist klar, daß die Operationen eines Systems zwischen
das Rauschen und den Zufall einerseits und die Entscheidung und die
Beschreibung eines dafür passenden Möglichkeitsraums andererseits eingespannt
sind.
Die Theorie von Komplexität und Chaos ist eine deterministische Theorie. – Z.B. ist die rekursive (!) Gleichung, auf der die Mandelbrot Bäumchen basieren, eine deterministische Gleichung. Jedoch ist die numerische Sensitivität dieser Gleichung so enorm hoch, dass sich wohldefinierte chaotische Strukturen ergeben: Hiermit wird oft die Metapher verbunden, dass ein Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Hurrikan in New York auslösen kann. Ereignisse werden als „Zufall“ sichtbar, da sie andere (dominante) Ereignisse aufgrund einer gerade vorliegenden Systemkonstellationen mitauslösen: Der Flügelschlag des Schmetterlings (Zufallsereignis) löst aufgrund der aktuellen Wetterverhältnisse (Systemkonstellation) einen Hurrikan (neues Ereignis) aus. Natürlich können Systeme verschiedene „Mischungen“ von Ordnung oder Unordnung enthalten (was immer man auch als Ordnung oder Unordnung ansieht): Eine Gruppe von Personen votiert für A und eine andere Gruppe von Personen votiert für nicht-A. Aufgrund eines Ereignisses und der aktuellen Systemkonstellation kann das soziale Systeme in eine bestimmte dominante Struktur (Ordnung) wechseln: Alle votieren für A. Und natürlich ist es möglich und sinnvoll solche „Mischungen“ und deren Änderungen mit Wahrscheinlichkeiten zu belegen. Rauschen und Zufall können je nach Kopplungsstärke in Systemen, Systeme stabilisieren (u.a. zur selbstorganisierten Synchronisation führen) oder destabilisieren [9]. – Fehlende Informationen (auf Mikroebene) werden durch Aussagen zu Wahrscheinlichkeiten oder zu Wahrscheinlichkeitsverteilungen „kompensiert“.
Die Systemtheorie, so dann auch Niklas Luhmann, hat es mit
Prozessen einer »Konstitution von oben« zu tun, nicht einer »Emergenz von
unten«.
Die Systemtheorie hält sich damit an das Vorbild der
Thermodynamik.
Wie weiter oben schon skizziert, enthält die
Systemtheorie nach Luhmann meines Erachtens eine große Einseitigkeit in der Betrachtungsweise.
Die Thermodynamik hatte, wie schon erwähnt, sehr lange Zeit, aus der
„wissenschaftlichen Not heraus“ – d.h. das Wissen war noch nicht so weit –
ebenfalls diese einseitige Betrachtungsweise. Mit der statistischen Mechanik
oder Quantenmechanik hat sich ihre Betrachtungsweise seit Ludwig Boltzmann
erheblich erweitert.
Das muß nicht darauf hinauslaufen, das System als etwas zu
verstehen, was mehr ist als die Summe seiner Teile, wie eine allzu oft zitierte
aristotelische Formel holistischen Denkens lautet. Die Systemtheorie rechnet
auch mit der Möglichkeit, daß das Ganze, verstanden als System, weniger ist als
die Summe seiner Teile, und dies deswegen, weil die Teile eine höhere reflexive
Kraft haben als das Ganze. Sie profitieren davon, wenn man so sagen darf, daß
sie im Verhältnis zueinander mehr Probleme zu bewältigen haben als das Ganze.
In [5] skizzieren wir diese Aussage mit folgender Abbildung 1, sie ist eine Basis des Komplexitätsverständnisse im Management 4.0:
Abbildung 1: Komplexität und Entropie
Entscheidend ist das Verständnis des Systems als
intervenierender Variable.
Eine der griffigsten Möglichkeiten, diesen Sachverhalt der
nichtlinearen Reproduktion auf den Punkt zu bringen, besteht im Graph der
perturbierten Rekursion, wie ihn Peter Bøgh Andersen gezeichnet hat.
Abbildung 2: System-Rekursion: Auf der Basis von [2].
Die Bezeichnung jener Black box, die für die Verschaltung
von Rekursion und Perturbation verantwortlich ist, als »Prozeß« ist hier wie so
oft ein Verlegenheitsbegriff, der die Stelle besetzt, an der von
»Selbstorganisation« als dem entscheidenden Vermögen komplexer Phänomene die
Rede sein müßte. Immerhin jedoch können wir aus dem Graph die basale
Ungleichung der Systemtheorie ableiten, die das System, S, als Funktion seiner
selbst, S, und seiner Umwelt, U, beschreibt:
Diese Paradoxie, die mit jedem auf eine Umweltstörung reagierenden Schritt der Systemreproduktion S als S identifiziert und differiert zugleich, muß aufgelöst werden, wenn das System sich reproduzieren können soll, wobei man sich eine Entparadoxierung nicht nur in der Zeitdimension des Sinns, abhängig vom Zeitpunkt t, St≠ St‘, sondern auch in der Sachdimension, abhängig vom Beobachter b, Sb ≠ Sb’, und in der Sozialdimension, abhängig von der Differenz zwischen ego und alter oder zwischen Ich und Du, Sich ≠ Sdu, vorstellen kann.
Abbildung 2 skizziert schematisch eine
Selbstkonsistenzbedingung für ein (komplexes oder selbstorganisiertes) System.
Der Begriff Selbstkonsistenz ist hier enorm wichtig. Systeme zeigen, so lange
sie existieren, nie das Verhalten S ≠ S, denn dann höheren sie auf zu existieren. Die geforderte
Bedingung Selbstkonsistenz würde sich dann wie folgt ausdrücken S =! S, d.h.
das System muss sich konsistent selbst erzeugen. Natürliche, technische und
soziale Systeme kennen in der „Realität“ keine Paradoxie, Paradoxien entstehen
in unserem Verständnis (unseren Theorien und Modellen) der Systeme – nicht in
der „Realität“. Das Einführen von Variablen (Zeit, Beobachter, …) ermöglicht die
Einführung einer Änderung des Systems nach diesen Variablen. Zum Beispiel für
die Variable Zeit ergibt sich statt St ≠ St‘: dS/dt = S (S, U, t). Die Lösungen der
Differentialgleichung (wenn sie denn existieren) sind selbstkonsistente
Systemzustände.
Will man die Ergebnisse der Auseinandersetzung der Systemtheorie mit den ungelösten Fragen der Kybernetik zusammenfassen, so kann man festhalten, daß das System seine eigene Statistik aus einem Zählen gewinnt, zu dem es sich durch Negationen im Medium der eigenen inkommensurablen Komplexität befähigt. Das Problem der Kopplung nichtlinearer Oszillatoren wird von Sinnfiguren gelöst, die aus oszillierenden Unterscheidungen bestehen, deren Termini in je nach Bedarf und Findigkeit überraschenden und zwingenden Beziehungen zueinander stehen. Und das Problem der kontinuierlich nichtlinearen Vorhersage wird von funktionalen Bewertungen gelöst, die im Kontext der Beobachtung funktionaler Äquivalente stehen, die jede für sich die Frage einer unbekannten Zukunft sowohl aufwerfen als auch zu bearbeiten erlauben.
In Teilen wurde diese Zusammenfassung schon weiter oben
betrachtet. Hier kommentiere ich lediglich die Aussage „Kopplung nichtlinearer
Oszillatoren wird von Sinnfiguren gelöst“: Im Management 4.0 sagen wir, dass
die Wechselwirkung der Menschen über Kontrollparameter (Werte, Grundannahmen,
Temperament, Work-in-Progress) so einzustellen ist, dass sich ein
Ordnungsparameter (eine Ziel-Hierarchie: u.a. Vision, Mission, Zugehörigkeit)
einstellt, der Sinn vermittelt und daraus eine soziale Makrostruktur entsteht,
die wir als Collective Mind bezeichnen.
Man darf gespannt sein, ob die Mathematik Anschluß an diese
Rezeption mathematischer Ideen in der Systemtheorie finden wird.65
Deutlich ist bislang nur, daß der Rahmen der zweiwertigen Logik für diesen
Anschluß der Mathematik unzureichend ist. Doch offen ist, inwieweit eine
mehrwertige Logik semantischer Felder jene operative und kategoriale
Bestimmtheit erreichen kann, die es erlauben würde, den statistischen
Feldbegriff der Thermodynamik an den konstruktivistischen Systembegriff der
kognitionswissenschaftlichen Forschung aufschließen zu lassen. Entschieden ist
jedenfalls nichts.
65Es ist vermutlich kein Zufall, daß aktuelle
Formulierungen der Systemtheorie als Theorie komplexer Systeme (Santa Fe) nur
unter der Bedingung der Vermeidung einer Bearbeitung des Selbstreferenzproblems
mit einer mathematischen Modellierung kompatibel sind.
Mir erschließt sich diese Aussage nicht wirklich:
Operationalisierbare Theorien haben einerseits den Anspruch ein Modell zu
liefern, das möglichst nahe an der Realität ist und andererseits für die
Modelle auch (mathematische oder durch Simulation erhaltene) Lösungen
anzubieten. Falls die Modelle (bisher) keine Lösungen liefern, werden die
Modelle oft so einfach gemacht, dass Lösungen möglich sind. Die zitierte
Literatur greift aus diesem Grunde der Einfachheit wegen auch auf binäre
Modelle mit zwei Zuständen 1 und 0 zurück. – Dies entsprach auch schon vor 25
Jahren nicht mehr dem Stand der Erkenntnis und der mathematischen Technik. Die
mathematische Abbildung von Selbstreferenz wird in seiner einfachsten Form mit
S*S (x*x =x2) abgebildet und führt zur geforderten (rekursiven)
Komplexität (man siehe auch Abbildung 2).
Abbildung 3 zeigt eine Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Temperamentdimension Extraversion-Introversion im Persönlichkeitsmodell MBTI oder Big Five. Mit der Einführung von Wahrscheinlichkeitsverteilungen löst sich die binäre Logik auf.- Selbstverständlich wird damit eine mögliche mathematische Theorie wesentlich anspruchsvoller (u.a. sehr viele Freiheitsgrade) und derzeit ist mir keine Theorie bekannt, die auf der Basis von Persönlichkeitspräferenzen über Wahrscheinlichkeitsverteilungen eine emergente soziale Makrostruktur ableiten könnte. – Gleichwohl wird unter einer mathematischen Beschreibung die Klarheit im Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen deutlich erhöht.
Abbildung 3: Wahrscheinlichkeitsverteilung für die
Temperamentausprägung Extrovertiert (E) und Introvertiert (I) mit vereinfachter
„zweiwertiger“ Wahrscheinlichkeitslogik (0,8 und 0,2)
Zusammenfassend sehe ich folgenden Nutzen für mein beispielhaftes
Schauen über den Tellerrand:
Das eigene Verständnis wird im Betrachten eines Sachverhalts
durch eine andere Brille wesentlich geschärft.
Fortschritt entsteht auch wesentlich aus
Transdisziplinarität: Andere Sichtweisen helfen eigene Blockaden zu erkennen
und damit zur Emergenz neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse beizutragen.
Dies setzt jedoch voraus, dass sich unterschiedliche
(wissenschaftliche) Disziplinen einer gemeinsamen Sprache oder zumindest einer
gemeinsamen sprachlichen Basis bedienen. – Wie in den obigen Ausführungen zu
sehen ist, ist die fehlende gemeinsame Sprache eine große Quelle für potentielle
Missverständnisse.
Dieser Blogbeitrag soll auch dazu beitragen in unserem Dialogforum „Projekte neu gedacht“, in dem verschiedenen Disziplinen um ein post-modernes Verständnis zu Projekten ringen, disziplinübergreifende Brücken zu bauen.
[1] Baecker Dirk (2018) 4.0 oder die Lücke die der Rechner
lässt. Merve Verlag, Leipzig
[2] Baecker Dirk (2010) System, erstveröffentlicht in:
Christian Bermes und Ulrich Dierse (Hrsg.), Schlüsselbegriffe der Philosophie
des 20. Jahrhunderts, Archiv für Begriffsgeschichte, Sonderheft 6, Felix Meiner
Verlag, Hamburg, 2010, S. 389-405 – ISBN 978-3-7873-1916-9, online:
www.vordenker.de Neuss 2018, J. Paul (Ed.), ISSN 1619-9324, URL: <
http://www.vordenker.de/dbaecker/dbaecker_system.pdf >
[3] Oswald A, Müller W (2019) Management 4.0 – Handbook for
Agile Practices, BoD Verlag, Norderstedt
[5] Oswald A, Köhler J, Schmitt R (2016) Projektmanagement
am Rande des Chaos, Springer, Heidelberg
[6] Stadelbacher S und Böhle F (2016) Selbstorganisation als
sozialer Mechanismus der reflexiv-modernen Herstellung sozialer Ordnung in
Böhle F und Schneider W, Subjekt-Handeln-Institution – Vergesellschaftung und
Subjekt in der reflexiven Moderne, Velbrück Wissenschaft, Weilerwist
[7] Centola D (2018) How
Behavior Spreads: The Science of Complex Contagions (Princeton Analytical
Sociology, Band 3), Princeton Univers. Press
[8] West G
(2017) Scale: The Universal Laws of Growth, Innovation, Sustainability, and the
Pace of Life in Organisms, Cities, Economies, and Companies, Penguin Press,
Kindle Edition
[9]
Boccalletti S, Pisarchik A N, Del Genio C I, Amann A (2018) Synchronization –
From Coupled Systems to Complex Networks, Cambridge University Press, Cambridge
UK
[10] Haken H and Schiepek G (2010) Synergetik in der
Psychologie: Selbstorganisation verstehen und gestalten, Hogrefe, 2010
Zurzeit schießen in Veröffentlichungen und Social Media die Vier-Schritt-Zyklen Modelle wie Pilse aus dem Boden (was nicht verwunderlich ist, man will ja smarter und agiler sein), z.B.:
OODA (Observe, Orient, Decide, Act),
ursprünglich aus dem Militärischen kommend als Entscheidungsschleife im Feld
gedacht, wird für das Agile Management diskutiert [1].
PPCO (Pluses (Vorteile), Potentials (Zukunftschancen), Concerns (Bedenken), Overcome Concerns (Überwinden der Bedenken)), gedacht als Modell um „Souveränität im Methodenwahn“ zu zeigen und Methoden auszuwählen, also gerade nicht immer eine „neue Sau durch’s Dorf zu treiben“ [2] – Ironischer Weise wird, um dies zu erreichen, gleich ein „neues“ Modell/Methode mitgeliefert.
BRDG (Break
a problem into parts or steps, Recognize and find patterns or trends, Develop
instructions to solve a problem or steps for a task, Generalize patterns
and trends into rules, principles, or insights) als Prozess Beschreibung für
das “Computational Thinking” eines “Algorithmic Leader’s” [3].
Auch die Agilen Handlungsrahmen basieren ganz wesentlich auf
einem PDCA (Plan Do Check Act) oder einem PDIA (Plan Do Inspect Adapt) Zyklus [4].
– Nicht wenige Agilisten legen großen Wert darauf, dass PDCA und PDIA zwei
völlig unterschiedliche Modelle sind, denn warum sonst hätte man zwei Namen.
Im Management 4.0 [4] und in [5] verwenden wir den PDCA für die kontinuierliche und situative Anpassung von Erfolgsfaktoren und Erfolgskriterien (siehe Abbildung 1) und schlagen auch ein Vier-Schritte-Transformationsmodell vor, das dem menschlichen kognitiven Prozess der situativen Anpassung folgt (Druckpunkte ausleuchten, Organisationale Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparameter extrahieren, Handlungsfelder des Collective Mind ausformulieren, Lernende Organisation einführen).
Abbildung 1: PDCA der Erfolgskriterien-Erfolgsfaktoren
Anpassung
Es stellt sich die Frage, sind dies alles unterschiedliche
Modelle bzw. Methoden oder ergäbe sich bei einer höheren Abstraktionsstufe eine
klarere und gleichzeitig einfachere Sicht.
Bevor ich die Frage beantworte, ein weiteres Beispiel des „Vielzahl-Methodenwahns“:
Im Linienmanagement und im Projektmanagement kennt man seit
vielen Jahren den Begriff der Ziel-Hierarchie.
Im Critical Chain Projekt Management kennt man seit mehr als
30 Jahren die Ziel-Hierarchie „Strategie- und Taktik-Baum“.
Auch der Agile Handlungsrahmen Scrum kennt Vision,
Sprint-Goal und User Strories ggf. Tasks usw..
Die Scaled Agile Frameworks arbeiten mit Story Maps bestehend
aus (Vision), Epics, Features, User Stories, usw..
In den letzten Monaten tauchen immer häufiger die
sogenannten OKR’s (Objectives and Key Results) auf, obwohl diese schon fast
zwei Jahrzehnten von google als Ziel-Hierarchie eingesetzt werden. Agile
Kollegen wundern sich, dass Scrum Teams, die schon lange mit Scrum arbeiten,
sich mit den OKR’s schwertun und gleichzeitig betonen sie den notwendigen
Kulturwandel, um mit OKR’s arbeiten zu können [6].
Auch wir verwenden in Management 4.0 eine Ziel-Hierarchie,
die bei einer Vision, einem „Großen Bild“ beginnt und wie ein Baum „unendlich
viele“ Verästelungen hat. Wir setzen die Verästelungen aus Bausteinen
(Fraktalen) von jeweils 3 Stufen zusammen (auf der jeweils dritten Ebenen
(Wie-Ebene) werden die „Teile“ zu je einem neuen „Big Picture“ für das nächste
Ziel-Hierarchie-Fraktal, siehe Abbildung 2).
Abbildung 2: Ziel-Hierarchie des Management 4.0
Wie beim o.g. Beispiel der Vier-Schritt-Zyklen Modelle
werden auch diese Methoden bzw. Modelle der Ziel-Hierarchie als „völlig
getrennte Welten“ wahrgenommen und als „neu und anders verkauft“.
Abstraktion ist das Schlüsselwort, um die „Vielzahl“
schrumpfen zu lassen. Walsh [3] postuliert als die Schlüsselkompetenz
von Führungskräften im Digitalen Zeitalter die Fähigkeit zur Abstraktion und
kristallisiert dies in der Aussage „Principles rather than processes are what
matter.” Mit dieser Feststellung gibt er auch indirekt gleichzeitig zu
verstehen, dass diese Schlüsselkompetenz heute bei Führungskräften nicht sehr
verbreitet ist. – Die Fähigkeit zur Abstraktion bezeichnen wir im Management
4.0 als Meta-Kompetenz. Hiermit meinen wir die Fähigkeit vom jeweiligen Kontext
einer Situation zu abstrahieren und auf der Basis von Werten, Grundannahmen und
Prinzipien fundamentale Erkenntnisse und dazugehörige Modelle kontextspezifisch
anzuwenden. – Wir nennen diese kontextspezifischen Ausprägungen von
fundamentalen Erkenntnissen und Modellen, Sozialtechniken.
Aus diesem Grunde sind alle Vier-Schritte-Zyklen Modelle kontextspezifische
Ausprägungen eines Modells, das wir der Einfachheit und dem Respekt der
Erstautorenschaft wegen, PDCA-Zyklus oder Deming-Kreis nennen: Entscheidend
ist, dass der PDCA-Zyklus eine iterative, validierende Anpassung des Handelns
in seiner allgemeinsten Form zum Ausdruck bringt. Bei entsprechender
Abstraktion ist es gleichgültig, auf welcher Zeitskala diese Anpassung
stattfindet. Im Feld aber auch in einer Sitzung, einem Workshop ist oft eine schnelle
und passende Aktion/Intervention erforderlich: Die Wahrnehmung, die Beobachtung
liefert den Hinweis für unser Gehirn um mittels Intuition (d.h. geronnener
Erfahrung, dies ist auch eine Form von vorgefertigtem Plan) eine
Aktion/Intervention einzuläuten, die dann auf ihre Wirksamkeit überprüft und
ggf. angepasst wird [5]. So gesehen, also bei entsprechender Abstraktion und
damit verbundener Meta-Kompetenz, gibt es keinen Unterschied zwischen den
verschiedenen Vier-Schritte-Zyklen. Es sind lediglich kontextspezifische
Anpassungen des gleichen Modells: Soll-Ist Vergleich bilden, Agieren,
Überprüfen, Anpassen.
Eine entsprechende Aussage gilt auch für das fundamentale
Modell der Ziel-Hierarchie. Für mich sind alle o.g. Ziel-Hierarchien Ausprägungen
der fraktalen Ziel-Hierarchie aus Abbildung 2. Jedoch, wenn diese
Ziel-Hierarchie Selbstorganisation unterstützen soll, dann muss die
Ziel-Hierarchie als Ordnungsparameter [4], [5] wirken. Das grundlegende
Prinzip, das wir in diesem Fall für jegliche Ausgestaltung der Ziel-Hierarchie anwenden,
ist das der Selbstorganisation. Nach der Theorie der Selbstorganisation sind
hierzu Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparameter auzugestalten.
Damit die Ziel-Hierarchie wirksam zur Ausbildung eines
Ordnungsparameter eingesetzt werden kann, müssen folgende Prinzipien umgesetzt
werden:
Die Ziel-Hierarchie als Informations-Hierarchie muss die
gesamte Organisation abdecken. Die organisationale Struktur (Hierarchie) muss
zur Informations-Hierarchie passen.
Die Ziel-Hierarchie muss transparent für alle Mitglieder
einer Organisation, horizontal und vertikal, selbstreflexiv entwickelt werden:
Teile der Ziel-Hierarchie dürfen also nicht von oben nach unten fix vorgegeben
werden, sondern die Informations-Hierarchie wird von oben nach unten und von
unten nach oben in einem PDCA-Zyklus überprüft und angepasst. Damit entstehen
Sinn und Motivation für alle Mitglieder einer Organisation, die Basis damit
sich der Ordnungsparameter ausbilden kann.
Diese Art des Arbeitens dürfte in den meisten Organisation einen dramatischen Kulturwandel notwendig machen, auch dann, wenn sie schon viele Jahre agile Techniken einsetzen. – Eine Erkenntnis, die sich bei entsprechender Abstraktion zwangsläufig ergibt. – Der Unterschied, der einen Unterschied macht, liegt also nicht in der Vielfalt der Ziel-Hierarchie Modelle, sondern in der souveränen kontextspezifischen Anwendung einiger weniger Prinzipien. – Agilität entsteht nicht auf Verhaltensebene bzw. Technikebene, sondern in der Abstraktion, Ebenen darüber.
[1] Wikipedia (2019) OODA: https://de.wikipedia.org/wiki/OODA-Loop,
zugegriffen am 24.06.2019, Anfang Juni 2019 in Linkedin diskutiert.
[2] Dietrich Sabine (2019) Schlau statt Sau – Souveränität
im Methodenwahn, ManagerSeminare, Heft 256, Juli 2019
[3] Walsh
Mike (2019) The Algorithmic Leader: How to Be Smart When Machines Are Smarter
Than You, März 2019
[4] Oswald Alfred und Müller Wolfram (Hrsg.) (2019) Management 4.0 – Handbook for
Agile Practices, BoD
[5] Oswald Alfred, Köhler Jens, Schmitt Roland (2016)
Projektmanagement am Rande des Chaos, Springer
[6] Weidemüller Arved (2019) OKR’s funktionieren nicht ohne
Kulturwandel, ManagerSeminare, Heft 256, Juli 2019
Die Europawahl steht an und die öffentlich-rechtlichen Sender bringen eine ganze Reihe sehr interessanter Filme zum Thema Europa. Das ZDF zeigt u.a. den Film „Wut auf Brüssel – Polen, Ungarn und die EU“. Gegen Ende des Films, quasi als Ausdruck einer Vision, wird in diesem Film der Begriff „Europa 4.0“ verwendet.
Auch wenn ich nicht genau weiß, was der Beitrag mit „Europa 4.0“ meint, und dem ein oder anderen die Verwendung der 1.0, 2.0, 3.0 und 4.0 Kategorisierung wahrscheinlich zu stereotyp vorkommen mag, so stelle ich mir die Frage, wie müssten die Umrissen einer Vision von Europa, durch die Brille von Management 4.0 gesehen, aussehen.
In [1] wird skizziert wie sich sowohl die Stimmung der polnischen als auch die der ungarischen Regierungsrepräsentanten in den letzten Jahren von einer eher Europa-freundlich zu einer eher Europa-unfreundlichen Haltung verschoben hat. Diese Beobachtung wird im Film sehr stark mit der Wahrnehmung konservativer Werte verbunden: Eine konservative religiöse Grundhaltung gepaart mit einer konservativen Haltung zu Ehe, Homosexualität oder dem fremden Anderen. Gleichzeitig betonen die jeweiligen Regierungsrepräsentanten ihren Stolz und ihre Ehre sowie ihre Unabhängigkeit und ihre Freiheit. Versetzen wir uns einen Moment in diesen Kontext und nehmen wie in einem Gedankenexperiment mal an, diese Regierungsrepräsentanten und die der übrigen EU-Länder gehörten zu einem agilen Team. Was wäre dann die wohl angebrachte Reaktion des Agile Masters? Sollte er eine „Diktatur“ der agilen Werte betreiben und diese im Handeln einfordern? In unserem EU-Fall, z.B. mit Verweis auf den agilen EU-Wert „Menschlichkeit“ die Annahme von Flüchtlingsquoten? Oder sollten bei ihm alle roten Ampeln angehen, als die polnischen und ungarischen Regierungsrepräsentanten von Stolz, Ehre und Freiheit gesprochen haben? (Man siehe auch die Reaktion Polens zum Fall einer Schutzsuchenden [2]. – Meines Erachtens erkennt man hieraus deutlich den verletzten Stolz der Polen.) Sollte der Agile Master vielleicht erkennen, dass schon eine Form von Ausgrenzung stattgefunden hat und dass er im Sinne eines agilen EU-Teams anders vorgehen muss? Er sollte sich vielleicht überlegen, wie eine Coaching-Strategie für Ungarn und Polen aussehen könnte, immer berücksichtigend, dass nicht alle im Team über einen Kamm zu scheren sind und dass er manchem Land/Repräsentanten mehr Zeit für eine Transformation geben müsste. Gleichwohl sollte der EU Agile Master die weitere Entwicklung im Auge behalten, um zu entscheiden, wann ein Team-Ausschluss nicht mehr zu vermeiden ist. Diese systemische, an den Grundbedürfnissen der Teammitglieder ausgerichtete Führung wird im Management 4.0 in dem Aspekt Neuroleadership zusammengefasst. Ich vermisse auf politischer EU-Ebene eine wirkliche respektvolle Auseinandersetzung mit Werten und Grundannahmen. Und es fehlt eine Instanz/Institution, die diese Auseinandersetzung führt, und im Sinne einer unabhängigen Agilen Führung sollte dies auch eine Führung sein, die nicht durch Politiker gestaltet wird, da hier die politischen Interessen viel zu groß sind.
Stichwort politische Interessen und Wahrheit? Gestern, am 20.05.2019, berichten die ARD [3] und andere Medien, dass es eventuell einen Zusammenhang zwischen Windkraft und Insektensterben gibt. Der Beitrag betont, dass es sich um eine Hypothese handelt, die von namhaften Wissenschaftlern auf der Basis von ersten Simulationen, geäußert wird. – Im wissenschaftlichen Kontext geht man Hypothesen auf den Grund. – Aus diesem Grund empfehlen diese Wissenschaftler und Andere, die Hypothese zu überprüfen. Der Bericht endet mit der Aussage „Umweltministerin Svenja Schulze sieht keine Notwendigkeit für weitere Forschungen – das Angebot der Wildtierstiftung, die Kosten zur Hälfte zu übernehmen, hat sie abgelehnt.“ Ich stelle mir die Frage, was berechtigt eine Politikerin eine solche Aussage zu treffen? Für mich steht diese Art des Handelns ganz dicht neben dem Handeln der Vorstände der Autoindustrie zum Dieselskandal oder neben dem Handeln des Exxon Konzerns im Kontext der CO2-Erwärmung [4]. Management 4.0 ist einem an der Wahrheit und an Fakten orientiertem Handeln verpflichtet und versteht sich als evidenzbasiertes Management. Eine Aussage, wie die von Svenja Schulze ist meines Erachtens gefährlich für die Ausgestaltung der Demokratie und gefährdet unsere Zukunft, selbst dann, wenn sich nach sorgfältiger Prüfung herausstellen sollte, dass diese Hypothese (glücklicher Weise) nicht haltbar ist.
In anderen Blog-Beiträgen habe ich schon auf den Zusammenhang von einer nicht an Selbstorganisation ausgerichteten EU-Governance und dem Auftauchen von Rechtspopulisten, dem Brexit oder wie oben geschildert den Problemen mit osteuropäischen EU-Ländern, hingewiesen. Stellen wir uns für einen Moment vor, die EU soll wie ein „Agile Organisation“ skaliert aufgebaut sein: Auf der obersten Ebene dieser Organisation kümmert man sich nur um das Große Bild mit einigen wenigen strategischen Vorgaben für die weitere Ausgestaltung. Unterhalb dieser Ebene wird das Große Bild in große Teilbereiche runtergebrochen, die wiederum weiter unten nochmals weiter ausgearbeitet werden, usw. Und dies ist ein rollierender Prozess von oben nach unten, und von unten nach oben – und möglichst schnell. Im Agilen Management hat man erkannt, dass eine der wesentlichen Gründe für hohe Flexibiltät bei gleichzeitiger Schnelligkeit diese Art der Skalierung der Selbstorganisation ist. Die EU hat Stand 2017 ca. 32.000 Beamte, die Europäische Kommission ist der Meinung, dass diese Anzahl ihren Aufgaben angemessen ist [5]. Der entscheidende Punkt ist, sich die Frage zu stellen „Was sind angemessene Aufgaben auf der obersten Ebene einer Agilen Organisation mit 500 Millionen Mitgliedern?“ Es wäre vermessen, zu behaupten, dass ich diese Frage beantworten könnte. Ich glaube aber auch, dass in der Brüsseler Administration sich keiner diese Frage ehrlich gestellt hat. Denn der Zusatz „Agile Organisation“ dürfte in keinem Fall vorgekommen sein. Für mich sind die Eruptionen wie Brexit, Probleme mit den osteuropäischen EU-Ländern und auch das Auftauchen der rechtsextremen Populisten zu einem hohen Maße der Unausgewogenheit der organisationalen Skalierung der EU und der damit verbundenen fehlenden EU-Governance geschuldet.
Ich fasse zusammen: Für mich ist ein Europa 4.0 ein Europa,
das folgende Grundsätze berücksichtigt:
Eine Führung über Werte und Grundannahmen, die jeder Zeit
für alle EU-Bürger transparent ist. Dies wird durch entsprechende (bisher nicht
vorhandene) organisationale Maßnahmen abgesichert.
Ein Handeln, das sich nach bestem Wissen und Gewissen an
Evidenz/Fakten ausgerichtet. Die Dominanz der Steuerung über Interessen wird
über organisationale Maßnahmen reguliert.
Eine agile Skalierung der EU-Organisation, die den Regionen
und Ländern im Sinne einer europäischen Einheit die Freiheit zur
Selbstorganisation lässt. Eine EU-Governance (die bisher nicht existiert)
reguliert diese Skalierung zur Selbstorganisation. Die Erstellung, das Pflegen
und das Monitoren der EU-Governance ist die Hauptaufgabe der obersten EU-Ebene.
Ich staune, …es gibt sogar eine Partei, die diesen Vorstellungen recht nahe kommt [6].
Unlängst habe ich von meiner Kollegin Sonja Armatowski, die als systemischer Coach in Projekten arbeitet, das Buch „Liebesaffären zwischen Problem und Lösung, Hypnosystemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten“ von Gunther Schmidt [1] aus dem Jahre 2004 geschenkt bekommen. Dies ist ein Buch, das trotz seines Alters nichts an Aktualität verloren hat, und gerade für Führung und Management viele wertvolle Erkenntnisse bereit hält. Mit diesem Blog Beitrag möchte ich dies verdeutlichen.
Gunther Schmidt [2] ist innerhalb des deutschsprachigen Raumes
sicherlich der bekannteste Experte für (systemische) Hypnotherapie. Seine
Arbeiten beruhen auf den Hypnosetechniken von Milton Erickson. – Milton
Erickson gehört neben Gregory Bateson, Virginia Satir und Fritz Perls zu den
genialen Modelgebern des NLP [3]. Schmidt’s Buch enthält deshalb sehr viele
implizite und explizite Verbindungen zum NLP.
Schmidt schreibt zum Titel seines Buches: „<der Titel> eben darauf hinweisen soll, wie „Problemmuster“ und „Lösungsmuster“, erfreuliche über ihr ursprüngliches Wesen hinausgehende Entwicklungen (im schönsten Fall „Liebesbeziehungen mit Folgen“) anregen können.“ Dem aufmerksamen Leser dürfte nicht entgangen sein, dass er im Titel von „Liebesaffären“ und im Text von „Liebesbeziehungen“ spricht. Beide Begriffe bezeichnen wohl unterschiedliche Kontextstereotype. – Schmidt wäre wohl kein Experte für Hypnosearbeit, wenn er den Titel nicht mit Bedacht ausgewählt hätte. – Der Titel erzeugt nämlich eine enorme Aufmerksamkeit und fokussiert über die damit verbundenen „romantisierenden“ [1] Gefühle. – Und genau um Aufmerksamkeit und Fokus geht es; sie sind die Schlüsselbegriffe in der Hypnosetherapie. Die Abbildung eines Clowns im Buch Cover trägt zur (weiteren) Irritation und letztendlich zur Fesselung bei. – Eine wichtige Interventionstechnik in der systemischen Hypnotherapie.
Und damit sind wir beim Kern, warum ich das Buch und einige seiner Inhalte für diesen Block ausgewählt habe. Das Buch enthält neben Kapiteln zur Anwendung in der systemischen Psychotherapie auch Kapitel zur Anwendung in Teams und Organisationen. – Schmidt verweist direkt am Anfang seines Buches auf Zusammenhänge zur Theorie der Selbstorganisation, insbesondere auch zur Synergetik, die einer der vier Basisbausteine des Management 4.0 [4] darstellt.- Die anderen drei sind Mindset-Entwicklung, Skalierung und Neuroleadership. Die Fachsprache von Schmidt verwendet nicht selten Begriffe der Synergetik. So schreibt er zum Beispiel im Kontext der Hauptaufgaben von therapeutischen Interventionen „Es soll erreicht werden, dass Klienten und Therapeuten ihre Aufmerksamkeit so intensiv als irgend möglich … auf die kontext-angemessenen Zielpotentiale fokussieren können. So soll eine Art Attraktorkraftfeld für das Lösungserleben geschaffen werden (wie bei der Synergetik), das immer stärker („Schneeballeffekt“) Feedbackschleifen unterstützt, die wieder das Kraftfeld des Lösungserlebens weiter verstärken.“ – Attraktor ist ein Begriff aus der Komplexitätstheorie. Er steht für einen dynamischen Zustand, auf den ein System sich hinbewegt oder hier hinbewegen soll. Die Fokussierung auf kontext-angemessene Zielpotentiale stellt den sogenannten Ordnungsparameter [5] dar, der zum Attraktor führt. – Damit ergibt sich noch eine Verbindung zum Titel des Buches bzw. zur Liebe: Liebe ist ein solcher Ordnungsparameter, der auf die Geliebte (den Geliebten) hinführt.- Entsprechende Neurotransmitter sorgen dafür, dass die Aufmerksamkeit extrem gebündelt wird. Nicht umsonst sagt man „Liebe macht blind“. – Liebe ist also eine Form von Trance bzw. Hypnose. – Schmidt hat genau diese Wirkung des Wortfeldes Liebe-Liebesbeziehung-Liebesaffäre im Titel sprachlich genutzt, um eine Fokussierung auf sein Buch zu erreichen.
Die Verwendung der Gedanken aus der Theorie der Selbstorganisation ist schon recht erstaunlich, zumal Haken und Schiepek die Theorie der Selbstorganisation für psychische und soziale Systeme erst im Jahre 2006/2011 in einem umfangreichen Buch [6] einem breiteren Publikum zugänglich gemacht haben.
Schmidt führt an verschiedenen Stellen aus, dass „Unter
Hypnose …generell der interaktionelle Prozess der systematischen Fokussierung
von Aufmerksamkeit verstanden <wird>, welcher auf willkürlicher,
besonders aber auf unwillkürlicher Ebene das Erleben gestaltet.“ Oder anders ausgedrückt, Hypnose versucht
mittels Interventionstechniken die Aufmerksamkeit so stark zu bündeln (siehe
auch obiges Zitat), dass ein neuer Ordnungsparameter entsteht, der neue
Lösungsräume eröffnet. Die Interventionstechniken helfen als Rahmen- und vor
allem Kontrollparameter von derzeitigen Problem-Ordnungsparametern zu neuen Lösungs-Ordnungsparametern
zu wechseln. Das Buch von Schmidt erläutert zum einen diesen Zusammenhang und zum
anderen vor allem die vielen möglichen vom Kontext abhängigen
Interventionstechniken, um Aufmerksamkeit und Fokus zu erzeugen.
Der Zusammenhang zum Agile Management 4.0 [4] ist jetzt
vielleicht schon fast greifbar. Ich wende das obige Zitat zum „Attraktokraftfeld“
auf den agilen Handlungsrahmen Scrum an, in dem ich einige Wortersetzungen
mache:
„Es soll erreicht werden, dass Development Team und Produkt
Owner mit Hilfe des Scrum Masters ihre Aufmerksamkeit so intensiv als irgend
möglich … auf die kontext-angemessene Produktvision fokussieren können. So soll
eine Art Attraktorkraftfeld für das Lösungserleben (für alle Stakeholder)
geschaffen werden, das immer stärker („Schneeballeffekt“) Feedbackschleifen
unterstützt, die wieder das Kraftfeld des Lösungserlebens (für alle
Stakeholder) weiter verstärken.“
Ich glaube, dass damit der Zusammenhang von systemischer Hypnotherapie
und Agile Management 4.0 greifbar wird. Tatsächlich findet man in Schmidt’s
Buch unzählige Beispiele, die im Management 4.0 ihre Entsprechung haben. – Er
selbst wendet seine Erfahrungen und Erkenntnisse auf Teams und Organisationen
an; sehr ähnlich zu den im Management 4.0 praktizierten.
Auf dieser Basis wird auch sehr schnell verständlich, warum viele agile Handlungsrahmen in Theorie und Praxis nur wenig mit Selbstorganisation, die Hochleistung ermöglicht, zu tun haben: Den agilen Führungskräften wie z.B. Product Owner und Scrum Master fehlt meistens die Kompetenz, für Aufmerksamkeit und Fokus zu sorgen; also ihre Interventionen so zu gestalten, dass sich eine Produktvision, also der Ordnungsparameter, aus dem Team für alle Stakeholder selbstorganisiert entwickelt. – Management 4.0 und damit Agilität, haben also viel mehr mit hypnosystemischer Arbeit zu tun, als mit dem vorgegebenen „korrekten“ Ausführen von Agilen Handlungsrahmen. – Aus diesem Grunde sind die agilen Techniken der unwichtigste Faktor unter den wichtigen Faktoren: Das Verständnis für die Wirkzusammenhänge der Selbstorganisation ist hundertmal wichtiger, das Mindset ist sogar tausendmal wichtiger!
[1] Schmidt G (2017) Liebesaffären zwischen Problem und
Lösung, Hypnosystemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten, Hypnotherapie, systemische
Therapie, Beratung, 7. Auflage (1. Auflage von 2004), Carl-Auer-Systeme Verlag,
Heidelberg
[3] Mohl A (2010) Der große Zauberlehrling. Das
NLP-Arbeitsbuch für Lernende und Anwender. Teil 1 und Teil 2. Junfermann Verlag
[4] Oswald A, Müller W (Hrsg.)
(2019)
Management 4.0 – Handbook for Agile Practices, Release 3.0“, BoD, Norderstedt
[5] Oswald A, Köhler J,
Schmitt R. (2017) Projektmanagement am Rande des Chaos, 2. Auflage, Springer,
Heidelberg, auch in Englisch verfügbar: Project Management at the Edge of Chaos
(2018), Springer, Heidelberg
[6] Haken H, Schiepek G (2010) Synergetik in der
Psychologie: Selbstorganisation verstehen und gestalten. Hogrefe-Verlag,
Göttingen
Ich habe vom 24.04.- 25-04.2019 an der Konferenz PAFOW – People Analytics – Future of Work teilgenommen. Unter einigen hundert Teilnehmern war ich einer der wenigen deutschen Teilnehmer (ich schätze max. 10 deutsche Teilnehmer), die an dieser Konferenz teilgenommen haben. – Die anglo-amerikanische Präsenz in den Teilnehmern und auch den Ausstellern war allgegenwärtig, auch wenn die USA eine eigene Konferenz mit gleichem Titel haben. – Lediglich ein Aussteller aus Berlin, das Startup bunch.ai, war anwesend.- Wobei dieses Startup seine Kunden nicht in Deutschland sieht, sondern in den USA.
Wikipedia definiert People Analytics wie folgt [1]:
People Analytics is using behavioral
data to understand how people work and change how companies are managed. …Analytics is
the discovery, interpretation, and communication of meaningful patterns in data; and the process of applying those patterns
towards effective decision making. In other words, analytics can be understood
as the connective tissue between data and effective decision making, within an
organization. Especially valuable in areas rich with recorded information,
analytics relies on the simultaneous application of statistics, computer programming and operations research to quantify performance.
Die Verwendung von (anonymisierten) personenbezogenen Daten ist also der Schlüssel zu People Analytics. – Damit wird schnell klar, warum ich auf der PAFOW des Öfteren hörte: „Was wir machen, können wir fast überall machen, nur nicht in Deutschland“. Gleichwohl erfahren die Anbieter auch in anderen Ländern Gegenwind.- Sie waren wohl in der Anfangszeit zu Technologie-enthusiastisch. – Inzwischen rät einer der People Analytics Promotoren [2] dazu, eine Ethics Charter kombiniert mit einer wirksamen Governance zu implementieren, bevor man mit der Technologie beginnt. Denn sie haben die Erfahrung gemacht, dass zwischen „Daten und Erkenntnissen“ und daraus abgeleiteten Maßnahmen/Aktionen ein großes Gap liegt. – Eigentlich eine Erkenntnis, auf der gutes Projekt Management beruht: Ein fantastisches Projektergebnis ist nur so gut, wie dieses von den Stakeholdern angenommen wird. – Die „betroffenen“ Stakeholder fragen sich, welche Daten verwendet werden, was mit den Daten gemacht wird und welche Erkenntnisse man aus diesen ziehen kann bzw. ziehen wird. In nicht wenigen Fällen muss es sogar vorgekommen sein, dass People Analytics Erkenntnisse auf C-Führungsebene nicht angenommen wurden, weil sie mit den dort herrschenden Grundannahmen und Glaubenssätzen nicht übereinstimmten.
Die Aussteller auf der PAFOW haben in erster Linie Werkzeuge angeboten, die auf verschiedenen Formen der Organisational Network Analysis (ONA) [3] beruhen. Hierbei ist es u.a. das Ziel, mit Hilfe von sozialen Netzwerkanalysen, Aussagen zur Performance eines Unternehmens zu treffen, u.a. Engagement Index, Diversity and Inclusion Index, oder die Identifikation von Influencer Hubs, die Identifikation von Retention Mustern, die Identifikation von Talenten, das Sichtbarmachen von Führung und Führungsprogrammen usw.. In einigen Fällen wird KI eingesetzt. Nur in wenigen Fällen gehen die Werkzeuge über das Verhalten hinaus, dies hängt u.a. damit zusammen, dass fast immer nur sogenannte Metadaten einer Kommunikation verwendet werden. Also: Wie oft hat Person X mit Person Y über Email, WhatsApp oder slack kommuniziert, wie schnell war die Antwort, usw.. – Inhalte wurden so gut wie nie ausgewertet. Soweit ich dies erfahren konnte, schließt lediglich das in Berlin ansässige Startup bunch.ai über Kommunikationsinhalte und KI auf die Kultur eines Unternehmens.
Die Teilnehmer der PAFOW kamen vorwiegend aus dem HR-Bereich.- Dies wird u.a. durch Erhebungen gestützt, wonach im anglo-amerikanischen HR-Bereich People Analytics das zukünftige Top-Wissens-Thema ist [4]. Meistens geht es darum, ein Führungs-Dashboard zu erstellen, in dem alle o.g. Kennzahlen vertreten sind. Hieran kann man erkennen, dass das vorherrschende Mindset noch sehr den roten, blauen und orangen value-Memen verhaftet ist, denn Führung wird verstanden als Aufgabe einer kleinen Elite (man siehe hierzu meine Blogbeiträge vom Februar 2019 „Projekte neu gedacht: Entwicklungsstufen, Selbstorganisation und Co-Evolution“ und vom September 2018 „Governance: Die hohe Kunst der Führung von Gesellschaft, Unternehmen und Projekten“). In einigen Fällen konnte ich jedoch den Übergang zu grünen oder sogar gelben v-Memen spüren, da der Mitarbeiter ins Zentrum gerückt wird und People Analytics als Werkzeug verstanden wird, um Probleme der globalen Nachhaltigkeit zu lösen.
People Analytics müsste eigentlich vor allem in die Hände der Mitarbeiter gelegt werden.- Also z.B. als aktives Werkzeug der Führung in Projektteams, um dort die Selbstorganisation anzuregen. Dies ist einer der Grundgedanken von Management 4.0.
In meinem Blogbeitrag vom März 2019 „Die Digitale
Transformation – Chancen und Risiken – Ein Diskussionsbeitrag“ habe ich
ausgeführt, dass People Analytics einer der Hauptbereiche der Digitalen
Transformation des Projekt Managements sein wird. Abbildung 1 fasst die Projekt
Management spezifischen Aussagen zur Digitalen Transformation zusammen:
Abbildung 1: Die Digitale Transformation des Projekt
Managements
Hiernach werden voraussichtlich folgende Physical
Technologies das Projekt Management verändern:
Digital Claim/Contract Management u.a. unter Verwendung
von Blockchain-Technologie
AI Project Controlling für Projektfortschritts-
und Projektrisikomanagement u.a. unter Verwendung von AI und Big Data Science
People Analytics für die Projektteam
Selbstorganisation und die Stakeholder Führung u.a. unter Verwendung von AI und
Big Data Science
Digital Network Intelligence für die
Selbstorganisation in virtuellen Teams u.a. mittels AI und Big Data Science in aktiven
Netzwerken
Diese digitale Veränderung kann jedoch nur dann zur einer Digitalen Transformation gelingen, wenn die Social Technologies sich co-evolutiv entwickeln. Dies setzt jedoch voraus, dass eine ethische Basis und eine entsprechende ganzheitlich Verantwortung für unsere Erde entstehen, sowie sich eine Metakompetenz, Führung und Kultur entwickeln, die Selbstorganisation ermöglichen. Aus diesem Grunde hat die GPM FG Digitale Transformation beschlossen, auf der Basis von vorhandenen europäischen und global verfügbaren Guidelines [5], [6], [7], sowie Management 4.0 [8] „Prinzipien für eine werteorientierte Governance von Projekten der Digitalen Transformation“ zu erstellen. Dies ist meines Erachtens eine wesentliche Voraussetzung für das Schließen des auf der PAFOW wahrgenommenen „Gaps“ von Erkenntnissen und Wirkung.
Die Digitale Transformation (DT) [0] ist eine der Hauptthemen der GPM Fachgruppe Agile Management und das Hauptthema der GPM Fachgruppe Digitale Transformation. Der von der Politik gesetzte Rahmen lässt sich gut an Hand der beiden Strategiepapiere [1] und [2] sowie ergänzend an Hand der Hightech-Strategie 2025 [3] und des Gutachtens der Expertenkommission Forschung und Innovation [4] einschätzen. Das Strategiepapier „Digitalisierung gestalten“ [1] ist für die Digitale Transformation das zentrale Dokument. Es enthält Maßnahmen zur Verbesserung der Digitalen Kompetenzen verschiedener Bevölkerungsgruppen (u.a. DigitalPakt Schule), zu Infrastruktur und Ausstattung (u.a. Glasfaserausbau, 5G), zu Innovation und digitale Transformation (u.a. KI, Blockchain, Digitale Medizin, Make-it (FabLabs), Startups, Nachhaltigkeit, Arbeit 4.0, Cybersicherheit), zur Gesellschaft im digitalen Wandel (u.a. Ethik und Algorithmen, Datenökonomie, Digitalisierung und Kultur, Smart Cities, Autonomes Fahren, Digitalisierung und Entwicklungsländer) und zum Modernen Staat (u.a. Digitalisierung der Verwaltung, BIM, digitale Agrarförderung).
Es fällt hingegen sehr schwer, unter der Vielzahl an Einzelmaßnahmen
ein „Großes Bild“ zu erkennen, das alle Maßnahmen bündelt und leitet. –
Eventuell ist dieses „Große Bild“ auch gar nicht vorhanden.
Auf der Basis verschiedener Publikationen [4], [5], [6] hat
die GPM Fachgruppe Agile Management in dem neuen Release 3 ihres Management 4.0
Handbuches [7] den Versuch unternommen, ein „Großes Bild“ der Digitalen
Transformation zu skizzieren (Man siehe hierzu auch meine Blog-Beiträge: April
2017: Agile Management und Digitalisierung, passt dies überhaupt zusammen?
sowie Januar 2019: Bits to Atoms – Die Dritte Digitale Revolution.)
Abbildung 1: Die Digitale Transformation [7]
Abbildung 1 zeigt dieses „Große Bild“ zur DT: Unten im Bild sind die derzeit sichtbaren Basistechnologien zu sehen, die die Digitale Transformation treiben. – Nicht alle dieser Basistechnologien sind z.B. in [1] berücksichtigt. Ein oder mehrere Basistechnologien kommen in den grün gekennzeichneten Anwendungsfeldern zum Einsatz. Diese Anwendungsfelder treiben die Transformation unserer Gesellschaft – nicht selten werden lediglich die grünen Anwendungsfelder als Aspekte der Transformation benannt: Die heute schon erkennbaren sozialen Auswirkungen der Transformation sind in der Mitte des Bildes als rote Themenbereiche zu sehen. Diese sozialen Themenbereiche habe ich zum Beispiel in keinem der Strategiepapiere der Bundesregierung wahrgenommen. Sie entstehen durch die mit der Digitalisierung verbundene zunehmende soziale und technische Vernetzung. – Die Gesamt-Komplexität wächst, unvorhersehbare Dynamiken bilden sich aus und die Geschwindigkeit der Veränderung nimmt zu. Dies führt zu zentralen Chancen oder Risiken; oben im Bild angedeutet durch jeweils überlappende hellblaue Kreise: Beispielsweise treibt die zunehmende Vernetzung die Ausbildung von Crowd Dynamiken, die im Positiven Bewegungen wie „Fridays for Future“ oder im Negativen leider die globale Koordination nationalsozialistischer oder terroristischer Bewegungen ermöglichen.- In diesem Bild fehlen zwei sehr große Themen, nämlich Cybersicherheit/Cyberkriminalität und die Cyber-Kriegsführung (d.h. Cyber-Angriffe auf bestehende Infrastrukturen und die autonome Kriegsführung mittels entsprechender Waffentechnologien).
Die Autoren der Publikationen [4], [5] und [6] gewichten
die Risiken und Chancen völlig unterschiedlich. Während Land [6] eine
durchgehend optimistische Sicht auf die Digitale Transformation hat (d.h. die
Technologie führt zu Wohlstand für alle), überwiegt bei O’Neil [5] die „Herrschaft“ der Algorithmen. Kucklick [4] nimmt eine
mittlere Position ein und betont, dass sich mit der Digitalisierung neue
Wirklichkeitsräume eröffnen, die wir bisher nicht gekannt haben. – Und diese
neuen Wirklichkeitsräume besitzen Chancen aber auch Risiken. In [8] gehen wir
von der Grundannahme aus, dass diese neuen Wirklichkeitsräume durch Komplexität
geöffnet werden und wir nehmen an, dass Komplexität die Basis des Seins und des
Lebens ist. Komplexität ist also ein Geschenk und treibt unsere Evolution. Geht
man davon aus, dass die Digitalisierung heute einer der vorherrschenden
Komplexitätstreiber ist, so treibt die Digitalisierung unsere Evolution. Dies
ist u.a. auch für Harari der zentrale Grundgedanke der Digitalen Transformation
[9, 10].
Im Management 4.0 betrachten wir die Digitale
Transformation auf dieser Basis und schließen uns der mittleren Position [4],
die Chancen wie Risiken sieht, an:
Aus Abbildung 1 lassen sich folgende („Große Bild“-) Chancen
und Risiken ableiten:
Chancen
Die zunehmende Vernetzung treibt unsere
Evolution an. – Wir entwickeln neue individuelle und soziale Entwicklungsstufen,
die die Makrostruktur der Gesellschaft positiv beeinflussen. (Man siehe hierzu
auch meinen Blog-Beitrag vom Februar 2019: Projekte neu gedacht:
Entwicklungsstufen, Selbstorganisation und Co-Evolution)
Die Wirklichkeit wird immer fein-granularer. – Die
Individualisierung der Produkte nimmt zu. In nahezu allen Bereich des Lebens bereichern
Innovationen unser Leben. – Z.B. nehmen wir inzwischen schon mit Smartphones
und biofeedback-Algorithmen und -Daten (dies sind feingranulare Daten) Einfluss
auf unser Verhalten.
Die Verlagerung von Entscheidungen auf
Algorithmen ermöglicht uns gesellschaftliche Werte und Grundannahmen
transparent zu machen.
Die Digitalisierung unterstützt die
Demokratisierung in Kontinenten wie Afrika.
Die Digitalisierung führt zu einer „Befreiung“
von schweren, gefährlichen und langweiligen Tätigkeiten und eröffnet die
Möglichkeit sich kreativ zu beschäftigen. Das Arbeiten um der Erwerbstätig wegen
verliert an Bedeutung oder verschwindet ganz.
Risiken
Die Gesellschaft teilt sich in „Versteher“ der
DT und in „Nicht-Versteher“ der DT: Es gibt eine neue Form der Elite.
Die voranschreitende Automatisierung (u.a. KI, Robotik)
führt zum Verlust vieler Arbeitsplätze, dies kann die Ungleichheit verstärken
und die Demokratie gefährden.
Der Faktor Arbeit in der Produktion nimmt
weiter ab. Kapital spielt eine noch größere Rolle in Industrie/Produktion.
Die Verlagerung in virtuelle Welten begünstigt
exponentielle Organisationen (wie google, amazon,..), die eine
weltbeherrschende Stellung einnehmen.
Die Demokratisierung wird durch die
weltbeherrschende Stellung einzelner Organisationen unterlaufen.
Algorithmen treffen Entscheidungen: Die
individuellen Werte und Grundannahmen der Algorithmen-Ersteller fließen
intransparent in die Algorithmen ein.
Crowd-Dynamiken können sich selbst-organisiert bilden
oder bewusst eingesetzt werden, um Manipulationen in Gesellschaften vorzunehmen.
– Die Demokratie wird unterhöhlt.
Die klare Benennung dieser Chancen und Risiken ist für mich
in den Strategiepapieren [1] und [2] nicht erkennbar. In den Strategiepapieren
ist eine pauschale Grundannahmen wahrnehmbar: Für das Wohlergehen des
Standortes Deutschland ist es unabdingbar, die DT aktiv so zu gestalten, dass wir
zu den ersten Staaten mit einer erfolgreichen DT gehören.
Wenden wir die Management 4.0 Prinzipien auf die Sicht der
Bundesregierung zur Digitalen Transformation an, ergibt sich folgendes Bild: Die
Strategiepapiere [1] und [2] sind Maßnahmenkataloge, die jedoch explizit keine
Chancen und Risiken benennen und diesen, auf dieser Basis, Maßnahmen zuordnen. –
Es ist nicht nachvollziehbar inwieweit der Maßnahmenkatalog auf etwaige Chancen
und die Risiken-Milderung einzahlt. Viel weniger noch kann man nachvollziehen
inwieweit die angedachten Maßnahmen zur Selbstorganisation der Gesellschaft
beitragen. Denn dies würde den Aufbau einer Hierarchie an Rahmen-, Kontroll-
und Ordnungsparameter erfordern und im Maßnahmenkatalog müsste dies u.a. über
eine entsprechende Ziel-Hierarchie mit einer klaren Priorisierung abgebildet
werden. Hierzu müssten auch Wirkzusammenhänge sichtbar gemacht werden, wie dies
in der Betrachtung von Systemdynamiken üblich ist [11]: Die Maßnahmen müssten als
Interventionen in das System betrachtet werden, und sind hinsichtlich ihrer
Wirksamkeit zu monitoren. – Ein Monitoring ist in den Strategiepapieren
vorgesehen, es ist jedoch fraglich, ob dieses über das reine
Umsetzungsmonitoring hinaus geht und die Wirksamkeit des Maßnahmen-Netzwerkes als
Ganzes berücksichtigt.
Für den Teilbereich (Projekt-) Arbeit und (Projekt-)
Management, den die GPM (wahrscheinlich) beeinflussen kann, sehe ich folgende
Konsequenzen für die projektorientierte Organisation:
Ausbau
der Physical Technologies Kompetenz
Ich nehme an, dass die Anzahl an Projekten mit Schwerpunkt
Digitalisierung deutlich zunehmen wird. Für das Kompetenzprofil der
Projektmitglieder und insbesondere der Projektmanager hat dies enorme
Konsequenzen. Dies erfordert eine sehr gute Physical Technologies Kompetenz in
den Basistechnologien wie KI und Blochchain. Darauf aufbauend ist spezifisches
digitales Anwendungswissen zu erwerben (siehe Abbildung 1): Vielfach kann
dieses in GPM Fachgruppen verortet werden (z.B. Autonomous Mobility in der
Fachgruppe Automotive PM oder Smart Health in der Fachgruppe PM-Healthcare,
usw. ).
Ausbau
der Social Technologies Kompetenz
Da mit der Digitalisierung immer mehr Prozesse,
Transaktionen und Strukturen in digitale Systeme (u.a. via Künstliche
Intelligenz und Blockchain) verlagert werden, werden damit auch bisherige
implizite Werte und Grundannahmen und auch explizite Normen und Strukturen in
digitalen Systemen abgebildet. Projektteilnehmer und insbesondere Projektmanager,
die diese digitalen Systeme erstellen, müssen über entsprechende Social
Technologies Kompetenz verfügen, um diese Verlagerung ethisch
verantwortungsvoll durchzuführen.
Ausbau
der Digitale Transformation Kompetenz
Mit der Digitalen Transformation werden digitale Werkzeuge
auch zunehmend in die Projektarbeit und in das (Projekt-) Management Einzug
halten. Hiermit sind nicht die schon seit langem bekannten (digitalen) PM-Werkzeuge
gemeint, sondern, z.B.
Einsatz von KI zur Planung und Steuerung von Projekten (Hierzu sind entsprechende Daten vergangener Projekte zu sammeln und für das KI-Training verfügbar zu machen).
Einsatz von innovativen Kollaborationswerkzeugen (man siehe hierzu auch das Kapitel 4.2 ‚Agile Leadership 4.0 – Digital Network Intelligence‘ des Release 3 unseres Handbuches Management 4.0 [7])
Einsatz von sogenannten People Analytics [12], [13] Werkzeugen, die helfen soziale Interaktionen bewusster im Hinblick auf ein Ziel oder eine Ziel-Hierarchie auszugestalten. Hierzu zählt u.a. die digital unterstütze Auswahl von Teammitgliedern und das Tracken und Monitoren von Verhaltensweisen im Hinblick auf Team- und Organisations-Performance. People Analytics ist ein Teilbereich der Social Technologies Kompetenz und hat einen direkten Bezug zum Thema „feingranulare Gesellschaft“.– Diese Werkzeuge basieren teilweise auf den in [8] und [7] beschriebenen Modellen und Methoden und gehen inzwischen an vielen Stellen durch die KI-Anwendung in People Analytics darüber hinaus (man siehe hierzu auch meine Blog Beiträge: April 2017: Agile Management und Digitalisierung, passt dies überhaupt zusammen? sowie Juni 2018: Von Glaubenssätzen, Zeitreisen und der Digitalisierung).
Einsatz von neuen Transaktionswerkzeugen auf der Basis von Blockchain, um das Vertrags- und Claim-Management transparenter und sicherer zu gestalten.
Die nachfolgende Tabelle fasst zusammen, wie diese o.g. Konsequenzen,
als Management 4.0 Maßnahmen umgesetzt, auf die Chancen bzw. die Risiko-Milderung
einzahlen:
Chancen
Risiken
„Einzahlungen“ der (Projekt-) Arbeit und des (Projekt-) Managements
Die zunehmende Vernetzung treibt unsere Evolution an. Wir entwickeln neue Entwicklungsstufen, die die Makrostruktur der Gesellschaft positiv beeinflussen.
Die Gesellschaft teilt sich in „Versteher“ der DT und in „Nicht-Versteher“ der DT: Es gibt eine neue Form von Eliten. Crowd-Dynamiken können sich selbstorganisiert bilden und bewusst eingesetzt werden, um Manipulationen in Gesellschaften vorzunehmen und die Demokratie zu unterhöhlen.
Die Social Technologies Kompetenz aller (Projekt-) Mitarbeiter ist deutlich auszubauen, weil: Die Komplexität steigt und es damit notwendig wird, Kompetenzen zur Erkennung von komplexen sozialen (Makro-) Mustern zu entwickeln, um kompetent agil intervenieren zu können.
People Analytics Technologien werden immer mehr eingesetzt: Damit wir nicht zu deren Sklaven werden, sollten wir sie verstehen und ggf. regulieren können.
Die Wirklichkeit wird immer fein-granularer. – Die Individualisierung der Produkte nimmt zu. In nahezu allen Bereich des Lebens bereichern Innovationen unser Leben.
Die Verlagerung in virtuelle Welten begünstigt exponentielle Organisationen, die eine weltbeherrschende Stellung einnehmen.
Individuen, Teams und Unternehmen sollten Komplexitäts-Kompetenzen aufbauen, um die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft einschätzen zu können und ggf. regulieren zu können.
Die Verlagerung von Entscheidungen auf Algorithmen zwingt uns dazu gesellschaftliche Werte und Grundannahmen transparent zu machen.
Algorithmen treffen Entscheidungen: Die individuellen Werte und Grundannahmen der Algorithmen-Ersteller fließen intransparent in die Algorithmen ein.
Ein Projektteam sollte über Physcial und Social Technologies Kompetenzen verfügen, um Werte und Grundannahmen in Algorithmen und bei der Auswahl von KI-Trainingsdaten sichtbar zu machen und ggf. regulieren zu können.
Die Digitalisierung unterstützt die Demokratisierung in Kontinenten wie Afrika.
Die voranschreitende Automatisierung (Robotik) führt zum Verlust vieler Arbeitsplätze, dies kann die Ungleichheit verstärken und die Demokratie gefährden. Die Demokratisierung wird durch die weltbeherrschende Stellung einzelner Organisationen unterlaufen.
Der verantwortungs-bewussten Führungskraft kommt in der DT eine ganz besondere Rolle zu: Der Beitrag zur Wertschöpfung durch Projekte wird wachsen, zusätzlichen werden die Projekte immer komplexer und erfordern einen mentalen Entwicklungssprung (einen „v-Mem Sprung“ im Mindset). Dieser „Sprung“ ist bewusst zu gestalten.
Die Digitalisierung führt zu einer „Befreiung“ von schweren, gefährlichen und langweiligen Tätigkeiten und eröffnet die Möglichkeit sich kreativ zu beschäftigen. Die Erwerbstätig verliert an Bedeutung oder verschwindet ganz.
Der Faktor Arbeit in der Produktion nimmt weiter ab. Kapital spielt eine noch größere Rolle in der Industrie/Produktion.
Projekte werden zunehmend Linientätigkeiten verdrängen, deshalb kommt einer nachhaltigen Projektarbeit eine ganz besondere Aufgabe für die Gestaltung unserer Zukunft zu. Diese Nachhaltigkeit sollte ganzheitlich sein und erfordert eine bewusste Ausgestaltung des organisationalen Mindsets: Die „Führung“ durch Prozesse und Strukturen geht zunehmend verloren und ist durch die Gestaltung von Governance für die bewussten „Führung“ des organisationalen Mindsets (Kultur) zu ersetzen.
In Kurzform definiere ich die Digitale Transformation wie folgt: Die Digitale Transformation ist ein Prozess, in dem digitale Technologien die soziale und technische Vernetzung und Dynamik so stark treiben, dass neue Muster der sozialen Evolution entstehen.
[1] Bundesregierung (2018a) Digitalisierung gestalten –
Umsetzungsstrategie der Bundesregierung, 3. Überarbeitete Auflage, Presse- und
Informationsamt der Bundesregierung, Berlin, www.digital-made-in.de
[3] Bundesregierung (2018c) Forschung und Innovation
für die Menschen – Die Hightech-Strategie 2025, Berlin, https://www.hightech-strategie.de/
[3] EFI (2019) Gutachten zu Forschung, Innovation und
Technologischer Leistungsfähigkeit, EFI Expertenkommission Forschung und
Innovation, Berlin, www.e-fi.de
[4] Kucklick Christoph (2016) Die granulare
Gesellschaft: Wie das Digitale unsere Wirklichkeit auflöst, Ullstein
Taschenbuch, Kindle edition
[5] O’Neil
Cathy (2016) Weapons of Math Destruction: How Big Data Increases Inequality and
Threatens Democracy, Allen Lane, Kindle edition
[6] Land Karl-Heinz (2018) Erde 5.0: Die
Zukunft Provozieren, futurevisionpress e.K., Kindle edition
[7] Oswald A, Müller W (Hrsg.) (2019) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices, Release 3.0“, BoD, Norderstedt
[8] Oswald A, Köhler J and Schmitt R (2016)
Projekt Management am Rande des Chaos, oder in der englischen Version: (2018) Project
Management at the Edge of Chaos, Springer Heidelberg
[9] Harari, Yuval
(2017) Homo Deus: A Brief history of tomorrow, Harper
[11] Vester F (2002) Die Kunst vernetzt zu denken: Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität, Ein Bericht an den Club of Rome, dtv Verlagsgesellschaft