Vom Unterschied, der den Unterschied macht: „Principles rather than processes are what matter.”

Zurzeit schießen in Veröffentlichungen und Social Media die Vier-Schritt-Zyklen Modelle wie Pilse aus dem Boden (was nicht verwunderlich ist, man will ja smarter und agiler sein), z.B.:

OODA (Observe, Orient, Decide, Act), ursprünglich aus dem Militärischen kommend als Entscheidungsschleife im Feld gedacht, wird für das Agile Management diskutiert [1].

PPCO (Pluses (Vorteile), Potentials (Zukunftschancen), Concerns (Bedenken), Overcome Concerns (Überwinden der Bedenken)), gedacht als Modell um „Souveränität im Methodenwahn“ zu zeigen und Methoden auszuwählen, also gerade nicht immer eine „neue Sau durch’s Dorf zu treiben“ [2] – Ironischer Weise wird, um dies zu erreichen, gleich ein „neues“ Modell/Methode mitgeliefert.

BRDG (Break a problem into parts or steps, Recognize and find patterns or trends, Develop instructions to solve a problem or steps for a task, Generalize patterns and trends into rules, principles, or insights) als Prozess Beschreibung für das “Computational Thinking” eines “Algorithmic Leader’s” [3].

Auch die Agilen Handlungsrahmen basieren ganz wesentlich auf einem PDCA (Plan Do Check Act) oder einem PDIA (Plan Do Inspect Adapt) Zyklus [4]. – Nicht wenige Agilisten legen großen Wert darauf, dass PDCA und PDIA zwei völlig unterschiedliche Modelle sind, denn warum sonst hätte man zwei Namen.

Im Management 4.0 [4] und in [5] verwenden wir den PDCA für die kontinuierliche und situative Anpassung von Erfolgsfaktoren und Erfolgskriterien (siehe Abbildung 1) und schlagen auch ein Vier-Schritte-Transformationsmodell vor, das dem menschlichen kognitiven Prozess der situativen Anpassung folgt (Druckpunkte ausleuchten, Organisationale Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparameter extrahieren, Handlungsfelder des Collective Mind ausformulieren, Lernende Organisation einführen).

Abbildung 1: PDCA der Erfolgskriterien-Erfolgsfaktoren Anpassung

Es stellt sich die Frage, sind dies alles unterschiedliche Modelle bzw. Methoden oder ergäbe sich bei einer höheren Abstraktionsstufe eine klarere und gleichzeitig einfachere Sicht.

Bevor ich die Frage beantworte, ein weiteres Beispiel des „Vielzahl-Methodenwahns“:

Im Linienmanagement und im Projektmanagement kennt man seit vielen Jahren den Begriff der Ziel-Hierarchie.

Im Critical Chain Projekt Management kennt man seit mehr als 30 Jahren die Ziel-Hierarchie „Strategie- und Taktik-Baum“.

Auch der Agile Handlungsrahmen Scrum kennt Vision, Sprint-Goal und User Strories ggf. Tasks usw..

Die Scaled Agile Frameworks arbeiten mit Story Maps bestehend aus (Vision), Epics, Features, User Stories, usw..

In den letzten Monaten tauchen immer häufiger die sogenannten OKR’s (Objectives and Key Results) auf, obwohl diese schon fast zwei Jahrzehnten von google als Ziel-Hierarchie eingesetzt werden. Agile Kollegen wundern sich, dass Scrum Teams, die schon lange mit Scrum arbeiten, sich mit den OKR’s schwertun und gleichzeitig betonen sie den notwendigen Kulturwandel, um mit OKR’s arbeiten zu können [6].

Auch wir verwenden in Management 4.0 eine Ziel-Hierarchie, die bei einer Vision, einem „Großen Bild“ beginnt und wie ein Baum „unendlich viele“ Verästelungen hat. Wir setzen die Verästelungen aus Bausteinen (Fraktalen) von jeweils 3 Stufen zusammen (auf der jeweils dritten Ebenen (Wie-Ebene) werden die „Teile“ zu je einem neuen „Big Picture“ für das nächste Ziel-Hierarchie-Fraktal, siehe Abbildung 2). 

Abbildung 2: Ziel-Hierarchie des Management 4.0

Wie beim o.g. Beispiel der Vier-Schritt-Zyklen Modelle werden auch diese Methoden bzw. Modelle der Ziel-Hierarchie als „völlig getrennte Welten“ wahrgenommen und als „neu und anders verkauft“.

Abstraktion ist das Schlüsselwort, um die „Vielzahl“ schrumpfen zu lassen. Walsh [3] postuliert als die Schlüsselkompetenz von Führungskräften im Digitalen Zeitalter die Fähigkeit zur Abstraktion und kristallisiert dies in der Aussage „Principles rather than processes are what matter.” Mit dieser Feststellung gibt er auch indirekt gleichzeitig zu verstehen, dass diese Schlüsselkompetenz heute bei Führungskräften nicht sehr verbreitet ist. – Die Fähigkeit zur Abstraktion bezeichnen wir im Management 4.0 als Meta-Kompetenz. Hiermit meinen wir die Fähigkeit vom jeweiligen Kontext einer Situation zu abstrahieren und auf der Basis von Werten, Grundannahmen und Prinzipien fundamentale Erkenntnisse und dazugehörige Modelle kontextspezifisch anzuwenden. – Wir nennen diese kontextspezifischen Ausprägungen von fundamentalen Erkenntnissen und Modellen, Sozialtechniken.

Aus diesem Grunde sind alle Vier-Schritte-Zyklen Modelle kontextspezifische Ausprägungen eines Modells, das wir der Einfachheit und dem Respekt der Erstautorenschaft wegen, PDCA-Zyklus oder Deming-Kreis nennen: Entscheidend ist, dass der PDCA-Zyklus eine iterative, validierende Anpassung des Handelns in seiner allgemeinsten Form zum Ausdruck bringt. Bei entsprechender Abstraktion ist es gleichgültig, auf welcher Zeitskala diese Anpassung stattfindet. Im Feld aber auch in einer Sitzung, einem Workshop ist oft eine schnelle und passende Aktion/Intervention erforderlich: Die Wahrnehmung, die Beobachtung liefert den Hinweis für unser Gehirn um mittels Intuition (d.h. geronnener Erfahrung, dies ist auch eine Form von vorgefertigtem Plan) eine Aktion/Intervention einzuläuten, die dann auf ihre Wirksamkeit überprüft und ggf. angepasst wird [5]. So gesehen, also bei entsprechender Abstraktion und damit verbundener Meta-Kompetenz, gibt es keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Vier-Schritte-Zyklen. Es sind lediglich kontextspezifische Anpassungen des gleichen Modells: Soll-Ist Vergleich bilden, Agieren, Überprüfen, Anpassen.

Eine entsprechende Aussage gilt auch für das fundamentale Modell der Ziel-Hierarchie. Für mich sind alle o.g. Ziel-Hierarchien Ausprägungen der fraktalen Ziel-Hierarchie aus Abbildung 2. Jedoch, wenn diese Ziel-Hierarchie Selbstorganisation unterstützen soll, dann muss die Ziel-Hierarchie als Ordnungsparameter [4], [5] wirken. Das grundlegende Prinzip, das wir in diesem Fall für jegliche Ausgestaltung der Ziel-Hierarchie anwenden, ist das der Selbstorganisation. Nach der Theorie der Selbstorganisation sind hierzu Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparameter auzugestalten.

Damit die Ziel-Hierarchie wirksam zur Ausbildung eines Ordnungsparameter eingesetzt werden kann, müssen folgende Prinzipien umgesetzt werden:

Die Ziel-Hierarchie als Informations-Hierarchie muss die gesamte Organisation abdecken. Die organisationale Struktur (Hierarchie) muss zur Informations-Hierarchie passen.

Die Ziel-Hierarchie muss transparent für alle Mitglieder einer Organisation, horizontal und vertikal, selbstreflexiv entwickelt werden: Teile der Ziel-Hierarchie dürfen also nicht von oben nach unten fix vorgegeben werden, sondern die Informations-Hierarchie wird von oben nach unten und von unten nach oben in einem PDCA-Zyklus überprüft und angepasst. Damit entstehen Sinn und Motivation für alle Mitglieder einer Organisation, die Basis damit sich der Ordnungsparameter ausbilden kann.

Diese Art des Arbeitens dürfte in den meisten Organisation einen dramatischen Kulturwandel notwendig machen, auch dann, wenn sie schon viele Jahre agile Techniken einsetzen. – Eine Erkenntnis, die sich bei entsprechender Abstraktion zwangsläufig ergibt. – Der Unterschied, der einen Unterschied macht, liegt also nicht in der Vielfalt der Ziel-Hierarchie Modelle, sondern in der souveränen kontextspezifischen Anwendung einiger weniger Prinzipien. – Agilität entsteht nicht auf Verhaltensebene bzw. Technikebene, sondern in der Abstraktion, Ebenen darüber.     

[1] Wikipedia (2019) OODA: https://de.wikipedia.org/wiki/OODA-Loop, zugegriffen am 24.06.2019, Anfang Juni 2019 in Linkedin diskutiert.

[2] Dietrich Sabine (2019) Schlau statt Sau – Souveränität im Methodenwahn, ManagerSeminare, Heft 256, Juli 2019

[3] Walsh Mike (2019) The Algorithmic Leader: How to Be Smart When Machines Are Smarter Than You, März 2019

[4] Oswald Alfred und Müller Wolfram (Hrsg.) (2019) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices, BoD

[5] Oswald Alfred, Köhler Jens, Schmitt Roland (2016) Projektmanagement am Rande des Chaos, Springer

[6] Weidemüller Arved (2019) OKR’s funktionieren nicht ohne Kulturwandel, ManagerSeminare, Heft 256, Juli 2019