Projekt-Controlling, alles eine Frage der richtigen Werkzeuge!?

Im sogenannten klassischen oder traditionellen Projektmanagement gehören die Werkzeuge des Projekt-Controllings zu den am besten ausgearbeiteten Projektmanagement-Werkzeugen. Mit dem Auftauchen des Agilen Managements macht sich die „Angst“ breit, dass diese Werkzeuge nicht mehr verwendet werden können oder zu mindestens stark anpasst werden müssen. Dieses Anpassen von klassischen und agilen Techniken, oder das „Verheiraten“ von klassischen und agilen Controlling Techniken wird sehr oft als eine Kerneigenschaft des sogenannten Hybriden Projektmanagements angesehen. 

In Kapitel 3.2 des neu erschienen GPM Handbuches Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM4) [1] wird Projekt-Controlling bzw. Controlling wie folgt beschrieben: „Controlling (Anglizismus, abgeleitet vom englischen Verb to control, steuern, lenken) wird generell als Teilfunktion der Organisationsführung bzw. des Managements verstanden. Das Controlling unterstützt die Organisationsführung durch Koordinations- und Kontrollaufgaben und Aufbereitung notwendiger Informationen. Hierbei kann operatives von strategischem Controlling differenziert werden. Nach der DIN 69901 steht Projektcontrolling für die »Sicherung des Erreichens der Projektziele durch: Soll-Ist-Vergleich, Feststellung der Abweichungen, Bewerten der Konsequenzen und Vorschlagen von Korrekturmaßnahmen, Mitwirkung bei der Maßnahmenplanung und Kontrolle der Durchführung«. Das Projektcontrolling muss in einer definierten Rhythmik die Statusinformationen zu allen drei Zielgrößen eines Projekts erfassen: Zum Fortschrittsgrad, zu den Kosten und Arbeitsaufwänden und zur Terminsituation. …“

Hiernach könnte man den Eindruck gewinnen, dass es vor allem um Werkzeuge geht. In den Trainings zum Management 4.0 werden zu Beginn seitens der Teilnehmer oft die folgenden Fragen gestellt: „Wie bringe ich die agilen Methoden mit den klassischen (Controlling-) Methoden zusammen? Wie sehen also die hybriden Methoden aus?“ Nicht selten wird auch bezweifelt, dass es im Agilen überhaupt einen „richtigen“ Soll-Ist-Vergleich gibt. Und da es keinen „richtigen“ Soll-Ist-Vergleich gibt, kann es auch kein Controlling geben. Denn vielfach wird Agilität mit dem Fehlen von Plan-, Soll- und Ist-Vergleich gleichgesetzt. Nicht selten vertreten Personen, die sich als Agile sehen – weil sie Handlungsrahmen wie Scrum verwenden – dieses Verständnis.

Um die oben gestellten Fragen zu beantworten, wende ich die schon aus anderen Blog-Beiträgen bekannte Management 4.0 – Faustformel auf eine beliebige Organisation an:

Management = Mindset*Governance*Technik.

Abbildung 1 skizziert auf dieser Basis das übliche Verständnis Hybriden Projektmanagements: Ein Unternehmen mit klassischem Mindset, klassischer Governance und klassischen Techniken ist bereit in einem bestimmten Bereich (z.B. einer Abteilung oder einem Team) agile Techniken einzusetzen.

Abbildung 1: Übliches Verständnis Hybriden Projektmanagements

Das Mindset und die Governance der Organisation sind der Organisation beide (oft) nicht wirklich bekannt. Sie werden selten hinterfragt und können deshalb auch bei Bedarf nicht transformiert werden: Soweit es in der Praxis nicht wehtut (!), setzt man agile Werkzeuge neben klassischen Werkzeugen ein. Für das Controlling eines Projektes mit Hybridem Projektmanagement heißt dies zum Beispiel: Zu Projektbeginn werden Scope, Budget und Zeitrahmen vereinbart; das Management möchte in bestimmten Zeitabständen mittels eines Statusberichtes über den Projektstand informiert werden. Der Statusbericht enthält die sehr beliebte Ampelfunktion. – Diese ist besonders beim Management beliebt, weil dieses sich nicht mit allzu vielen Details beschäftigen möchte und in der entsprechenden Steuerungssitzung soll es auch möglichst schnell gehen. – In jedem Fall, so haben viele Projektleiter gelernt, sollte der Statusbericht hübsch anzusehen sein. – Das kann schon mal heißen, dass man mehr Zeit auf das Layout des Statusberichtes verwendet, als auf den Inhalt.

Soweit so gut: Nehmen wir an, das Projekt oder ein Teilprojekt soll mittels des Handlungsrahmens Scrum hybrid durchgeführt werden. Hierzu erhält das entsprechende Team ein Training, meistens nur 1-3 Tage. Vielfach glaubt das Scrum-Team nach dem Training, dass sich Agilität dadurch auszeichnet, dass ein Produkt-Backlog verwendet wird, das man möglichst flexibel hält, indem man keinen Projekt-Scope definiert. Damit ist das Dilemma perfekt: Die agilen Werkzeuge lassen sich nicht mit den klassischen Werkzeugen verbinden.  

Einige im Team werden sagen: „Gut dann definieren wir einen Scope und schätzen das Produkt-Backlog ab.“ Gesagt getan und schon lassen sich agile und klassische Projektcontrolling Werkzeuge zum hybriden Werkzeugkasten verheiraten. Doch das Problem lässt im Normalfall nicht lange auf sich warten: Der mit dem Management vereinbarte Scope, so vage er auch sein mag, ruft intransparente Erwartungshaltungen bei den Stakeholdern hervor. Meistens ist es auch nicht eine einheitliche Erwartungshaltung, sondern viele Stakeholder haben viele Erwartungshaltungen. Diese Erwartungshaltungen ändern sich wahrscheinlich auch völlig intransparent mit der Zeit. Die Flexibilität bleibt auf der Strecke und das Resultat ist ein Kampf, der in der Organisation als Kampf „agil gegen klassisch“ bezeichnet wird.

Im Folgenden will ich versuchen zu erläutern, warum ich behaupte: Es ist (oft) kein Kampf „agil gegen klassisch“, sondern es ist (oft) ein Kampf „klassisch gegen klassisch“.

Um dies verständlich zu machen, benutze ich Abbildung 2. Abbildung 2 zeigt zwei sogenannte Neuroleadership-Profile [2, 3] auf der Basis der vier aus der Neuropsychologie bekannten Grundbedürfnisse mit den zugeordneten Motiven (z.B. Teamorientierung, Autonomie,…) des Reiss-Motiv-Profils sowie den zugeordneten Unternehmenswerte-Clustern (Konsenswerte, Bürokratiewerte,…). Zusätzlich sind die value-Meme des Bewusstseins- und Kulturmodells Spiral Dynamics verortet. – Im Management 4.0 Training erfahren die Teilnehmer auf dieser Basis die Bedeutung von Werten und Motiven für Ihre persönliche Agilität und die des eigenen Unternehmens.     

Abbildung 2: Neuroleadership-Profile, Grundbedürfnisse und value-Meme.

Zu sehen ist in der Abbildung ein rotes Neuroleadership-Profil (rote Raute), das ich als typisches klassisches v-Mem Profil bezeichne und ein hellblaues Neuroleadership-Profil (blaue Raute), das ich als typisches agiles v-Mem-Profil bezeichne. Die Profile können die Werte-Profile zweier Organisationen, zweier Menschen oder auch die Wechselwirkung zwischen einem Menschen und seiner Organisation beschreiben. Auf der Dilts Pyramide sind die Neuroleadership-Profile auf den Ebenen Identität sowie Werte und Grundannahmen angesiedelt. (Man siehe hierzu auch den Blog-Beitrag „Projekte neu gedacht: Entwicklungsstufen, Selbstorganisation und Co-Evolution“.) Die Aussage von Abbildung 2 ist, dass typische klassische Organisationen eine v-Mem Orientierung in Richtung von Macht und Status sowie Ordnung und Kontrolle haben. Die anderen v-Meme sind zwar vorhanden, sie spielen jedoch keine entscheidende Rolle. Im agilen Mindset spielen die grünen v-Meme eine entscheidende Rolle: Die grüne Werteorientierung gegenüber Mensch und Natur öffnet wie ein Schlüssel den Weg zur Agilität (man siehe auch den Blog-Beitrag: Projekte neu gedacht: Entwicklungsstufen, Selbstorganisation und Co-Evolution).

Was heißt dies für unser Beispiel aus dem Projekt-Controlling?

Falls die Organisation ein übliches Hybrides Projektmanagement wie in Abbildung 2 skizziert, verfolgt, dann verbleibt sie in ihren bisherigen vorherrschenden roten und blauen v-Memen. Das Projekt oder Teilprojekt, das wie oben Scrum einsetzt, verbleibt ebenfalls in diesen v-Memen. Scrum wird als Methode angewendet, die man weitgehend strikt zu befolgen hat. Oft wird es im Team Personen geben, die auf die Einhaltung der Methode pochen (sie leben also so ihr v-Mem Ordnung und Kontrolle), andere wiederum werden mehr durch den organisationalen Kontext geführt und sie leben die v-Meme Ordnung und Kontrolle durch die an sie herangetragene organisationale Macht in dem sie mehr auf die Wünsche des Managements eingehen. In beiden Fällen spielen agile Werte und Grundannahmen kaum eine Rolle. Das Verständnis der Selbstorganisations-Prinzipien ist nicht vorhanden. Damit verbunden sind z.B. folgende meist unbewusste organisationale Werte und Grundannahmen (diese können je nach Individuum mehr oder weniger stark ausgeprägt sein):

  • Methoden sind einzuhalten. – Das Nicht-Einhalten erzeugt Stress. Der Einsatz von Methoden und das damit verbundene Handeln ist unabhängig vom Komplexitätsgrad des Projektes: Es ist (immer) möglich einen festen Scope anzugeben und über Macht und Status wird die Einhaltung des bisherigen Ordnungs- und Kontrollsystems eingefordert.
  • Wenn eine Methode (der Scope) nicht einhaltbar ist, hat dies etwas mit Unfähigkeit zu tun: Sei es, dass einzelne Mitarbeiter unfähig sind oder dass die Methode nur unzureichend eingehalten wird.
  • Die Umsetzung des Projektes hat nichts mit der Erwartung der Stakeholder zu tun, die Ziele des Projektes sind hinreichend gut beschrieben und es obliegt der Professionalität des Projektteams bzw. des Projektmanagements diese umzusetzen.

Diese drei Beispiel-Leitplanken zu Werten und Grundannahmen bilden die unbewusste Basis der klassischen (Controlling-) Governance. Sehr oft werden in der klassischen Praxis diese Leitplanken durch weitere Prozesse und Regeln detailliert und implementiert, jedoch meistens ohne, dass die zugrundeliegenden Werte und Grundannahmen bekannt sind bzw. hinterfragt werden. 

Bei einem organisationalen Agilen Mindset könnten sich z.B. folgende Governance-Leitplanken ergeben:

  • Methoden sind an den Kontext anzupassen. Die zugrundeliegenden Werte und Grundannahmen sind hierzu offen zu legen. Der Komplexitätsgrad eines Projektes bestimmt ganz massiv den Einsatz von Methoden und das Handeln in der gesamten Organisation. Der Komplexitätsgrad eines Projektes ist transparent für alle zu bestimmen, anzunehmen und kontinuierlich zu monitoren. – Er ist ein Basis Controlling-Werkzeug. Macht und Status spielen kein gestaltendes Element mehr. Das Ordnungs- und Kontrollsystem wird lediglich als Leitplanke verstanden und ist an das jeweilige Projekt anzupassen.
  • Der Scope wird als planerisches Objekt verstanden, nach dem Motto: Die Planung ist sehr wichtig, sie unterstützt das Denken in Systemen. Der Plan ist unwichtig, denn in einem komplexen Umfeld ist der Plan kontinuierlich anzupassen. Die Änderung des Scope wird nicht irgendeiner Unfähigkeit angelastet, sondern ergibt sich aus der Komplexität der Aufgabenstellung.
  • Alle Stakeholder gehören zum organisationalen System, und sind mitverantwortlich für den Erfolg. Deshalb ist es wichtig, ein Stakeholdermanagement zu betreiben, das alle mentalen Modelle transparent offenlegt. Das Offenlegen mentaler Modelle scheitert nicht an einer Hierarchie, die sich über Macht und Status definiert. – Bei Projektbedarf wird in das Offenlegen mentaler Modelle investiert, z.B. mittels entsprechender Workshops.     

Leider wird beim üblichen Verständnis Hybriden Projektmanagements keine Mindset-und keine Governance-Veränderungsarbeit durchgeführt. Die Agilen Techniken werden so trainiert und erlernt, wie Jahrzehnte vorher auch: Das Lernen verbleibt im Wesentlichen auf dem Lernlevel I, selten wird das Lernlevel II erreicht (man siehe auch den Blog-Beitrag: Projekte neu gedacht: Entwicklungsstufen, Selbstorganisation und Co-Evolution). Man kann dies leicht daran erkennen, dass die auf der Verhaltensebene erlernten Techniken wie ein Regelwerk angewendet werden und auch entsprechend „strikt“ in der Praxis verteidigt werden. Oberflächlich betrachtet werden Agile Techniken eingesetzt, jedoch ohne dass sich das „mentale oder kulturelle Betriebssystem“ geändert hat.

Und genau dies bezeichnet für mich den Kampf „klassisch gegen klassisch“. Der Vollständigkeit halber erwähne ich auch, dass es natürlich auch den Kampf „agil gegen klassisch“ gibt, nämlich dann, wenn auf einer organisationalen Insel im besten Sinne agil gearbeitet wird, jedoch das Umfeld sich weiterhin klassisch verhält. – Dies ist ein weiteres Szenario hybriden Arbeitens, das wir im Management 4.0 unterscheiden. In diesem Falle hat das entsprechende Projekt oder Teilprojekt zwar ein Agiles Mindset und eine Agile Governance, jedoch kommt es an der Schnittstelle zum übrigen organisationalen Umfeld zu erheblichen Reibungsverlusten. Diese Reibungsverluste können auch selten minimiert werden, außer wenn über Macht agile Insel und Umfeld weitgehend voneinander entkoppelt werden (d.h. eine Führungskraft ihre schützende Hand über die Insel hält). Dies führt dann auch zur Entkopplung des Projekt-Controllings und den Controlling Bedürfnissen der Organisation.

Das Verständnis das dem GPM – Zusatzzertifikat hybrid + zugrunde liegt ist das folgende, dritte hybride Szenario [4]:

Hybrides Projektmanagement basiert auf einer agilen Denkweise, wendet Agiles Management 4.0 an und ergänzt dieses soweit sinnvoll durch Modelle und Methoden des traditionellen Projektmanagements.

Agiles Management ist eine Führungs- und Managementpraxis, um in einem komplexen und von Unsicherheit gekennzeichneten Handlungsfeld agil und proaktiv agieren zu können. Es ist gekennzeichnet durch einen agilen Mindset mit dem Fokus auf:

  • einer Führung, deren Grundlage die Selbstführung ist
  • einer Führung, die auf den Grundbedürfnissen der Menschen fußt
  • einer Führung, die das Verständnis komplexer Systeme fordert sowie deren Regulation durch ein iteratives Vorgehen fördert
  • Menschen, die sich in Teams selbst organisieren
  • Fluide Organisationen, die das anpassungsfähige und schnelle Liefern von nutzbaren Ergebnissen fördern und durch den proaktiven Umgang mit Veränderungen innovative Kundenlösungen schaffen.

In diesem dritten Szenario werden in Abbildung 1 das Klassische Mindset und weitgehend auch die Klassische Governance durch ein Agiles Mindset und eine Agile Governance ersetzt. Lediglich die klassischen Techniken werden beibehalten und können jetzt je nach Bedarf ohne große Reibungsverluste verwendet werden und mit agilen Techniken zu hybriden Techniken kombiniert werden.

Damit ist die Wirksamkeit des Controllings nicht mehr eine Frage von Werkzeugen sondern eine von Mindset und Governance.  

[1] PM4 (2109) Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM4), Kapitel 3.2 Governance, Strukturen und Prozesse, Adobe Digital Edition, GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e.V., Nürnberg

[2] Oswald A, Müller W (Hrsg.) (2018) Management 4.0 – Handbook for Agile Practices, Release 2.0“, BoD, Norderstedt

[3] Oswald A, Köhler J, Schmitt R. (2017) Projektmanagement am Rande des Chaos, 2. Auflage, Springer, Heidelberg, auch in Englisch verfügbar: Project Management at the Edge of Chaos (2018), Springer, Heidelberg

[4] Leitfaden für das Zusatzzertifikat hybrid + (2019)  https://www.gpm-ipma.de/zertifizierung/projektmanager/zusatzzertifikat_hybrid_gpm.html, GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e.V., Nürnberg