AI & AM 4.0: Agent Based Modeling – Von Agenten Intelligenz und Kollektiver Intelligenz oder von ‚Intelligenz ist immer kollektiv‘?!

Das Thema Kollektive Intelligenz hat gerade Hochkonjunktur. Sei es in Form der mehrteiligen ZDF-Fernsehserie der Schwarm [1] und der damit verbundenen zweiteiligen Terra X Dokumentationen zur Intelligenz von Schwärmen [2], [3]. – Oder, auch in Form der AI Systeme chatGPT und des gerade veröffentlichten GPT-4 [4]. – Diese Systeme sind in zweierlei Hinsicht Systeme kollektiver Intelligenz: Die GPT-X Systeme und andere vergleichbare Systeme verwenden als Daten die Ergebnisse unserer aller Intelligenz und die Systeme selbst sind über die Neuronalen Netzwerke, auf denen sie beruhen, kollektive Systeme, die Intelligenz hervorbringen können, wenn sie mit unserer Intelligenz in Form von Daten gefüttert werden. – Dies ist gar nicht so unähnlich unserer kulturellen Entwicklung, die Produkte menschlicher Intelligenz hervorgebracht hat – nur eben viel, viel schneller!

Es ist absehbar, dass sich in Zukunft aus der Intelligenz von GPT-X eine Künstliche Allgemeine Intelligenz (Artificial General Intelligence, kurz AGI) entwickeln wird. Der CEO von openai betont in einem Blogbeitrag erst kürzlich hierzu die gesellschaftliche Verantwortung von openai [5] und im EU AI Act Newsletter wird, meines Erachtens zum ersten Mal, von der nahen Bedeutung von AGI im Kontext von GPT-X  Systemen gesprochen [6].   

In [2] und [3] wird eindrucksvoll geschildert, wie natürliche kollektive mobile Systeme, die aus ‚dummen‘ Agenten (u.a. Ameisen, Bienen, Fischen) bestehen, im Schwarm intelligentes Verhalten zeigen. Die vermeintlich ‚dummen‘ Agenten haben ihrerseits ein wenig Intelligenz auf der Basis von kleinen natürlichen neuronalen Netzwerken. – Die Natur ist also offensichtlich in der Lage mittels kollektiver Systeme (z.B. Ameisen Kollektiv) und von Subsystemen (z.B. Ameise als Agent) Intelligenz-Hierarchien aufzubauen.

Dies relativiert auch unseren Anspruch an intelligenter Einzigartigkeit: Kollektive Systeme, gleichgültig ob natürlich oder künstlich, haben das Potential, über eine geeignete Vernetzung, Intelligenz auszubilden.

Hieraus leite ich die These ab, dass Intelligenz immer kollektiv ist. Dies wird auch durch Ashby’s Law [7] gestützt, wonach ein komplexes System nur durch ein anderes komplexes System mit hinreichender Komplexität reguliert werden kann. Komplexität ist also eine Vorbedingung für Intelligenz. Deshalb sagen wir auch im Management 4.0, dass Komplexität ein Geschenk ist, das nicht reduziert werden sollte, sondern nur reguliert werden darf: Die Komplexität unseres Gehirns (und unseres gesamten Körpers) mit ca. 86 Milliarden vernetzter Neuronen ermöglicht es, dass wir uns adaptiv auf unsere Umgebung einstellen und diese ggf. regulieren. – Ich nehme an, dass niemand seiner Intelligenz, also seiner neuronalen Komplexität, beraubt werden möchte, indem diese reduziert wird.

In Konsequenz heißt dies auch, dass gut geführte soziale Organisationen, u.a. Teams, mit einer wertschaffenden Komplexität, kollektive Intelligenz zeigen, die über die Intelligenz der einzelnen Teammitglieder hinausgeht. Die einzige ! Aufgabe von Führung ist es, zu ermöglichen, dass sich diese kollektive Intelligenz ausbildet.    

Es ist vielleicht auch nicht abwegig, anzunehmen, dass Intelligenz eine Vorbedingung für Bewusstsein ist. – Und, dass Bewusstsein sich aus intelligenten kollektiven Systemen emergent entwickelt. Die Integrated Information Theory zum Bewusstsein zeigt erste Überlegungen in diese Richtung [8].

Im letzten Blog-Beitrag habe ich den Video-Vortrag des DeepMind Mitarbeiters Thore Graepel zum Thema ‚Multi-Agent Learning in Artificial Intelligence‘ erwähnt [9]. Thore Graepel referenziert dort am Anfang auf den Artikel von Legg und Hutter zum Thema ‚Universal Intelligence‘ [10]. Legg und Hutter geben einen Literatur-Überblick zum Verständnis von Intelligenz und definieren ihr Verständnis von Agent Intelligence:

Abbildung 1: Definition Universelle Intelligenz nach [10]

In [10] wird angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit für Kontexte exponentiell (zur Basis 2) mit der Komplexität abnimmt. – Hier folgen Legg und Hutter auch dem Prinzip des Occam’schen Rasiermessers [11]: Die Natur bevorzugt Einfachheit und unsere Modelle zu Ihrer Beschreibung sollten dementsprechend auch einfach sein. – Einfache Kontexte werden also bei der Intelligenzberechnung höher gewichtet. Man kann auch jetzt verstehen, warum die melting pot Initiative von DeepMind von Bedeutung ist: Es werden möglichst viele Kontexte erstellt, um die allgemeine Intelligenz von Agenten über die obige Formel zu ermitteln.  

Legg und Hutter haben gezeigt, dass die obige Formel für Intelligenz alle bekannten Definitionen von Intelligenz subsummiert und auch auf den Intelligenzbegriff bei Menschen angewendet werden kann.- Auch wenn die konkrete Ausgestaltung von V und P in der obigen Formel für nachvollziehbare Kritik sorgt [12] und sich noch ändern dürfte. – Abbildung 2 visualisiert die Formel, in dem ich für das Mindset eines Agenten die Dilts Pyramide angenommen habe: Der Agent passt sich über die Zeit in einem PDCA-Zyklus mittels seiner Fähigkeiten und seines Verhaltens (auch policy genannt) an seine Umgebung an. Über die Funktion V wird die Performance des Agenten im Hinblick auf ein Ziel gemessen.- Der Agent erhält eine Belohnung. Die Performance des Agenten kann in zweierlei Hinsicht gemessen werden: Intern und extern. Das interne Performancemaß wird utility U genannt [13]. Agenten werden  rational genannt, wenn sie anstreben das interne Performancemaß mit dem externen in Einklang zu bringen. Einer der Kritikpunkte an [10] ist, dass (lediglich) das externe Performancemaß zur Intelligenzmessung herangezogen wird. 

    

Abbildung 2: Visualisierung der Formel zur Universellen Intelligenz nach [10]

Die Definition der Universellen Intelligenz ist sicherlich als Referenz für die Vermessung von Agenten Intelligenz sehr hilfreich. Ihre operative Ausgestaltung hat aber erst begonnen. – Und, sie ist rein phänomenlogisch, sie sagt also nichts über die Ingredienzien von Intelligenz aus, also welche Elemente wie zusammengebracht werden müssen, um intelligente Agenten bzw. Systeme zu bauen. Aus diesem Grunde versuche ich im Folgenden, einige mir wichtig erscheinende Elemente, in Form von Prinzipien, zu nennen. Ich lasse mich hierbei von der Transformer Technologie leiten, auf der die GPT-X Technologie beruht. Die aus meiner Sicht mit Abstand beste Darstellung zur Transformer-Technologie hat Ralph Krüger geschrieben – er macht keine verständnislosen Vereinfachungen, sondern beschreibt die Technologie didaktisch brillant [14]. Nicht desto weniger kann es manchmal beim Lesen helfen, die in Bing eingebundene chatGPT Bot Version als Assistenz zu benutzen ;-).

Neben [14] empfehle ich [15], eine dreiteilige sehr gute visuelle Aufbereitung des Matrizen-Flows (Tensorflows) in Transformern und für einen tieferen Blick in die Programmierung den Dreiteiler [16] sowie [17]. Als Einstieg kann der Spektrum der Wissenschaft Artikel von Manon Bischoff dienen [18]. Dieser Artikel enthält eine ganze Reihe interessanter Hinweise, u.a. auch die von mir im letzten Blog-Beitrag geäußerte Vermutung, dass chatGPT lediglich 1,5 Milliarden Parameter enthält, also mehr als 100 mal weniger als GPT-3. Manon spricht sogar von nur 1,3 Milliarden Parametern. Als Einstieg empfehle ich zusätzlich den Artikel über chatGPT [19].

Auf der Basis dieser Literatur liste ich im Folgenden die Prinzipien, die meines Erachtens das Was und das Wie der Intelligenz ausmachen:

Intelligenz ist immer kollektiv: Als Kollektiv bezeichne ich ein System von vernetzten Elementen (künstliche oder natürliche Neuronen, Ameisen, Menschen, usw.), das die Außenwelt per Transformation in eine Innenwelt abbildet. Die Transformation erfolgt im Falle der AI durch künstliche neuronale Netzwerken, die Tensor Operationen durchführen (bzw. Matrizenoperatione durchführen: Die Matrizenelemente sind die Gewichte zwischen den Neuronen). – Die Tensor Operationen sorgen also für die Abbildung. Damit diese Abbildung hinreichend viele Informationen der Außenwelt abbilden kann, benötigt sie viele Zustände, also viele Parameter, im Falle von GPT-3 175 Milliarden. Die Abbildung der Außenwelt über eine Parametrisierung in der Innenwelt, erfolgt über Selbstorganisations-Mechanismen, in denen eine Zielfunktion im AI-Training dafür sorgt, dass die niedrigsten energetischen Zustände in dem hochdimensionalen Parameterraum gefunden werden. – Diese repräsentieren nach dem Training die Daten der Außenwelt.

Ich habe die Bing AI gefragt, ‚Gibt es eine Zielfunktion für das Lernen im Gehirn‘. Bing AI wandelt dies in eine Frage nach ‚Zielfunktion Lernen Gehirn‘ um und generiert folgende Antwort:

Ja, das Gehirn hat eine Zielfunktion für das Lernen. Das Lernen ist im Grunde genommen eine Reaktion unseres Gehirns auf neue Erfahrungen. Wenn eine solche Erfahrung eine nachhaltige Änderung im Gehirn hervorruft, dann kann man von Lernen sprechen. Das Gehirn bereitet sich dadurch auf die Zukunft vor. Natürlich kann man sein Gehirn anregen und unterstützen, neue Dinge schneller zu lernen oder die synaptischen Verbindung zu bilden, die man möchte. Dazu brauchen wir nur unsere Aufmerksamkeit genau auf die zu lernenden Themen zu richten und sie entsprechend oft wiederholen.

Diese Definition der Zielfunktion entspricht nicht ganz meinem obigen Verständnis einer Zielfunktion: Außer, man versteht die neuronalen Mechanismen, die sich hinter der Aufmerksamkeit verbergen, als solche.

Die Außenwelt wird über Aufmerksamkeit kontextualisiert: Im Falle der Transformer-Technologie ist der Aufmerksamkeits-Mechanismus (Attention-Mechanismus) der Mechanismus, der die Leistungssteigerung gegenüber vorherigen AI Systemen wesentlich ausmacht. Hierzu werden die sprachlichen Inhalte der Außenwelt auf ihre semantischen Zusammenhänge hin analysiert: Alle Worte eines Satzes (eines Textes) werden herausgegriffen, also mit Aufmerksamkeit belegt, und es wird die Korrelation dieses herausgegriffenen Wortes zu allen anderen Worten in diesem Satz  (diesem Text) ermittelt. – Die Korrelationswahrscheinlichkeiten werden in speziellen neuronalen Netzwerken (Tensoren) trainiert. Für die Generierung von neuen Texten wird auf diese trainierten Korrelationswahrscheinlichkeiten zurückgegriffen.

Wahrscheinlichkeiten werden durch zusätzliche kollektive Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen ausbalanciert: Die Ergebnisse, die ein Transformer nach außen liefert, sind die Ergebnisse mit der höchsten Wahrscheinlichkeit. Um die Verlässlichkeit der Wahrscheinlichkeiten zu erhöhen, werden die Wahrscheinlichkeiten pro Transformer Modul nicht nur einmal berechnet, sondern mehrmals parallel d.h. zum Beispiel mit 8 attention Mechanismen, dem sogenannten multi-head-attention. Zusätzlich werden im Falle von GPT-3 96 Transformer Module (Decoder) hintereinander geschaltet, um die Ergebnisse zu verfeinern und zu stabilisieren [18]. Der multi-head-attention Mechanismus zeigt damit die Wirkung eines Teams mit acht Teammitgliedern, in dem die potentiellen mentalen Verzerrungen der Teammitglieder ausbalanciert werden. Und, das Hintereinanderschalten der Transformer-Module lässt sich gut mit der iterativen Wirkung von 96-PDCA-Zyklen vergleichen.

… ggf. weitere Prinzipien

Ich glaube, dass Intelligenz nicht auf natürliche Systeme beschränkt ist, ja dass diese Einteilung in natürliche und künstliche Systeme künstlich ist: Intelligenz ist ein universelles Phänomen, das sich potentiell in allen Systemen ausdrücken kann, sobald hierfür die Voraussetzungen vorliegen…. Vielleicht sind die oben genannten Prinzipien tatsächlich (einige) der Voraussetzungen …Vielleicht wird die Filmreihe ‚Autobots – The Transformers‘ sogar einmal als (diesbezüglich) hellsehend bezeichnet werden [20]. 

 

[1] ZDF (2023a) Der Schwarm, https://www.zdf.de/serien/der-schwarm

[2] ZDF (2023b) Terra X – Schlaue Schwärme, Geheimnisvolle Sprachen, https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/schlaue-schwaerme-geheimnisvolle-sprachen-doku-102.html

[3] ZDF (2023c) Terra X – Schlaue Schwärme, Rätselhafte Kräfte, https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/schlaue-schwaerme-raetselhafte-kraefte-doku-100.html

[4] openai (2022) GPT-4, https://openai.com/product/gpt-4, zugegriffen am 20.03.2023

[5] Altman S (2023) Planning for AGI and beyond, https://openai.com/blog/planning-for-agi-and-beyond, zugegriffen am 15.03.2023

[6] The future of Life Institute (2023) The EU AI Act Newslettr #25 vom 01/03/23-14/03/23

[7] Wikipedia (2023) Ashby’s Law, https://de.wikipedia.org/wiki/Ashbysches_Gesetz, zugegriffen am 15.03.2023

[8] Wikipedia (2023a) IIT- Integrated Information Theory, https://en.wikipedia.org/wiki/Integrated_information_theory, zugegriffen am 15.03.2023

[9] Graepel T (2023) The role of Multi-Agent Learning in Artificial Intelligence Research at DeepMind, https://www.youtube.com/watch?v=CvL-KV3IBcM&t=619s, zugegriffen am 06.02.2023

[10] Legg S und Hutter M (2007) Universal Intelligence: A Definition of Machine Intelligence, arXiv:0712.3329v1

[11] Wikipedia (2023b) Occam’s razor, https://en.wikipedia.org/wiki/Occam%27s_razor, zugegriffen am 21.03.2023

[12] Park D (2023) Paper Summary: Universal Intelligence: A Definition of Machine Intelligence, https://crystal.uta.edu/~park/post/universal-intelligence/, zugegriffen am 06.03.2023

[13] Russel S und Norvig P (2016) Artificial Intelligence – A modern approach, Third Edition, Prentice Hall Series in Artificial Intelligence Series, Pearson Education Limited

[14] Krüger R (2021) Die Transformer-Architektur für Systeme zur neuronalen maschinellen Übersetzung – eine popularisierende Darstellung, in trans-kom 14 [2], Seite 278-324

[15] Doshi K (2022) Transformers Explained Visually: How it works, step-by-step published January 2, 2021, towardsdatascience.com, zugegriffen am 10.05.2022,  (Part 1, 2, 3, 4), https://towardsdatascience.com/transformers-explained-visually-part-1-overview-of-functionality-95a6dd460452, https://towardsdatascience.com/transformers-explained-visually-part-2-how-it-works-step-by-step-b49fa4a64f34, https://towardsdatascience.com/transformers-explained-visually-part-3-multi-head-attention-deep-dive-1c1ff1024853, https://towardsdatascience.com/transformers-explained-visually-not-just-how-but-why-they-work-so-well-d840bd61a9d3

[16] Gosthipaty A R und Raha R (2022) A Deep Dive into Transformers with Tensorflow and Keras, Part 1-3, PyImagesearch.com, published November 2022, zugegriffen am 06.12.2022, https://pyimagesearch.com/2022/09/05/a-deep-dive-into-transformers-with-tensorflow-and-keras-part-1/, https://pyimagesearch.com/2022/09/26/a-deep-dive-into-transformers-with-tensorflow-and-keras-part-2/, https://pyimagesearch.com/2022/11/07/a-deep-dive-into-transformers-with-tensorflow-and-keras-part-3/

[17] Cristina S (2023) Training the Transformer Model, https://machinelearningmastery.com/training-the-transformer-model/, updated am 06.01.2023, zugegriffen am 20.03.2023

[18] Bischoff M (2023) Wie man einem Computer das Sprechen beibringt, https://www.spektrum.de/news/wie-funktionieren-sprachmodelle-wie-chatgpt/2115924, veröffentlicht am 09.03.2023, zugegriffen am 20.03.2023

[19] Ruby M (2023) How ChatGPT Works: The Model Behind the Bot, https://towardsdatascience.com/how-chatgpt-works-the-models-behind-the-bot-1ce5fca96286, veröffentlicht am 30.01.2023, zugegriffen am 20.03.2023

[20] Wikipedia(2023) Autobot, https://en.wikipedia.org/wiki/Autobot, zugegriffen am 20.03.2023

AI & M 4.0: Sein als Netzwerk – Den Collective Mind als Netzwerk sichtbar machen

Über Jahrhunderte hinweg haben die berühmtesten Philosophen versucht das „Ding an sich“ auszuleuchten und zu finden. Es ist ihnen nicht gelungen, da es meines Erachtens das „Ding an sich“ nicht gibt.

Es gibt Dinge oder Objekte, aber diese werden ganz entscheidend durch ihre Wechselwirkung mit ihrer Umgebung bestimmt. – Andere Umgebungen und schon sind Objekte oft ganz anders. – Die Relationen, also die Beziehungen, zwischen den Objekten bestimmen ganz entscheidend das Sein. – Deswegen habe ich diesem Blog-Beitrag den Titel „Sein als Netzwerk“ gegeben.

Das Studium von Netzwerken in Natur, Sozialem oder Technik mittels mathematischer Methoden ist schon mehrere hundert Jahre alt und ist eng mit dem Namen des französischen Mathematiker’s Pierre-Simon Laplace verbunden [1]. – Im zwanzigsten Jahrhundert wurde die Netzwerkanalyse zu einer vollständigen Disziplin, u.a. in den Sozialwissenschaften, ausgebaut [2], [3].

Die erfolgreiche Netzwerkanalyse ist einer der Grundpfeiler für den Erfolg von google: Der PageRank Algorithmus misst die Bedeutung von Internetknoten (homepages) im Netzwerk Internet [4]. – Weiter unten werde ich diesen Algorithmus für das Vermessen der Bedeutung von Begriffen in einem Text benutzten. – Denn ich nehmen an, dass bedeutende Begriffe und deren Relationen die mentale Ausrichtung eines Teams beschreiben.  

Die Netzwerkanalyse, oft auch Graphentheorie genannt, hat in den letzten Jahren im Bereich AI/ML eine enorme Bedeutung erhalten: Graphentheorie und Neuronale Netzwerke sind eine Relation 😉 eingegangen. Es entstand die AI/ML Disziplin Graph Neural Networks (GNN) [5]. – Im letzten Blog-Beitrag war Word-embedding der Schwerpunkt. GNN basieren auf dem Embedding von Netzwerken in höher-dimensionale abstrakte Räume. – Einige der aktuellen spektakulären AI/ML Erfolge, wie zum Beispiel in der Medikamentenerforschung, gehen auf diese Relation von Graphentheorie und AI/ML zurück.

GNN sind high-end AI/ML Systeme, die aktuell sehr viel Know-How erfordern. In vielen Fällen dürfte es jedoch genügen, Netzwerke lediglich sichtbar zu machen und erste Analysen, wie den mathematisch recht einfachen PageRank Algorithmus, anzuwenden. Genau dies will ich in diesem Artikel an einem Beispiel demonstrieren. – Hierbei steht, wie schon im letzten Beitrag, die grundlegende Idee im Vordergrund und nicht die Erzeugung oder Vermarktung eines vollständigen Produktes.

In meinem Blog-Beitrag vom Dezember 2021 habe ich erstmals für die IPMA PM Kompetenzbereiche Beispiele zu Graphen Anwendungen genannt. Hier nochmals einige Beispiele:

Führung und Stakeholder: Soziale Netzwerke können mittels Graphen oder GNN analysiert werden. Dies kann auf Teamebene und auf der Ebene aller Stakeholder erfolgen. Hierzu wird u.a. der eMail-Austausch einer Organisation analysiert und in einem Graphen sichtbar gemacht. Relative einfache Werkzeuge, wie der PageRank Algorithmus zeigen die relative Bedeutung von Knoten (d.h. hier Personen) im Netzwerk an.

Führung, Kommunikation, Teamarbeit: Die verbale Kommunikation wird mittels Graphen analysiert und die Analyse wird als Feedback in das Team gegeben. Oder die AI/ML Analyse unterstützt die Führungskraft bei ihrer Selbstreflexion und abgeleiteten Team-Interventionen. Aus der Analyse der Kommunikation lassen sich auch Collective Mind Target Hierarchien erzeugen. Das Beispiel, das ich weiter unten skizziere, gehört in diese Kategorie.

Planung und Steuerung: Aus Texten werden Graphen abgeleitet, aus denen wiederum Projektpläne erzeugt werden. Auf der Basis der Graphen und mittels GNN werden u.a. Risiken ermittelt und Aufwände abgeleitet. Diese Informationen können im Projektzeitverlauf auch für das Projektmonitoring verwendet werden.

Die letzte Kategorie ist eine deutlich anspruchsvollere Aufgabe als die beiden vorherigen Anwendungskategorien. Die beiden ersten Anwendungskategorien lassen sich in der ersten Ausbaustufe mit den in diesem Blog skizzierten Techniken bewältigen.

Im letzten Blogbeitrag habe ich die Ähnlichkeit von (gesprochenen) Texten, d.h. die Similarity, dazu benutzt, ein Maß für die Stärke des Collective Mind abzuleiten. In diesem Fall wurden Wort-Relationen über deren Einbettung in einen hochdimensionalen abstrakten Raum benutzt, um die Similarity zu berechnen.

In diesem Blogbeitrag will ich die Graphentheorie und AI/ML dazu benutzten, Texte auf enthaltene Relationen zu analysieren und diese Relationen in einem Graphen sichtbar zu machen. – Es steht also die Visualisierung von Kommunikation im Vordergrund: Die Visualisierung mittels Graphen macht in einer Kommunikation sehr schnell Zusammenhänge sichtbar. Die These ist, dass über visualisiertes Feedback in ein Team, der Prozess der Collective Mind Ausbildung deutlich beschleunigt wird.      

Ich benutze den Code von Thomas Bratanic [6], der auf towardsdatascience.com zu finden ist. Towardsdatascience.com ist eine hervorragende Fundgruppe für alle möglichen Fragestellungen rund um das Thema AI/ML.

Bratanic demonstriert die Graphenanalyse am Beispiel der Analyse von Wikipedia-Seiten zu drei Wissenschaftlerinnen. Hierzu werden die Wikipedia-Seiten in page.summaries mit einfachen Sätzen zusammengefasst. – Wir werden später sehen, dass diese einfachen Sätze (derzeit noch) notwendig sind, um die NLP-Verarbeitung gut durchzuführen. Abbildung 1 zeigt einen Auszug aus diesem Ergebnis:

Abbildung 1: Auszug einer Analyse von Wikipedia Daten zu drei Wissenschaftlerinnen gemäß Thomas Bratanic [6].

Die Grundidee ist einfach: Es werden Sätze in Texten oder Gesprochenem in „Subjekt-Relation->Objekt“ Strukturen (S-R->O Strukturen) zerlegt. Zum Beispiel ergibt der Satz „Alfred wohnt in Stolberg.“ die Struktur „Alfred – wohnt in -> Stolberg“. Die gefundenen S-R->O Strukturen werden in eine Graphen-Datenbank transferiert. Hier können verschiedene Netzwerkanalysen durchgeführt werden.

Die AI/ML Technik hierzu ist schon nicht mehr so einfach: Wie im letzten Blog-Beitrag kommt die NLP-Bibliothek spaCy [7] zum Einsatz. Hinzukommen diverse raffinierte NLP-Python-Skripte, die high-end Transformator Pipeline aus der tensorflow-Technologie [8] und zum Schluss die Graphendatenbank Neo4j [9]. Das Ganze ist nach diversen Anpassungen und einige Zeit später als Jupyter-Notebook [10] in der Colab-Umgebung [11] lauffähig.

Wie schon im letzten Blogbeitrag, habe ich der Einfachheit wegen den Text der Definition von Agile Management 4.0 benutzt. Der erste Lauf mit diesem Text zeigt jedoch, dass kaum Relationen extrahiert wurden. – Der Text ist zu verschachtelt geschrieben. Dementsprechend habe ich ihn in einfache Sätze umgeschrieben. – Ich hätte auch einen entsprechenden AI/ML pre-processing Schritt vorwegschalten können, der Text in einfachen Text mit S-R->O Strukturen transformiert. Dies hätte den Aufwand jedoch deutlich erhöht. – Mit entsprechenden AI/ML Techniken stellt dies jedoch kein prinzipielles Problem dar. – Ich habe den Text auch teilweise belassen wie er ist, um die Auswirkungen zu sehen.

 
Hier der verwendete Text:

“Agile Management is a leadership and management practice. Agile Management is able to act in an agile and proactive way. Agile Management is for acting in a complex environment. The complex environment is characterized by uncertainty. Agile Management is described as an Agile Mindset. The Agile Mindset is focused on leadership. The basis of leadership is self-leadership. Leadership is based on respect for basic human needs. Leadership demands an understanding of complex systems. Leadership regulates complexity. Regulation of complexity is done by iterative procedures. Leadership is based on people who use self-organization in teams. Agile Management creates fluid organizations.  Fluid organizations promote adaptable and fast delivery of useful results and create innovative customer solutions through proactive dealing with changes.”

Dieser Text wird von dem AI/ML-System in S-R->O Strukturen transferiert, die in der Graphendatenbank Neo4j folgende Visualisierung erhalten:

 

Abbildung 2: Screenshot der Neo4j Visualisierung der NLP extrahierten S-R->O Strukturen.

Agile Management und leadership werden als zentrale Knoten erkannt. Die Sätze

„Regulation of complexity is done by iterative procedures.”

und

Fluid organizations promote adaptable and fast delivery of useful results and create innovative customer solutions through proactive dealing with changes.”

sind in zwei getrennten Netzwerkclustern enthalten.  Der zweiten Satz ist auch nicht vollständig abgebildet. Dies ist meinem unzureichenden manuellen Pre-Processing geschuldet. Bei diesem Satz kann man auch schön erkennen, dass „Fluid organization“ und „fluid organization“ nicht als gleiche Nomen erkannt werden.

Für den ganzen Text gilt, dass die Verben des Textes in allgemeinere Relationsbezeichnungen abgebildet werden. Diese haben ihren Ursprung in einem entsprechenden vorgegebenen NLP Training von spaCy.

Auch mit diesen Einschränkungen stellt die Visualisierung des Textes einen erheblichen Mehrwert dar: Denn man möge sich nur vorstellen, dass ein entsprechendes AI/ML System online und ad hoc Teamkommunikation auf solche Weise visualisiert als Feedback an das Team zurückgibt. – Dies würde meines Erachtens den Kommunikationsprozess erheblich beschleunigen und die Visualisierung wäre auch gleichzeitig eine Visualisierung des gerade vorhandenen Collective Mind’s. Im Falle einer komplexen Kommunikation wäre die Visualisierung um so hilfreicher: Dies umso mehr, wenn die Visualisierung mehrere oder viele Netzwerkcluster zu Tage fördern würde. Dies entspräche mehreren Gesprächsthemen oder -lagern, die ggf. für mehrere (konkurrierende) Collective Mind’s stünden.

Neben der Visualisierung können diverse Werkzeuge der Netzwerktheorie verwendet werden, um Netzwerke zu analysieren [12]. – Dies ist umso notwendiger, je komplexer die Netzwerke aus Personen, Worten, homepages, Molekülen usw. sind.  Neo4j stellt mehr als hundert solcher Werkzeuge zu Verfügung, u.a. auch den PageRank Algorithmus. Abbildung 3 zeigt die PageRank-Auswertung für den Graphen aus Abbildung 2.

Abbildung 3: PageRanking für den Graphen aus Abbildung 3

Das PageRanking ist für diesen einfachen Graphen sicherlich keine große Überraschungen: Agile Management und leadership sind die beiden Begriffe, die im Netzwerk gemäß diesem Algorithmus am wichtigsten sind. Für größere Graphen erwarte ich jedoch erhebliche Überraschungseffekte in den Teams oder Organisation, deren Kommunikation auf diese Weise analysiert wird.

Agile Management und leadership sind zwei Begriffs-Attraktoren, die die Ausrichtung der gedachten Teamkommunikation, anzeigen: Das Begriffs-Netzwerk visualisiert den Collective Mind oder den fehlenden Collective Mind einer Kommunikation, je nachdem wie viele konkurrierende Netzwerkcluster (Communities) mit ähnlichem PageRanking es gibt.

Dieses kleine Beispiel illustriert, dass man mit den Mittel von AI/ML erhebliche Informationen über Teams oder Organisationen gewinnen kann. Diese Informationen können im Guten wie im Bösen eingesetzt werden. Berücksichtigt man, dass das Know-how von google und Co. Lichtjahre weiter ist als mein Eigenes, so ist die Einbettung in eine AI Ethik um so wichtiger. Deshalb beabsichtige ich, mich im nächsten Blog mit dem EU AI Act zu beschäftigen [13].

 

[1] Laplace Matrix (2022) https://en.wikipedia.org/wiki/Laplacian_matrix, Wikipedia, zugegriffen am 19.06.2022

[2] Jansen D (1999) Einführung in die Netzwerkanalyse, VS Verlag für Sozialwissenschaften

[3] Wasserman S, Faust K (1994) Social Network Analysis, Cambridge University Press

[4] PageRank (2022) https://en.wikipedia.org/wiki/PageRank, Wikipedia, zugegriffen am 19.06.2022

[5] Hamilton W L (2020) Graph Representation Learning, Morgan&Claypool Publishers

[6] Bratanic T (2022) Extract knowledge from text: End-to-end information extraction pipeline with spaCy and Neo4j, published May 6, 2022, https://towardsdatascience.com/extract-knowledge-from-text-end-to-end-information-extraction-pipeline-with-spacy-and-neo4j-502b2b1e0754, towardsdatascience.com, zugegriffen am 10.05.2022

[7] spaCy (2022) https://spacy.io/models/de, zugegriffen am 20.04.2022

[8] Transformers (2022) https://huggingface.co/docs/transformers/main_classes/pipelines, huggingface.co, zugegriffen am 20.04.2022

[9] Neo4j (2022) neo4j.com, zugegriffen am 23.06.2022

[10] Jupyter Notebooks (2021) https://jupyter.org/, zugegriffen am 02.12.2022

[11] Colab (2021) https://colab.research.google.com/

[12] Scifo E (2020) Hands-on Graph Analytics with Neo4J, Packt Publishing, Birmingham, kindle edition

[13] EU AI Act (2022) https://artificialintelligenceact.eu/, Europe Administration

AI & M 4.0: Zur Erweiterung unserer Intelligenz und Realität durch Machine Learning (ML) und Artificial Intelligence (AI) im Management 4.0

Der ehemalige amerikanische Außenminister Kissinger sowie der ehemalige Google CEO Schmidt und der MIT Professor Huttenlocher haben zusammen vor ein paar Tagen ein bemerkenswertes Buch zu unserer Zukunft im Zeitalter der künstlichen Intelligenz herausgebracht. – Ich nenne wesentliche Aussagen dieses Buches [1]:

  • Machine Learning (ML) und Artificial Intelligence (AI) basieren auf völlig anderen Prinzipien als „klassische“ Software: Im Rahmen vorgegebener Selbstorganisations-Parameter (und Daten) organisiert sich eine AI selbst. – Sie bildet durch Training Modelle zu den eingegebenen Daten, also der ausgewählten Realität, ab. – Diese Modelle sind nicht perfekt, sie liefern Wahrscheinlichkeitsaussagen. – Und damit haftet diesen Modellen unmittelbar Unsicherheit an! – Gar nicht so unähnlich unserer Intelligenz!
  • Systeme künstlicher Intelligenz erkennen schon heute Muster in unsrer Realität, die unserer Intelligenz (bisher) verschlossen waren. – AI bildet erfolgreich Schachstrategien aus, die bisher kein Mensch verwendet hat oder findet wirksame Medikamente, die bisher unentdeckt geblieben sind, oder hilft Prinzipien der Physik und Mathematik zu entdecken usw. 
  • AI wird unsere Sicht auf die Realität wesentlich verändern, nicht nur quantitativ, sondern vor allem auch qualitativ! – Und dies in zweierlei Hinsicht: Die Entwicklung von AI sorgt für die Integration verschiedener Disziplinen wie Psychologie, Sozialwissenschaften, Naturwissenschaften, Informatik, Mathematik sowie Philosophie und führt in den jeweiligen Disziplinen zu neuen Erkenntnissen und Anwendungen.
  • Gesellschaftliche Systeme werden sich substanziell unterschiedlich entwickeln, je nachdem, ob in welchem Maße und in welcher Qualität ML/AI eingesetzt wird. – Dies wird sich zum einen auf globaler Ebene zeigen, und zum anderen wird es auch eine neue „Schichtung“ der Gesellschaft(en) entlang der individuellen ML/AI Kompetenzen hervorrufen. – Derzeit gibt es nur zwei relevante ML/AI Ecosysteme: USA und China. – Und diese Ecosysteme formen mit ihren ML/AI Systemen unsere (europäische) Zukunft!

Falls jemand diese Aussagen anzweifelt, so möge er sich die Internetseite von DeepMind [2] oder der AI community DeepAI [3] ansehen – die Zweifel dürften sehr schnell verschwinden.

Seit ein paar Monaten konfiguriere bzw. programmiere ich ML/AI Systeme, also Physical Technologies. – Ich tue dies auf der Basis des amerikanischen ML/AI Ecosystems, insbesondere von Google’s Colab [4], Python [5] und Jupyter Notebooks [6]: Ich lote aus, inwieweit diese Physical Technologies helfen könnten, die Social Technology Management 4.0 gemäß den obigen Aussagen zukunftsfähig zu machen. – Das heißt, die Management 4.0 Intelligenz durch ML/AI quantitativ und qualitativ zu erweitern.

Im Tun wird einem sehr schnell bewusst, dass das europäische ML/AI Know-How ganz wesentlich vom amerikanischen ML/AI Ecosystem dominiert wird. – Das amerikanische ML/AI Ecosysteme von Google, Facebook/Meta Platforms, Microsoft und Co. ist überwältigend! – Es gibt eine Vielzahl an öffentlich zugänglichen Plattformen mit einer enormen Anzahl von vortrainierten ML/AI Modellen, unzähligen Tutorials und Code-Beispielen. – Selbst die Nutzung generativer Natural Language Processing (NLP) Systeme der neuesten Generation oder sogar die Anbindung an Quantencomputing ist prinzipiell möglich.

Das amerikanische ML/AI Ecosystem ermöglicht auch Personen wie mir, deren ML/AI Know-how Lichtjahre vom google Know-how entfernt ist, in überschaubaren Schritten in die ML/AI-Welt einzusteigen. Google, Meta Platforms, Microsoft und Co. haben damit einen gesellschaftlichen Innovations-Feedback Mechanismus angestoßen, der der (amerikanischen) Gesellschaft – zumindest einem gewissen Teil davon – einen enormen Innovationsschub gibt: Das ML/AI Ecosystem trägt zu immer schnelleren und qualitativ neuartigen ML/AI Entwicklungen bei, teilweise sogar zu ML/AI Technologie-Revolutionen – man siehe [2] und [3].

Auch wenn nicht wenige Europäer zum amerikanischen ML/AI Ecosystem beitragen, so wurde mir im Tun „schmerzlich“ bewusst, dass wir Europäer auf der Ebene der gesellschaftlichen ML/AI Ecosysteme keine Rolle spielen. – Auch wenn es „kleine“ lokale ML/AI Ecosysteme wie das Tübingen AI Center gibt [6].
Mir sind keine öffentlich zugänglichen europäischen ML/AI Plattformen bekannt. Gerade im Natural Language Processing (NLP) Bereich gibt es nur wenige vortrainierte Modell für europäische Sprachen oder die deutsche Sprache. (Nahezu) alle Tutorials sind in Code und Daten auf den Englisch-sprachigen Bereich ausgerichtet…Dies dürfte nicht nur mir sehr viel mühsame Transferarbeit bescheren!

Man mag das amerikanische ML/AI Ecosystem durchaus auch kritisch sehen, jedoch kann man Google und Co. mit ihrer ML/AI open source Philosophie nicht absprechen, dass Sie einen erheblichen Beitrag für die (ML/AI-) Entwicklung der amerikanischen und auch westlichen Gesellschaft leisten. Schaue ich auf die deutsche Unternehmenslandschaft, so zahlen unsere Unternehmen nach meinem Wissen auf kein gesellschaftliches ML/AI Ecosystem ein. – Unsere deutsche (unternehmerische) Gesellschaft wird nach wie vor von Silo-Denken, Silo-Geschäftsmodellen und Silo-Handeln bestimmt. Das heißt auch, dass gemäß [1] die Entwicklung der europäischen Gesellschaft über kurz oder lang einen Mangel an erweiterter Intelligenz und erweiterter Realität spüren wird, falls dieser Mangel nicht schon jetzt vorhanden ist.

Die obigen Aussagen aus [1] entsprechen meiner Erfahrung und Wahrnehmung und sind ein Motiv, sich um die Verbindung von AI und Management 4.0 (AI & M 4.0) zu kümmern: AI kann dem Projektleiter sowie dem Team assistieren und, was vielleicht noch viel wichtiger ist, mentale Feedback Mechanismen anstoßen, die die kognitive menschliche Projekt- und Management-Intelligenz erweitern. Damit geht einher, dass das menschliche Bewusstsein sich erweitert und mentale wie gesellschaftliche Transformationen angestoßen und begleitet werden. – Die wahrgenommene Realität insbesondere in komplexen Projekten wird sich nach meiner Einschätzung durch ML/AI erheblich erweitern.

Ich liste im Folgenden AI & M 4.0 Anwendungskategorien, die nach meinem aktuellem Wissensstand für das (Projekt) Management von Bedeutung sein werden.- Ich kennzeichne die Kategorien durch AI/ML und eine fortlaufende Nummer. – Man siehe hierzu auch die phasenorientierte Zuordnung von PM Aktivitäten und AI/ML Techniken in [8].

AI/ML 1 – Numerische Feature-Multilabel (supervised) AI: Ein Sachverhalt wird über numerische Datenkategorien (Features) beschrieben und Anwendungstypen oder Klassen (man spricht von Labels) zugeordnet. Zum Beispiel nimmt ein AI System eine Aufwands- oder Kostenschätzung vor. Hierzu werden die Aufgaben gemäß bestimmter numerischer Features beschrieben und einer Aufwandsklasse, also einem Label, zugeordnet. Supervised bedeutet hier, dass die AI mit einer Feature-Label Zuordnung trainiert wird, die durch Menschen vorher vorgenommen wurde. Hierbei ist es meines Erachtens jedoch nicht notwendig, zuerst jahrelang solche Zuordnungen, also Daten zu sammeln. Die AI könnte vielmehr in laufende Aufwandsschätzungen gemäß Delphi oder Planning Poker eingebracht werden, im Wissen, dass die AI sich wahrscheinlich langsam aufbaut.    

AI/ML 2 – Text-Multilabel (supervised) Natural Language Processing AI: Ein Sachverhalt wird über Text bzw. Sprache beschrieben und Labels zugeordnet. Auch eine Aufwandsschätzung könnte auf diese Weise durch AI vorgenommen werden.- Die zu schätzenden Aufgaben liegen als Textbeschreibungen vor und für das Training werden durch Menschen Label-Zuordnungen vorgenommen. Text und Label werden im AI-Training verarbeitet. – Die AI ist also in der Lage natürliche Sprache (Natural Language Processing (NLP)) zu verarbeiten. Ein anderes Bespiel ist die Analyse von Verhalten, beschrieben in Textform und die Zuordnung zu Persönlichkeitslabels (Temperament, Werten, Grundannahmen, Glaubenssätzen, Prinzipien). – Die nachträgliche Analyse von Verhalten durch niedergeschriebenen Text ist relativ „einfach“.  – Eine direkte Analyse der Kommunikation z.B. während einer Teamsitzung ist jedoch wesentlich anspruchsvoller und entzieht sich derzeit (noch 😉) meinem Kenntnisstand. – Selbstverständlich kann auf dieser Basis auch eine organisationale Kulturanalyse vorgenommen werden, indem die Kommunikation (Gesprochenes, Dokumente, eMail, Chat) im Team oder in der Organisation ausgewertet wird.  

AI/ML 3 – Graph Neural Networks bzw. Graphen-Multilabel (supervised) AI: Sehr viele Sachverhalte in Natur, Sozialem und Technik lassen sich über Graphen bzw. Netzwerke beschreiben [9, 10]. Soziale Systeme bzw. Organisationen lassen sich gut über Social Networks darstellen. Der Projektstrukturplan bzw. der Projektplan sind spezielle Graphen. Die Zielhierarchie ist eine weiterer Graph. Zum Beispiel lassen sich aus der Kommunikation der Stakeholder Social Networks ableiten und diese Social Networks oder Social Networks Bausteine werden mit Labels versehen und dienen dem Training von AI/ML. Ein anderes Beispiel ist die Extraktion der Zielhierarchie aus einer Teamkommunikation und die anschließende „Überprüfung der Einhaltung“ der Zielhierarchie in der Stakeholderkommunikation. Oder, das Social Network eines Teams wird Performance Labels (z.B. Hochleistung, mittlere Leistung, dysfunktionale Leistung) zugeordnet.  

AI/ML 4 – Team-Sprachanalyse (unsupervised) AI: Die Sprache in Teams oder Stakeholdergruppen wird auf Gemeinsamkeiten untersucht. So lässt sich u.a. aus der Wortwahl von Teammitgliedern u.a. mittels der Bag of Word und word embedding Technologien auf deren „mentale Verwandschaft“ oder das Collective Mind schließen.

AI/ML 5 – Generative NLP (unsupervised) AI: Mittels generativer NLP AI Systeme [11, 12] lassen sich u.a. Vertragsdokumente bzw. Claim-Dokumente mittels weniger von Menschen eingegebener zentraler Prinzipien generieren. Diese Systeme können auch dazu benutzt werden, Abweichungen (also Vertrags- und Claimrisiken) zu identifizieren.

AI/ML 6 – Clustering (unsupervised) AI: Die AI clustered numerische oder Textdaten. Diese Cluster zeichnen sich durch charakteristische Cluster Eigenschaften aus und erlauben damit das Erkennen von Mustern in den Daten. Auf diese Weise können zum Beispiel Projekte, Aufgaben oder auch Stakeholder geclustert werden. – Einen ersten Eindruck von der Fähigkeit Neuronaler  Netzwerke zu clustern, bietet die „Spielumgebung“ von Tensorflow [13].

Diese sechs Kategorien lassen sich auch kombinieren, sei es, um ergänzende Informationen zu erhalten oder eine sogenannte AI/ML Verarbeitungspipeline aufzubauen.

Ich erwarte, dass mit gewonnener Erfahrung diese sechs Kategorien detailliert werden und auch weitere Kategorien hinzukommen.

Ich verwende diese sechs AI/ML Kategorien, um AI & M 4.0 zu beschreiben: Ich tue dies unter Verwendung der IPMA ICB 4.0 Kompetenzen [14] bzw. der Kompetenzen des Handbuches Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM4) der GPM [15]. Die nachfolgende Tabelle listet AI & M 4.0. Die Tabelle ist sicherlich nicht vollständig. – Sie gibt den aktuellen Stand meiner Überlegungen wieder; sie dürfte sich also noch ändern.

Die Tabelle zeigt, dass schon heute mit entsprechendem Know-how die (Projekt) Management Intelligenz und Realität deutlich erweitert werden kann. – Mit einem AI Know-How, das im amerikanischen ML/AI Ecosystem abrufbar ist.

Die kursive Schrift in der Tabelle zeigt an, dass in diesen Fällen eine Bearbeitung durch die GPM Fachgruppe Agile Management begonnen wurde.

Perspective – KontextkompetenzenAI & M 4.0: Erweiterte Management 4.0 Intelligenz und Realität mittels ML/AI
Strategie 
Governance, Strukturen und Prozesse 
Compliance, Standards und RegularienAI/ML 5: Ermittlung von Compliance und Risiken durch den Abgleich von Projektartefakten und Compliance-Dokumenten sowie Standards und Normen
Macht und Interessen 
Kultur und WerteAI/ML 2: Ermittlung des organisationalen Mindsets (Kultur) durch vortrainierte Neuronale Netzwerke (NN): transkribierte Sprache und Texte werden mittels eines Transformermodells wie BERT [16,17] einer Text-MultiLabel Analyse unterzogen. – BERT ist eines der wenigen Modelle, das auch in einer deutschen Sprachversion verfügbar ist.   In einem zweiten Schritt kann diese Information dazu benutzt werden, um die Heterogenität der Kultur in einer Organisation zu ermitteln. In dem vorhergehenden Blog-Beitrag habe ich dies als „Spinglass-Organisation“ bezeichnet.     
People – Persönliche und soziale Kompetenzen 
Selbstreflexion und SelbstmanagementAI/ML 2: Die Selbstreflexion und das Selbstmanagement wird durch einen Feedback Mechanismus zwischen AI und Projektmanager oder Teammitglied angestoßen. Die AI erweitert die Metakompetenz des PM und der Teammitgliedern, indem den Verhaltensweisen durch die AI Persönlichkeitsdimensionen (Temperament, Motive, Werte, Glaubenssätze) zugeordnet werden.
Persönliche Integrität und Verlässlichkeit 
Persönliche KommunikationAI/ML 2: Die Realität der Kommunikation verändert sich auf der Basis der veränderten Selbstreflexion. Zudem liefert die AI Informationen zu den Persönlichkeitsdimensionen aller kommunizierenden Teammitglieder.
Beziehungen und Engagement 
FührungAI/ML 2: Die Führungs-Metakompetenz wird erheblich erweitert, da Selbstreflexion und Kommunikation deutlich verbessert werden. – Die Decision Intelligence wird deutlich erweitert.   AI/ML 4: Die Team-Sprachanalyse ermittelt Gemeinsamkeiten und hilft Dysfunktionalitäten aufzudecken.   AI/ML 3: Social Networks werden mittels GNN (Graph Neural Networks) analysiert und gelabelt. Dies kann auf Teamebene und auf der Ebene aller Stakeholder erfolgen.
TeamarbeitAI/ML 4: Die Stärke des Collective Mind wird durch einen „Statthalter“ also eine proxy Collective Mind (proxyCM) abgebildet: CM ~ proxyCM. Als proxyCM können verschiedene Modelle dienen: Transkribierte Sprache von Teammitgliedern werden mittels sklearn [18] (Native Bayes Classification) den Teammitgliedern zugeordnet. Desto eindeutiger die Zuordnung ist, desto geringer ist das CM, oder anders ausgedrückt, falls ein Text mehreren Teammitglieder zugeordnet werden kann, so besteht ein „inhaltlicher Überlapp“. – Der proxyCM ist größer.   Des Weiteren können Redefrequenz und Redelänge als weitere Indikatoren für den proxyCM verwendet werden.   Mittels einer Bag of Word oder Word Vector Embedding Analyse [18, 19, 20, 21] wird die Wortwahl der Teammitglieder analysiert. Unterschiedliche Wortwahlen unterschiedlicher Teammitglieder zeigen ein schwaches proxyCM an, oder umgekehrt lassen ähnliche Begriffsschwerpunkte auf ein starkes proxyCM schliessen.    
Konflikte und KrisenAI/ML 2, 3, 4: Diese AI Erweiterungen der PM Intelligenz bzw. Metakompetenz sind auch gerade in Konflikten und Krisen von enormer Bedeutung
Vielseitigkeit 
VerhandlungenAI/ML 2, 3, 4: Diese AI Erweiterungen der PM Intelligenz bzw. Metakompetenz sind auch gerade in Verhandlungen von enormer Bedeutung. AI/ML 5: Zusätzlich ist es hilfreich Vertrags- und Claim-Dokumente einer AI Überprüfung zu unterziehen.
Ergebnisorientierung 
Practice – Technische Kompetenzen 
ProjektdesignAI/ML 6: Die AI ermittelt Komplexitätsklassen auf der Basis von numerischen und/oder textuellen Daten. Die Komplexitätsklassen sind die Basis des Projektdesigns
Anforderungen und Ziele 
Leistungsumfang und Lieferobjekte 
Ablauf und Termine 
Organisation, Information und Dokumentation 
Qualität 
Kosten und FinanzierungAI/ML 1, 2: Die Ermittlung von Aufwänden und Kosten gehört zu den „einfachen“ AI/ML Techniken. Lediglich die Beschaffung von Trainingsdaten ist vermutlich schwierig, da archivierte Projektdaten selten vorliegen.
Ressourcen 
Beschaffung 
Planung und SteuerungAI/ML 1: siehe Kosten und Finanzierung
Chancen und Risiken 
StakeholderAI/ML 2, 3, 4: Diese AI Erweiterungen der PM Intelligenz bzw. Metakompetenz sind für das Stakeholdermanagement von enormer Bedeutung
Change und TransformationAI/ML 2, 3, 4, 5: Hier können nahezu alle AI Techniken zum Einsatz kommen, um eine valide Entscheidungsbasis für Interventionen zu haben.
Tabelle: AI & M 4.0 unter Verwendung der ICB 4.0 / PM4 Kompetenzen

Die GPM Fachgruppe Agile Management sucht Mitglieder, die bereit sind, in die Untiefen 😉 der AI Erstellung, des Trainingsdaten Sammelns oder sogar der Anwendung im eigenen Unternehmen einzusteigen! – Wir freuen uns über eine Kontaktaufnahme unter agile-management@gpm-ipma.de!

[1] Kissinger HA, Schmidt E, Huttenlocher D (2021) The Age of AI: And Our Human Future, kindle edition
[2] DeepMind (2021) deepmind.com, zugegriffen am 02.12.2021
[3] DeepAI (2021) deepai.org, zugegriffen am 02.12.2021
[4] Colab (2021) https://colab.research.google.com/
[5] Python (2021) https://www.python.org/
[6] Jupyter Notebooks (2021) https://jupyter.org/, zugegriffen am 02.12.2021
[7] Tübingen AI Center (2021) tuebingen.ai, zugegriffen am 02.12.2021
[8] Nuhn H (2021) Organizing for temporality and supporting AI systems – a framework for applied AI and organization research, Lecture Notes in Informatics, GI e.V
[9] Veličković P (2021) Introduction to Graph Neural Networks, https://www.youtube.com/watch?v=8owQBFAHw7E, zugegriffen am 02.12.2021, man siehe auch petar-v.com
[10] Spektral (2021) https://graphneural.network/, zugegriffen am 02.12.2021
[11] GPT-3 (2021) https://openai.com/blog/openai-api/, zugegriffen am 09.12.2021
[12] Gopher (2021) https://deepmind.com/blog/article/language-modelling-at-scale,
[13] Neuronales Netzwerk „zum Spielen“ (2021) https://playground.tensorflow.org, zugegriffen am 02.12.2021
[14] GPM (2017) Individual Competence Baseline für Projektmanagement, IPMA, Version 4.0 / Deutsche Fassung
[15] GPM (2019) Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM4), Handbuch für Praxis und Weiterbildung im Projektmanagement
[16] Tensorflow (2021) google Entwicklungsplattform, https://www.tensorflow.org, zugegriffen am 02.12.2021
[17] BERT (2021) NLP Transformer Model BERT, https://huggingface.co/models, zugegriffen am 02.12.2021
[18] Scikit-learn (2021) https://scikit-learn.org/, zugegriffen am 02.12.2021
[19] Gensim-word2vec (2021) https://www.kaggle.com/pierremegret/gensim-word2vec-tutorial, zugegriffen am 02.12.2021
[20] Word-Vector-Visualisation (2021) https://www.kaggle.com/jeffd23/visualizing-word-vectors-with-t-sne/notebook, zugegriffen am 02.12.2021
[21] Spacy (2021) https://spacy.io/models/de, zugegriffen am 02.12.2021