Fluide Organisation 4.0 – Die „fast“ ideale Organisationsform!

Von der natürlichen Evolution wissen wir, dass es das ideale Lebewesen, das in allen Kontexten überlebensfähig ist, nicht gibt. Leben bildet sich passend zum vorherrschenden Kontext, d.h. zur Umwelt, aus. Es passt sich entsprechend seiner inneren Möglichkeiten fortwährend an diesen an. Lebewesen überleben, wenn die inneren Möglichkeiten, also die jeweiligen Fähigkeiten, zum Kontext passen. Im Management 4.0 sagen wir, dass das Lebewesen über hinreichende Agilität verfügt, den Kontext wahrzunehmen. Es passt seine innere Komplexität so an, dass es die kontextuellen Gegebenheiten für sein Überleben ausnutzt. Hieraus leitet sich die Frage ab: „Gibt es eine Organisationsform, die es Organisationen ermöglicht, ihren jeweiligen Kontext in möglichst vielen Facetten wahrzunehmen, um die innere Komplexität schnell und flexibel anzupassen, um das Überleben zu sichern?“ – Vor kurzem hat Conny Dethloff auf Linkedin eine ähnliche Frage gestellt: „Gibt es eine passfähige primäre Organisationsform?“ [1].

Beginnend mit den Jägern und Sammler, wird die soziale Evolution von einer zunehmenden Funktionalisierung unserer Gesellschaft geprägt: Steine werden zu Werkzeugen, später werden Metalle zu Werkzeugen; immer mehr Werkzeuge erzeugen immer mehr Werkzeuge: Die Werkzeuge werden zu etwas Bestimmtem genutzt und erfüllen damit eine Funktion. – In der Moderne werden Menschen in funktionalen Organisationen zu „Werkzeugen“ organisiert: Die Vertriebsorganisation macht Vertrieb, die Produktionsorganisation produziert ein oder mehrere Produkte… Sie alle erfüllen eine Funktion. – Unsere Wahrnehmung schränkt sich nahezu automatisch auf die Erfüllung dieser Funktion ein. Es erfolgt eine zunehmende Spezialisierung.

Vor kurzem nimmt Christian Stöcker in der Spiegel Kolumne Stellung zu einem Beispiel (verdeckter) Funktionalisierung [2]: Er schildert, wie sich der derzeitige Lufthansa-Chef massiv darüber wundert, dass niemand bereit ist, den CO2 Ausstoß des eigenen Fluges durch Geld (es ist von ca. 360 € die Rede) zu kompensieren. Stöcker wundert sich seinerseits, dass der Lufthansa-Chef, sich wundert und nicht bereit ist, dafür zu sorgen, dass seine Flotte weniger CO2 ausstößt. – Und dass er nicht bereit ist, bis zur Reduktion des CO2 Ausstoßes, die Kompensation durch die Lufthansa selbst aufzubringen. Dies ist ein extremes Beispiel für Funktionalisierung: Der Lufthansa-Chef nimmt offensichtlich den Standpunkt ein, dass er eine Serviceleistung, eine Funktion, erbringt und dafür möchte er zu Recht Geld bekommen. Die Werkzeuge, also u.a. die Flieger, die er hierzu benutzt, gehören nicht zu seinem Funktionsbereich, darum sollen sich andere kümmern.

Man kann an diesem Beispiel auch erkennen, dass dieses Denken bzw. dieses Mindset sehr stark an entsprechende Werte geknüpft ist: Erfolgs- bzw. Geld-Orientierung ohne die geringste Verantwortungsübernahme für die mit diesem Erfolg verbundenen Konsequenzen für unsere Umwelt… Ähnliche Beispiele lassen sich nahezu beliebig in anderen Branchen finden: Herstellung und auch Verwendung von Autos, Herstellung von Textilien für Modeketten, Herstellung von Nahrungsmitteln und die Konsequenzen für Umwelt und Tier, Handel mit Finanzderivaten der großen deutschen Banken usw..

Es ist auch nicht verwunderlich, wenn entsprechende Vorstände Agiles Management einführen wollen, um genau diese Funktionalisierung weiter am Leben zu erhalten: Agiles Management ist aus deren Perspektive ein weiteres Werkzeug, um schneller und flexibler Erfolg zu haben und Profit zu machen. Der mit dem Agilen Management verbundene Paradigmenwechsel wird noch nicht einmal ansatzweise verstanden, also insbesondere: Handeln gemäß Integraler Werte, Reduktion des Work-in-Progress, Ausrichtung am Sinn der Arbeit.      

Da die Umwelt nach wie vor als unerschöpflich wahrgenommen wird – „so schlimm wird es schon nicht sein“ – beutet man die vorhandenen Ressourcen (Luft, Wasser, Boden, Bodenschätze, Menschen) einfach aus, um die gesellschaftlichen Strukturen funktional zu erhalten und weiter auszugestalten.  Die innere Komplexität einer Organisation wird über Funktionalität an den Kontext Markt angepasst. Solange die Ausgestaltung der internen Komplexität in Struktur und Dynamik mit der externen Komplexität annähernd mithalten konnte, war „Agilität durch Funktionalität“ das vorherrschende Organisationsparadigma. Doch es ist schwierig in diesem Organisationsparadigma „ein Schauen über den Tellerrand“ oder gar „ein Wahrnehmen von Zusammenhängen“ zu etablieren. Innovationen werden deshalb außerhalb der funktionalen Organisationsformen durch Projekte erbracht und wieder in die funktionalen Organisationen eingebracht. Dies Alles ist sehr mühsam und wenig agil: Die alten Funktionen wehren sich gegen die neuen (in Projekten erbrachten) Funktionen, denn sie wollen nicht „sterben“. – Die Funktionen bestimmen unser Denken, unser Mindset, und unser Mindset bestimmt unsere Funktionen. Mit jeder neuen Funktion erhöhen sich die (unvorhergesehenen) Abhängigkeiten: Die ungewollte! Vernetzung steigt. Die funktionale Organisationsform, die uns ohne Zweifel viel ermöglicht hat, stößt immer mehr an ihre Grenzen. Um Agilität also Lebensfähigkeit zu erhalten, ist eine neue Leit-Organisationsform notwendig: Sie muss ermöglich, dass die Organisation sich leicht an den Kontext anpassen kann, Temporalität und gleichzeitig Stabilität ermöglichen, sowie Crossfunktionalität beinhalten und Innovation erzeugen. Überwiegend stabile funktionale Anforderungen werden in entsprechende Organisationen „ausgelagert“, die vermutlich zunehmend durch robotergestützte Organisationen abgelöst werden. – Die digitale Technik ist der „Katalysator“ dieser (Digitalen) Transformation.

Für uns Menschen „übrigbleibt“ die temporäre Fluide Organisation: D.h. es werden temporäre Organisationen, die für eine gewisse Zeit stabil sind, aufgebaut und zu Netzwerken von Organisationen „zusammengeschaltet“. Für die Zeit der organisationalen Stabilität führen die Organisationen Aufgaben oder Projekte durch, um danach durch neue temporäre Organisationen für neue Aufgaben und Projekte abgelöst zu werden. – Die heute noch oft gepflegte „Feindschaft“ von Aufgaben für die Linienorganisation und Aufgaben für Projekte wird gegenstandslos. Im Management 4.0 sprechen wir von Fluiden Organisationen 4.0. Abbildung 1 illustriert die Organisationsform Fluide Organisation 4.0.

Abbildung 1: Fluide Organisation 4.0

Diese Organisationsform baut sich aus selbstorganisierten Teams auf. Die selbstorganisierten Teams bilden emergente Strukturen aus, die mittels teamspezifischer Systemparameter, den Rahmenparametern (RP), Kontrollparametern (KP) und Ordnungsparametern (OP) beschrieben werden. Die Teams werden wiederum zu Teams-of-Teams zusammengefasst, die ihrerseits mit Teams-of-Teams spezifischen Systemparametern beschrieben werden, usw. … bis die gesamte Organisation abgedeckt ist. Man kann unschwer die in den Scaled Agile Frameworks (z.B. SAFe oder LeSS) verwendete Teams-of-Teams Struktur, oder die im Critical Chain Project Management verwendete Project-of-Project Struktur oder die in Holacracy verwendete Circle-of-Circle Struktur wiedererkennen. Wie die Systemparameter RP, KP und OP ausgestaltet werden, ist Framework-spezifisch.

Im Management 4.0 gehen wir davon aus, dass die gesamte Organisation der Selbstorganisation unterliegen sollte. Die Systemparameter der Selbstorganisation bilden also ein „Parameter-Netzwerk“, das auf allen organisationalen Ebenen horizontal wie vertikal entsprechend abzustimmen ist. – Dies ist eine sehr anspruchsvolle Führungsaufgabe. – Der OKR Ansatz ist ein Beispiel, diese Systemparameter auszugestalten [3]. Story Maps sind Beispiele für die Struktur von Ordnungsparametern (OP). In [4] haben wir gezeigt, dass nicht alle o.g. genannten Frameworks gleich gut das Kriterium der Selbstorganisation erfüllen. Als Maß für den Grad der Selbstorganisation in den Frameworks benutzen wir die Organisationsperformance, die von der (mittleren) Teamperformance und der Skalierungsperformance abhängt. – Ich verweise hierfür auf [4].

Im Titel habe ich von der „fast“ idealen Organisationsform gesprochen: Der Mensch ist das selbstorganisierte System, schlechthin. – Und auch das kann man über Systemparameter der Selbstorganisation modellieren: In der obigen Abbildung erhielte jeder Mensch auch eigene RP’s, KP’s, OP’s: Jeder Mensch lebt in seinen eigenen Kontexten, er verfügt über sein Temperament, seine Motive, Werte und Glaubenssätze und er versucht seinem Leben dem ihm eigenen Sinn zu geben. – Man siehe hierzu auch den letzten Blogbeitrag Metakompetenz Selbstorganisation 4.0.

Sobald jedoch mehrere oder gar viele Menschen ins Spiel kommen, ist man gezwungen der unglaublichen Anzahl an Freiheitsgraden Rechnung zu tragen. – Es ist nicht mehr möglich, eine ideale „Ausrichtung“ aller Systemparameter zu erhalten. – Die Organisationsform Fluide Organisation 4.0 wird zur „fast“ idealen Organisationsform. – Es ist die Aufgabe der Agilen Führung 4.0 diese Lücke möglichst gut zu schließen.    

[1] Conny Dethloff (2019) Die passfähige primäre Organisationsform, https://www.linkedin.com/posts/conny-dethloff-6b9b0942_ich-habe-gerade-meinen-beitrag-zu-einem-buchprojekt-activity-6609675046090747904-J0R-/

[2] Stöcker Christian (2020) Wir machen‘ s kaputt, und Ihr bezahlt, Spiegel.de, 12.01.2020, https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/klimaschaedliche-firmen-wir-machen-s-kaputt-und-ihr-bezahlt-kolumne-a-c8f0e3c3-2f5f-4817-b16e-36d6097e58d5

[3] Wikipedia (2020) OKR’s https://de.wikipedia.org/wiki/Objectives_and_Key_Results

[4] Oswald A, Müller (Hrsg.) (2019) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices, Release 3, BoD Verlag, Norderstedt

X-Evolution: Referenzmodell für Agile Organisationen 4.0

Agile Organisationsformen haben Hochkonjunktur. Handlungsrahmen wie Scrum, Kanban, Critical Chain, SAFe, LESS, Holacracy sind Zeichen dieser Hochkonjunktur.

Scrum zeichnet sich durch einen minimalen Handlungsrahmen aus, SAFe als Scrum of Scrum für die Entwicklung von IT-Produkt-Portfolios gedacht, stößt in seiner Kompliziertheit schon in diejenige „klassischer“ Vorgehensmodell vor.

Falls man sich nicht mit einem Zoo an verschiedenen Organisationsformen zufrieden geben will, deren Bedeutung sich für die Evolution sozialer Organisationsformen im Laufe der nächsten Jahre oder Jahrzehnte herausstellen wird, dann stellt sich die Frage „Was ist an all diesen verschiedenen Prozessen, Rollen und Strukturen wesentlich und wofür?“ Oder anders gefragt: „Enthalten diese verschiedenen Organisationsformen überhaupt die für das Überleben einer Organisation wichtigsten Systemelemente?“

Um diese Fragen zu beantworten, schlage ich vor, ein Referenzmodell für die Architektur Agiler und Fluider Organisationen zu entwickeln. Denn Agile und Fluide Organisationsarchitekturen haben den Anspruch die organisationale Lebensfähigkeit deutlich zu steigern. Hierzu nehmen sie die Komplexität der Welt an und versuchen diese nicht durch eine „gedankenlosen“ Linearisierung von Komplexität zu Kompliziertheit zu meistern. – Denn das einfache Anwenden von Handlungsrahmen als Methoden entspricht dem „klassischen“ Denkansatz.

Ich gebe diesem Referenzmodell für die Architektur Agiler und Fluider Organisationen den Namen „X-Evolution“. X-Evolution kann auf eine beliebige bestehende Organisation „X“ angewendet werden. Die Assoziation zu der Filmserie „X-Men“ ist gewollt und verdeutlicht, dass dort wie hier eine Veränderung der Informationssubstanz „DNA“ zu völlig neuen Eigenschaften führt.

X-Evolution stellt eine organisationale Referenz, einen Rahmen, dar, der die wesentlichen Elemente Agiler und Fluider Organisation transparent macht und damit die Möglichkeit zur praktischen Ausgestaltung für eine Organisation offen lässt. Gleichzeitig eröffnet sich damit die Möglichkeit, bekannte am Markt verfügbare agile Handlungsrahmen wie Scrum, Kanban oder Critical Chain PM zu beleuchten, indem wesentliche Elemente von unwesentlichen Elementen getrennt werden, oder sogar Unsinnigkeiten in den Handlungsrahmen aufgedeckt werden. Des weiteren können auf dieser Basis hybride Organisationsformen gestaltet werden, die verschiedene Handlungsrahmen oder auch nur Elemente verschiedener Handlungsrahmen mischen, um so der Vielfalt an organisationalen Anforderungen besser gerecht zu werden.

Die folgenden Gedanken sind bei weitem nicht vollständigen, skizzieren jedoch meines Erachtens zentrale Gedanken zum Referenzmodell:

X-Evolution basiert ganz wesentlich auf der Grundannahme, dass Selbstorganisation ein universelles Prinzip ist, dem sowohl natürliche, soziale als auch technische Systeme unterliegen. Damit tritt Selbstorganisation gleichwertig neben das Prinzip der Evolution und ergänzt dieses. Dieser Grundgedanke ist insbesondere mit Namen wie Stafford Beer, Gregory Bateson,  Erich Jantsch, Ervin Laszlo und Hermann Haken verbunden.  Diese Grundannahme ist auch die Basis der in den Büchern „Projektmanagement am Rande des Chaos“ von Alfred Oswald et al. sowie „Management 4.0 – Handbook for Agile Practices“ der GPM Fachgruppe Agile Management (dieses Buch befindet sich gerade in der Veröffentlichung) beschriebenen Konzepten für Organisation und Management, auf denen ich hier aufbaue.

Wir verstehen unter einer Organisation eine Gruppe von Menschen, die unter Verwendung gemeinsamer Ressourcen einen gemeinsamen Zweck verfolgen. Eine Organisationsarchitektur beschreibt die wesentlichen Prinzipien der Zusammenarbeit dieser Menschen und wird durch die wesentlichen Elemente des organisationalen Mindsets modelliert (man siehe hierzu die o.g. Literatur).

X-Evolution basiert auf folgenden Grundannahmen (für eine detaillierte Darstellung dieser Grundannahmen verweise ich auf die obige Literatur):

  • Evolution und Selbstorganisation sind die zentralen Prinzipien natürlicher, sozialer und technischer Systeme.
  • Das Referenzmodell selbst unterliegt der Evolution, d.h. alle Prinzipien und deren Ausgestaltung sind nur als „vorläufig“ zu betrachten und unterliegen dem Lernen. X-Evolution sorgt für ein Lernen auf der Bateson-Lernstufe III und IV.
  • Die Agile oder Fluide Organisation ist ein System, bestehend aus Systemen von Systemen, und basiert auf Selbstorganisation auf allen System-Ebenen. Die System-Ebenen sind: Mensch, Team oder Zelle, Cluster (Gruppe von Zellen), Organisation (Gruppe von Clustern) sowie Netzwerk von Organisationen. X-Evolution kann unterschiedliche agile Handlungsrahmen wie Scrum, Kanban, Critical Chain Projektmanagement, Design Thinking, Collective Mind Methode, Theorie U, SAFe, LESS, usw. aufnehmen und integrieren.
  • Management heißt hier das Arbeiten an der Organisation mittels Governance. Governance bedeutet einen minimalen Satz von System-Parameter für alle System-Ebenen so einzustellen und abzustimmen, dass sich Selbstorganisation auf allen Ebenen ausbilden kann. Dieser minimale Satz an System-Parametern (Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparameter) unterliegt der evolutionären Ausgestaltung.
  • Die Mindsets von Personen, Zellen, Clustern, Organisationen sowie Netzwerken werden mittels der Dilts Pyramide beschrieben und werden über die Organisationssysteme 1-5 des Viable System Modells in Strukturen und Rollen abgebildet. Jede Zelle, Cluster, Organisation und Netzwerk benötigt eine entsprechende Modellierung, die idealerweise gemäß den Prinzipien der Selbstorganisation vollständig in dem jeweiligen Teilsystem enthalten ist.
  • Die Perspektiven Agilität (also Flexibilität und Schnelligkeit) und  systemische Sicht gehören untrennbar zusammen, sie erzeugen zusammen Lernen und sichern damit die Überlebensfähigkeit des Systems.

Die zentralen Prozess-Elemente der Agilen und Fluiden Organisation sind:

Jeder Mensch verfügt über verschiedene kontextspezifische Mindsets und nimmt mit diesen Mindsets verschiedene Rollen ein. Diese Rollen können zu einer Zelle (einem Kontext) oder zu verschiedenen Zellen (verschiedenen Kontexten) gehören. Der Mensch „haucht“ den Rollen über sein Rollen-spezifisches Mindset Leben ein. Hierbei ist zu beachten, dass die Rollen, die ein Mensch einnimmt, seine persönliche Fähigkeit zur Selbstorganisation nicht einschränken dürfen.

Eine Zelle ist ein System mit einem organisationalen Mindset, d.h. Vision, Mission, Identität (Zweck), Zugehörigkeit, Werte und Glaubenssätze, Fähigkeit  (Methoden, Werkzeuge, Handlungsrahmen), Verhalten (Prozesse) und Kontext. Im Handlungsrahmen sind operative Prozesse und operative Rollen definiert. Die Rollen werden von Menschen „ausgeführt“. Das Mindset wird im Rahmen von Governance-Prozessen an den Zweck der Zelle und deren Umgebung angepasst. Die Governance-Prozesse obliegen (im wesentlichen) dem System selbst. – Die Selbstbestimmung von Governance-Prozessen in den Zellen ist ein zentrales Element der Selbstorganisation und ergänzt damit wesentlich die operativen Prozesse. Die Umgebung und das System kommunizieren über definierte Schnittstellen miteinander. Diese Schnittstellen sorgen für eine integrale Einpassung des Systems (und seines Mindsets) in das übergeordnete System (und dessen Mindset).

Ein Cluster besteht aus verschiedenen Zellen, die einen gemeinsamen Zweck und einen Cluster-Handlungsrahmen haben. Diese Zellen können permanent oder temporär zur Organisation gehören. Bei Bedarf werden Zellen auf- und abgebaut. – In diesem Fall sprechen wir von fluiden Organisationen. Die verschieden organisationalen Mindsets der Zellen zeigen eine „hohe Verwandtschaft“ (hohe Kopplung). Dementsprechend bedarf der Cluster Cluster-Governance-Prozessen, die die „hohe Verwandtschaft“ der Mindsets der Zellen immer wieder herbeiführen und für den Auf- und Abbau der Zellen sorgen.  Die Umgebung und das System kommunizieren über definierte Schnittstellen miteinander. Diese Schnittstellen sorgen für eine integrale Einpassung des Clusters (und seines Mindset) in die übergeordnete Organisation (und deren Mindset).

Eine Organisation besteht aus verschiedenen Clustern, die einen gemeinsamen Zweck und einen gemeinsamen Organisations-Handlungsrahmen haben. Diese Cluster können permanent oder temporär zur Organisation gehören. Bei Bedarf werden Cluster auf- und abgebaut. Die verschiedenen organisationalen Mindsets der Cluster zeigen eine „mittlere Verwandtschaft“ (mittlere Kopplung). Dementsprechend bedarf die Organisation Organisations-Governance-Prozessen, die die „mittlere Verwandtschaft“ der Mindsets der Cluster immer wieder herbeiführen. Die Umgebung und die Organisation kommunizieren über definierte Schnittstellen miteinander. Diese Schnittstellen sorgen für eine integrale Einpassung der Organisation (und ihres Mindsets) in das übergeordnete System (und dessen Mindsets).

Ein Netzwerk von Organisationen besteht aus verschiedenen Organisationen, die temporär einen gemeinsamen Zweck und einen gemeinsamen Netzwerk-Handlungsrahmen haben. Die Organisationen gehören temporär zum Netzwerk. (Die Zeitskalen der Zugehörigkeit sind unterschiedlich und sind kürzer als die Lebensdauer des Netzwerkes selbst.)   Die verschiedenen organisationalen Mindsets der Organisationen zeigen eine „geringe Verwandtschaft“ (geringe Kopplung). Dementsprechend bedarf das Netzwerk Netzwerk-Governance-Prozessen, die die „geringe Verwandtschaft“ der Mindsets der Organisationen immer wieder herbeiführen. Die Organisationen kommunizieren über definierte Schnittstellen im Netzwerk miteinander. Diese Schnittstellen sorgen für eine gewisse integrale Einpassung der Organisationen (und deren Mindsets) in das übergeordnete Netzwerk-System (und dessen Mindset).

Auf dieser Basis lassen sich bestehende Managementsysteme betrachten:

Beispiel: Scrum of Scrum Organisation

Bei einer Scrum of Scrum Organisation sind die Zellen als Scrum-Teams organisiert. Der Handlungsrahmen einer Zelle ist ein Scrum-Handlungsrahmen mit den Rollen Product-Owner, Scrum-Master und Development Teammitglied. Der Product Owner (und ggf. der Scrum Master) stellt die Schnittstelle zu einem übergeordneten Cluster dar. Die Ausrichtung auf den Zweck des übergeordneten Clusters erfolgt durch den Produkt-Owner. Dieser vertritt (ggf. mit dem Scrum-Master) die Zelle in einem Cluster, der aus mehreren Scrum-Zellen besteht. Der Handlungsrahmen des Clusters ist wieder ein Scrum-Handlungsrahmen. Eine Organisation besteht dann ggf. aus mehreren Cluster-Ebenen. Eine solche Organisation kann z.B. für die Erstellung komplexer Produkte oder Vorhaben verwendet werden. Explizite Governance-Prozesse gibt es hierbei nicht. Die Retrospektiven im Scrum-Handlungsrahmen dienen in erster Linie der Verbesserung der operativen Abläufe, wenngleich auch in einem eingeschränkten Rahmen Governance-Aktivitäten durchgeführt werden. Ein „Infragestellen“ des Scrum-Handlungsrahmens selbst oder die explizite Anpassung von Mindsets ist nicht vorgesehen. Die Frameworks SAFe und LESS sind Spielarten dieser Organisationsform.

Beispiel: Multi-Projektmanagement Organisation

Eine Multi-Projektmanagement besteht aus den Zellen, den Projekten, die sich eine Menge von Ressourcen teilen. Die Projekte können nach Bedarf zu Clustern oder Clustern von Clustern zusammengefasst werden. Der Projektleiter vertritt das Projekt (die Zelle) im Cluster. Daneben gibt es Programm- und Portfoliomanager. Im „klassischen“ Multi-Projektmanagement spricht man von den Ebenen Programm und Portfolio, die eine hierarchische Systemstruktur definieren. Die Form der Projektorganisation oder die eingesetzten Methoden obliegen sehr oft dem Projektbedarf bzw. den „Einsichten“ des Projektleiters bzw. seines Teams. Projektorganisation und Methoden können innerhalb eines Clusters oder eines Clusters von Clustern gewissen Vorgaben unterliegen. Sei es, dass die Vorgaben durch das Portfolio- oder Programmmanagement erfolgt oder ein sogenanntes Project Management Office (PMO) Vorgaben in Form von Leitplanken (Governance) macht.  In einigen Fällen übernimmt das PMO auch die strategische inhaltliche Ausrichtung aller Projekte über ein Multi-Projektmanagement Board. Die Governance und die strategische Führung obliegt dann nicht den einzelnen Projekten, sondern wird durch das PMO, das als zentrales Organisationsorgan wirkt, durchgeführt.

Die so definierte MPM-Organisation entspricht damit nicht oder nur teilweise den o.g. Leitplanken für den Aufbau eines X-Evolution Systems. Die Critical Chain Projektmanagement Methode trägt dieser Tatsache Rechnung und führt für eine projektorientierte Organisation Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparameter ein. Damit gibt sie eine Form der Governance vor, die Selbstorganisation auf der Cluster-Ebene (Projekt-Ebene) ermöglich. Damit werden Unzulänglichkeiten der geschilderten MPM Organisation geheilt (man siehe auch die oben angeführte Literatur). Damit wird jedoch noch keinen Lernen auf den Bateson Lernstufen III und IV unterstützt.

Beispiel: Holacracy

Holacracy ist ein System, das sich nach eigenen Aussagen stark an dem Prinzip der Selbstorganisation ausrichtet (wobei tendenziell eher Selbstmanagement gemeint ist):

Holacracy kennt eine hierarchische Organisation der Teilsysteme: Zelle (Circle), Cluster (Circle of Circle) und Organisation (Gesamtorganisation/Unternehmen)

Jedes Teilsystem verfügt über Governance-Prozesse und Operative Prozesse, die durch zwei unterschiedliche Formen von Meetings unterstützt werden. Für diese beiden Formen von Meetings gibt es klar definierte formale Prozesse und Rollen.

Jedes Teilsystem kennt folgende Rollen: Rep-Link (Schnittstelle nach Außen), Lead-Link (Schnittstelle in das Teilsystem), Facilitator, Secretary und ggf. einen horizontalen Link zwischen Teilsystemen gleicher Hierarchieebene. Der menschliche Repräsentant des Lead-Links wird von der höheren Ebene vorgegeben, der wiederum die menschlichen Repräsentanten der anderen Links bestimmt.

Die Rollen werden durch die Menschen repräsentiert, die Menschen kommunizieren (nur) über diese Rollen.

Lead-Link und Rep-Link repräsentieren das Teilsystem auf der nächst-höheren Systemstufe.

Die initiale Governance-Ausprägung wird am Anfang von oben nach unten „durchgereicht“, entwickelt sich danach jedoch im Einklang mit den Vorgaben der höheren Systemebene im Selbstmanagement des jeweiligen Teilsystems. Die Governance jedes Teilsystems wird in entsprechenden Artefakten vom Secretary festgehalten und steht jedem Mitglied der gesamten Organisation jeder Zeit zur Verfügung.

Holacracy kennt die Idee einer organisationalen App, die auf dem organisationalen Betriebssystem „Holacracy“ läuft. Apps sind z.B. Marketing, Service, Vertrieb. Die Integration anderer agiler Handlungsrahmen ist (wohl) nicht vorgesehen. Ein Hinterfragen der Basisorganisation von Holacracy selbst ist ebenfalls nicht vorgesehen.

Gleichwohl ist Holacracy am weitesten der Selbstorganisation verpflichtet, in dem nicht nur das Selbstmanagement in operativen Prozessen vorgesehen ist, sondern über die Selbstorganisation der Governance die Tür zur Gestaltung von Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparameter weit geöffnet wird.

Aus den obigen Ausführung und ohne hier schon ein abschließendes Ergebnis vorlegen zu können,  ergeben sich damit folgende Meta-Kriterien für die Architektur von Agilen und Fluiden Organisationen:

  • Rahmen-, Kontroll- und Ordnungsparameter
  • Governance-Prozesse
  • Lernen auf den höheren Lernstufen nach Bateson
  • Ausgestaltung der Kopplung der selbstorganisierten Systemebenen mittels starker, mittlerer, schwacher Kopplung via Dilts Pyramide, ggf. Beachtung unterschiedlicher Zeitskalen auf verschiedenen Systemebenen
  • Einhaltung der Viable System Model Funktionshierarchie