Im Spiegel, Ausgabe 34/2017, wird unter dem Titel „Made in Germany“ das Desaster des Berliner Flughafen Baues BER beschrieben.
Ich kann nicht beurteilen, ob die Darstellungen der Wahrheit entsprechen, gehe aber davon aus, wenngleich dies für die nachfolgenden Betrachtungen unerheblich ist. Wir nehmen einfach mal an, dass die Beschreibung des Spiegels ein Beispiel skizziert, wie es in der Praxis sein könnte. Gleichwohl ist mir kein Beispiel aus meiner Praxis bekannte, das so konsequent Verhaltensweisen aufweist, wie sie im Falle des BER wohl aufgetreten sind. Einzelne Facetten dieser Verhaltensweisen finden sich jedoch immer wieder in Projekten.
Schauen wir uns das Beispiel des BER aus meiner Brille an.
In meiner Beratungs- und Trainingspraxis verwende ich u.a. zur Beschreibung von Management 4.0 eine Faustregel, die aus drei Faktoren besteht:
Management = Mindset * Governance * Arbeitstechnik.
Die drei Faktoren Mindset, Governance und Arbeitstechnik werden in dieser Faustregel durch Multiplikationszeichen verbunden. Die „Größe“, also Effizienz und Effektivität, von Management wird also durch das Mindset (die innere Haltung), das Setzen geeigneter Leitplanken (Governance) und durch ein oder mehrere Arbeitstechniken bestimmt. Das Mindset wird durch ein Modell, die Dilts Pyramide, beschrieben. Mit dem zentralen Modell der Dilts Pyramide lässt sich zu den einzelnen Ebenen der Dilts Pyramide unter Verwendung weiterer Modelle, die innere Haltung von einzelnen Personen, die Haltung eines Teams oder die Kultur einer Organisation oder einer ganzen Gesellschaft ziemlich gut beschreiben. Ich verweise auf das Buch „Projektmanagement am Rande Chaos“ und darin enthaltene Verweise auf weiterführende Literatur. Die Governance, also die Ausgestaltung der Führung mittels Leitplanken, in denen sich ein Team oder eine Organisation bewegen soll, hängt natürlich in seiner ausgebildeten Struktur und Dynamik von dem jeweiligen herrschenden Mindset ab. Die Leitplanken führen unmittelbar zu Vorgehensmodellen oder Handlungsrahmen, die verschiedene einzelne Arbeitstechniken bündeln.
Im Agilen Management 4.0 entspricht das Mindset einem Agilen Mindset, in dem auf der Ebene der Werte und Glaubenssätze, Werte wie Offenheit, Vertrauen, Transparenz, Fokus, Mut und Commitment zu finden sind. Als einer der zentralen Glaubensätze ist dort auch angesiedelt „Teams zeigen Hochleistung, wenn man sie zur Selbstorganisation führt“. Deshalb orientiert sich die Governance im Management 4.0 daran, eine Organisation (Team, Abteilung, Unternehmen) zur Selbstorganisation zu führen. Arbeitstechniken werden so ausgewählt, dass sie das Mindset und die Governance entsprechend unterstützen und fördern.
Im Gegensatz zum Management 4.0 wird in den Unternehmen oder der öffentlichen Verwaltung nach wie vor ein Management praktiziert, das beliebig weit von einem Management 4.0 entfernt ist. Nehmen wir auch hier wieder für das Mindset nur die Ebene der Werte und Grundannahmen, so herrschen nach wie vor Macht, Misstrauen, Intransparenz, kein Fokus (u.a. heißt dies, dass die Mitarbeiter auf vielen Hochzeiten tanzen), Angst und eine dementsprechend geringe Verbindlichkeit vor. Die Governance wird u.a. von dem Glauben beherrscht, dass Prozesse und Strukturen Sicherheit und Stabilität geben. Entsprechend sind auch die einzelnen Techniken ausgerichtet, sei es, um nur zwei Beispiele zu nennen, dass man an die Sinnhaftigkeit von „stabilen“ Projektplänen als Steuerungsinstrument von komplexen Vorhaben glaubt oder auch die von individuellen Zielvereinbarungen zur Entwicklung von Teams.
Die Umsetzbarkeit von Agilem Management wird dann oft daran gemessen, ob sich diese, in solch „aberwitzigen verbogenen“ Made-in-Germany Struktur anwenden lässt. Falls nicht, ist das Agile Management nicht praktisch. Es kommt aber selten jemand auf die Idee, die zugrundeliegende Organisation im Mindset und der damit verbundenen Governance grundsätzlich in Frage zu stellen.
Die Geschichte des BER ist, aus meiner Sicht, die Geschichte einer solch „aberwitzigen verbogenen “ Made-in-Germany Struktur.
Nach der Schilderung des Spiegels, hat das Ganze seine Wurzel in dem Mindset von Herrn Wowereit, der als politische Führungskraft vom Spiegel durch Sätze, wie folgt, charakterisiert wird:
„Ich bin der Koch, du bist der Kellner.“
„So, Freunde, ab heute gelten andere Regeln. Ich bin der, der hier bestellt – und ihr wollt uns ja sowieso nur von vorn bis hinten betrügen.“
Es ist unschwer zu erkenne, dass solch ein Mindset von Macht, Arroganz, Selbstüberschätzung, Narzissmus, Abwertung des Anderen, Misstrauen und damit der völligen Abwesenheit von Führungskompetenz gekennzeichnet ist.
Da ein solches Mindset in der direkten Kommunikation, aber auch in der bewussten wie unbewussten Ausgestaltung der Governance, verherrende Folgen haben muss, wäre eine mentale Veränderungsarbeit an der Führungskraft unabdingbar. Da diese Arbeit, wenn sie denn überhaupt von Erfolg gekrönt wäre, erst nach Jahren der Veränderungsarbeit Erfolg zeigen dürfte, bleibt in solch einem Fall lediglich das Absetzen der entsprechenden Führungskraft als alleiniges Mittel. Dies setzt natürlich voraus, dass diejenigen, die im politischen Umfeld die Verantwortung für die Besetzung tragen, den Mut haben, unbequeme Konsequenzen zu ziehen. Im vorliegenden Fall, wie aber auch in verschiedenen Beispielen der letzten Jahre der „freien“ Marktwirtschaft, sind mit solchen Fehlbesetzungen leider Milliarden Euro zu Lasten der Steuerzahler verbunden. Leider werden die Verantwortlichen selten zur Verantwortung gezogen, denn an anderer Stelle fürchtet man daraus abgeleitete Ansprüche, die dann zu weiteren Ruf- und Finanzschäden führen könnten.
Dass wenig Transparenz bezüglich der Persönlichkeitsmerkmale und der Kompetenzen der Führungskräfte besteht, zeigen die im Spiegel angeführten Besetzungen zu nachgeordneten Führungskräften im BER.
Der Spiegel schreibt u.a. zum Rollenverständnis der BER Geschäftsführer Schwarz und Körtgen: „Wie Ihnen sicherlich bekannt sein dürfte“, schreibt Schwarz, „ist mein Kollege Herr Körtgen primär für Planung und Bau BBI zuständig. …“. Dies zeigt wie neben Macht und Arroganz, Silo-Denken die nächste Führungsebene beherrscht hat bzw. evtl. noch weiter beherrscht.
Dies ist sicherlich keine ungewöhnliche Ausprägung von Werten in Führungsebenen, beginnend mit den Werten für die Herr Wowereit steht, wenngleich sie in dieser geballten Vehemenz und Kombination nicht so oft zu finden sein dürfte.
Auffallend ist auch die Auswahl von Herrn Mehdorn als Führungskraft durch die Politik und die Beschreibung seines Verhaltens:
„….. Er trommelt mit den Fingern …“ „…Leute, die mit Mehdorn gearbeitet haben, sagen ungefähr dasselbe in vielen Variationen. Dass er ein Energiebündel sei, ein Kraftpaket …“ „…Er ist ein Antreiber, der „Sprint“-Programme verkündet…“
In diesem Fall ist die Politik wohl einer mentalen Verzerrung, dem Halo-Effekt unterlegen, verbunden auch noch mit einer verzerrenden Repräsentationsheuristik (man siehe hierzu auch das Buch „Projektmanagement am Rande des Chaos“): Herr Mehdorn hat wohl, aus Sicht der Politik, schon so manches Unternehmen aus dem Sumpf geführt (was vielleicht der ein oder andere auch anders sehen mag). – Dann wird er dies auch im Falle des BER schaffen und er ist energiegeladen, das ist die beste Voraussetzung steckengebliebene Projekte wieder in Gang zu bringen. Dies zeigt, dass Projekterfahrung (keine Linienmanagement Erfahrung!) für komplexe Flughafen-Bauvorhaben und die nötige Umsicht in der Regulierung von sozialer und technischer Komplexität offensichtlich keine Rolle bei der Auswahl der Führungskraft gespielt haben können.
Aufgrund dieser Beispiele darf man sicherlich feststellen, dass das Mindset der Führungskräfte des BER von Narzissmus, Arroganz und Selbstüberschätzung, sowie einer großen Portion von Engstirnigkeit und Silo-Denken beherrscht wurde (bzw. wird?). Komplexe Vorhaben erfordern hingegen Offenheit und vernetztes systemisches Denken und Handeln, verbunden mit einer gehörigen Portion an Selbstreflexion und Demut sowie der Einsicht in eigene Kompetenzgrenzen.
Auf der Basis des geschilderten Mindset bildet sich nahezu automatisch eine gelebte Governance aus, die sich, wie der Spiegel auch schildert, durch einige zentrale Leitplanken charakterisieren lässt:
- Die Abschaffung eines kompetenten Generalunternehmers und der damit verbundene Verlust einer Verantwortungshierarchie münden in ein „viele Köche kochen an der selben Suppe.“ – U.a. gab es wohl einen ganzen Zoo an Architektur-, Planungs- und Beratungsunternehmen.
- Es wird im „klassischen“ Auftraggeber-Auftragnehmer Verhältnis gehandelt: Der Auftraggeber schiebt die Verantwortung „erpresserisch“ auf den Auftragnehmer. Er mischt sich in dessen Arbeit ein, und erzeugt für sich selbst keine Verbindlichkeit in den Anforderungen, fordert aber gleichzeitig Verbindlichkeit in Zeit, Budget und Qualität vom Auftragnehmer.
- Die Komplexität der Anforderungen wird einfach „rosarot ausgeblendet“, dies führt zu einem Handeln nach „Gutsherrenart“; es werden einfach nach Gutdünken neue Anforderungen geschaffen oder Anforderungen umformuliert, je nach neuen „Erkenntnissen“.
- Die ausführenden Unternehmen bzw. Teams verlieren den Glauben in Führung und Planung und entscheiden völlig selbständig ohne entsprechenden Gesamtüberblick über ihre Aktivitäten.
Zusammenfassend kann man sagen: Das geschildert Mindset und die daraus entstandenen Governance Leitplanken sind völlig ungeeignet ein komplexes Projekt erfolgreich zu Ende zu führen, sie führen nahezu automatisch ins „Chaos“. Jegliche Form von Arbeitstechniken, wie z.B. die Ermittlung des Projektfortschritts und der Meilensteinplanung sind wirkungslos und sind zum Scheitern verurteilt. – Dies konnten wir ja, nahezu täglich, in den öffentlichen Nachrichten der letzten Jahre recht gut mitverfolgen.
Es bleibt die vage Hoffnung, dass sich eine in zehn Jahren etablierte Projektkultur korrigieren lässt und auch mutig korrigiert wird, indem man einfach mal das Gegenteil von dem macht, was man bisher für richtig gehalten hat.